LSG Baden-Württemberg

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Zitieren als:
LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 17.09.2007 - L 7 SO 3970/07 ER-B - asyl.net: M12912
https://www.asyl.net/rsdb/M12912
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Grundsicherung für Arbeitssuchende, Unionsbürger, Arbeitssuche, Diskriminierungsverbot
Normen: SGG § 86b Abs. 2; SGB II § 7 Abs. 1 S. 2; EG Art. 12; FreizügG/EU § 2 Abs. 2
Auszüge:

Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 a.a.O. vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.).

Nach diesen Grundsätzen liegen die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung, welche die Antragstellerinnen erst ab Rechtshängigkeit des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens erstreben (vgl. hierzu Senatsbeschlüsse vom 1. August 2005 a.a.O. und vom 28. März 2007 - L 7 AS 1214/07 ER-B <juris>), im Verhältnis zur Beigeladenen als der nach § 5 Abs. 2 SGB II vorrangig zuständigen Trägerin von Leistungen nach dem SGB II vor.

In Bezug auf die den Kern der vorliegenden Streitigkeit bildende Frage, ob den Antragstellerinnen Leistungen nach dem SGB II oder – bei einem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II – nach dem SGB XII zustehen, sind beim SG Klageverfahren anhängig (S 14 SO 904/07 und S 14 SO 906/07), deren voraussichtlicher Ausgang noch nicht abschließend beurteilt werden kann. Unabhängig davon spricht allerdings bei summarischer Prüfung vieles dafür, dass die Ausschlussvorschrift des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II nicht eingreift mit der Folge, dass ein Leistungsanspruch gegenüber der Beigeladenen glaubhaft gemacht ist.

Zwar dürfte das SG in dem dem vorliegenden Verfahren vorangegangenen Eilverfahren S 9 SO 1699/07 ER (Beschluss vom 12. Dezember 2006) zu Recht davon ausgegangen sein, dass die Antragstellerin zu 1. ausschließlich nach § 2 Abs. 2 Freizügigkeitsgesetz-EU (Freizüg/EU) im Hinblick auf die Arbeitssuche zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt ist; auf die Ausführungen des SG im Beschluss vom 12. Dezember 2006 (a.a.O.) wird Bezug genommen. Allerdings dürfte das SG in der genannten Entscheidung verkannt haben, dass die Bestimmung des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II für Unionsbürger wie die Antragstellerinnen als französische Staatsangehörige im Lichte des Gemeinschaftsrechts, insbesondere des in Art. 12 EGV enthaltenen Diskriminierungsverbots betr. die Staatsangehörigkeit auszulegen ist. Es kann dahinstehen, ob der Ausschluss von arbeitsuchenden Unionsbürgern überhaupt mit dem EU-Recht vereinbar ist (vgl. dazu Landessozialgericht <LSG> Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25. April 2007 - L 19 B 116/07 AS ER -; Brühl/Schoch in: LPK SGB II, 2. Auflage, § 7 Rdnrn 19 und 27; Valgolio in: Hauck/Noftz, SGB II, § 7 Rdnr 30; Winkel, Soziale Sicherheit 3/2006, S 103, 104; Schreiber, ZESAR 11–12/2006, S 423, 430). Denn bei der im Eilverfahren allein möglichen summarischen Prüfung teilt der Senat die Auffassung, dass unter Beachtung des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts jedenfalls eine restriktive Auslegung und Anwendung der Bestimmung veranlasst ist in der Weise, dass ein Unionsbürger, der die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erfüllt und zur Aufnahme einer Beschäftigung keiner Arbeitsgenehmigung nach § 284 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) bedarf (§§ 2 Abs. 2, 13 FreizügG/EU 2004), nicht zu dem Personenkreis gehört, der gem. § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II in der ab dem 1. April 2006 geltenden Fassung vom Bezug von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen werden soll, wenn er nicht erstmals zur Arbeitssuche in die Bundesrepublik Deutschland einreist, sondern nach einem Auslandsaufenthalt wieder zurückkehrt (ebenso LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 25. Juli 2007 - L 6 AS 444/07 ER -, juris; vgl. auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25. April 2007 - L 19 B 116/07 AS ER -, SAR 2007, 74–76, wonach für Ausländer, die Unionsbürger sind, kein Leistungsausschluss besteht, jedenfalls nicht nach Ablauf eines dreimonatigen rechtmäßigen Aufenthaltes im Bundesgebiet). Hiervon ausgehend kommt ein Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II mit Blick darauf, dass die Antragstellerin zu 1. am ... 1982 im Bundesgebiet geboren ist und bis zum 1998 ununterbrochen dort gelebt hat, bevor sie in das Heimatland ihrer Mutter – nach K. – ausreiste, um im September 2006 in das Bundesgebiet zurückzukehren, voraussichtlich nicht in Betracht. Vielmehr dürfte ein Leistungsanspruch gegenüber der Beigeladenen auf Gewährung von SGB II-Leistungen in gesetzlicher Höhe bestehen.