OLG Celle

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Zitieren als:
OLG Celle, Beschluss vom 13.05.2008 - 22 W 18/08 - asyl.net: M13556
https://www.asyl.net/rsdb/M13556
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Abschiebungshaft, sofortige weitere Beschwerde, Zulässigkeit, Zuständigkeit, örtliche Zuständigkeit, Ausländerbehörde, Festnahme, Anhörung, Akte, Beiziehung, Sachaufklärungspflicht
Normen: Nds. SOG § 18; Nds. SOG § 100 Abs. 1; FreihEntzG § 5; FGG § 12
Auszüge:

1. Die weitere sofortige Beschwerde gegen die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der vorläufigen Ingewahrsamnahme ist unzulässig.

Das Landgericht hat seine Entscheidung auf die Annahme einer Maßnahme nach § 18 Nds. SOG gestützt und hiernach die weitere sofortige Beschwerde nicht zugelassen. An diese Entscheidung, die weitere sofortige Beschwerde nicht zuzulassen, ist das weitere Beschwerdegericht ebenso gebunden wie an die vom Landgericht hierzu getroffenen Feststellungen (vgl. Senat vom 19.7.2007, 22 W 33/07; ebenso OLG München vom 19.6.2006, 34 Wx 75/06; Meyer-Holz, in: Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 15. Aufl., § 27 Rn. 42). Die Entscheidung über die Zulassung der weiteren sofortigen Beschwerde ist nach dem Willen des Gesetzgebers ausschließlich dem Landgericht übertragen und nach ständiger Rechtsprechung sowohl der Anfechtung durch die Beteiligten als auch der Nachprüfung und Abänderung durch das Rechtsbeschwerdegericht entzogen (BGH FamRZ 1990, 1228; 1992, 1063; BayObLGZ 1980, 286). Hat das Landgericht die weitere Beschwerde nicht zugelassen, ist jegliche Nachprüfung der Vorentscheidung unzulässig, weil dem Beschwerdegericht hierzu die Eigenschaft als gesetzlicher Richter fehlt (vgl. Senat a.a.O.).

Das Rechtsmittel führt auch als außerordentliche Beschwerde nicht zum Erfolg. Denn Zulässigkeitsvoraussetzung einer außerordentlichen Beschwerde ist das Vorliegen einer greifbaren Gesetzwidrigkeit (vgl. Senat a.a.O.; hierzu näher Kahl, in: Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 15. Aufl., § 19 Rn. 39 m.w.N.). Eine solche ist vorliegend aber weder dargetan, noch ersichtlich.

2. Im Übrigen ist die weitere sofortige Beschwerde zulässig und hat – zumindest vorläufig – auch Erfolg.

a) Zutreffend hat das Landgericht allerdings die örtliche Zuständigkeit der Beteiligten für die Antragstellung angenommen. Das AufenthG enthält in § 71 nur eine Regelung der sachlichen Zuständigkeit, die örtliche Zuständigkeit richtet sich nach Landesrecht (vgl. Renner, Ausländerrecht, AufenthG, § 71 Rdnr. 2; ebenso Nr. 71.1.2.1 VAH zu § 71 AufenthG). Nach der neueren Rechtsprechung des Senats ist die örtliche Zuständigkeit der Verwaltungsbehörde in Abschiebehaftsachen nach § 100 Abs. 1 Nds. SOG zu beurteilen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 31.1.2008, 22 W 2/08, und vom 6.2.2008, 22 W 8/08).

Nach § 100 Abs. 1 Satz 2 Nds. SOG ist die Behörde örtlich zuständig, in deren Bezirk die zu schützenden Interessen verletzt oder gefährdet werden. Dies kann zu einer konkurrierenden Zuständigkeit mehrerer Behörden führen. Zu schützende Interessen wurden hier in jedem Falle am Festnahmeort H. durch den illegalen Aufenthalt verletzt, wodurch die Zuständigkeit der Beteiligten begründet wurde. Es kann daher dahin stehen, ob die Betroffene früher einmal im Landkreis E. aufhältig war und möglicher Weise auch dort eine Verletzung zu schützender Interessen zu verorten wäre.

b) Nicht frei von Rechtsfehlern ist die angefochtene Entscheidung indessen, soweit das Landgericht von einer mündlichen Anhörung der Betroffenen absah. Zwar ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats trotz der Vorschrift des § 5 FreihEntzG eine Anhörung im Beschwerdeverfahren ausnahmsweise entbehrlich, wenn sie gegenüber der Anhörung durch das Amtsgericht keine neuen Erkenntnisse für die Sachverhaltsaufklärung verspricht (vgl. Beschluss vom 18.2.2008, 22 W 9/08; auch Marschner/Volckart, 4. Aufl., § 5 FreihEntzG Rn. 4 m.w.N.). Dies setzt jedoch u.a. voraus, dass die Betroffene sich vor dem Amtsgericht geäußert hat, was hier gerade nicht der Fall war. Auch ist die sofortige Beschwerde vom Verfahrensbevollmächtigten nicht begründet worden.

c) Ein weiterer, zur Aufhebung führender Rechtsmangel der angefochtenen Entscheidung besteht darin, dass das Landgericht die Akten der Ausländerbehörde nicht beigezogen und keine ausreichenden Feststellungen zum Sachverhalt und zum Einhalten des Beschleunigungsgebotes getroffen hat.

Nach Art. 104 Abs. 2 i.V.m. Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG müssen Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben, die der Bedeutung der Freiheitsgarantie entspricht (vgl. BVerfG Nds. Rpfl. 2008, 96). Dementsprechend verpflichtet § 12 FGG das Gericht auch im Beschwerdeverfahren, die zur Feststellung der relevanten Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen und die hieraus gewonnenen Erkenntnisse mitzuteilen (vgl. Senatsbeschluss vom 28.1.2007, 22 W 1/07). Dem wird die vorliegend angefochtene Entscheidung nicht gerecht. Zwar besteht auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Pflicht zum Beiziehen der Akten der Ausländerbehörde nicht ausnahmslos, sondern sind diese "regelmäßig beizuziehen" (BVerfG a.a.O.). Ein Ausnahmefall lag hier aber erkennbar nicht vor, zumal die Betroffene vor dem Amtsgericht keine Angaben gemacht und ihr früherer Verfahrensbevollmächtigter das Rechtsmittel nicht begründet hatte.