VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 31.10.2007 - 11 S 2231/07 - asyl.net: M12074
https://www.asyl.net/rsdb/M12074
Leitsatz:

1. Die Beschwerde eines Antragsgegners ist auch dann zulässig, wenn der Antragsteller zuvor gegenüber dem Verwaltungsgericht, aber nach Eintritt der Bindungswirkung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung, eine (einseitige) Erledigungserklärung abgegeben hat, der sich der Antragsgegner dann im Beschwerdeverfahren anschließt.

2. Der Streitwert für ein Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zur Beseitigung der Folgen einer rechtswidrigen Abschiebung ist trotz der Vorläufigkeit der Regelung mit dem vollen Auffangstreitwert zu bemessen, wenn mit der Abschiebung eine Ausreisepflicht durchgesetzt werden sollte, die durch eine - in der Hauptsache angefochtene - Ausweisung begründet wurde.

 

Schlagwörter: D (A), Erledigung der Hauptsache, Kostenentscheidung, billiges Ermessen, Wiedereinreise, Abschiebung, Ausweisung, Sperrwirkung, Wirkungen der Abschiebung, Wirkungen der Ausweisung, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Suspensiveffekt, Rechtsweggarantie, Streitwert
Normen: VwGO § 161 Abs. 2; VwGO § 92 Abs. 3; AufenthG § 11 Abs. 1 S. 1; VwGO § 80 Abs. 5; AufenthG § 84 Abs. 2; GKG § 63 Abs. 2; GKG § 47 Abs. 1; GKG § 52; GKG § 53 Abs. 3; GKG § 39 Abs. 1
Auszüge:

1. Die Beschwerde eines Antragsgegners ist auch dann zulässig, wenn der Antragsteller zuvor gegenüber dem Verwaltungsgericht, aber nach Eintritt der Bindungswirkung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung, eine (einseitige) Erledigungserklärung abgegeben hat, der sich der Antragsgegner dann im Beschwerdeverfahren anschließt.

2. Der Streitwert für ein Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zur Beseitigung der Folgen einer rechtswidrigen Abschiebung ist trotz der Vorläufigkeit der Regelung mit dem vollen Auffangstreitwert zu bemessen, wenn mit der Abschiebung eine Ausreisepflicht durchgesetzt werden sollte, die durch eine - in der Hauptsache angefochtene - Ausweisung begründet wurde.

(Amtliche Leitsätze)

 

Aufgrund der übereinstimmenden Erklärung der Erledigung des Verfahrens ist dieses durch den nach § 87a Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 VwGO i.V.m. § 125 Abs. 1 VwGO zuständigen Berichterstatter in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen, die Entscheidung des Verwaltungsgerichts im ersten Rechtszug mit Ausnahme der Festsetzung des Streitwerts - für unwirksam zu erklären und über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung ist gemäß § 161 Abs. 2 VwGO unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu treffen. Hiernach sind die Kosten des gesamten Rechtsstreits dem Antragsgegner aufzuerlegen, da seine Beschwerde ohne die zum Anlass für eine übereinstimmende Erledigungserklärung genommene eigenständige Rückkehr des Antragstellers in das Bundesgebiet voraussichtlich erfolglos geblieben wäre. Das Verwaltungsgericht Karlsruhe hat in dem angefochtenen Beschluss vom 29.08.2007 im Ergebnis voraussichtlich zu Recht bestimmt, dass der Antragsteller ein Recht auf vorläufige Wiedereinreise ins Bundesgebiet hat, dem die in § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG normierte Sperrwirkung der Abschiebung und Ausweisung nicht entgegen gehalten werden kann. Denn nach der überwiegenden Auffassung in der Rechtsprechung (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 24.03.1994 - 1 B 134/93 -, InfAuslR 1994, 395, vom 04.02.1998 - 1 B 9.98 -, InfAuslR 1998, 220, vom 17.05.2004 - 1 VR 1.04 -, InfAuslR 2005, 103 und vom 13.09.2005 - 1 VR 5.05 -, InfAuslR 2005, 462; VGH Bad.-Württ., Beschlüsse vom 12.05.2005 - 13 S 195/05 -, InfAuslR 313 und vom 14.02.2007 - 13 S 2969/06 -, InfAuslR 2007, 193; Hess.VGH, Beschluss vom 20.01.2004 - 12 TG 3204/03 -, EZAR 622; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 09.03.2007 - 18 B 2533/06 -, InfAuslR 2007, 233) wäre eine solche Regelung - trotz der bereits gegebenen faktischen Vollziehung - in entsprechender Anwendung des § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO möglich und wohl auch in der Sache rechtmäßig gewesen. Zwar tritt das Verbot des § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG, nach einer Ausweisung oder Abschiebung erneut ins Bundesgebiet einzureisen oder sich darin aufzuhalten, grundsätzlich allein aufgrund des Ausspruchs der Ausweisung oder des Vollzugs der Abschiebung ein (vgl. Renner, Ausländerrecht Kommentar, 8. Aufl. 2005, § 11 AufenthG Rn. 4; Kloesel/Christ/Häußer, Deutsches Aufenthalts- und Ausländerrecht, 3. Aufl., 108 (AufenthG), § 11 Rn. 10), ohne dass etwa der Eintritt der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs oder der Klage gegen die Ausweisung den Wegfall dieser Sperrwirkung zur Folge hätte (vgl. § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG). Diese Sperrwirkung kann jedoch nach der zitierten Rechtsprechung zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes über § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO für die Dauer eines Hauptsacheverfahrens gegen die Ausweisung und die Abschiebungsandrohung vorläufig ausgesetzt werden. Dies setzt voraus, dass durch den Vollzug der Ausreisepflicht des Ausländers ein rechtswidriger Zustand eingetreten ist (zur Abschiebung vgl. BVerwG, Urteil vom 16.07.2002 - 1 C 8/02 -, BVerwGE 116, 378) und sich die Ausweisungsverfügung nach dem Ergebnis des Verfahrens auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs gegen diese Verfügung als offensichtlich rechtswidrig erweist oder aber eine von den Erfolgsaussichten in der Hauptsache unabhängige Interessenabwägung ergibt, dass das öffentliche Interesse an einer Beachtung der Sperrwirkung und einem weiteren Fernhalten des Ausländers den Nachteil des Ausländers nicht überwiegt, dass dieser erst wieder im Falle eines - jedenfalls möglichen - erfolgreichen Abschlusses des Hauptsacheverfahrens einreisen darf und dieses Verfahren vom Ausland aus führen muss. Es spricht vieles dafür, dass diese Voraussetzungen im Falle des Antragstellers vorgelegen haben. Denn der Antragsgegner hat die mit der Ausweisung begründete Ausreisepflicht des Antragstellers vollzogen, obwohl das Verwaltungsgericht zuvor mit Beschluss vom 19.10.2006 - 8 K 2575/06 - die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers in Bezug auf seine Ausweisung wiederhergestellt und im Hinblick auf die Abschiebungsandrohung angeordnet hatte und damit die für eine Abschiebung notwendigen Voraussetzungen der Vollziehbarkeit seiner Ausreisepflicht und des Ablaufs der als Teilregelung in der Abschiebungsandrohung enthaltenen Ausreisefrist entfallen waren (vgl. im einzelnen VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 01.09.2005 - 11 S 877/05 -, VBlBW 2006, 111; Beschluss vom 09.03.2004 - 11 S 1518/03 -, VBlBW 2004, 312 und vom 16.06.2003 - 11 S 2537/02 -, VBlBW 2003, 476).

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 3 Nr. 1, 39 Abs. 1 GKG. Das Interesse des Antragstellers daran, nach der vollzogenen Abschiebung wieder in das Bundesgebiet einreisen und sich hier vorläufig zumindest für die Dauer seines Klageverfahrens gegen die Ausweisungsverfügung des Antragsgegners aufhalten zu dürfen, ist - in Ermangelung genügender Anhaltspunkte für ein abweichendes Interesse - mit dem Regelstreitwert zu beziffern. Dabei ist der Streitwert nicht im Hinblick auf die Vorläufigkeit des Eilverfahrens zu reduzieren. Denn der aufgrund der Vorläufigkeit der Regelung regelmäßig gerechtfertigten Annahme einer im Vergleich zum Hauptsacheverfahren geringeren Bedeutung der Entscheidung (vgl. etwa VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 20.02.2004 - 4 S 2381/03 -, NVwZ-RR 2004, 619; Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung der am 07./08.07.2004 in Leipzig beschlossenen Änderungen, NVwZ 2004, 1327) steht entgegen, dass die mit der Abschiebung vollstreckte Ausreisepflicht des Antragstellers erst aufgrund der - in der Hauptsache angegriffenen - Ausweisungsverfügung des Antragsgegners erfolgte, die eine zuvor gegebene gesicherte aufenthaltsrechtliche Position des Antragstellers zum Erlöschen gebracht hatte. In dieser Situation haben die erzwungene Ausreise und ein weiteres Fernhalten des Antragstellers vom Bundesgebiet erhebliche Folgen für seine dort aufgrund eines erlaubten Aufenthalts erreichte wirtschaftliche und soziale Integration, die auch im Falle eines Obsiegens in der Hauptsache nicht mehr ohne weiteres und in der Regel auch nicht in vollem Umfang beseitigt werden können. Insoweit ist die Situation des Antragstellers mit derjenigen eines Ausländers vergleichbar, der sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine ausländerrechtliche Maßnahme wendet, die ihm eine gesicherte aufenthaltsrechtliche Position nimmt und damit seine Ausreisepflicht begründet und für die der Senat deshalb in ständiger Praxis ebenfalls von einer Reduzierung des Regelstreitwerts absieht (vgl. etwa Beschluss vom 17.11.2005 - 11 S 611/05 -, EZAR NF 98, Nr. 7 m.w.N.; ebenso VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 16.12.2004 - 13 S 2510/04 -).