OVG Nordrhein-Westfalen

Merkliste
Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 04.12.2007 - 17 E 47/07 - asyl.net: M12316
https://www.asyl.net/rsdb/M12316
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Prozesskostenhilfe, Lebensunterhalt, Zukunftsprognose, Befristung, Arbeitsverhältnis, Niederlassungserlaubnis, Ausbildung, Berufspraktikum, Prozesskostenhilfe, Erfolgsaussichten
Normen: AufenthG § 26 Abs. 4 S. 1; AufenthG § 9 Abs. 2 S. 1 Nr. 2; AufenthG § 2 Abs. 3; AufenthG § 35 Abs. 1 S. 2; AufenthG § 26 Abs. 4 S. 4; VwGO § 166; ZPO § 114
Auszüge:

Die Klägerin hat gemäß § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang einen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren.

Ob der Lebensunterhalt der Klägerin gesichert ist, § 26 Abs. 4 Satz 1, § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 2 Abs. 3 AufenthG, ist durch einen Vergleich des notwendigen Unterhaltsbedarfs mit dem zur Verfügung stehenden Einkommen zu ermitteln. Da es sich um eine Verpflichtungsklage auf Erteilung eines Aufenthaltstitels handelt, ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage der letzten mündlichen Verhandlung bzw. Entscheidung der Tatsacheninstanz maßgeblich, soweit es - wie hier - darum geht, ob der Aufenthaltstitel schon aus Rechtsgründen erteilt werden muss oder nicht erteilt werden darf (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. Juli 2003 - 1 C 18/02 -, BVerwGE 118, 249 = InfAuslR 2004, 50).

Neben den aktuellen Verhältnissen kommt es auch auf die voraussichtliche Entwicklung an, wobei die bisherige Erwerbsbiographie gewichtige Anhaltspunkte für die anzustellende Prognose liefern kann. Die vom Gesetz verlangte Existenzsicherung des Ausländers kann nicht allein durch eine punktuelle Betrachtung des jeweils aktuellen Beschäftigungsverhältnisses beurteilt werden. Sie setzt vielmehr eine Abschätzung - auch auf Grund rückschauender Betrachtung - voraus, ob ohne unvorhergesehene Ereignisse in Zukunft gewährleistet erscheint, dass der Ausländer den Lebensunterhalt dauerhaft ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel aufbringen kann (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28. Februar 2006 - 11 S 13.06 -, InfAuslR 2006, 277).

Ausgehend hiervon kann im Zeitpunkt der Beschlussfassung des Senats mit der für die Versagung von Prozesskostenhilfe notwendigen Sicherheit die Sicherung des Lebensunterhaltes der Klägerin nicht verneint werden. Nach dem vorgelegten Arbeitsvertrag vom 22. November 2007 wird die Antragstellerin ab dem 26. November 2007 von der Stadt H1. im Sozial- und Erziehungsdienst beschäftigt. Von dem erzielten Einkommen kann sie ihren Lebensunterhalt bestreiten. Allerdings ist der Arbeitsvertrag bis zum 19. Oktober 2008 befristet und ist als Befristungsgrund "für die Dauer der Elternzeit" angegeben. Gleichwohl wird hierdurch eine positive Prognose auf eine dauerhafte Lebensunterhaltssicherung nicht ohne weiteres in Frage gestellt. Die Klägerin ist bereits in der Vergangenheit für den gleichen Zweck von der Stadt ... beschäftigt worden.

Es sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, die notwendigerweise zu dem Schluss führten, der Klägerin werde auch angesichts der bisherigen Arbeitsvertragsabschlüsse und der gesammelten Berufserfahrung der Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages mit demselben oder einem anderen Arbeitgeber nicht gelingen, so dass die Gefahr der Erwerbslosigkeit nach Auslaufen des Vertrages naheliege. Die Klägerin verfügt über einen qualifizierten Berufsabschluss (Staatlich anerkannte Erzieherin), der eine dauerhafte Beschäftigung nicht unwahrscheinlich erscheinen lässt. Insbesondere dürfte der Migrationshintergrund der Antragstellerin mit Blick auf die Bevölkerungsstruktur einer Beschäftigung im öffentlichen Erziehungsbereich, der ausgebaut werden soll, förderlich sein.

Lediglich informationshalber merkt der Senat an: Entgegen der Ansicht des Beklagten hätte die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 Satz 4 i.V.m. § 35 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 2. Alternative AufenthG nicht mit der Erwägung verneint werden können, die Klägerin habe sich während des Berufspraktikums nicht in einer Ausbildung befunden, die zu einem anerkannten schulischen oder beruflichen Abschluss führt. Das Berufspraktikum ist konstitutiver Teil des Bildungsganges am von der Klägerin besuchten Berufskolleg und zwingende Voraussetzung für den Erwerb der Fachhochschulreife und den berufsqualifizierenden Abschluss als Staatlich anerkannte Erzieherin.

Dem Beklagten kann auch nicht darin gefolgt werden, dass die Anwendbarkeit von § 35 Abs. 1 Satz 2 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Familienzusammenführung voraussetzt. Aus der "entsprechenden" Anwendung des § 35 AufenthG folgt, dass diejenigen Tatbestandsmerkmale, die zwingend mit dem Familiennachzug verknüpft sind, nicht zur Anwendung kommen. Mit § 26 Abs. 4 Satz 4 AufenthG soll Kindern mit einem humanitären Aufenthaltsrecht unter den gleichen Voraussetzungen die Aufenthaltsverfestigung ermöglicht werden, wie sie bei Kindern gelten, die eine zum Zwecke der Familienzusammenführung erteilte Aufenthaltserlaubnis besitzen (vgl. Zeitler, HTK-AuslR/§ 26 AufenthG/zu Abs. 4 Nr. 2).

Die vom Beklagten vertretene Auffassung führte zu einer weitgehenden Funktionslosigkeit des § 26 Abs. 4 Satz 4 AufenthG, da Kinder mit einem humanitären Aufenthaltsrecht regelmäßig nicht im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Familienzusammenführung sind.