Landesbehörden

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Zitieren als:
Landesbehörden, Erlass/Behördliche Mitteilung vom 08.04.2021 - 64.31 - 12230.1-8 (§ 26) - asyl.net: M29526
https://www.asyl.net/rsdb/m29526
Leitsatz:

Niederlassungserlaubnis an anerkannte Asylberechtigte und Flüchtlinge setzt Identitätsklärung voraus:

Ist die Identität einer Person, die als asylberechtigt oder als Flüchtling anerkannt ist, nicht geklärt, muss sie sich zur Erlangung einer Niederlassungserlaubnis in zumutbarer Weise bemühen, bei der Beschaffung von Identitätsdokumenten mitzuwirken und vorhandene Dokumente, die der Feststellung bzw. Glaubhaftmachung der Identität und Staatsangehörigkeit dienen können, vorlegen.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Flüchtlingsanerkennung, Asylberechtigung, Niederlassungserlaubnis, Identitätsklärung, Reiseausweis für Flüchtlinge, Staatsangehörigkeit, Nachweis, Pass,
Normen: AufenthG § 26 Abs. 3, AufenthG § 5 Abs. 1, AufenthG § 5 Abs. 3 S. 4, AufenthG § 5 Abs. 1, AufenthG § 9, GFK Art. 28 Abs. 1 S. 1, AufenthV § 4 Abs. 1 Nr. 3
Auszüge:

[...]

Seit Inkrafttreten des Integrationsgesetzes am 06.08.2016 kann im Fall der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis gem. § 26 Abs. 3 AufenthG nicht mehr per se von den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen gem. § 5 Abs. 1 AufenthG abgesehen werden (vgl. § 5 Abs. 3 Satz 4 AufenthG). [...]

Anerkannte Flüchtlinge erhalten von den deutschen Behörden in der Regel einen Reiseausweis für Flüchtlinge gem. § 4 Abs. 1 Nr. 3 Aufenthaltsverordnung (AufenthV). Damit erfüllen sie die Passpflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 3 Abs. 1 AufenthG.

Daneben hat der Reiseausweis nach Art. 28 Abs. 1 Satz 1 Genfer Flüchtlingskonvention grds. auch die Funktion, die Identität des Ausweisinhabers zu bescheinigen. So wird er zu dem Zweck ausgestellt, dem Inhaber als Reiseausweis an Stelle eines nationalen Reisepasses zu dienen und Auslandsreisen zu ermöglichen (s. BVerwG, Urteil v. 17.03.2004 - 1 C 1/03).

Soweit ernsthafte Zweifel an den Identitätsangaben des Antragsstellers bestehen, die nicht bereits im Vorfeld ausgeräumt werden können, kann der Reiseausweis mit dem Hinweis ausgestellt werden, dass die Personendaten auf eigenen Angaben beruhen (vgl. § 4 Abs. 6 S. 2 AufenthV). Die Funktion als Legitimationspapier wird dadurch aufgehoben (s. BVerwG, Urteil v. 17.03.2004, a.a.O.). Soweit der Reiseausweis für Flüchtlinge einen entsprechenden Zusatz enthält, kann nicht mehr von einer geklärten Identität ausgegangen werden (s. BVerwG, Urteil vom 01.09.2011 - 5 C 27.10).

Begründete Zweifel an der Identität einer Person bestehen nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dann, wenn geeignete Dokumente zum Nachweis der Identität fehlen oder wenn gefälschte Urkunden vorgelegt werden (s. BVerwG, Urteil vom 17.03.2004, a.a.O.).

Aber auch ohne einen entsprechenden Zusatz kann (nur) dann von einer geklärten Identität ausgegangen werden, wenn tatsächlich entsprechende Identitätspapiere - ggfs. bereits im Asylverfahren - vorgelegt bzw. die entsprechenden Angaben zur Identität bereits geprüft und (spätere) begründete ernsthafte Zweifel - ggfs. durch Vorlage weiterer Unterlagen - ausgeräumt wurden.

Da die Aufnahme dieses Hinweises in das Ermessen der zuständigen Behörde gestellt ist, lässt das Nichtvorhandensein eines solchen Hinweises gerade nicht den Schluss auf eine unzweifelhaft geklärte Identität des Reiseausweisinhabers zu (vgl. OVG Münster, Urteil v. 10.12.2015 - 19 A 2132/12, BeckRS 2012, 59785). [...]

Wenngleich es einem anerkannten Flüchtling zwar nicht zuzumuten ist, sich bei Behörden in seinem Heimatland bzw. dessen Auslandsvertretung um einen Pass zu bemühen, so besteht für ihn jedoch die - widerlegbare - zumutbare Möglichkeit, seine Identität auf andere Art nachzuweisen. [...]

In Fällen, in denen kein (abgelaufener) Pass oder anderes (abgelaufenes) Identitätsdokument mit Lichtbild vorgelegt und auch nicht zumutbar beschafft werden kann, kann die Identität auch durch andere geeignete Mittel nachgewiesen werden. So sind amtliche Dokumente aus dem Herkunftsstaat, die biometrische Merkmale und Angaben zur Person enthalten, geeignet, soweit sie die Möglichkeit der Identifizierung bieten, wie beispielsweise ein Wehrpass, Führerschein, Dienstausweis oder eine Personenstandsurkunde mit Lichtbild.

Ist der Ausländer nicht im Besitz der vorgenannten Dokumente und können diese auch nicht zumutbar beschafft werden, so können im Zuge einer Gesamtschau mehrerer Indizien geeignete amtliche Dokumente aus dem Herkunftsstaat ohne biometrische Merkmale zum Nachweis der Identität in Betracht kommen, wie beispielsweise eine Geburtsurkunde, Heiratsurkunde, Meldebescheinigung, Schulzeugnisse oder Schulbescheinigungen.

Das Bundesverwaltungsgericht hat darüber hinaus ausgeführt, dass auch sonstige nach § 26 Abs. 1 Satz 1 und 2 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) zugelassene Beweismittel zur Identitätsklärung herangezogen werden können, wenn entsprechende Dokumente nicht vorliegen und diese auch nicht in zumutbarer Weise beschafft werden können. Hierzu zählen insbesondere nichtamtliche Urkunden oder Dokumente, die geeignet sind, die Angaben zu seiner Person zu belegen, gegebenenfalls auch Zeugenaussagen.

Als letztes Mittel können auch ausnahmsweise allein die eigenen Angaben des Betroffenen zur Identitätsklärung herangezogen werden, sofern die Angaben zur Person auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Umstände des Einzelfalles und des gesamten Vorbringens des Betroffenen zur Überzeugung der Behörde feststehen (s. BVerwG, Urteil vom 23.09.2020 - 1 C 36.19, a.a.O.).

Im Anwendungsbereich des § 26 Abs. 3 AufenthG räumt § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG der zuständigen Ausländerbehörde einen Ermessensspielraum dahingehend ein, von der Anwendung des § 5 Abs. 1 AufenthG und damit u.a. auch von der Identitätsklärung als Regelerteilungsvoraussetzung abzusehen. Von seinen o.g. Mitwirkungspflichten wird der Antragsteller jedoch durch die Möglichkeit der Einräumung dieses Ermessensspielraumes nicht befreit.

Ist die Identität nicht geklärt, hat sich der Betroffene - im Rahmen des oben dargestellten Stufenmodells - in ihm zumutbarer Weise zu bemühen, an der Beschaffung von Identitätsdokumenten mitzuwirken sowie vorhandene Dokumente, die der Feststellung bzw. Glaubhaftmachung der Identität und Staatsangehörigkeit dienen können, vorzulegen. [...]

Führt die Mitwirkung nach allem schlüssig dargelegten und belegten Bemühen nicht zum gewünschten Erfolg oder konnte der Antragsteller glaubhaft darstellen, weshalb ihm entsprechende Mitwirkungshandlungen zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht zumutbar bzw. möglich sind, so kann die Ausländerbehörde im Rahmen ihres pflichtgemäßen Ermessens nur in besonders gelagerten Einzelfällen von der Erfüllung der Voraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG absehen. [...]