Neue Studie zu aus Deutschland abgeschobenen Afghanen

Abgeschobene Personen sind in Afghanistan von Gewalt, Verfolgung und Verelendung bedroht. Dies ist das Ergebnis einer umfangreichen Studie, die Diakonie Deutschland, Brot für die Welt und die Diakonie Hessen herausgegeben haben. Autorin ist die Sozialwissenschaftlerin und Afghanistan-Expertin Friederike Stahlmann.

Befragt wurden für die Studie 113 Afghanen, die seit dem Jahr 2016 aus Deutschland abgeschoben worden waren. Die Studie kommt zu den folgenden zentralen Ergebnissen:

  • Fast alle Befragten gaben an, dass sie oder ihre Angehörigen nach ihrer Rückkehr Opfer von Gewalttaten wurden. In vielen Fällen war die Tatsache, dass sie in Europa gelebt hatten und von dort abgeschoben wurden, die unmittelbare Ursache für erlittene Übergriffe: Die Betroffenen wurden etwa von Taliban wegen des vermeintlichen "Überlaufens zum Feind" verfolgt. Daneben bestand aber auch eine hohe Gefährdung durch Kriminelle, weil Rückkehrende aus Europa allgemein für wohlhabend gehalten werden. Ein weiteres hohes Gewaltrisiko ergab sich in den Fällen, in denen für die Flucht nach Europa aufgenommene Schulden noch nicht bezahlt worden waren. Schließlich waren die Betroffenen zusätzlich gefährdet, weil ihnen von weiten Teilen der Gesellschaft und häufig auch von den eigenen Familien "Verwestlichung", "unmoralisches Verhalten" oder gar der "Abfall vom Glauben" vorgeworfen wurden.
  • Im unmittelbaren Zusammenhang mit den o.g. Faktoren steht die Gefahr der sozialen Isolation und der Verelendung. Eine Rückkehr in die familiären Strukturen kam für viele Betroffene nach eigenen Angaben nicht infrage, weil die Familien entweder nicht unterstützungsfähig oder nicht unterstützungswillig waren. Berichtet wurde außerdem, dass Rückkehrer sich von ihren Familien fernhalten mussten, um diese nicht ebenfalls den beschriebenen Gefahren auszusetzen. Der soziale Ausschluss führte dazu, dass die Abgeschobenen nicht in der Lage waren, ihre Existenz zu sichern. 75 Prozent der Abgeschobenen gaben an, hauptsächlich von privater Unterstützung aus dem Ausland gelebt zu haben, nur einer hatte existenzsichernde Arbeit und knapp 15 Prozent waren teilweise oder dauerhaft obdachlos. Laut der Studie bleiben damit für abgeschobene Personen, die über keine unterstützungsfähigen Strukturen verfügen und die nicht erneut das Land verlassen, nur zwei Überlebensstrategien: Sie können sich entweder einer der Kriegsparteien oder kriminellen Banden anschließen.
  • Die Mehrzahl der befragten abgeschobenen Personen (knapp 70 Prozent) hat das Land wieder verlassen. In einigen Fällen geschah dies legal, weil die Betroffenen ein Visum für die Wiedereinreise nach Deutschland erhalten haben, andere sind zwischenzeitlich ohne Visum wieder nach Europa eingereist. Viele der Betroffenen befanden sich aber noch auf Fluchtrouten im Iran, in Pakistan, Indien oder der Türkei. Von den Personen, die sich noch in Afghanistan aufhielten, erklärte lediglich eine, dort bleiben zu wollen. Alle anderen hofften auf eine Rückkehr nach Deutschland per Visumsverfahren oder planten, auf andere Weise das Land zu verlassen.

Für die Studie hat Friederike Stahlmann (Universität Bern) Erfahrungen von 113 Männern dokumentiert, die zwischen Dezember 2016 und März 2020 aus Deutschland abgeschoben wurden. Insgesamt wurden in diesem Zeitraum 908 Afghanen abgeschoben. Die Studie ergänzt damit frühere Untersuchungen der Autorin (u.a. im Asylmagazin 3/2017 und 8–9/2019) und stellt diese auf eine breitere Basis. Die Betroffenen wurden mithilfe von in Deutschland lebenden Kontaktpersonen sowie mithilfe einer afghanischen NGO identifiziert und um Teilnahme an der Befragung gebeten. Ergänzend zu einem Fragebogen fanden Interviews und informelle Gespräche per Telefon, Video-Meeting oder Messenger-Dienste statt. Darüber hinaus recherchierte die Autorin im März 2020 während einer dreiwöchigen Reise vor Ort in Afghanistan und beobachtete dabei u.a. die Situation abgeschobener Personen unmittelbar nach der Ankunft am Flughafen.

Unter dem unten angegebenen Link sind neben der Studie auch "Zusammenfassung und Hintergründe", eine Pressemitteilung sowie ein Interview mit der Autorin Friederike Stahlmann zu finden.


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