VG Wiesbaden

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Zitieren als:
VG Wiesbaden, Urteil vom 19.08.2008 - 6 K 685/08.WI.A(2) - asyl.net: M14130
https://www.asyl.net/rsdb/M14130
Leitsatz:
Schlagwörter: Iran, Widerruf, Flüchtlingsanerkennung, Christen, Armenier, Grenzkontrolle, Straftäter, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Existenzminimum
Normen: AsylVfG § 73 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Die Klage ist zulässig und begründet. Der angegriffene Bescheid ist rechtswidrig, verletzt die Kläger in ihren Rechten und ist damit aufzuheben (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Beklagte hat die frühere Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG zu Unrecht widerrufen. Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Diese Widerrufsvoraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben.

Der Kläger ist armenischer Christ. Zwar mögen armenische Christen in die Gesellschaft im Iran integriert und keinen allgemeinen auf die Gruppe ausgerichteten Repressionen ausgesetzt sein (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 18.03.2008, S. 20), so wird auch von Schikanen armenischer Christen berichtet (vgl. Svec, Christen im Iran, Asylmagazin 4/2007, S. 11 bei Fußnote 25). Auch mögen Armenier mit zwei Abgeordneten im Parlament vertreten sein, dennoch können sie etwa keinen Religionsunterricht in armenischer Sprache abhalten (vgl. Delshad, Religiöse Minderheiten im Iran, APuZ 2008, S. 26 ff., 32). Zwar mag das Verhältnis von Christen und Muslimen grundsätzlich spannungsfrei sein, dennoch kann ein gewisses Maß an Willkür, je nachdem wer das Gegenüber ist, nicht ausgeschlossen werden (vgl. Delshad, a.a.O., S. 30 f.). Wenn nun der Kläger aus Deutschland in den Iran abgeschoben werden würde, wäre selbstverständlich ohne Weiteres feststellbar, dass er Christ ist. In diesem Falle würde sich bereits bei der Einreisekontrolle die Frage aufdrängen, weshalb ein Christ aus einem christlichen Land, in welchem er aufgewachsen ist, nach 18 Jahren abgeschoben wird. In der persischen Sprache könnte sich der Kläger bereits bei der Einreisekontrolle nicht problemlos verständigen.

Darüber hinaus müsste der Kläger plausibel, gegebenenfalls mit Hilfe eines Dolmetschers, falls überhaupt ein solcher zeitnah hinzugezogen wird, darlegen können, weshalb er, obwohl er den ganz überwiegenden Teil seines Lebens in Deutschland verbracht hat, nunmehr abgeschoben wird. Das wir ihm kaum gelingen. Einzelheiten der Verwaltungspraxis in Deutschland dürften insoweit im Iran nicht bekannt sein. Allerdings ist es ein besonderes Anliegen Deutschlands, Straftäter bei schweren Straftaten auch nach längerem Aufenthalt in Deutschland abzuschieben, gleich welche Staatsangehörigkeit sie im Einzelfall besitzen. Hierüber wird in deutschen Medien immer wieder berichtet, und das kann auch iranischen Behörden nicht entgehen.

Wenn nun der Kläger bei seiner Wiedereinreise intensiv befragt und wird, besteht aus Sicht des Gerichtes darüber hinaus die Wahrscheinlichkeit, dass auch frühere Aktivitäten des Vaters des Klägers noch bekannt werden. Ein gewisses Maß an Willkür im Iran kann nicht verneint werden (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht, S. 30, 32), so dass der Kläger im Falle einer Abschiebung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Maßnahmen politischer Verfolgung drohen.

Ohne dass es noch darauf ankommt, hat das Gericht Zweifel daran, ob die Ausführungen im Bundesamtsbescheid im Zusammenhang mit einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG, bei dem Kläger handele es sich um einen leistungsfähigen jungen Mann, dem zuzumuten sei, im Iran seinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen, angesichts fehlender Sprachkenntnisse uneingeschränkt zugestimmt werden kann.