LSG Berlin-Brandenburg

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Zitieren als:
LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11.07.2019 - L 15 SO 181/18 - Asylmagazin 10-11/2019, S. 385 ff. - asyl.net: M27658
https://www.asyl.net/rsdb/M27658
Leitsatz:

Anspruch auf dauerhafte "Überbrückungsleistungen" für EU-Staatsangehörige ohne materielles Aufenthaltsrecht:

1. Der Ausschluss von EU-Staatsangehörigen ohne materielles Aufenthaltsrecht von den regulären Leistungen der Sozialhilfe nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII unterliegt zwar verfassungsrechtlichen Bedenken im Hinblick auf das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG, ist im Ergebnis aber europarechts- und verfassungskonform.

2. Denn bei verfassungskonformer Auslegung des § 23 Abs. 3 S. 6 SGB XII sind Betroffenen "Überbrückungsleistungen" zu gewähren. Ein Anspruch auf diese Leistungen besteht aufgrund der Vermutung des Bestehens eines Freizügigkeitsrechts über den im Gesetzeswortlaut genannten Monat hinaus. Der Anspruch endet nur, wenn eine bestandskräftige und wirksame Ausweisungsverfügung besteht, die mit einem Einreise- und Aufenthaltsverbot verknüpft ist.

3. Der Anspruch ist von Amts wegen zu prüfen und zu erbringen. Er entspricht den gekürzten Leistungen nach § 1a AsylbLG. Die Höhe der Leistungen ist noch verfassungskonform. 

(Leitsätze der Redaktion; gegen diese Entscheidung ist derzeit eine Revision beim Bundessozialgericht anhängig unter dem AZ.: B 8 SO 7/19 R)

Schlagwörter: Unionsbürger, Sozialleistungen, Überbrückungsleistungen, Überbrückungsgeld, Ausweisung, freizügigkeitsberechtigt, Familienangehörige, Leistungsausschluss, Existenzminimum, verfassungskonforme Auslegung, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, materielles Aufenthaltsrecht,
Normen: SGB XII § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 2, SGB XII § 23 Abs. 3 S. 6, GG Art. 1, GG Art. 20 Abs. 1, AsylbLG § 1a
Auszüge:

[...]

28 Die Berufung ist unbegründet, soweit die Klägerin mit ihr reguläre Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB XII geltend macht.

29 Sie erfüllt im streitigen Zeitraum jedoch dem Grunde nach die Voraussetzungen für die Leistungen der Grundsicherung, die angesichts ihres Lebensalters kraft Gesetzes vorrangig gegenüber den Hilfen zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII sind (§ 19 Abs. 2 Satz 2 SGB XII). [...]

35 Der Ausschluss von den Leistungen der Grundsicherung ergibt sich jedoch aus § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII n.F. [...]

51 Der Ausschlusstatbestand gemäß § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII war durch das Gericht anzuwenden. Die Rechtsprechung ist an Gesetz und Recht gebunden (Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz [GG]). Sie hat deshalb die geltenden Gesetze anzuwenden. Erlaubt ist den Gerichten lediglich eine Auslegung im Rahmen anerkannter rechtswissenschaftlicher Auslegungsmethoden – sprachlich/grammatikalisch (Wortlaut der Norm), systematisch (Bedeutungszusammenhang der Norm), historisch (Entstehungsgeschichte der Norm) und teleologisch (Gesamtzweck der Norm, "ratio legis"). Nur in diesem Rahmen ist auch eine sogenannte verfassungskonforme Auslegung zulässig, ohne das Verwerfungsmonopol des BVerfG zu berühren (s. etwa BVerfG, Beschluss vom 16. Dezember 2014 – 1 BvR 2142/11 –, BVerfGE 138, 64, 93 [Rn 86] und 95 [Rn 93]). Mit Blick auf den Wortlaut und die Entstehungsgeschichte sowie unter Berücksichtigung der oben genannten Rechtsprechung kommt aus Sicht des Senats eine andere als die dargestellte Auslegung des Ausschlusstatbestandes nicht in Betracht. [...]

54 Die gesetzliche Regelung unterliegt aus seiner Sicht jedoch verfassungsrechtlichen Bedenken. Indem sie typisierend die unwiderlegliche Möglichkeit der Selbsthilfe durch die Möglichkeit der Rückkehr in das Heimatland aufstellt, schließt sie Personen von den regulären Leistungen der Sozialhilfe gänzlich aus, die sich auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland tatsächlich und ohne den Willen, es freiwillig zu verlassen, aufhalten und gegen die die - an sich hierfür zuständige - Ausländerbehörde keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen eingeleitet hat. Sie konkretisiert damit den Nachrang der Sozialhilfe für die von ihr erfassten Fälle (s. dazu, dass sich aus der allgemeinen Bestimmung über den Nachrang - § 2 Abs. 1 SGB XII - im Regelfall kein Leistungsausschluss herleiten lässt zusammenfassend BSG, Urteil vom 20. Januar 2016 – B 14 AS 15/15 R –, in "juris" Rn 32 m.w.Nachw.) in einer Weise, welche das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.mit Art. 20 Abs. 1 GG berührt. Dieses wird im Besonderen durch die Leistungen zur Sicherung des laufenden Lebensunterhalts nach dem SGB II und XII einfachgesetzlich umgesetzt und stellt ein Menschenrecht dar. Die Möglichkeit einer Heimkehr in das Herkunftsland ist hierbei "im Hinblick auf die Ausgestaltung des genannten Grundrechts als Menschenrecht schon verfassungsrechtlich jedenfalls solange unbeachtlich, wie der tatsächliche Aufenthalt in Deutschland von den zuständigen Behörden faktisch geduldet wird" (BSG a.a.O. Rn 31f. mit Hinweis auf BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2012 - 1 BvR 10/10 u.a. -,BVerfGE 132, 134 [Rn 63 und 92ff]).

55 Die dargestellten Bedenken verdichten sich deshalb nicht zur Überzeugung der Verfassungswidrigkeit, weil die Klägerin Anspruch auf Überbrückungsleistungen gemäß § 23 Abs. 3 Sätze 3, 5 und 6 SGB XII n.F. in verfassungskonformer Auslegung hat.

56 Gemäß § 23 Abs. 3 Satz 3 SGB XII n.F. werden hilfebedürftigen Ausländern, die § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII n.F. unterfallen, bis zur Ausreise, längstens jedoch für einen Zeitraum von einem Monat, einmalig innerhalb von zwei Jahren nur eingeschränkte Hilfen gewährt, um den Zeitraum bis zur Ausreise zu überbrücken (Überbrückungsleistungen); die Zweijahresfrist beginnt mit dem Erhalt der Überbrückungsleistungen nach Satz 3.

57 Gemäß § 23 Abs. 3 Satz 5 SGB XII umfassen die Überbrückungsleistungen (1.) Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Ernährung sowie Körper- und Gesundheitspflege, (2.) Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung in angemessener Höhe, einschließlich der Bedarfe nach § 35 Absatz 4 und § 30 Absatz 7 SGB XII, (3.) die zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen und (4.) Leistungen nach § 50 Nummer 1 bis 3 SGB XII (Hilfen bei Schwangerschaft und Mutterschaft).

58 Gemäß § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB XII werden, soweit dies im Einzelfall besondere Umstände erfordern, Leistungsberechtigten nach Satz 3 zur Überwindung einer besonderen Härte andere Leistungen im Sinne von Absatz 1 gewährt; ebenso sind Leistungen über einen Zeitraum von einem Monat hinaus zu erbringen, soweit dies im Einzelfall auf Grund besonderer Umstände zur Überwindung einer besonderen Härte und zur Deckung einer zeitlich befristeten Bedarfslage geboten ist.

59 Leistungen gemäß § 23 Abs. 3 Sätze 3, 5 und 6 SGB XII scheitern nicht bereits daran, dass die Klägerin keine Ausreiseabsicht hat. Eine solche "innere Tatsache" ist keine tatbestandliche Voraussetzung für die Leistung. Dies ergibt sich im Besonderen nicht aus der Bezeichnung als "Überbrückungsleistungen" bzw. der Formulierung, dass sie "bis zur Ausreise, längstens jedoch für einen Zeitraum von einem Monat" gewährt werden.

60 Die Leistungen sind eine Folge davon, dass der Gesetzgeber durch die Neufassung des § 23 Abs. 3 SGB XII ausdrücklich die Rechtsprechung des BSG korrigieren wollte, welches aus der Formulierung des § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII a.F. ("Ausländer, die eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen, oder deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt, sowie ihre Familienangehörigen haben keinen Anspruch auf Sozialhilfe") ein Leistungsrecht im Ermessensweg gefolgert, nach einer Aufenthaltsdauer von sechs Monaten eine Verfestigung des Aufenthalts gesehen und hieraus eine Ermessensreduzierung auf Null abgeleitet hatte (BT-Dr. 18/10211, 11, 16; zur Rechtsprechung des BSG ausführlich dessen Urteil a.a.O. SozR 4-4200 § 7 Nr. 43). Wie bereits ausgeführt werden auf diese Weise Unionsbürger von den regulären Leistungen des SGB XII, welche sie nach § 23 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SGB XII n.F. beanspruchen könnten, unter der typisierten Annahme ausgeschlossen, dass ihnen die Rückkehr in ihr "Heimatland" (gemeint im Sinne des Landes dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen bzw. in dem sie ein gesichertes Aufenthaltsrecht haben) gefahrlos offensteht.

61 Mehr als eine zeitliche Begrenzung der in diesem Fall noch "übergangsweise" möglichen Leistungen ist § 23 Abs. 3 Satz 3 SGB XII n.F. nicht zu entnehmen, auch nicht unter Berücksichtigung der Gesetzesmaterialien. Die Monatsfrist sollte den gesetzesausführenden Gebietskörperschaften lediglich Verwaltungsaufwand ersparen, weil es im "Zeitraum von einem Monat ... in jedem Fall möglich <ist>, innerhalb der EU eine angemessene Rückreisemöglichkeit zu finden" (BT-Dr. 18/10211, 16). Mit anderen Worten ging der Gesetzgeber auch insoweit typisierend von der Möglichkeit aus, dass Betroffene "Selbsthilfe" durch Rückkehr in das Heimatland üben können, ohne auf einen Rückkehrwillen der Betroffenen abzustellen. Dem gesetzgeberischen Ziel einer Verringerung des Verwaltungsaufwandes würde es widersprechen, wenn ein (ernsthafter) Rückkehrwille vor Gewährung der Leistungen zu ermitteln wäre.

62 Die Überbrückungsleistungen sind – von daher folgerichtig und anders als die Übernahme der Rückreisekosten nach § 23 Abs. 3a SGB XII n.F. – auch nicht antragsabhängig und somit immer dann zu gewähren, wenn der Sozialhilfeträger Kenntnis von den Leistungsvoraussetzungen erlangt (§ 18 Abs. 1 SGB XII). Daran ändert auch nichts, dass die in Betracht kommenden Leistungsberechtigten gemäß § 23 Abs. 3 Satz 4 SGB XII n.F. "hierüber" und über die Möglichkeit der Leistungen nach Abs. 3a zu unterrichten sind. Mehr als eine Warnfunktion für die Leistungsberechtigten, dass sie regelmäßig nur noch für kurze Frist – und eventuell in geringerer Höhe als zuvor – Leistungen zu erwarten haben, lässt sich dem nicht entnehmen: Da ein Antragserfordernis für die Leistung nach § 23 Abs. 3 Satz 4 SGB XII n.F. nicht vorgesehen worden ist, kann der Bezugspunkt des Wortes "hierüber" nur die in § 23 Abs. 3 Satz 3 SGB XII n.F. geregelte Leistung an sich sein.

63 Wann genau der in § 23 Abs. 3 Satz 3 SGB XII n.F. genannte Monatszeitraum im Fall der bereits 2015 eingereisten Klägerin liegt – zu denken ist vorrangig an den ersten Monat ab dem Inkrafttreten der Vorschrift (29. Dezember 2016 bis 28. Januar 2017) – kann dahingestellt bleiben. Denn auch die Voraussetzungen des § 23 Abs. 3 Satz 6 Halbs. 2 SGB XII n.F. liegen vor. Zwar soll die Vorschrift keine Dauerleistungen ermöglichen (BT-Dr. 10/10211, 17f.). Sie enthält aber auch keine feste zeitliche Grenze. Die Voraussetzungen des Vorliegens "besonderer Umstände zur Überwindung einer besonderen Härte und zur Deckung einer zeitlich befristeten Bedarfslage" sieht der Senat als gegeben an. Diese Begriffe werden nicht näher definiert. Nach den Gesetzesmaterialien soll es sich um Situationen handeln, in denen "im Einzelfall eine Ausreise binnen eines Monats nicht möglich oder nicht zumutbar" sei (BT-Dr. 10/20211, 16). Ausgehend hiervon sieht der Senat die Situation der Klägerin, die als Unionsbürgerin die Vermutung eines Freizügigkeitsrechts für sich in Anspruch nehmen kann und gegen die die Ausländerbehörde aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht ergriffen hat, deren Aufenthalt also faktisch geduldet wird, als besonderen, mit einer besonderen Härte verbundenen Umstand an, der eine Ausreise unzumutbar macht.

64 Der Gesetzgeber hat durch § 23 Abs. 3 Satz 7 SGB XII n.F. selbst vorgesehen, dass die von § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 oder 3 SGB XII erfassten Personen, die sich seit mindestens fünf Jahren ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten, (wieder) Zugang zu den regulären Leistungen der Sozialhilfe nach § 23 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SGB XII erhalten); dies gilt - nur dann - nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 Freizügigkeitsgesetz/EU festgestellt wurde. Ein materielles Aufenthaltsrecht im Fünfjahreszeitraum wird somit ausdrücklich nicht vorausgesetzt, angeknüpft wird lediglich daran, dass "abzusehen <ist>, dass ausländische Personen ohne materielles Freizügigkeits- oder Aufenthaltsrecht dauerhaft oder jedenfalls für einen längeren Zeitraum in Deutschland verbleiben werden und damit eine Verfestigung des Aufenthaltes eintritt" (BT-Dr. 10/10211, 16). Dem entnimmt der Senat, dass der Gesetzgeber die oben dargestellte, ausländerrechtlich privilegierte Stellung von Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern berücksichtigen will. Der Senat entnimmt dem weiter, dass sich der Gesetzgeber auch der Möglichkeit eines über viele Jahre andauernden Vollzugsdefizits von Ausländerbehörden bewusst ist (zu diesem Aspekt als Element für die Annahme eines verfestigten Aufenthalts BSG a.a.O. SozR 4-4300 § 7 Nr. 43 Rn 56).

65 Unabhängig davon, ob der Gesetzgeber unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG zu den Anforderungen an die Gewährleistung des Existenzminimums bei verfestigtem Aufenthalt (a.a.O. BVerfGE 132, 134 Rn 92ff) verfassungsgemäß bestimmen konnte, dass erst nach Ablauf von fünf Jahren im Wesentlichen ununterbrochenen Aufenthalts dessen "Verfestigung" eingetreten ist, die den Zugang zu "regulären" Leistungen des SGB XII eröffnet, geht der Senat aber nicht davon aus, dass der Gesetzgeber sehenden Auges einen vollständig leistungslosen Zustand über mehrere Jahre Dauer hinnehmen wollte. Ihm kann ohne hinreichend deutliche Anhaltspunkte nicht unterstellt werden, dass er auf diese Weise den Schutz ihrer Menschenwürde als höchstrangiges Verfassungsgut (Art. 1 Abs. 1 GG) gefährden oder sogar billigend in Kauf nehmen und die oben dargestellte ausländerrechtliche Privilegierung von Unionsbürgern zum mindesten relativieren wollte. Ebenso wenig kann ihm unterstellt werden, dass er den Zugang zu regulären Leistungen nach § 23 Abs. 3 Satz 7 SGB XII letztlich davon abhängig machen wollte, dass Unionsbürger ein von ihm gerade nicht gewünschtes Verhalten zeigen (indem sie sich nicht der vom Gesetzgeber leistungsausschließend unterstellten Selbsthilfemöglichkeit der Rückkehr in das Heimatland bedienen) und dass die Verletzung eines Verfassungsgutes nicht eingetreten ist (indem Unionsbürger wenigstens ihre physische Existenz ohne staatliche Hilfen sichern konnten).

66 Nach alldem stellt es sich für Unionsbürger - typisierend - als Bedarfslage im "Einzelfall auf Grund besonderer Umstände zur Überwindung einer besonderen Härte" im Sinne des § 23 Abs. 3 Satz 6 Halbs. 2 SGB XII n.F. dar, dass sie einen privilegierten aufenthaltsrechtlichen Status genießen, während die Behörde, die diesen Status beenden könnte, die hierzu erforderlichen Maßnahmen nicht ergreift. Bei dieser Auslegung bleibt auch der Charakter der Leistung als zeitlich befristete erhalten. Denn die Leistungen begründende Bedarfslage nach § 23 Abs. 3 Satz 6 Halbs. 2 SGB XII n.F. endet, sobald die Ausländerbehörde tätig geworden ist und eine Unionsbürgerin oder ein Unionsbürger vollziehbar zur Ausreise verpflichtet ist. [...]

69 Zusammenfassend setzt die Leistungspflicht des Beklagten gemäß § 23 Abs. 3 Satz 6 Halbs. 2 SGB XII n.F. nach dem Gesagten am 1. September 2017 ein und besteht seither durchgehend jedenfalls so lange, wie die Klägerin nicht vollziehbar ausreisepflichtig ist, sowie in dem sich aus § 23 Abs. 3 Satz 5 SGB XII n.F. ergebenden, im Einzelnen noch zu berechnenden Umfang.

70 Die der Klägerin zustehenden Leistungen im Umfang des § 23 Abs. 3 Satz 5 SGB XII n.F. sieht der Senat als verfassungsrechtlich mit Blick auf die Sicherung des Existenzminimums noch ausreichend an. Sie orientieren sich zwar an den "abgesenkten" Leistungen für Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG, deren Ausreise unmittelbar bevorsteht (§ 1a Abs. 2 AsylbLG; s. BT-Dr. 18/10211, 16). Die Deckung zusätzlicher Bedarfe kommt aber gegebenenfalls über die Härtefallregelung gemäß § 23 Abs. 3 Satz 6 Halbs. 1 SGB XII n.F. in Betracht, so dass insgesamt nicht davon ausgegangen wird, dass das Leistungsniveau die verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen unterschreitet. [...]