OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21.12.2007 - 18 B 1535/07 - asyl.net: M12312
https://www.asyl.net/rsdb/M12312
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Familienzusammenführung, Ehegattennachzug, allgemeine Erteilungsvoraussetzungen, Visum nach Einreise
Normen: VwGO § 80 Abs. 5; AufenthG § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 1; AufenthG § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 2; AufenthG § 27 Abs. 1; AufenthG § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; AufenthV § 39 Nr. 3
Auszüge:

Die im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO anzustellende Interessenabwägung fällt bezüglich der in der angefochtenen Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 14. März 2007 enthaltenen Versagung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug an die Antragstellerin zu 1. und der darauf bezogenen Abschiebungsandrohung zugunsten der Antragsteller aus, weil der Ausgang des von ihnen diesbezüglich betriebenen Widerspruchsverfahrens zumindest offen ist und dem Interesse der Antragstellerin (zu 1.) an ihrem vorläufigen Verbleib in Deutschland sowie dem ebenfalls hierauf gerichteten Interesse ihres deutschen Ehemanns, dem Antragsteller (zu 2.), keine erkennbaren nennenswerten öffentlichen Interessen entgegen stehen.

Nach Lage der Akten spricht Überwiegendes dafür, dass die Antragstellerin einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach §§ 27 Abs. 1, 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG hat. Streitig ist zwischen den Beteiligten allein, ob die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis - wie geschehen - mit der Begründung versagt werden darf, die Antragstellerin erfülle nicht die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Danach setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis voraus, dass ein Ausländer mit dem erforderlichen Visum eingereist ist (Nr. 1) und die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumsantrag gemacht hat (Nr. 2). Diese Voraussetzungen erfüllt die Antragstellerin nicht. Hierauf kommt es indessen vorliegend nicht an. § 5 Abs. 2 AufenthG ist auf den Fall der Antragstellerin nicht anwendbar. Die Regelung kommt nicht zum Tragen, soweit der Ausländer gemäß §§ 39 bis 41 AufenthV den Aufenthaltstitel nach der Einreise einholen darf (so auch Nr. 5.2.1.1 der Vorläufigen Anwendungshinweise AufenthG, FreizügG/EU; ebenfalls Zeitler, HTK-AuslR/§ 5 AufenthG/zu Abs. 2/Überblick 04/2006).

So ist es hier. Die Antragstellerin ist insoweit privilegiert durch die weder vom Antragsgegner noch vom Verwaltungsgericht in den Blick genommene Spezialregelung in § 39 Nr. 3 Altn. 2 AufenthV in der bis zum Inkrafttreten der Änderung durch Art. 7 Abs. 4 Nr. 13 des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl. I S. 1970, 2051) geltenden Fassung. Nach dieser kann ein Ausländer einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen, wenn er ein gültiges Schengen-Visum für kurzfristige Aufenthalte (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) besitzt, sofern die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels erfüllt sind. Diese Anforderungen werden von der Antragstellerin aller Voraussicht nach erfüllt. Sie ist mit einem vom 6. Juli bis 3. Oktober 2006 gültigen, von einer deutschen Auslandsvertretung ausgestellten Schengen-Visum (Typ C) am 7. Juli 2006 nach Deutschland eingereist, hat danach am 25. September 2006 den Antragsteller zu 2. geheiratet und am 28. September 2006 einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug gestellt. Darüber hinaus ist aus den oben genannten Gründen davon auszugehen, dass die Antragstellerin einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug aus den §§ 27 Abs. 1, 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG besitzt.

Aus dem Vorstehenden ergibt sich bereits, dass es entgegen der Rechtsansicht des Antragsgegners in den Anwendungsfällen des § 39 Nr. 3 Altn. 2 AufenthV nicht darauf ankommt, ob der Ausländer bei der Einreise mit einem nur für kurzfristige Aufenthalte bestimmten Schengen-Visum schon einen dauerhaften Aufenthaltszweck anstrebte.

An dem aufgezeigten Normenverständnis hat sich infolge der am 28. August 2007 in Kraft getretenen Änderung des § 39 Nr. 3 AufenthV durch das o.g. Änderungsgesetz nichts geändert. Der Anwendungsbereich der Vorschrift ist eingeschränkt worden. Während vormals Tatbestandsvoraussetzung allein die Einreise mit einem Schengen-Visum und ein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels waren, wird nun zusätzlich gefordert, dass der Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels erst nach der Einreise entstanden ist.

Die Verordnungsänderung hat entgegen der Ansicht des Antragsgegners nicht dazu geführt, dass die bei Beantragung der Aufenthaltserlaubnis am 28. September 2006 von der Antragstellerin erfüllten Voraussetzungen des § 39 Nr. 3 Altn. 2 AufenthG a.F. nachträglich entfallen sind. Eine solche Auffassung würde dem im Rechtsstaatsprinzip wurzelnden Grundsatz des Vertrauensschutzes nicht gerecht. Ein derartiger Vertrauensschutz ist nach den allgemeinen Grundsätzen des intertemporalen Verfahrensrechts zu beachten, wenn der Gesetzgeber auf eine bislang gegebene verfahrensrechtliche Rechtsposition eingewirkt hat, in der sich der Rechtssuchende befindet. Der Verlust einer solchen Verfahrensposition erfordert jedenfalls, dass das die Änderung verfügende Gesetz selbst hinreichend deutlich den Verlust ausspricht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. März 1983 - 2 BvR 475/78 -, BVerfGE 63, 343, 358 ff.; BVerwG, vom 12. März 1998 - 4 CN 12.97 -, BVerwGE 106, 237).

Hier ist ein derartiger Vertrauensschutz gegeben. § 39 Nr. 3 AufenthV enthält neben seiner oben aufgezeigten materiell-rechtlichen Wirkung auch eine verfahrensrechtliche Regelung. Von dem in § 4 Abs. 1 AufenthG zum Ausdruck kommende Grundsatz, dass ein Ausländer für die Einreise in das Bundesgebiet eines Aufenthaltstitels bedarf, wird auf der Grundlage der Verordnungsermächtigung in § 99 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG in § 39 Nr. 3 AufenthV eine Ausnahme statuiert, die es dem Ausländer ermöglicht, einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einzuholen. Die Antragstellerin hatte - wie ausgeführt - diese verfahrensrechtliche Privilegierung mit ihrem Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erlangt. Diese Rechtsstellung kann wegen Vertrauensschutzes schon mangels einer hierauf zielenden gesetzlichen Verlustregelung nicht verloren gegangen sein. Deshalb kann offen bleiben, ob unter Einreise im Sinne des § 39 Nr. 3 Altn. 2 AufenthV n.F. die letzte vor der Anspruchsentstehung erfolgte Einreise in den Schengen-Raum mit einem gültigen Schengen-Visum für kurzfristige Aufenthalte zu verstehen ist, oder ob darunter jede Einreise ins Bundesgebiet fällt, also auch die Wiedereinreise aus einem Schengenstaat wie etwa hier aus Dänemark.

Soweit der Antragsgegner erkennen lässt, § 39 Nr. 3 AufenthV erfordere eine Ermessensentscheidung (so auch Albrecht, in: Storr/Wenger/Eberle/Albrecht/Zimmermann-Kreher, ZuwG, § 99 AufenthG Rn. 37) sei noch angemerkt, dass es einer solchen nicht bedarf. Die in der Norm enthaltene Wendung "kann ein Ausländer" verdeutlicht lediglich, dass der Ausländer die Möglichkeit hat, nach seiner Einreise im Bundesgebiet einen Aufenthaltstitel einholen oder verlängern lassen zu können; ein Entscheidungsspielraum der Behörde ist damit nicht eröffnet.