VGH Bayern

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Zitieren als:
VGH Bayern, Urteil vom 01.02.2007 - 13a B 06.30991 - asyl.net: M10162
https://www.asyl.net/rsdb/M10162
Leitsatz:
Schlagwörter: Irak, Widerruf, Flüchtlingsanerkennung, Änderung der Sachlage, Machtwechsel, Baath, Auslandsaufenthalt, Antragstellung als Asylgrund, illegale Ausreise, Soldaten, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, allgemeine Gefahr, Abschiebungsstopp, Erlasslage, Anerkennungsrichtlinie, willkürliche Gewalt, bewaffneter Konflikt, ernsthafter Schaden
Normen: AsylVfG § 73 Abs. 1; GG Art. 16a Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1; RL 2004/83/EG Art. 11 Abs. 1 Bst. e; AsylVfG § 73 Abs. 2a; AufenthG § 60 Abs. 7; RL 2004/83/EG Art. 15 Bst. c
Auszüge:

Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg.

Der Widerruf der Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich des Iraks findet seine Rechtsgrundlage in § 73 Abs. 1 AsylVfG.

Zunächst ist festzuhalten, dass für den Kläger im Gegensatz zum Zeitpunkt der Einreise in das Bundesgebiet und der Asylantragstellung im Jahre 2000 nicht mehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr besteht, im Irak wegen der Asylantragstellung im westlichen Ausland und/oder illegaler Ausreise mit hinreichender Wahrscheinlichkeit politischen Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt zu sein.

Wie den allgemein zugänglichen Medien und den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisquellen zu entnehmen ist, hat das frühere Regime Saddam Husseins durch die am 20. März 2003 begonnene Militäraktion unter Führung der USA seine politische und militärische Herrschaft über den Irak endgültig verloren.

Dem Kläger droht auch keine abschiebungsschutzrelevante Rückkehrgefährdung wegen seiner früheren Zugehörigkeit zur irakischen Armee. Die in das gerichtliche Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen bieten keinen Anhalt dafür, dass ehemalige Offiziere der Streitkräfte - auch nicht Luftwaffenoffiziere, die im Krieg gegen den Iran im Einsatz waren - in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale Ziel von Übergriffen staatlicher Organe oder nichtstaatlicher Akteure sind.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus Art. 11 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie. Diese Bestimmung entspricht inhaltlich den Regelungen der GFK und des § 73 AsylVfG (zur zeitlichen Einschränkung der Anwendbarkeit dieser Regelung durch Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie siehe BVerwG vom 13.12.2006 a.a.O.).

Der am 1. Januar 2005 in Kraft getretene § 73 Abs. 2a AsylVfG steht der Rechtmäßigkeit der Widerrufsentscheidung nicht entgegen.

§ 73 Abs. 2a AsylVfG war bei der Entscheidung des Bundesamts vom 29. April 2005 bereits in Kraft. Da entsprechende Überleitungsregelungen oder Rückwirkungsbestimmungen fehlen (vgl. auch § 87 Abs. 1, § 87b AsylVfG), erfasst die neue Verfahrensvorschrift nach allgemeinen Auslegungsrichtlinien seit 1. Januar 2005 zwar grundsätzlich auch Altfälle (vgl. BVerwG vom 21.11.2006 Pressemitteilung Nr. 63/2006 zu § 14a Abs. 2 AsylVfG). Die gesetzlichen Neuregelungen haben jedoch nur zur Folge, dass die Prüfungen, ob die Voraussetzungen für einen Widerruf oder eine Rücknahme nach § 73 Abs. 1 oder Abs. 2 AsylVfG vorliegen, in allen Anerkennungsverfahren spätestens bis zum Ablauf der Drei-Jahres-Frist nach Bestandskraft der Schutzgewährung, frühestens beginnend am 1. Januar 2005, zu erfolgen haben (ebenso: Schäfer in GK-AsylVfG, RdNr. 95 zu § 73). Durch eine solche Prüfung, die ohne Erlass eines Widerrufs- oder Rücknahmebescheids endet, wird die Rechtsfolge des § 73 Abs. 2a Satz 3 AsylVfG, nämlich das Treffen einer Ermessensentscheidung im Widerrufs- oder Rücknahmeverfahren, in Zukunft ausgelöst werden (so auch BayVGH vom 25.4.2005 Az. 21 ZB 05.30260; vom 10.5.2005 Az. 23 B 05.30217; HessVGH vom 17.5.2005 AuAS 2005, 152; OVG NRW vom 14.4.2005 AuAS 2005, 175).

Ein Anspruch auf die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist nicht gegeben.

Soweit sich der Kläger auf die allgemeine Situation im Irak beruft, zu der auch die Gefahr zu rechnen ist, als Rückkehrer aus dem Ausland das Opfer von kriminellen Übergriffen zu werden, vermag dies die Zuerkennung von Abschiebungsschutz ebenfalls nicht zu rechtfertigen. Das Bayerische Staatsministerium des Innern hat im Erlasswege mit Rundschreiben vom 18. Dezember 2003 (Az. IA2-2084.2013) die Abschiebung irakischer Staatsangehöriger ausgesetzt und verfügt, dass auslaufende Duldungen bis auf weiteres um sechs Monate verlängert werden. Damit liegt nach wie vor eine Erlasslage im Sinn des § 60a AufenthG vor, welche dem betroffen Ausländer derzeit einen wirksamen Schutz vor Abschiebung vermittelt, so dass der Kläger nicht zusätzlich des Schutzes vor der Durchführung der Abschiebung, etwa in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, bedarf (zu § 53 Abs. 6 AuslG vgl. BVerwG vom 12.7.2001 BVerwGE 114, 379 = NVwZ 2001, 1420).

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Gewährung internationalen subsidiären Schutzes nach Art. 15 Buchst. c der Richtlinie. Danach ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts ausgesetzt ist. Die hierfür zumindest erforderliche Konfliktsituation von gewisser Dauer und Intensität, die wohl einer Bürgerkriegssituation vergleichbar sein müsste (siehe hierzu Hinweise des Bundesministeriums des Innern zur Anwendung der Richtlinie 2004/83/EG vom 13.10.2006, S. 16; Hollmann, Asylmagazin 2006/11), liegt nach Auffassung des Gerichts jedenfalls nicht vor. Aus den in das Verfahren eingeführten Erkenntnismaterialen ist nicht ableitbar, dass im Irak landesweit eine Bürgerkriegssituation gegeben wäre (vgl. zuletzt Lagebericht vom 11.1.2007, S. 15 f.). Selbst wenn davon ausgegangen würde, dass in Bagdad und anderen Städten, vor allem im zentralirakischen sog. "sunnitischen Dreieck", zumindest bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen, könnte dies nicht zu einem durch die unmittelbare Anwendung von Art. 18 i.V.m. Art. 15 Buchst. c der Richtlinie vermittelten Schutzanspruch führen, da ein innerirakisches Ausweichen in andere Landesteile möglich erscheint und damit interner Schutz im Sinn von Art. 8 der Richtlinie gewährleistet ist (siehe hierzu Lagebericht vom 11.1.2007 a.a.O.). Hiervon abgesehen steht wohl auch die bei allgemeinen mit einem bewaffneten Konflikt in Zusammenhang stehenden Gefahren vergleichbaren Schutz bietende oben dargestellte Erlasslage der Gewährung richtliniengemäßen subsidiären Flüchtlingsschutzes entgegen (siehe hierzu Erwägungsgrund 26 der Richtlinie).