VG Minden

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Zitieren als:
VG Minden, Beschluss vom 06.02.2008 - 7 K 2953/05.A - asyl.net: M12629
https://www.asyl.net/rsdb/M12629
Leitsatz:
Schlagwörter: Verfahrensrecht, Kostenrecht, Kosten, Geschäftsgebühr, Verfahrensgebühr, Anrechnung
Normen: VwGO § 164
Auszüge:

Für die denselben Gegenstand betreffende Tätigkeit in dem behördlichen Asylverfahren steht dem Rechtsanwalt grundsätzlich eine Geschäftsgebühr zu.

Nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG ist die vorgerichtlich entstandene Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr für die Vertretung im gerichtlichen Verfahren anzurechnen. Dieser Umstand ist aus Sicht des erkennenden Gerichts in der Kostenfestsetzung zwingend zu beachten. Die insoweit verbreitet vertretene gegenteilige Auffassung beruht im Wesentlichen auf der Annahme, der Erstattungspflichtige dürfe keinen Vorteil davon haben, dass der Erstattungsberechtigte seinen Anwalt bereits vorgerichtlich eingeschaltet habe, daher gelte die Anrechnungsbestimmung Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG ausschließlich im Innenverhältnis zwischen Anwalt und Mandant. Diese Annahme findet im Gesetz keine Stütze und steht im Widerspruch zu den Grundsätzen der Festsetzung. Danach sind vorbehaltlich ihrer tatsächlichen Notwendigkeit nicht mehr als die mit der Rechtsverfolgung/-verteidigung verbundenen tatsächlichen Aufwendungen des Erstattungsberechtigten festzusetzen – vgl. u. a. BVerfG, in Rd.Nr. 16 des Beschluss vom 03.11.1982 in 1 BvR 710/82 unter Hinweis auf RGZ, juris: "Es gehört zum gesicherten Standard der Kostenfestsetzung (vgl. RGZ 35, S. 427 (428); Wieczorek, ZPO, 2. Aufl., Anm. A II b zu § 104) und versteht sich von selbst, dass keinesfalls höhere Kosten als erstattungsfähig festgesetzt werden dürfen, als dem Berechtigten entstanden sind." sowie Neumann in Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl., in Anm. 63 zu § 162: "Was der erstattungsberechtigte Beteiligte dem von ihm beauftragten Rechtsanwalt nach dem RVG schuldet, kann er auf den erstattungspflichtigen Beteiligten abwälzen."

Dies gilt beispielsweise auch, wenn ein Mandant mit seinem Anwalt ein geringeres als das gesetzlich vorgesehene Honorar vereinbart hat.

Weshalb die Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG ausschließlich im Innenverhältnis zwischen dem Mandanten und seinem Anwalt gelten soll, erschließt sich aber auch deshalb nicht, weil andere Vorbemerkungen des VV RVG regelmäßig auch im Außenverhältnis angewandt werden – vgl. z.B. Vorbemerkung 7 Abs. 3 VV RVG.

Dass ein Erstattungspflichtiger geringere Kosten zu erstatten hat, wenn ein Erstattungsberechtigter sich bereits vorgerichtlich anwaltlich vertreten lässt, ist auch keine Besonderheit der Kostenfestsetzung in Verfahren der ordentlichen Gerichtsbarkeit und der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Die Verfahren vor den Sozialgerichten sind kostenrechtlich ähnlich gelagert.

Entsprechendes gilt für die Festsetzung der in dem behördlichen Widerspruchsverfahren (Vorverfahren i.S.v. § 162 VwGO zum verwaltungsgerichtlichen Verfahren) entstandenen Geschäftsgebühr.

Dass die anwaltliche Vertretung im behördlichen Ausgangsverfahren für den Erstattungspflichtigen vorteilhaft sein kann, ist keine Neuerung des RVG. Bereits bei der Festsetzung der Gebühren für die anwaltliche Vertretung im Vorverfahren nach der BRAGO wirkte sich eine anwaltliche Tätigkeit im behördlichen Ausgangsverfahren gebührenmindernd aus (vgl. Urteil des BVerwG vom 05.10.2004 in 7 C 7.04, juris; sowie Beschlüsse des OVG Münster vom 15.09.2006 in 12 E 1018/05, juris; und vom 30.11.2007 in 2 A 366/07 zu § 119 Abs. 1 BRAGO).

Die Nichtanrechnung der Geschäftsgebühr führt in der Kostenfestsetzung dazu, dass der anzurechnende Anteil der Geschäftsgebühr festgesetzt und erstattet wird, obwohl ein materiellrechtlicher Anspruch auf Erstattung der Geschäftsgebühr nicht besteht bzw. für den anzurechnenden Teil nicht festgestellt worden ist. Sie führt immer dazu, dass der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle/Rechtspfleger über Gebührenanteile entscheidet, die tatsächlich einer nicht festsetzungsfähigen Geschäftsgebühr zuzurechnen sind, obwohl er hierzu gesetzlich nicht ermächtigt ist. Die Entscheidung darüber, ob ein materiellrechtlicher Erstattungsanspruch für eine Geschäftsgebühr besteht, ist auch weiterhin dem Richter vorbehalten – a.A. offenbar KG Berlin, Beschluss vom 17.07.2007 in 1 W 256/07, juris.

Ergänzend weist der Entscheider darauf hin, dass der BGH die Frage der Anrechnung entsprechend zu beurteilen scheint – vgl. grundlegende Entscheidung des BGH zur Frage der Anrechnung im Urteil vom 07.03.2007 in VIII ZR 86/06, juris; bestätigt durch Urteil vom 14.03.2007 in VIII ZR 184/06, juris; und Versäumnisurteil vom 11.07.2007 in VIII ZR 310/06, juris; sowie sinngemäß BGH, in Abschnitt 5 der Gründe des Beschlusses vom 25.09.2007 in VI ZB 22/07, juris.

Eine zusätzliche argumentative Auseinandersetzung mit dem Für und Wider der Anrechnung kann den in die Datenbanken nrwe und juris eingestellten Beschlüsse des VG Minden (Stichworte: Anrechnung und Geschäftsgebühr) sowie dem Aufsatz von Rechtsanwalt Dr. Peter Ostermeier in JurBüro 1/2008, S. 6 ff. entnommen werden.