OVG Berlin-Brandenburg

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Zitieren als:
OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16.07.2020 - 12 N 144.19 (Asylmagazin 10-11/2020, S. 381 f.) - asyl.net: M28869
https://www.asyl.net/rsdb/M28869
Leitsatz:

Anforderungen an die Substanziierung von Beweisanträgen zu psychischen Erkrankungen:

1. An die Substanziierung eines Beweisantrages zur Einholung eines Sachverständigengutachtens sind grundsätzlich keine zu hohen Anforderungen zu stellen. Es reicht aus, wenn das Beweisthema hinreichend beschrieben ist und eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Beweistatsache spricht.

2. Steht zur Frage, ob die betroffene Person in Anbetracht ihrer psychischen Verfassung bei einer Rückkehr in ihr Herkunftsland eine ausreichende Existenzgrundlage erwirtschaften kann, so muss das zur Substanziierung eingereichte Attest nicht zwingend den Anforderungen des § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG entsprechen. Vielmehr ist es ausreichend, wenn sich aus dem Attest und der Medikation eine gewisse Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen der im Attest diagnostizierten Erkrankung ergibt.

(Leitsätze der Redaktion; die Ausführungen ergingen als obiter dictum im Rahmen einer Berufungszulassung aus anderen Gründen)

Schlagwörter: Attest, Beweisantrag, krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot, rechtliches Gehör, Sachverständigengutachten, Existenzgrundlage, psychische Erkrankung,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 5, AufenthG § 60a Abs. 2c S. 3, AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 3, VwGO § 138 Nr. 3
Auszüge:

[...]

Ob das Verwaltungsgericht mit der Ablehnung des in der mündlichen Verhandlung zu Ziffer 2 gestellten Beweisantrags auf Einholung eines psychologisch-psychiatrischen Sachverständigengutachtens oder einer Stellungnahme der behandelnden Fachärztin in Bezug auf die im fachärztlichen Attest vom ... 2019 attestierte schwere depressive Episode darüber hinaus das rechtliche Gehör des Klägers verletzt hat (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO), weil die Ablehnung insoweit keine Stütze im Prozessrecht findet, kann dahinstehen. Grundsätzlich sind an die Substantiierung eines auf die Erhebung von Sachverständigenbeweis gerichteten Antrags aber keine hohen Anforderungen zu stellen. Zur Substantiierung eines Sachverständigenbeweisantrags kann es genügen, wenn das Beweisthema im Beweisantrag hinreichend beschrieben ist (BVerwG, Beschluss vom 27. März 2000 - 9 B 518.99 - lnfAuslR 2000, 412, juris Rn. 11). Ergibt sich - wie hier - aus den anamnestischen Ausführungen ("ängstlich-gedrückte Stimmung") eines nicht in jeder Beziehung den Anforderungen an die Widerlegung der Gesundheitsvermutung des Aufenthaltsrechts genügenden Attests und der verabreichten Medikation immerhin eine gewisse Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen der im Attest diagnostizierten Erkrankung, muss dem Vorbringen nachgegangen werden, wenn die psychische Erkrankung die Würdigung beeinflussen kann, was die Fähigkeit des Klägers angeht, im Fall der Rückkehr nach Afghanistan eine ausreichende Existenzgrundlage erwirtschaften zu können. Die Regelung in § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG steht dem ebenso wenig entgegen, wie die Rechtsprechung zu den Anforderungen an die Substantiierung posttraumatischer Belastungsstörungen (vgl. BVerwG, Urteile vom 11. September 2007 - 10 C 8.07 - BVerwGE 129, 252, juris Rn. 15 f. und - 10 C 17.07 - Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 ff. AufenthG Nr. 31, juris Rn. 15 ff., 17). [...]