Zu den Voraussetzungen für den Ehegattennachzug: Art. 7 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 2003/86/EG (Familienzusammenführungsrichtlinie) ist dahin auszulegen, dass ein Mitgliedstaat von Drittstaatsangehörigen verlangen kann, dass sie eine Integrationsprüfung wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehende erfolgreich ablegen, bei der Grundkenntnisse sowohl der Sprache als auch der Gesellschaft des betreffenden Mitgliedstaats beurteilt werden und für die verschiedene Kosten zu begleichen sind, bevor er ihnen die Einreise in sein Hoheitsgebiet und den Aufenthalt dort im Rahmen der Familienzusammenführung erlaubt, sofern die Anwendungsvoraussetzungen für ein solches Erfordernis die Ausübung des Rechts auf Familienzusammenführung nicht unmöglich machen oder übermäßig erschweren. Unter Umständen wie denen der Ausgangsverfahren wird durch diese Anwendungsvoraussetzungen die Ausübung des Rechts auf Familienzusammenführung insofern unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert, als sie nicht die Berücksichtigung besonderer Umstände ermöglichen, die die Betroffenen objektiv an einer erfolgreichen Ablegung dieser Prüfung hindern, und für die Kosten im Zusammenhang mit dieser Prüfung ein zu hoher Betrag festgesetzt wird.
(Amtliche Leitsätze)
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Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 7 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 2003/86 dahin auszulegen ist, dass ein Mitgliedstaat von Drittstaatsangehörigen verlangen kann, dass sie eine Integrationsprüfung wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehende erfolgreich ablegen, bei der Grundkenntnisse sowohl der Sprache als auch der Gesellschaft des betreffenden Mitgliedstaats beurteilt werden und für die verschiedene Kosten zu begleichen sind, bevor er ihnen die Einreise in sein Hoheitsgebiet und den Aufenthalt dort im Rahmen der Familienzusammenführung erlaubt.
Gemäß Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2003/86 gestatten die Mitgliedstaaten dem Ehegatten des Zusammenführenden die Einreise und den Aufenthalt zum Zwecke der Familienzusammenführung vorbehaltlich der in Kapitel IV ("Voraussetzungen für die Ausübung des Rechts auf Familienzusammenführung") dieser Richtlinie genannten Bedingungen.
Der Gerichtshof hat bereits anerkannt, dass diese Bestimmung den Mitgliedstaaten präzise positive Verpflichtungen aufgibt, denen klar definierte subjektive Rechte entsprechen, da sie ihnen in den in der genannten Richtlinie festgelegten Fällen vorschreibt, den Nachzug bestimmter Mitglieder der Familie des Zusammenführenden zu genehmigen, ohne dass sie dabei von ihrem Wertungsspielraum Gebrauch machen könnten (Urteil Chakroun, C-578/08, EU:C:2010:117, Rn. 41).
Als eine der Bedingungen des Kapitels IV der Richtlinie 2003/86 sieht Art. 7 Abs. 2 Unterabs. 1 vor, dass die Mitgliedstaaten gemäß dem nationalen Recht von Drittstaatsangehörigen verlangen können, dass sie Integrationsmaßnahmen nachkommen müssen.
Ferner sieht Art. 7 Abs. 2 Unterabs. 2 der Richtlinie 2003/86 vor, dass im Hinblick auf Flüchtlinge und/oder Familienangehörige von Flüchtlingen die in Art. 7 Abs. 2 Unterabs. 1 genannten Integrationsmaßnahmen erst Anwendung finden, wenn den betroffenen Personen eine Familienzusammenführung gewährt wurde.
Folglich sind die Mitgliedstaaten bei Familienzusammenführungen, die nicht Flüchtlinge und Familienangehörige von Flüchtlingen betreffen, durch Art. 7 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 2003/86 nicht daran gehindert, die Erteilung einer Einreiseerlaubnis an Familienangehörige des Zusammenführenden davon abhängig zu machen, dass sie vorher bestimmten Integrationsmaßnahmen nachkommen.
Da die Genehmigung der Familienzusammenführung die Grundregel darstellt, ist Art. 7 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 2003/86 jedoch eng auszulegen. Ferner darf der den Mitgliedstaaten zuerkannte Handlungsspielraum von ihnen nicht in einer Weise genutzt werden, die das Ziel dieser Richtlinie, Familienzusammenführungen zu fördern, und ihre praktische Wirksamkeit beeinträchtigen würde (vgl. in diesem Sinne Urteil Chakroun, C-578/08, EU:C:2010:117, Rn. 43).
Insoweit müssen nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der zu den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts gehört, die Mittel, die von der nationalen Regelung zur Umsetzung von Art. 7 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 2003/86 eingesetzt werden, zur Erreichung der mit dieser Regelung verfolgten Ziele geeignet sein und dürfen nicht über das dazu Erforderliche hinausgehen (vgl. entsprechend Urteil Kommission/Niederlande, C-508/10, EU:C:2012:243, Rn. 75).
Somit können, da Art. 7 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 2003/86 nur "Integrationsmaßnahmen" erfasst, Maßnahmen, die die Mitgliedstaaten auf der Grundlage dieser Bestimmung verlangen können, nur dann als legitim gelten, wenn sie die Integration der Familienangehörigen des Zusammenführenden erleichtern.
In diesem Zusammenhang kann nicht bestritten werden, dass der Erwerb von Kenntnissen sowohl der Sprache als auch der Gesellschaft des Aufnahmemitgliedstaats die Verständigung zwischen den Drittstaatsangehörigen und den Staatsangehörigen des betreffenden Mitgliedstaats deutlich erleichtert und darüber hinaus die Interaktion und die Entwicklung sozialer Beziehungen zwischen ihnen begünstigt. Auch kann nicht bestritten werden, dass der Erwerb von Kenntnissen der Sprache des Aufnahmemitgliedstaats den Zugang der Drittstaatsangehörigen zu Arbeitsmarkt und Berufsausbildung erleichtert (vgl. zur Auslegung der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen [ABl. 2004, L 16, S. 44], Urteil P und S, C-579/13, EU:C:2015:369, Rn. 47).
Vor diesem Hintergrund kann durch das Erfordernis der erfolgreichen Ablegung einer Basis-Integrationsprüfung gewährleistet werden, dass die betroffenen Drittstaatsangehörigen Kenntnisse erwerben, die für die Schaffung von Bindungen zum Aufnahmemitgliedstaat unstreitig von Nutzen sind.
Zudem ist im Hinblick darauf, dass für die in den Ausgangsverfahren in Rede stehende Integrationsprüfung Grundkenntnisse verlangt werden, festzustellen, dass das Erfordernis der erfolgreichen Ablegung einer solchen Prüfung für sich allein grundsätzlich nicht das mit der Richtlinie 2003/86 verfolgte Ziel der Familienzusammenführung beeinträchtigt.
Jedenfalls verlangt jedoch das Kriterium der Verhältnismäßigkeit, dass die Anwendungsvoraussetzungen für ein solches Erfordernis nicht über das hinausgehen dürfen, was zur Erreichung des genannten Ziels erforderlich ist. Dies wäre u.a. der Fall, wenn durch die Anwendung des genannten Erfordernisses der Nachzug von Familienangehörigen des Zusammenführenden automatisch ausgeschlossen wäre, und zwar auch dann, wenn diese Familienangehörigen zwar die Integrationsprüfung nicht bestanden, aber ihre Bereitschaft zur erfolgreichen Ablegung der Prüfung und ihre dafür unternommenen Anstrengungen nachgewiesen hätten.
Mit den in Art. 7 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 2003/86 genannten Integrationsmaßnahmen darf nämlich nicht der Zweck verfolgt werden, die Personen zu ermitteln, die das Recht auf Familienzusammenführung ausüben können, sondern sie haben dem Zweck zu dienen, die Integration dieser Personen in den Mitgliedstaaten zu erleichtern.
Außerdem sind die besonderen individuellen Umstände, wie Alter, Bildungsniveau, finanzielle Lage oder Gesundheitszustand der Familienangehörigen des Zusammenführenden zu berücksichtigen, um die Familienangehörigen von dem Erfordernis der erfolgreichen Ablegung einer Basis-Integrationsprüfung zu befreien, falls sie aufgrund dieser Umstände nicht in der Lage sind, diese Prüfung abzulegen oder zu bestehen.
Andernfalls könnte dieses Erfordernis bei Vorliegen solcher Umstände ein kaum überwindbares Hindernis für die effektive Wahrnehmung des durch die Richtlinie 2003/86 anerkannten Rechts auf Familienzusammenführung darstellen.
Diese Auslegung wird durch Art. 17 der Richtlinie 2003/86 gestützt, der eine individualisierte Prüfung der Anträge auf Zusammenführung verlangt.
Im vorliegenden Fall ergibt sich aus der Vorlageentscheidung, dass, sofern der Familienangehörige nicht nachgewiesen hat, dass er aufgrund einer geistigen oder körperlichen Behinderung dauerhaft nicht in der Lage ist, die in den Ausgangsverfahren fragliche Integrationsprüfung abzulegen, der Antrag auf Erlaubnis zur Einreise und zum Aufenthalt nur im Fall der in Art. 3.71a Abs. 2 Buchst. d Vb 2000 vorgesehenen Härteklausel nicht abgelehnt wird.
62 Weiter ergibt sich aus der Vorlageentscheidung, dass diese Härteklausel nur dann anzuwenden ist, wenn ein Zusammentreffen ganz besonderer individueller Umstände dazu führt, dass der betreffende Familienangehörige dauerhaft nicht in der Lage ist, die genannte Prüfung mit Erfolg abzulegen.
Somit ermöglicht die in Art. 3.71a Abs. 2 Buchst. d Vb 2000 vorgesehene Härteklausel es nicht, Familienangehörige des Zusammenführenden unter Berücksichtigung der besonderen individuellen Umstände ihrer jeweiligen Situation von dem Erfordernis, die Integrationsprüfung erfolgreich abzulegen, in allen Fällen zu befreien, in denen die Beibehaltung dieses Erfordernisses die Familienzusammenführung unmöglich machen oder übermäßig erschweren würde.
Schließlich ist insbesondere zu den Kosten für die in den Ausgangsverfahren in Rede stehende Integrationsprüfung festzustellen, dass es den Mitgliedstaaten zwar freisteht, von Drittstaatsangehörigen zu verlangen, dass sie die Kosten für die Integrationsmaßnahmen nach Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/86 begleichen, und den Betrag dieser Kosten festzusetzen, gleichwohl die Höhe dieses Kostenbetrags gemäß dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz weder den Zweck noch die Wirkung haben darf, die Ausübung des Rechts auf Familienzusammenführung unmöglich zu machen oder übermäßig zu erschweren, soll nicht das mit der Richtlinie 2003/86 verfolgte Ziel beeinträchtigt und dieser Richtlinie ihre praktische Wirksamkeit genommen werden.
Dies wäre insbesondere der Fall, wenn die für das Ablegen der in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Integrationsprüfung anfallenden Kosten wegen ihrer erheblichen finanziellen Auswirkungen auf die Drittstaatsangehörigen überhöht wären (vgl. entsprechend Urteil Kommission/Niederlande, C-508/10, EU:C:2012:243, Rn. 74).
Insoweit ist festzustellen, dass nach der in den Ausgangsverfahren fraglichen nationalen Regelung, wie der Vorlageentscheidung zu entnehmen ist, sowohl das Prüfungsgeld für die in den Ausgangsverfahren in Rede stehende Integrationsprüfung als auch die Kosten für deren Vorbereitung von den Familienangehörigen des betreffenden Zusammenführenden zu tragen sind.
Ferner ist hervorzuheben, dass sich die einmalig anfallenden Kosten des Pakets zur Vorbereitung auf die Prüfung auf 110 Euro und das Prüfungsgeld auf 350 Euro belaufen. Dieses Prüfungsgeld müssen die Familienangehörigen des betreffenden Zusammenführenden jedes Mal, wenn sie die Prüfung ablegen, entrichten.
Außerdem geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass, wenn der Familienangehörige des betreffenden Zusammenführenden das Prüfungsgeld nicht beglichen hat, er nicht zu der in Rede stehenden Integrationsprüfung zugelassen wird.
Daher ist, wie die Generalanwältin in Nr. 53 ihrer Schlussanträge hervorgehoben hat, festzustellen, dass die Höhe der Kosten für die in den Ausgangsverfahren in Rede stehende Integrationsprüfung die Familienzusammenführung unter Umständen wie denen der Ausgangsverfahren unmöglich machen oder übermäßig erschweren könnte.
Das gilt umso mehr, als das Prüfungsgeld bei jedem weiteren Prüfungsversuch und für jeden Familienangehörigen des Zusammenführenden, der zu diesem in den Aufnahmemitgliedstaat nachziehen will, erneut anfällt und als zu diesen Kosten die Kosten für die Reise zum Sitz der nächsten niederländischen Vertretung hinzukommen, die die Familienangehörigen des betreffenden Zusammenführenden aufbringen müssen, um die genannte Prüfung abzulegen. [...]