OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 19.02.2008 - 20 A 2300/06.A - asyl.net: M12620
https://www.asyl.net/rsdb/M12620
Leitsatz:

Eine nichtstaatliche Vorverfolgung führt auch dann zur Herabstufung des Wahrscheinlichkeitsmaßstabs, wenn sie vor dem 1.1.2005 erfolgte.

 

Schlagwörter: Berufungszulassungsantrag, Verfolgungsbegriff, Verfolgung durch Dritte, nichtstaatliche Verfolgung, nichtstaatliche Akteure, herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab, Vorverfolgung, Altfälle, Zuwanderungsgesetz, Rückwirkung
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 1
Auszüge:

Eine nichtstaatliche Vorverfolgung führt auch dann zur Herabstufung des Wahrscheinlichkeitsmaßstabs, wenn sie vor dem 1.1.2005 erfolgte.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Berufung ist nicht zuzulassen, weil der Rechtssache die allein geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung, § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG, nicht bzw. nicht mehr zukommt.

Der Kläger spricht zunächst Fragen an, die die rechtlichen Anforderungen an die Verfolgereigenschaft von nichtstaatlichen Akteuren, § 60 Abs.1 Satz 4 Buchst. c AufenthG betreffen. Dazu hat sich zwischenzeitlich alle vom Kläger angesprochenen Aspekte abdeckend das Bundesverwaltungsgericht geäußert. Es hat in seinem Urteil vom 18. Juli 2006 - 1 C 15.05 (BVerwGE 126, 243) klargestellt, dass die gesetzliche Regelung schon nach ihrem Wortlaut "alle nichtstaatlichen Akteure ohne weitere Einschränkung, namentlich also auch Einzelpersonen, sofern von ihnen Verfolgungshandlungen ... ausgehen," erfasst.

Zur Beantwortung der Frage nach der Bedeutung der Erweiterung des Kreises der Verfolgungssubjekte für die Bejahung oder Verneinung einer Vorverfolgung bedarf es nicht der Durchführung eines Berufungsverfahrens. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich in seiner oben angeführten Entscheidung nochmals zur Anwendung des herabsetzten Prognosemaßstabs geäußert und dabei hervorgehoben, dass die Rechtfertigung der Nachweiserleichterung in der subjektiven Belastung mit dem "Trauma" einer (Vor-)Verfolgungshandlung liegt, vor deren (erneuten) Auftreten § 60 Abs. 1 AufenthG Schutz bieten soll. Damit ist Anknüpfungspunkt allein das tatsächliche Geschehen vor dem Verlassen des Heimatstaates, das aus heutiger Sicht auf seinen Aussagegehalt für eine relevante Gefahrenlage nach § 60 Abs. 1 AufenthG zu prüfen ist. Es ist daher unerheblich, ob das Ereignis auch seinerzeit schon als relevant betrachtet werden konnte und musste. Entsprechend wird im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ausdrücklich darauf hingewiesen, dass – in concreto bezogen auf den Fall eines Widerrufs – "alle früher geltend gemachten Verfolgungsgründe, gleichgültig, ob sie im Anerkennungsbescheid abgelehnt oder sonst nicht berücksichtigt worden sind ..., unter dem Gesichtspunkt eines etwaigen Zusammenhangs mit einer nunmehr drohenden Rückkehrverfolgung zu untersuchen sind", bevor der herabgestufte Prognosemaßstab verneint wird. Eine "Rückwirkung" der Gesetzesänderung zur Verfolgereigenschaft liegt darin nicht, es findet allein eine tatbestandliche Rückanbindung statt, nämlich eine Bewertung, ob wegen vergangener vergleichbarer Geschehnisse gemessen an der für laufende Asylverfahren einschlägigen Rechtslage für den Fall einer vorgestellten Rückkehr des Asylbewerbers eine schutzauslösende Gefahrenlage im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG bereits bei fehlender hinreichender Sicherheit anzuerkennen ist.