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Zitieren als:
BFH, Urteil vom 15.03.2007 - III R 93/03 - asyl.net: M10590
https://www.asyl.net/rsdb/M10590
Leitsatz:

Der Ausschluss von Ausländern mit geduldetem Aufenthalt vom Kindergeld gem. § 62 Abs. 2 EStG ist verfassungsgemäß.

 

Schlagwörter: D (A), Kindergeld, Altfälle, Rückwirkung, Aufenthaltserlaubnis, Duldung, Bürgerkriegsflüchtlinge, Verfassungsmäßigkeit, Gleichheitsgrundsatz, Jugoslawen, Erwerbstätigkeit
Normen: EStG § 62 Abs. 2 Nr. 2; EStG § 52 Abs. 61a S. 2; GG Art. 3 Abs. 1; BKGG § 1 Abs. 3; BErzGG § 1 Abs. 6; UhVorschG § 1 Abs. 2a; AufenthG § 23 Abs. 1
Auszüge:

Der Ausschluss von Ausländern mit geduldetem Aufenthalt vom Kindergeld gem. § 62 Abs. 2 EStG ist verfassungsgemäß.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Das FG hat zu Recht entschieden, dass dem Kläger für die Zeit von Juli 1997 bis Juli 1999 kein Kindergeld für seine drei Söhne zusteht.

1. Nach § 62 Abs. 2 Satz 1 EStG i.d.F. des JStG 1996 hing der Anspruch eines Ausländers auf Kindergeld davon ab, dass er im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung (§ 27 AuslG 1990) oder Aufenthaltserlaubnis (§ 15 AuslG 1990) war. Eine Aufenthaltsbewilligung (§§ 28, 29 AuslG 1990), Aufenthaltsbefugnis (§ 30 AuslG 1990) oder eine Duldung (§§ 55, 56 AuslG 1990) reichte nicht aus.

Diese vom FG für verfassungskonform gehaltene Regelung hielt das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) für die wortgleiche Regelung in § 1 Abs. 3 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) i.d.F. des Ersten Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms (1. SKWPG) vom 21. Dezember 1993 (BGBl I, 2353) insoweit für unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 GG, als die Gewährung von Kindergeld von der Art des Aufenthaltstitels abhing (BVerfG-Beschluss vom 6. Juli 2004 1 BvL 4/97, BVerfGE 111, 160, BFH/NV 2005, Beilage 2, 114).

§ 62 Abs. 2 EStG ist deshalb durch Art. 2 des Gesetzes zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss vom 13. Dezember 2006 - AuslAnsprG - (BGBl I 2006, 2915, BStBl I 2007, 62) neu gefasst worden unter Berücksichtigung der Vorgaben des BVerfG und der Systematik der Aufenthaltstitel nach dem Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet - Aufenthaltsgesetz - (AufenthG) vom 30. Juli 2004 (BGBl I 2004, 1950), das ab 1. Januar 2005 das AuslG 1990 abgelöst hat (vgl. BTDrucks 16/1368, S. 8).

Die neue Regelung ist mit Wirkung vom 1. Januar 2006 in Kraft getreten und erfasst alle Sachverhalte, bei denen - wie im Streitfall - das Kindergeld noch nicht bestandskräftig festgesetzt worden ist (§ 52 Abs. 61a Satz 2 EStG). Da § 62 Abs. 2 EStG an die Aufenthaltstitel nach dem AufenthG anknüpft, ist bei vor dem 1. Januar 2005 verwirklichten Sachverhalten zu klären, inwieweit die Aufenthaltsrechte nach dem AuslG 1990 den in § 62 Abs. 2 EStG genannten Aufenthaltstiteln entsprechen. Anhaltspunkte hierfür ergeben sich aus den §§ 101 ff. AufenthG, welche die Fortgeltung bisheriger Aufenthaltsrechte regeln. Es ist zu prüfen, in welcher Form die im streitbefangenen Zeitraum vorhandenen Aufenthaltsrechte nach den §§ 101 ff. AufenthG fortgelten würden bzw. fortgegolten hätten und ob sie zu den Aufenthaltstiteln gehören, die nach § 62 Abs. 2 EStG Voraussetzung für den Bezug von Kindergeld sind. Dies entspricht den Regelungen zur Anwendung der ebenfalls geänderten §§ 1 Abs. 3 BKGG, 1 Abs. 6 des Bundeserziehungsgeldgesetzes und 1 Abs. 2a des Unterhaltsvorschussgesetzes. Danach werden die Aufenthaltsgenehmigungen nach dem AuslG den Aufenthaltstiteln nach dem AufenthG entsprechend den Fortgeltungsregelungen in § 101 AufenthG gleichgestellt (Art. 1 Nr. 5, Art. 3 Nr. 2 und Art. 4 Nr. 2 AuslAnsprG).

2. Nach § 62 Abs. 2 Nr. 1 EStG erhält ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer Kindergeld, wenn er über eine Niederlassungserlaubnis verfügt. Auch aus einer Aufenthaltserlaubnis, die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt oder berechtigt hat, kann sich unter den Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 Nr. 2 EStG ein Anspruch auf Kindergeld ergeben. Eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG wegen eines Krieges im Heimatland oder nach den §§ 23a, 24, 25 Abs. 3 bis 5 AufenthG kann einen Kindergeldanspruch begründen, wenn sich der Ausländer seit mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhält und im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig ist, laufende Geldleistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch bezieht oder Elternzeit in Anspruch nimmt (§ 62 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. Nr. 2 Buchst. c EStG). Ein Aufenthalt aufgrund einer Duldung berechtigt auch nach neuem Recht nicht zum Bezug von Kindergeld.

3. Der Kläger hatte im maßgeblichen Zeitraum keine Aufenthaltsgenehmigung i.S. von § 5 AuslG 1990, die nach § 101 AufenthG hätte fortgelten können. Nach den Feststellungen des FG war er zwar Bürgerkriegsflüchtling, besaß aber keine für derartige Fälle ausnahmsweise vorgesehene Aufenthaltsbefugnis i.S. des § 32a AuslG 1990 für Ausländer aus Kriegs- und Krisengebieten. Er war nach eigenen Angaben lediglich geduldet i.S. von §§ 55, 56 AuslG 1990.

Unerheblich ist, dass der Kläger erwerbstätig war. Die geduldeten erwerbstätigen Ausländer sind bewusst von dem Bezug von Kindergeld ausgeschlossen worden. Sie sollten bei der Neuregelung des Kindergeldes in § 62 Abs. 2 EStG nicht berücksichtigt werden, weil nach dem Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD vom 11. November 2005 für diese Personen eine befriedigende Lösung nach dem AufenthG vorgesehen ist (vgl. BTDrucks 16/1368, S. 8).

4. Die neue gesetzliche Regelung begegnet nach Auffassung des Senats keinen

verfassungsrechtlichen Bedenken.

a) Der Beschluss des BVerfG in BVerfGE 111, 160, BFH/NV 2005, Beilage 2, 114 zur Verfassungswidrigkeit des § 1 Abs. 3 BKGG i.d.F. des 1. SKWPG steht dem Ausschluss der nur geduldeten Ausländer vom Kindergeld in § 62 Abs. 2 EStG nicht entgegen.

Zwar sind die Rechtsgrundsätze dieser Entscheidung auch als Maßstab für die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von § 62 Abs. 2 EStG heranzuziehen. Die Entscheidung des BVerfG betrifft aber ausschließlich die Nichtgewährung von Kindergeld für Ausländer, die nicht über eine Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsberechtigung, sondern nur über eine Aufenthaltsbefugnis verfügten. Das BVerfG hat insoweit einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG angenommen, als die Gewährung des Kindergeldes allein von der Art des Aufenthaltstitels abhing. Mit der dem Streitfall zugrunde liegenden Rechtsfrage, ob ein nur geduldeter Ausländer vom Kindergeld ausgeschlossen werden darf, hat sich das BVerfG hingegen noch nicht befasst.

b) Der Senat hält die Nichtgewährung von Kindergeld für geduldete Ausländer, auch wenn sie sich wie der Kläger über einen längeren Zeitraum in der Bundesrepublik aufhalten und erwerbstätig sind, für vereinbar mit Art. 3 Abs. 1 GG.

aa) Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Dem Gesetzgeber ist damit aber nicht jede Differenzierung verwehrt. Ihm kommt im Bereich der gewährenden Staatstätigkeit für die Abgrenzung der begünstigten Personenkreise ein Gestaltungsspielraum zu. Für den Gesetzgeber ergeben sich aber aus dem allgemeinen Gleichheitssatz umso engere Grenzen, je stärker sich die Ungleichbehandlung auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann. Der hierbei zu berücksichtigende Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG von Ehe und Familie enthält keine Beschränkung auf Deutsche. Ob eine gesetzliche Regelung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz vereinbar ist, hängt davon ab, ob für die getroffene Differenzierung Gründe von solchem Gewicht bestanden, dass sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 111, 160, BFH/NV 2005, Beilage 2, 114).

bb) Für die vom Gesetzgeber vorgenommene Differenzierung zwischen Ausländern mit den in § 62 Abs. 2 EStG genannten Aufenthaltstiteln und Ausländern, die lediglich geduldet sind, bestehen hinreichende sachliche Gründe.

Während die herkömmlichen Aufenthaltstitel i.S. des AuslG 1990 bzw. des AufenthG einen rechtmäßigen Aufenthalt in der Bundesrepublik begründen, die regelmäßig als Vorstufe eines Daueraufenthalts anzusehen sind, gilt dies bei einer bloßen Duldung nicht (vgl. Renner, Ausländerrecht, 7. Aufl. 1999, § 56 AuslG Rz 2).

Vielmehr wird mit der nach § 56 Abs. 2 AuslG 1990 auf ein Jahr bzw. nunmehr nach § 60a Abs. 1 AufenthG auf grundsätzlich sechs Monate befristeten erneuerbaren Duldung nur die Abschiebung zeitweise ausgesetzt - Aussetzung der Vollziehung der Ausreiseverpflichtung bzw. Abschiebungsstopp - und die grundsätzlich bestehende Ausreisepflicht des Ausländers nicht beseitigt. Damit ist der geduldete Aufenthalt nicht strafbar - § 56 Abs. 1 und 2 AuslG 1990 bzw. § 60a AufenthG - (Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl. 2005, § 60a AufenthG Rz 14).

Die Erwägung des Gesetzgebers, das Kindergeld nur Ausländern zu gewähren, die aufgrund eines Aufenthaltstitels einen rechtmäßigen dauerhaften Aufenthalt in der Bundesrepublik begründet haben und bei denen im Unterschied zu lediglich geduldeten Ausländern auch eine langfristige Integration ihrer Familien in der Bundesrepublik beabsichtigt ist, ist vor diesem Hintergrund hinreichend sachlich gerechtfertigt.