VG Köln

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Zitieren als:
VG Köln, Urteil vom 26.10.2017 - 8 K 11324/16.A - asyl.net: M26152
https://www.asyl.net/rsdb/M26152
Leitsatz:

Die drohende Bestrafung wegen illegaler Ausreise begründet keine Flüchtlingseigenschaft, da sie nicht an ein flüchtlingsrelevantes Merkmal anknüpft. Die Frage, ob die illegale Ausreise von den eritreischen Behörden als Wehrdienstverweigerung gewertet werden würde, kann offen bleiben, da auch die potenziell drohende Bestrafung wegen der Wehrdienstverweigerung jedenfalls nicht an ein flüchtlingsrelevantes Merkmal anknüpft.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Eritrea, Nationaldienst, Militärdienst, Wehrdienstentziehung, Asylrelevanz, Verfolgungsgrund, Flüchtlingseigenschaft, subsidiärer Schutz, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, Wehrdienstverweigerung, Desertion, politische Verfolgung, politische Überzeugung, Diaspora-Status, Diaspora-Steuer, illegale Ausreise
Normen: AsylG § 3, AsylG § 3 Abs. 1, AsylG § 3a Abs. 3, AsylG § 3b Abs. 1 Nr. 5, AsylG § 3b, AsylG § 3 Abs. 1 Nr. 1,
Auszüge:

[...]

Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Bescheid des Bundesamtes vom 28. Oktober 2016 ist in dem angefochtenen Umfang rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten; ihm steht zu dem gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung der geltend gemachte Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht zu, § 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO. [...]

Unter Berücksichtigung der aktuellen Erkenntnismittel kann nicht davon ausgegangen werden, dass die illegale Ausreise bzw. der dem Kläger diesbezüglich vorgeworfene Versuch mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit als Zeichen politischer Opposition erachtet wurde. Ein solcher Zusammenhang lässt sich den aktuellen Erkenntnismitteln nicht entnehmen und wird auch in der aktuelleren Rechtsprechung nicht (mehr) angenommen (vgl. u.a. VG Braunschweig, Urteil vom 7. Juli 2015 - 7 A 368/14 -, juris; ausführlich Schweizerisches Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 30. Januar 2017 – D7898/2015 -, S. 42, abrufbar unter www.bvger.ch).

Bereits im September.2015 stellte sich das UK Home Office auf den Standpunkt, dass nicht jede Person, welche illegal ausreise, einer Verfolgungsgefahr ausgesetzt sei und daher im Einzelfall vom Asylgesuchsteller dargelegt werden müsse, dass ihm eine Verfolgung drohe (vgl. UK Home Office, Country Information and Guidance, Eritrea: Illegal Exit, Version 2.0e, September 2015, S. 8).

Dementsprechend entschied auch das UK Upper Tribunal entschied am 7. Oktober 2016, dass eine illegale Ausreise nicht per se zu einer flüchtlingsrelevanten Gefährdung führe (vgl. UK Upper Tribunal, MST and Others [national service - risk categories] Eritrea CG [2016] UKUT 00443 [IAC], 7 Oktober 2016, S. 3 und Ziff. 345 ff.).

Das UK Home Office erließ daraufhin eine neue Country Policy (vgl. UK Home Office, Country Policy and Information Note, Eritrea: National servie and illegal exit, Version 4.0e, Oktober 2016).

Auch in dem Country Reports an Human Rights Practices für 2016 des US Department of State (vgl. Eritrea 2016 human rights report - US Department of State; www.state.gov/documents/organization/265464.pdf) heißt es, dass grundsätzlich die Möglichkeit bestehe zurückzukehren, nachdem die Aufbausteuer gezahlt worden sei. Eine Verfolgung wegen des Verdachts der oppositionellen politischen Überzeugung wird in diesem Zusammenhang nicht erwähnt.

Auch das Auswärtige Amt berichtet in seinem aktuellen Lagebericht nur von Inhaftierungen. Ein Zusammenhang zum Verfolgungsgrund der politischen Überzeugung bzw. oppositionellen Tätigkeit wird nicht hergestellt (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Eritrea (Lagebericht Eritrea), 21. November 2016).

Eine flüchtlingsrelevante Verfolgung kann zugunsten des Klägers auch weder im Hinblick auf eine drohende Einberufung zum Nationaldienst noch im Hinblick auf eine drohende Bestrafung wegen der illegalen Ausreise zur Dienstentziehung angenommen werden.

Eine Einberufung zum Nationaldienst durch den eritreischen Staat stellt keine im Rahmen der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG beachtliche Verfolgung dar. Weder der Umstand der Einberufung als solcher noch die Bedingungen, denen die Betroffenen während der Dienstzeit unterworfen sind, rechtfertigen die Annahme einer flüchtlingsrelevanten Verfolgung.

Die Pflicht zur Ableistung eines staatlichen Dienstes stellt als solche noch keine staatliche Verfolgung i.S.d. §§ 3 ff. AsylG dar. Jeder souveräne Staat hat grundsätzlich das Recht, seine Staatsangehörigen zum Wehr- bzw. Militärdienst heranzuziehen. Es besteht (bislang) kein Grundrecht auf eine Wehr- bzw. Militärdienstverweigerung (vgl. u.a. Treiber in: GK-AufenthG, Stand: März 2016, § 60 Rn. 167 f.; Verwaltungsgericht (VG) Düsseldorf, Urteil vom 23. März 2017 - 6 K 7338/16.A -, juris).

Die Bedingungen, denen die Betroffenen während des Nationaldienstes in Eritrea ausgesetzt sind, begründen aus Sicht der erkennenden Einzelrichterin ebenfalls keine politische Verfolgung. In dem Zusammenhang kann offen bleiben, ob die Dienstbedingungen als Verfolgungshandlungen i.S.d. § 3a Abs. 2 Nr. 1, 3 oder 4 AsylG einzustufen sind, weil der Nationaldienst jedenfalls nicht an ein Verfolgungsmerkmal i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b AsylG anknüpft.

Zwar geht die erkennende Einzelrichterin davon aus, dass es sich bei dem eritreischen Nationaldienst um einen zeitlich unbefristeten Arbeitsdienst unter menschenrechtswidrigen Bedingungen handelt, welcher als Zwangsarbeit und unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG zu qualifizieren ist (vgl. VG Köln, Urteil vom 17. August 2017 - 8 K 5197/16.A -, n.v.; ebenso VG Hamburg, Beschluss vom 5. Oktober 2016 - 4 A 3618/16 -, juris Rn. 25; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 17. Mai 2017 - 1a K 1931/16.A -, juris; so auch die ganz überwiegende Praxis der Beklagten).

Die Bedingungen, denen die Dienstpflichtigen unterworfen sind, knüpfen aber nicht an einen Verfolgungsgrund i.S.d. §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3b AsylG, 3a Abs. 3 AsylG an. Die Einberufung und Behandlung wird nicht zielgerichtet gegenüber bestimmten Personen im Hinblick auf ein flüchtlingsschutzrelevantes Merkmal vorgenommen. Bei der Einberufung zum Nationalen Dienst werden in Eritrea alle Gruppen der Gesellschaft im Wesentlichen gleich behandelt. Gemäß Art. 6 der Proklamation Nr. 82/1995 über den Nationalen Dienst (vgl. Gesetzblatt Eritrea Nr. 11 vom 23. Oktober 1995, englische Übersetzung: www.refworld.org/docid/3dd8d3af4.html) unterliegen Männer und Frauen vom 18. bis zum 50. Lebensjahr einer allgemeinen Dienstpflicht. Die Proklamation Nr. 82/1995 richtet sich an alle Eritreer (Art. 6: "any national"). Freigestellt sind lediglich Personen, die ihren Dienst vor Inkrafttreten der Proklamation abgeleistet hatten sowie ehemalige Kämpfer und Militärangehörige (Art. 12) sowie de facto Schwangere, verheiratete Frauen und Mütter, sowie muslimische Frauen (vgl. Schweizerisches Staatssekretariat für Migration (SEM), Focus Eritrea - Update Nationaldienst und illegale Ausreise, vom 22. Juni 2016 (aktualisiert am 10. August 2016), S. 23; Amnesty International (AI), "Just Deserters", Dezember 2015,S.28).

Eine Unterscheidung nach Rasse, Religion, Nationalität, ethnischer oder sozialer Gruppierung etc. findet in der Praxis nicht statt (vgl. VG Berlin, Urteil vom 1. September 2017 - 28 K 166/17 A, juris; VG Würzburg, Urteil vom 22. Mai 2017 - W 3 K 16.31747 -, juris; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 17. Mai 2017 - 1a K 1931/16.A -, juris; VG Düsseldorf, Urteile vom 23. März 2017, a.a.O. und vom 16. März 2017 - 6 K 1216416.A; VG München, Urteil vom 16. März 2017 - M 12 K 16.33084 -, juris; VG Regensburg, Urteil vom 27. Oktober 2016 - RN 2 K 16.31289 -, juris; VG Potsdam, Urteil vom 17. Februar 2016 - 6 K 1995/15.A - juris; Verwaltungsgerichtshof (VGH) Bad.-Württ., Urteil vom 21. Januar 2003 - A 9 S 297/00 - juris; UK Upper Tribunal, Urteil vom 7. Oktober 2016 - UKUT 443 (IAC), a.a.O., Rn. 305 ("no one is exempt from patriotic duties"); Schweizerisches Staatssekretariat für Migration (SEM), Focus Eritrea - Update Nationaldienst und illegale Ausreise, vom 22. Juni 2016, S. 11; Kibreab, The Open-Ended Eritrean National Service: The driver of forced Migration, October 2014, S. 5 ("no citizens that are excepted"). - Schweizerisches Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 30. Januar 2017. a.a.O.).

Anhaltspunkte dafür, dass der Fall des Klägers abweichend zu beurteilen wäre, liegen nicht vor.

Eine beachtliche Verfolgung kann auch nicht wegen möglicher drohender Sanktionen des eritreischen Staates gegen Deserteure bzw. Personen, die sich dem Nationaldienst durch illegale Ausreise entzogen haben, angenommen werden.

Der Kläger hat bereits nicht vorgetragen, aus dem aktiven Militärdienst geflohen zu sein. [...] Da es daher vor seiner Ausreise keinen Behördenkontakt betreffend einen drohenden Einzug in den Nationaldienst gab, ist der Kläger - auch nach eigener Anschauung - bereits nicht als Deserteur anzusehen. Ob die eritreischen Behörden ihn als offenkundigen Wehrdienstverweigerer betrachten würden, obwohl er bis auf den Umstand der Ausreise keine diesbezüglichen Offenbarungen gegenüber den Behörden erbracht hat (vgl. dazu Schweizerisches Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 30. Januar 2017, a.a.O. Ziff. 5.3 , abrufbar unter www.bvger.ch wonach ein Kläger, der vor seiner Ausreise keinen Behördenkontakt betreffend einen allfälligen Einzug in den Nationaldienst hatte, nicht als Deserteur oder Refraktär (darunter versteht man Ausländer, die einem militärischen Aufgebot ihres Geburtslandes nicht Folge leisteten) gelten kann), kann offen bleiben. Denn selbst wenn davon ausgegangen wird, dass die "bloße" illegale Ausreise im dienstpflichtigen Alter von Seiten der eritreischen Regierung als Wehrdienstentziehung aufgefasst wird, droht dem Kläger dennoch keine flüchtlingsrelevante Verfolgung wegen einer vermuteten politischen Überzeugung i.S.d. §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3b AsylG (vgl. zum Ganzen vor allem VG Düsseldorf, Urteil vom 23. März 2017 - 6 K 7338/16.A -, juris mit ausführlicher Begründung).

Zwar müssen gemäß Art. 37 der Proklamation 82/1995 Personen, die sich dem aktiven Nationaldienst durch Desertion sowie Personen, die sich der allgemeinen Dienstpflicht entziehen, eine Geldstrafe von 3000 Birr bezahlen und/oder eine zweijährige Haftstrafe verbüßen. Falls der Fahnenflüchtige nach der Desertion das Land verlässt, beträgt die Haftstrafe fünf Jahre. Deserteure verlieren außerdem das Recht auf Arbeit und Landbesitz (vgl. SEM, Focus Eritrea - Update Nationaldienst und illegale Ausreise, vom 22. Juni 2016, S. 21 ff.; European Asylum Support Office (EASO), Bericht über die Herkunftsländer - Länderfokus Eritrea, Mai 2015, S. 55).

Den verfügbaren Erkenntnisquellen lässt sich jedoch bereits nicht eindeutig entnehmen, welche Sanktionen im Fall einer "bloßen" Wehrpflichtentziehung/Kriegsdienstverweigerung durch illegale Ausreise drohen bzw. in der Praxis überhaupt vollzogen werden. Das Auswärtige Amt geht in seinem aktuellen Lagebericht ohne weitere Differenzierung davon aus, dass Personen, denen das Umgehen der nationalen Dienstpflicht oder sogar Fahnenflucht vorgeworfen würde, bei einer Rückkehr nach Eritrea wegen dieser Delikte eine Bestrafung droht; wobei die Bestrafung von einer bloßen Belehrung bis zu einer Haftstrafe reichen könne (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Eritrea (Lagebericht Eritrea), 21. November 2016, S. 16).

Anderen Berichten ist zu entnehmen, dass Deserteuren und Dienstverweigerern in der Praxis Haftstrafen drohen, welche außergerichtlich und willkürlich - häufig von Militärvorgesetzten - verhängt werden. Im Fall einer Desertion gebe es keine systematische Vorgehensweise seitens der eritreischen Armee und Behörden (vgl. EASO, Länderfokus Eritrea, Mai 2015, S. 42; SEM, Focus Eritrea - Update Nationaldienst und illegale Ausreise, vom 22. Juni 2016, S. 21 ff.).

Die Haftbedingungen sollen häufig unmenschlich hart und insbesondere wegen massiver Überbelegung der Gefängnisse und unzureichender medizinischer Behandlung zum Teil lebensbedrohlich sein. Folter und Misshandlungen seien während der Inhaftierung verbreitet (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Eritrea, 21. November 2016, S. 15; Human Rights Council, Bericht vom 8. Juni 2016, Nr. 219; Kibreab, The Open-Ended Eritrean National Service, Oktober 2014, S. 5, 14 ("draft evaders, deserters are routinely subjected to torture and detention under severe conditions")).

Die Quellen berichten aber auch, dass die Strafen gegen Deserteure in den letzten Jahren milder geworden seien und faktisch ein Teil der Deserteure gänzlich straflos ausgehe, da die Sicherheitsorgane im Inland nicht systematisch nach ihnen fahnden bzw. nicht dazu in der Lage sind. Es gebe auch zahlreiche junge Leute, die den Nationaldienst verweigerten, ohne dass dies Konsequenzen gehabt habe. Das systematische Vorgehen gegen Dienstverweigerer scheitere zunehmend an den fehlenden Kapazitäten (vgl. EASO, Länderfokus Eritrea, Mai 2015, S. 42; SEM, Focus Eritrea - Update Nationaldienst und illegale Ausreise, vom 22. Juni 2016, S. 21 ff.).

Ungeachtet der Frage, ob das genannte Vorgehen gegen Deserteure und Wehrdienstverweigerer als Verfolgungshandlung qualifiziert werden kann, erfolgt die Bestrafung von Personen, die sich dem Nationaldienst entziehen und illegal ausreisen, aber jedenfalls nicht in Anknüpfung an das Verfolgungsmerkmal der politischen Überzeugung i.S.d. §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3b AsylG. [...]

Nach diesen Grundsätzen knüpfen die Sanktionierungen von der im vorliegenden Fall lediglich in Rede stehenden Dienstentziehung durch illegale Ausreise durch den eritreischen Staat nach Ansicht der erkennenden Einzelrichterin nicht generell an eine vermutete politische Überzeugung i.S.d. §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG an. Der gemäß § 3a Abs. 3 AsylG erforderliche Zusammenhang zwischen Verfolgungshandlung und einer missbilligten politischen Überzeugung i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG lässt sich gegenwärtig nicht feststellen. Eine wegen Verweigerung des Nationaldienstes durch illegale Ausreise drohende Bestrafung vermag ohne Hinzutreten weiterer Umstände allenfalls eine Gefahr im Sinne der subsidiären Schutzbedürftigkeit zu begründen (vgl. VG Gelsenkirchen, Urteil vom 17. Mai 2017 - 1a K 1931/16.A -, juris; VG Düsseldorf, Urteile vom 23. März 2017 - 6 K 7338/16.A - und 16. März 2017 - 6 K 12164/16.A -, juris; VG Ansbach, Urteil vom 26. September 2016 - AN 3 K 16.30584 - juris; VG Augsburg, Urteil vom 11. August 2016 - Au 1 K 16.30744 - juris; VG Regensburg, Urteil vom 27. Oktober 2016 - RN 2 K 16.31289 -, juris; VG München, Urteil vom 10. Januar 2017 - M 12 K 16.33214 -, juris; im Ergebnis so auch Schweizerisches Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 30. Januar 2017, a.a.O.; a.A. zum Großteil unter Bezugnahme auf ältere Erkenntnisquellen VG Darmstadt, Urteil vom 6. Oktober 2015 - 4 K 1658/14.DA.A -, juris; VG Minden, Urteil vom 13. November 2014 - 10 K 2815/13.A -, juris; VG Aachen, Urteil vom 16. Dezember 2016 - 7 K 2327/16.A, NRWE; VG Hamburg, Gerichtsbescheid vom 26. Oktober 2016 - 4 A 1646/16 -, juris; Österreichisches Bundesverwaltungsgericht, Entscheidung vom 24. Mai 2016 - BWG W226 2120345-1 -, abrufbar unter www.ris.bka.gv.at), der der angefochtene Bescheid in Ziffer 1. seines Tenors bereits Rechnung trägt.

Zunächst spricht gerade die in den Berichten aufgezeigte große Bandbreite möglicher Folgen bei der Rückkehr von Personen, die illegal ausgereist sind, um sich dem Nationaldienst zu entziehen (von einer Belehrung und Ableistung des Nationaldienstes bis zu mehrmonatiger oder mehrjähriger Haft) (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Eritrea, 21. November 2016, S. 17) dagegen, dass diese Personen automatisch als Regimegegner eingestuft werden und damit generell einer politischen Verfolgung unterliegen. Dem entspricht auch die Beobachtung des Auswärtigen Amtes, dass die Zahlung von Geld das Strafmaß und die Umstände der Strafvollstreckung für einen Verurteilten günstig beeinflussen können (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Eritrea, 21. November 2016, S. 18).

Ebenso spricht gegen eine generelle politische Verfolgung aller Personen, die sich dem Nationaldienst entziehen, der derzeitige Umgang der eritreischen Regierung mit freiwilligen - zumindest vorübergehenden - Rückkehrern. Nach der gegenwärtigen Erkenntnislage werden die gesetzlichen Bestimmungen für Desertion, Dienstverweigerung und illegale Ausreise derzeit für diese Personen nicht angewandt. Sofern sie sich mindestens drei Jahre im Ausland aufgehalten haben, besteht für die Rückkehrer die Möglichkeit, einen sog. "Diaspora Status" zu erhalten. Dieser setzt voraus, dass eine Diasporasteuer (2% Steuer) bezahlt wurde und, sofern die nationale Dienstpflicht noch nicht erfüllt wurde, ein sog. "Reueformular" unterzeichnet wurde. Dieses umfasst auch ein Schuldeingeständnis mit der Erklärung, die dafür vorgesehene Bestrafung anzunehmen. Zumindest in der Mehrheit kommt es nach den Erkenntnisquellen zu keiner tatsächlichen Bestrafung. Es bestehen auch Richtlinien, die der o.g. Rechtslage widersprechen. Sie sehen vor, dass Diaspora-Eritreer, die ihre Dienstpflicht nicht erfüllt haben, ihren Status bei den eritreischen Behörden regeln und anschließend straffrei nach Eritrea zurückkehren können. Mit dem "Diaspora Status" ist es möglich, drei Jahre in Eritrea zu bleiben, ohne den Nationaldienst ableisten zu müssen. Auch eine Ausreise ist mit diesem Status möglich, so dass es temporäre Reisen zu Urlaubs- und Besuchszwecken gibt. Diese Optionen, die gerade auch für Personen gelten, die sich dem Nationaldienst durch die illegale Ausreise entzogen haben, sprechen gegen eine generelle Einstufung als politische Gegner (vgl. VG Regensburg, Urteil vom 27. Oktober 2016 - RN 2 K 16.31289 -, juris; SEM, Focus Eritrea, Update Nationaldienst und illegale Ausreise, vom 22. Juni 2016, S. 43; EASO, Länderfokus Eritrea, Mai 2015, S. 55; Human Rights Council, Report vom 5. Juni 2015, Nr. 436; Landinfo, National Service 2016, S. 22 f.).

Auch der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen kommt in dem Bericht zu Eritrea vom 8. Juni 2016 zu dem Schluss, dass der Nationaldienst entgegen den mit der Proklamation ursprünglich verfolgten (politischen) Zielsetzungen heute in erster Linie der Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes und zur Aufrechterhaltung einer (völkerrechtswidrigen) Kontrolle des Staates über die Bevölkerung dient (vgl. Human Rights Council, Bericht vom 8. Juni 2016, Nr. 234: "the military/national service programmes today serve primarily to boost the economic development of the nation, profit state-endorsed enterprises, and maintain control over the Eritrean population in a manner inconsistent with international law").

Gegen die politische Zielrichtung spricht auch die nach dem UN-Bericht verfolgte Zielrichtung von Strafmaßnahmen. Es ist dem Bericht nicht zu entnehmen, dass die Sanktionierungen von Dienstentziehung und illegaler Ausreise erkennbar zielgerichtet auf die politische Komponente der dem jeweiligen Betroffenen. individuell zur Last gelegten Straftaten gerichtet wäre. Die dem eritreischen Staat zuzurechnenden Sanktionierungsmaßnahmen (extralegale Inhaftierungen, Misshandlungen einschließlich Folterungen, Verweigerung der Benachrichtigung Angehöriger) zielen nach dem UN-Bericht nämlich vornehmlich auf die Erzwingung von Geständnissen, die Informationsgewinnung, die Bestrafung für angebliches Fehlverhalten und die Schaffung eines allgemeinen Klimas der Angst, sowie - innerhalb des Militärs - die Aufrechterhaltung der Disziplin. Die Maßnahmen sind Ausdruck einer Strategie der Regierung zur Aufrechterhaltung einer völkerrechtswidrigen Kontrolle über die eigene Bevölkerung (vgl. Human Rights Council, Bericht vom 8. Juni 2016, S. 25 (Nr. 97): "Finally, many of those detained who were eventually able to speak with the Commission either because they had been released or because they had escaped, described various forms of torture inflicted an them to obtain information, to punish for alleged wrongs, or to create a general climate of fear").

Im Übrigen hat auch die eritreische Regierung - die Verlässlichkeit von Angaben des Verfolgerstaates in Rechnung gestellt - einen politischen Charakter der Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung mehrfach ausdrücklich in Abrede gestellt (vgl. SEM, Focus Eritrea - Update Nationaldienst und illegale Ausreise, vom 22. Juni 2016, S. 18 (Nr. 3.1.2) unter Bezugnahme auf eine Stellungnahme des eritreischen Außenministeriums vom 17. Dezember 2015 zu den UNHCR Eligibility Guidelines von April 2009: "Military Service was enacted by law due to the imperatives of National Defense against foreign aggression. It cannot and does not otherwise have any political connotation. Nor can it be misconstrued or seen as a reflection of loyalty or opposition to the incumbent government", abrufbar unter www.shabait.com/news/local-news/20954-unhcr-eligibility-guidelines-factual-findings-or-recycled-defamation; Danish Immigration Service, Eritrea - Drivers and Root Causes of Emigration, National Service and the Possibility of Return, Report on fact finding missions, Appendix edition, Dezember 2014, S. 59: "Recently Yemane Gebreab, Head of the political Office of the PFDJ and reported to be very close to the President, stated that those who have left Eritrea to avoid national service are considered economic refugees not political opponents. Yemane Gebreab also expressed the wish to stop the trafficking of Eritrean asylum seekers through Sudan and Libya. It is damaging for Eritrea that its young generation is leaving their country", abrufbar unter www.nyidanmark.dk/[...]).

Der abweichenden Entscheidung des britischen Upper Tribunals vom 7. Oktober 2016 (vgl. UK Upper Tribunal, MST and Others [national service - risk categories] Eritrea CG [2016], a.a.O., S. 155 (Rn. 430)), wonach eine politische Verfolgung mit der Begründung angenommen wurde, nach der Auskunftslage müsse weiterhin davon ausgegangen werden, dass der eritreische Staat dem Nationaldienst eine politische und ideologische Bedeutung zuspreche, vermag die erkennende Einzelrichterin nicht zu folgen. Ungeachtet der vorstehenden Gründe bezieht sich das Upper Tribunal nämlich für die Begründung der politischen Komponente vor allem auf den EASO-Bericht von Mai 2015, der aber selbst einräumt, dass die Auskünfte nicht mehr aktuell sind (vgl. EASO, Länderfokus Eritrea, Mai 2015, S. 41: "Aufgrund des politischen bzw. ideologischen Charakters des Nationaldiensts wird die Desertion oder Wehrdienstverweigerung einigen Quellen zufolge von den Behörden als Ausdruck politischer Opposition bzw. Verrat an der Nation aufgefasst. Unter anderem weil keine neueren Erfahrungswerte zum Umgang mit Deserteuren und Wehrdienstverweigerern nach ihrer Rückkehr vorliegen (siehe Kapitel 3.8.2), ist unklar, ob dies immer noch der Fall ist").

Anhaltspunkte für eine abweichende Bewertung bestehen im Fall des Klägers nicht.

Nach der vorstehenden Auskunftslage und den vorangegangenen Ausführungen kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass dem Kläger allein wegen der illegalen Ausreise von Seiten des eritreischen Staates eine flüchtlingsrelevante Verfolgung droht. Die genannten Erkenntnisse Personen betreffen, die illegal ausreisten, um sich dem Nationalen Dienst zu entziehen, also beide Tatbestände verwirklichten (vgl. VG Regensburg, Urteil vom 27. Oktober 2016 - RN 2 K 16.31289 -, juris; Schweizerisches Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 30. Januar 2017, a.a.O.). [...]