VG Frankfurt a.M.

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Zitieren als:
VG Frankfurt a.M., Urteil vom 05.06.2007 - 3 E 4868/06.A(1) - asyl.net: M11131
https://www.asyl.net/rsdb/M11131
Leitsatz:
Schlagwörter: Afghanistan, Widerruf, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Anerkennungsrichtlinie, ernsthafter Schaden, allgemeine Gefahr, extreme Gefahrenlage, Abschiebungsstopp, Erlasslage, alleinstehende Personen, soziale Bindungen, Situation bei Rückkehr, Versorgungslage, Kabul
Normen: AsylVfG § 73 Abs. 3; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Die Klage ist jedoch unbegründet.

Rechtsgrundlage von Ziff. 1 des Bescheides ist § 73 Abs. 3 AsylVfG.

Für § 60 Abs. 2 bis 6 AufenthG ist von vornherein insoweit nichts ersichtlich. Aber auch die Voraussetzungen für die Gewährung von Abschiebungsschutz (sogenannter subsidiärer Schutz) nach § 60 Abs. 7 AufenthG liegen nicht vor. Soweit es in diesem Zusammenhang zunächst die seit dem 11.10.2006 unmittelbare Anwendbarkeit der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 – RL – betrifft, stellt diese keine Änderung der maßgeblichen Rechtslage zu Gunsten des Klägers dar. Die in der Richtlinie vorgesehene Möglichkeit, "subsidiären Schutz" zu erlangen, wenn die Flüchtlingseigenschaft nicht festgestellt werden kann, führt nicht dazu, dass die Anforderungen an die Gefahrenprognose im Falle des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG zu senken sind. Denn Nr. 26 der Erwägungen in der Präambel der Richtlinie legt gerade – insoweit wortgleich mit § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG – fest, dass Gefahren, denen die Bevölkerung oder Bevölkerungsgruppe eines Landes ausgesetzt ist, für sich genommen normalerweise keine individuelle Bedrohung darstellen, die als ernsthafter Schaden zu beurteilen wäre, der Voraussetzung für die Gewährung subsidiären Schutzes ist (vgl. auch OVG Münster, Beschluss vom 21.03.2007 – 20 A 5164/04.A – Juris Rechtsprechung). In diesem Bereich allgemeiner Gefahren bewegt sich das zu bewertende Risiko für eine Gefährdung des Klägers, soweit es eine anzusinnende Rückkehr und Aufenthaltnahme in Kabul betrifft. Insoweit geht § 60 Abs. 7 AufenthG über die Merkmale des Art. 15 RL hinaus.

Hier ergibt sich zunächst, dass die oberste Landesbehörde nicht nur keine Aussetzungsregelung nach § 60a Abs. 1 AufenthG getroffen hat, sondern sie vielmehr ausdrücklich die vorrangige Abschiebung für den Personenkreis volljähriger alleinstehender Männer, dem der Kläger angehört, entschieden hat (Erlass des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport vom 27.07.2005). Dies hat das Gericht wegen der in § 60 Abs. 7 und § 60a Abs. 1 AufenthG zum Ausdruck kommenden eindeutigen gesetzgeberischen Kompetenzentscheidung aus den dargelegten Gründen zu respektieren. Es liegen hier auch keine Umstände vor, die – bezogen auf die Person des Klägers – ausnahmsweise nunmehr außerhalb der erörterten Sperrwirkung zur Gewährung von Abschiebungsschutz führen müssten. Denn jedenfalls für eine Aufenthaltnahme in Kabul sind die von ihm für sein Anliegen auf Gewährung von Abschiebungsschutz in wirtschaftlicher, sozialer und sicherheitsrelevanter Hinsicht in Anspruch genommenen schwierigen Lebensbedingungen, die er befürchtet, Ausdruck einer Situation, die dort allgemein oder jedenfalls bestimmten Personengruppen droht.

Danach gestalten sich die Verhältnisse in Afghanistan zwar weiterhin als sehr schwierig. Dabei kommt es landesweit zu Problemen, mit denen auch die Bevölkerung konfrontiert wird. Allerdings ist auch und gleichwohl festzustellen, dass vornehmlich mit Hilfe des UNHCR seit Beginn 2002 insgesamt mehr als 4,5 Millionen Menschen nach Afghanistan zurückgekehrt sind und weiter zurückkehren. Deshalb werden Hunderttausende, die trotz der schwierigen Verhältnisse zurückgekehrt sind, mit eben diesen konfrontiert. Dies betrifft naturgemäß unterschiedlichste Personengruppen. Dazu gehören auch Frauen, Kinder, Alte, Kranke und Gebrechliche. Diese sind regelmäßig auf männlichen Schutz im Rahmen der Abdeckung des existenziellen Bedarfs angewiesen. Mit diesen Personen und Personengruppen würde der Kläger im Falle einer Rückkehr letztlich konkurrieren. Dabei verfügt er als junger und gesunder Mann, der nur seine eigenen Lasten zu schultern hat, grundsätzlich über bessere Bewältigungsmöglichkeiten als andere Gruppen und Personenkreise. Dies gilt gerade und auch in Ansehung des Umstandes, dass in Afghanistan die Großfamilie einen starken Rückhalt haben kann. Als soziales Netz äußert diese ihre besondere Bedeutung für deren schwächere Mitglieder, wie sie durch die vorgenannten Personengruppen – Frauen, Kindern, Alte, Kranke und Gebrechliche – vorrangig repräsentiert werden können. Auf diesem Hintergrund ist nach Auffassung des Gerichts insbesondere auch die Einschätzung des UNHCR zur Rückkehrgefährdung anzusehen, der wegen dessen Bedeutung als einer vor Ort seit 2001 in Afghanistan intensiv tätigen Hilfsorganisation eine besondere Aussagekraft zukommt. So wird in den "Humanitären Erwägungen im Zusammenhang mit der Rückkehr nach Afghanistan" vom Mai 2006 (deutsche Fassung: September 2006) die besondere Schutzbedürftigkeit und Verletzlichkeit dieser vorgenannten Personengruppen betont, alleinstehende Männer indessen dabei nicht einbezogen. Gleiches gilt bereits für den Bericht "Rückkehr nach Afghanistan" vom Juni 2005 (Arendt-Rojahn u.a.). Soweit demgegenüber von dem Journalisten Danesch in seinen Äußerungen abweichende Wertungen vertreten werden, sind diese demgegenüber auf dem Hintergrund gerade der Rückkehrsituation, in der sich Hunderttausende von Afghanen verschiedenen Geschlechts, aller Altersstufen und sicher unterschiedlichster gesundheitlicher Befindlichkeit wiederfinden, für das Gericht nicht nachvollziehbar. Es verbleibt deshalb nach alledem dabei, dass für diesen Personenkreis nicht von einer derart extremen Gefahrenlage auszugehen ist, die von Verfassungs wegen dazu führen müsste, den bei allgemeinen Gefahren gesperrten Rückgriff auf § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu beseitigen. Diese Beurteilung entspricht auch der veröffentlichten aktuellen – insoweit einhelligen – obergerichtlichen Rechtsprechungspraxis zu dieser Fragestellung (vgl. zuletzt OVG Münster, Beschluss vom 21.03.2007 – 20 A 5164/04.A – Juris Rechtsprechung; zuvor bereits Beschlüsse vom 02.01.2007 – 20 A 667/05.A – u.a. sowie vom 21.12.2006 – 20 A 3925/05.A – und vom 14.09.2006 – 20 A 5091/04.A -; OVG Bautzen, Urteil vom 23.08.2006 – A 1 B 58/06 -; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 05.05.2006 – 12 B 11.05 - sämtlich in Juris-Rechtsprechung).