OLG Düsseldorf

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Zitieren als:
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 24.10.2007 - I-3 Wx 226/07 - asyl.net: M12197
https://www.asyl.net/rsdb/M12197
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Abschiebungshaft, Anhörung, Sachaufklärungspflicht, Prozessbevollmächtigte, Landgericht, Verfahrensmangel, Heilung
Normen: FreihEntzG § 5 Abs. 1; GG Art. 104 Abs. 1
Auszüge:

Die sofortige weitere Beschwerde ist zulässig und führt in der Sache zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung an das Landgericht.

Das Recht des Betroffenen auf eine ordnungsgemäße Anhörung ist nicht gewahrt.

Die mündliche Anhörung des Betroffenen durch einen Richter gem. § 5 Abs. 1 Satz 1 FrhEntzG zählt zu den Verfahrensgarantien, die Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG fordert und mit grundrechtlichem Schutz versieht (vgl. BVerfG NVwZ-Beil. 1996, 49).

Die nach § 5 Abs. 1 FrhEntzG gebotene Anhörung dient der richterlichen Sachaufklärung, wenn sie sich darin auch nicht erschöpft. Das Unterlassen der mündlichen Anhörung stellt mithin auch eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht dar, § 12 FGG i.V.m. § 3 FrhEntzG. Der Richter darf sich bei der Anordnung von Freiheitsentziehungen nicht auf die Prüfung der Plausibilität der von der antragstellenden Behörde vorgetragenen Gründe für die Sicherungshaft beschränken, sondern muss eigenverantwortlich die Tatsachen feststellen, die eine Freiheitsentziehung rechtfertigen. Hierfür ist die persönliche Anhörung des Betroffenen ein geeignetes Mittel (BVerfG a.a.O. m.N.).

Findet keine mündliche Anhörung statt, so ist dies nicht nachträglich mit Wirkung für die Vergangenheit heilbar (vgl. BVerfG a.a.O.), weil die persönliche Anhörung des Betroffenen ein Kernstück der Amtsermittlungspflicht ist, die als ein bedeutender Verfahrensgrundsatz bei Freiheitsentziehungen unter grundrechtlichem Schutz steht. Auch das Freiheitsentziehungsgesetz geht erkennbar davon aus, dass eine umfassende nachträgliche Heilung eines solchen Verfahrensverstoßes nicht zulässig ist, indem es eine nachträgliche Anhörung nur unter den engen Voraussetzungen des § 11 FrhEntzG zulässt (BVerfG a. a.O.). Verstößt der Richter gegen das Gebot vorheriger mündlicher Anhörung, so drückt dieses Unterlassen der gleichwohl angeordneten Freiheitsentziehung den Makel rechtswidriger Freiheitsentziehung auf, der durch Nachholen der Maßnahme rückwirkend nicht mehr zu tilgen ist (BVerfG NJW 1982, 691, 692; vgl. auch OLG Celle, Beschluss vom 26. Juli 2007 - 22 W(x) 32/07, zitiert nach Melchior, Abschiebungshaft Internetkommentar; OLG Frankfurt NJW 1985, 1294; auch Pentz, NJW 1990, 2777, 2781).

Unterbleibt die gesetzlich vorgeschriebene mündliche Anhörung, ist allerdings dem Rechtsbeschwerdegericht eine eigene Sachentscheidung über den Haftantrag verwehrt, weil es die erforderliche mündliche Anhörung des Betroffenen nicht nachholen kann (vgl. BayObLG NJW 1997, 1713). Grundsätzlich wäre daher in einem solchen Fall die (amtsgerichtliche) Haftanordnung aufzuheben (BayObLGZ 1999, 12; vgl. auch Melchior, Rundbrief 13/2007 – Internetkommentar Abschiebungshaft) und zu prüfen, ob die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung gem. § 11 FrhEntzG vorliegen (vgl. BayObLG NJW 1997, 1713).

Hier ist eine Anhörung des Betroffenen allerdings nicht gänzlich unterblieben. Jedoch war die Anhörung durch das Amtsgericht fehlerhaft, weil es den Betroffenen in Abwesenheit von Rechtsanwalt M. angehört hat, obwohl der Betroffene ausdrücklich erklärt hatte, er wolle zunächst diesen Rechtsanwalt sprechen, bevor er Angaben mache.

Im Abschiebungshaftverfahren ist dem Betroffenen die Möglichkeit einzuräumen, rechtlichen Rat einzuholen (OLGR Rostock 2006, 502 m.N.). Wenn der Betroffene durch einen Verfahrensbevollmächtigten vertreten wird, so ist diesem grundsätzlich Gelegenheit zu geben, an der Anhörung teilzunehmen (OLGR Schleswig 2007, 495). Sollte der Verfahrensbevollmächtigte nicht gänzlich verhindert oder unerreichbar sein, so wird in den meisten Fällen auch angesichts der Eilbedürftigkeit eine zeitliche Absprache zwischen Gericht, Ausländerbehörde bzw. Polizei und Anwalt zumutbar und möglich sein (OLG Schleswig, a.a.O.).

Dass im vorliegenden Fall eine solche Absprache mit Rechtsanwalt M., der nach dem Inhalt des Protokolls bereit gewesen sein soll, den Betroffenen zu vertreten, überhaupt versucht worden ist und dennoch eine Teilnahme des Anwaltes an der Anhörung nicht gewährleistet werden konnte, lässt sich der Akte nicht entnehmen.

Zu erwägen gewesen wäre auch, ob nicht ein anderer Anwalt um die Vertretung des Betroffenen hätte gebeten werden können.

Jedenfalls unter diesen Umständen hätte das Landgericht, das ohnehin grundsätzlich zur mündlichen Anhörung gem. § 5 FrhEntzG verpflichtet ist, von einer (erneuten) Anhörung des Betroffenen im Beistand seines Anwaltes nicht absehen dürfen. Spätestens das Erstbeschwerdegericht muss dem Betroffenen Gelegenheit geben, sich in Anwesenheit seines Anwalts zur Sache zu äußern (OLGR Rostock 2006, 502 m.N.). Dies kann jedenfalls in einem Fall wie dem vorliegenden nicht mit der immer wieder verwendeten Formel entbehrlich gemacht werden, entscheidungserhebliche Erkenntnisse seien nicht zu erwarten gewesen (OLGR Schleswig 2007, 495).

Anders als im Fall einer gänzlich unterbliebenen Anhörung, die – wie vorstehend ausgeführt – nicht nachträglich geheilt werden kann, mit der Folge, dass die Haftanordnung aufzuheben ist, kann im Falle einer (nur) verfahrensfehlerhaften Anhörung der Verfahrensverstoß geheilt werden (OLGR Schleswig 2007, 495).

Aus diesem Grunde ist die angefochtene Entscheidung des Landgerichtes aufzuheben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen, weil nicht auszuschließen ist, dass der Betroffene im Beisein seines Anwalts Angaben macht, die für die Entscheidung des Gerichts von Bedeutung sind (vgl. OLGR Rostock 2006, 502; OLG Celle InfAuslR 1999, 462).