OVG Niedersachsen

Merkliste
Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 05.02.2008 - 11 LA 7/07 - asyl.net: M12894
https://www.asyl.net/rsdb/M12894
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Berufungszulassungsantrag, ernstliche Zweifel, Libanon, Staatenlose, Aufenthaltserlaubnis, Ausreisehindernis, Passbeschaffung, Passersatzbeschaffung, Beweislast, Fälschung, Auswärtiges Amt, Reiseausweis
Normen: VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1; AufenthG § 25 Abs. 5; StlÜbk Art. 1 Abs. 1; StlÜbk Art. 28
Auszüge:

Der Kläger begehrt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis und die Ausstellung eines Reiseausweises für Staatenlose.

Der auf § 124 Abs. 2 Nrn. 1 und 5 VwGO gestützte Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil bleibt ohne Erfolg.

Der Erteilung der nunmehr begehrten Aufenthaltserlaubnis steht aber bereits entgegen, dass der Kläger nicht im Sinne des § 25 Abs. 5 Sätze 3 und 4 AufenthG unverschuldet an einer Ausreise in den Libanon gehindert ist. Denn er hat zumutbare Anforderungen zur Erlangung eines libanesischen Passes bzw. Heimreisedokumentes bislang nicht erfüllt. Dem kann der Kläger nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass er staatenlos sei und die libanesische Botschaft in Berlin sich bei seiner Vorsprache am 15. Mai 2006 geweigert habe, ihm ein sog. Laissez-Passer für die Einreise in den Libanon auszustellen.

Nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand lässt sich nicht feststellen, dass der im Libanon geborene und dort bis zum Alter von sieben Jahren wohnhafte Kläger staatenlos im Sinne des Art. 1 Abs. 1 StlÜbk ist. Vielmehr besteht nach dem bisherigen Akteninhalt durchaus die Möglichkeit, dass er die libanesische Staatsangehörigkeit besitzt.

Dafür spricht bereits, dass sie seinerzeit offensichtlich ohne Probleme wieder in den Libanon einreisen konnten, während Kurden aus dem Libanon, die staatenlos waren bzw. deren Staatsangehörigkeit nicht geklärt war, eine Rückkehr grundsätzlich nicht möglich war. Auch heute kann diesem Personenkreis ein Laissez-Passer u.a. nur dann erteilt werden, wenn ein deutscher Aufenthaltstitel oder eine Bescheinigung, dass ein solcher erteilt wird, vorgelegt wird. Anderenfalls wird der Antrag unbearbeitet zurückgeschickt. Anders verhält es sich dagegen mit libanesischen Staatsangehörigen, die sich im Ausland aufhalten und über keinen gültigen libanesischen Reisepass mehr verfügen. Wenn diese in ihre Heimat zurückkehren wollen, stellt die libanesische Botschaft in Berlin auf entsprechenden Antrag Passersatzpapiere aus. Für dieses Verfahren ist es nicht zwingend notwendig, dass die Person ihre Identität mittels Dokumenten nachweisen kann. Sie muss aber bei der Antragstellung glaubhafte Angaben machen und in der Botschaft eine Willenserklärung über die freiwillige Rückkehr abgeben. Der Libanon erkennt nur solche Reisedokumente an, die von der zuständigen Innenbehörde (Sûreté Générale) oder einer seiner diplomatischen bzw. konsularischen Vertretungen im Ausland ausgestellt sind (vgl. zum Vorstehenden Lagebericht des Auswärtigen Amtes v. 29.11.2006, S. 27; Zentrale Aufnahme- und Ausländerbehörde Oldenburg, Auskunft v. 12.9.2005 an VG Hannover).

Ebenso wenig genügt zum Nachweis der vom Kläger behaupteten Staatenlosigkeit die von ihm vorgelegte Bescheinigung des libanesischen Innenministeriums vom 7. Juli 2003. Der von der Deutschen Botschaft in Beirut beauftragte Vertrauensanwalt hat dazu ausgeführt, es bestehe eine starke Vermutung dafür, dass es sich bei dem Dokument um eine "nach Maß angefertigte" Fälschung handele. Tatsächlich stelle die Leitung des Standesamtes keine negativen Bescheinigungen aus. Jedenfalls sei diese Behörde nicht berechtigt zu bescheinigen, dass Personen eine "geheime" Staatsangehörigkeit besäßen oder dass ihre Staatsangehörigkeit gerade geprüft werde. Bescheinigungen mit einem solchen Wortlaut könne nur die Sûreté Générale in dem Fall ausstellen, dass der Antragsteller in den von dieser Behörde geführten Registern registriert sei und in die "Spezialkategorien" passe. Dem Kläger ist es auch im Zulassungsverfahren nicht gelungen, die Aussagekraft dieser Bewertung des Vertrauensanwalts zu erschüttern.

Auskünfte des Auswärtigen Amtes haben nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts allgemein einen hohen Beweiswert (vgl. etwa Urt. v. 22.1.1985 - 9 C 52.83 -, InfAuslR 1985, 147). Allerdings sind die Tatsachengerichte ausnahmsweise zu näherer Prüfung einer amtlichen Auskunft verpflichtet, wenn etwa gewichtige und fallbezogene Zweifel an dem Wahrheitsgehalt der der Auskunft zugrunde liegenden Informationen geäußert werden (vgl. BVerwG, Beschl. v. 31.8.2006 - 1 B 24.06 -). Daran fehlt es hier.

Nach alledem hat der Kläger den ihm obliegenden Nachweis, dass er de jure-staatenlos im Sinne des Art. 1 Abs. 1 StlÜbK ist (vgl. dazu etwa BVerwG, Urt. v. 16.10.1990 - 1 C 15.88 -, BVerwGE 87, 11 = NVwZ 1991, 787; Nds. OVG, Beschl. v. 10.12.2007 - 2 LA 441/07 -, juris), nicht erbracht. Ihm ist es auch möglich und zumutbar, durch libanesische Behörden seine Staatsangehörigkeit klären zu lassen. Wie sich aus den dem Senat vorliegenden Erkenntnismitteln ergibt (vgl. Deutsche Botschaft in Beirut, Schreiben v. 1.3.2007 an den Abgeordneten des Niedersächsischen Landtags Voigtländer; Lagebericht des Auswärtigen Amtes v. 29.11.2006, S. 28; Deutsche Botschaft in Beirut, Auskunft v. 6.6.2005 an Landkreis Aurich; Merkblatt der Deutschen Botschaft in Beirut zur Beschaffung von Personenstandsurkunden aus dem Libanon, Stand: Mai 2005; Deutsche Botschaft in Beirut, Auskunft v. 28.1.2004 an VG Cottbus; Bezirksregierung Weser-Ems, Schreiben v. 7.7.2003 an Stadt Hannover), kann grundsätzlich jeder, der sich über längere Zeit legal im Libanon aufgehalten hat, von den dortigen Behörden Unterlagen erhalten, die seine Identität und seine Staatsangehörigkeit belegen. Sowohl für libanesische Staatsangehörige als auch für Personen mit ungeklärter Staatsangehörigkeit oder Staatenlose gibt es Personenstandsregister, aus denen auch nachträglich Unterlagen beschafft werden können. Entscheidende Bedeutung kommt dabei allerdings der Mitwirkungsbereitschaft des Betreffenden zu, denn diese Register werden numerisch geführt. Es ist zur Beschaffung von Urkunden daher erforderlich, dass Angaben zu Registerort und Registernummer vorliegen. Der in der Regel schnellste und kostengünstigste Weg, Personenstandsurkunden aus dem Libanon zu beschaffen, besteht darin, dass Verwandte oder Bekannte im Libanon bevollmächtigt werden, sie bei der Beschaffung zu vertreten. Dabei ist zu beachten, dass eine notarielle Beglaubigung der Unterschrift auf der Vollmacht sowie die Legalisation der Vollmacht durch die libanesische Botschaft erforderlich ist. Darüber hinaus besteht auch die Möglichkeit, dass der Betreffende einen Rechtsanwalt seines Vertrauens im Libanon einschaltet. Mit einem solchen Registerauszug können dann von der libanesischen Botschaft in Berlin Rückreisedokumente ausgestellt werden.

Liegt aber das Ausreisehindernis in der Passlosigkeit des Ausländers bzw. im Fehlen des erforderlichen Heimreisedokuments und steht fest, dass die zuständigen Behörden des Heimatlandes derartige Papiere grundsätzlich ausstellen, so trifft den Ausländer die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass er die erforderlichen und zumutbaren Anstrengungen, ein solches Papier zu erhalten, unternommen hat (vgl. etwa OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 14.6.2007 - 3 B 34.05 -, juris; OVG NRW, Beschl. v. 14.3.2006 - 18 E 924/04 -, InfAuslR 2006, 332). Allerdings dürfen von vornherein erkennbar aussichtslose Handlungen dem Ausländer nicht abverlangt werden (vgl. BVerwG, Beschl. v. 15.6.2006 - 1 B 132.05 -, Buchholz 402.242 § 25 AufenthG Nr. 3 unter Hinweis auf seinen Beschl. v. 16.12.1998 - 1 B 105.98 -, Buchholz 402.240 § 30 AuslG 1990 Nr. 10 zur vergleichbaren Vorgängerregelung des § 30 Abs. 4 AuslG). Ein derartiger Fall liegt hier aber nicht vor.

Für jeden libanesischen Staatsangehörigen besteht ein Grundregister, wobei es sich um das Register seines Vaters handelt (vgl. Deutsche Botschaft in Beirut, Auskunft v. 28.1.2004 an VG Cottbus). Dem Kläger sind - wie aus den Akten hervorgeht - der Familienname und Vorname seines Vaters sowie dessen Geburtsdatum und Geburtsort im Libanon bekannt. Er hätte deshalb unter Verwendung dieser Daten einen im Libanon lebenden Verwandten oder einen Rechtsanwalt seines Vertrauens bevollmächtigen und beauftragen können, die erforderlichen Nachforschungen anzustellen. Dies hat er aber bisher unter Verstoß gegen seine Mitwirkungspflichten (vgl. auch § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG) versäumt.