OVG Sachsen-Anhalt

Merkliste
Zitieren als:
OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 15.04.2008 - 2 M 84/08 - asyl.net: M13249
https://www.asyl.net/rsdb/M13249
Leitsatz:

Abschiebungshindernis für Vater eines ungeborenen Kindes bei Risikoschwangerschaft, wenn er die Mutter tatsächlich unterstützt, auch wenn die Vaterschaft noch nicht wirksam anerkannt ist.

 

Schlagwörter: D (A), Abschiebungshindernis, inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, Vater, Schwangerschaft, Risikoschwangerschaft, Schutz von Ehe und Familie, körperliche Unversehrtheit, Vaterschaftsanerkennung, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren)
Normen: VwGO § 123 Abs. 1; AufenthG § 60a Abs. 2; GG Art. 6; GG Art. 2 Abs. 2; BGB § 1594 Abs. 1
Auszüge:

Abschiebungshindernis für Vater eines ungeborenen Kindes bei Risikoschwangerschaft, wenn er die Mutter tatsächlich unterstützt, auch wenn die Vaterschaft noch nicht wirksam anerkannt ist.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Beschwerde hat Erfolg.

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 123 VwGO zu Unrecht abgelehnt. Der Abschiebung des Antragstellers ist nach der im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens nur möglichen summarischen Prüfung wegen der im Juni 2008 zu erwartenden Geburt des Kindes der deutschen Staatsangehörigen M. L. aus rechtlichen Gründen unmöglich (§ 60 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschl. v. 03.04.2006 - 2 M 82/06 -, Juris; Beschl. v. 11.04.2002 - 2 M 121/02 -), bestehen zwar die Schutzwirkungen des Art. 6 Abs. 1 und 2 GG grundsätzlich erst ab der Geburt des Kindes mit der Folge, dass die Schwangerschaft einer deutschen Staatsangehörigen die Ausländerbehörde nicht daran hindert, den ausländischen nichtehelichen (werdenden) Vater des ungeborenen Kindes abzuschieben. Eine Ausnahme ist aber dann anzunehmen, wenn eine Gefahrenlage für das ungeborene Kind oder die Mutter (Risikoschwangerschaft) besteht und die Unterstützung der Schwangeren durch den Abzuschiebenden glaubhaft gemacht wird; denn die Wahrscheinlichkeit, dass die werdende Mutter unter diesen Umständen durch eine abschiebungsbedingte Trennung Belastungen ausgesetzt ist, die die Leibesfrucht gefährden, ist ungleich höher als bei vorübergehender Trennung während einer normal verlaufenden Schwangerschaft (SächsOVG, Beschl. v. 25.01.2006 - 3 BS 274/05 -, NVwZ 2006, 613, m. w. Nachw.; Funke-Kaiser in: GK AufenthG II - § 60a RdNr. 152, m. w. Nachw.). In diesem Fall geht es nicht (nur) um mögliche Vorwirkungen aus Art. 6 Abs. 1 und 2 GG; betroffen sind insbesondere das Leben und die körperliche Unversehrtheit der Mutter und des ungeborenen Kindes, die durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geschützt sind. Ferner ist die Wertentscheidung in Art. 6 Abs. 4 GG zu berücksichtigen, nach der jede Mutter Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft hat (vgl. zur Ausstrahlungswirkung des Art. 6 Abs. 4 GG: BVerfG, Beschl. v. 08.06.2004 - 2 BvR 785/04 -, NJW 2005, 2382).

Daher ist in diesem Zusammenhang auch nicht entscheidend, ob die vom Antragsteller notariell erklärte Vaterschaftsanerkennung vom 19.02.2008 bereits wirksam geworden ist (was hier wegen der noch bestehenden Ehe der Kindesmutter mit einem anderen Mann nach § 1599 Abs. 2 Satz 3 BGB frühestens mit Rechtskraft des dem Scheidungsantrag der Mutter stattgebenden Urteils der Fall sein wird) und damit gemäß § 1594 Abs. 1 BGB Rechtswirkungen geltend gemacht werden können. Abzustellen ist – gerade wenn noch nicht über ein endgültiges Aufenthaltsrecht zu befinden ist – vielmehr darauf, ob keine durchgreifenden Zweifel an der künftigen Vaterschaft sowie daran bestehen, dass eine durch Fürsorge geprägte persönlichen Beziehung zur Kindesmutter besteht und der Antragsteller die erforderliche Hilfestellung leisten wird (vgl. Funke-Kaiser, a.a.O., RdNr. 149; VG Saarland, Beschl. v. 28.02.2008 - 11 L 103/08 -, Juris).

Hiernach ist ein Anspruch des Antragstellers auf (vorläufige) Aussetzung der Abschiebung anzunehmen. Er hat – jedenfalls im Beschwerdeverfahren – glaubhaft gemacht, dass bei seiner derzeitigen Lebenspartnerin eine Risikoschwangerschaft besteht, er Vater des ungeborenen Kindes sein wird und die Mutter während der Schwangerschaft auf seine Anwesenheit im Bundesgebiet angewiesen ist.