VG Minden

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Zitieren als:
VG Minden, Urteil vom 27.06.2008 - 7 K 2284/05.A - asyl.net: M14369
https://www.asyl.net/rsdb/M14369
Leitsatz:

Abschiebungsverbot für alkoholsüchtigen iranischen Staatsangehörigen gem. § 60 Abs. 5 AufenthG wegen drohender Auspeitschung.

 

Schlagwörter: Iran, Alkoholkonsum, Suchterkrankung, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Krankheit, HIV/Aids, medizinische Versorgung, menschenrechtswidrige Behandlung, Hadd-Strafen, Auspeitschung, Todesstrafe
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 7; AufenthG § 60 Abs. 5; EMRK Art. 3
Auszüge:

Abschiebungsverbot für alkoholsüchtigen iranischen Staatsangehörigen gem. § 60 Abs. 5 AufenthG wegen drohender Auspeitschung.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Soweit der Kläger die Verpflichtung der Beklagten begehrt, in seiner Person das Abschiebungshindernis des § 60 Abs. 1 AufenthG festzustellen, ist die Klage nicht begründet.

Der hier allein in Frage kommende Sachvortrag des Klägers, er könne als alkohol- und aidskranker Mensch im Iran nicht existieren, knüpft nach Auffassung des Gerichts nicht an asylerhebliche Merkmale im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG an. Es ist vielmehr auch nach dem Vortrag des Klägers so, dass nur die Tatsache des Alkoholgenusses verfolgt wird, und zwar unabhängig von einer - wenn auch nur vermuteten - politischen Einstellung oder anderer asylerheblicher Merkmale.

Dem Hauptantrag des Klägers kann somit nicht entsprochen werden. Daneben liegt nach Auffassung des Gerichts auch kein Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich der Aidserkrankung des Klägers vor.

Denn zum einen steht aufgrund der dem Gericht vorliegenden Auskünfte zumindest fest, dass auch im Iran eine gewisse Grundversorgung von zumeist drogenabhängigen Aidserkrankten möglich ist (so Länderreport United Kingdom, Iran vom April 2005, in: Juris Nr: IRN 00059910).

Darüber hinaus ist nicht ersichtlich, dass sich die Situation des Klägers alsbald nach einer Rückkehr in den Iran lebensbedrohlich verschlechtern könnte. Aus den vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen geht hervor, dass der Kläger offensichtlich auch zur Zeit in der Bundesrepublik Deutschland nicht behandelt wird, da die Durchführung einer antiviralen Therapie nach den vorliegenden ärztlichen Attesten zunächst eine stationäre Therapie zur Entwöhnung von Alkohol und Schmerzmitteln voraussetzt.

Aufgrund des Hilfsantrages des Klägers ist jedoch festzustellen, dass zu seinen Gunsten das Abschiebungshindernis des § 60 Abs. 5 AufenthG vorliegt.

Zur Überzeugung des Gerichts liegen diese Voraussetzungen vor, so dass dem Kläger Abschiebungsschutz nach dieser Vorschrift zu gewähren ist. Hierbei ist davon auszugehen, dass der Tatsachenvortrag des Klägers, er sei inzwischen so stark alkoholabhängig, dass er nicht aus eigenem Willen von seiner Sucht loskommen könne, zutrifft.

Dann jedoch ist davon auszugehen, dass dem Kläger nunmehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Bestrafung nach "normalem" iranischen Recht droht. Der Alkoholkonsum gehört im Iran zu den Kapitalverbrechen (Hadd), die im Iran streng bestraft werden, da sie göttliches Gesetz missachten. Sowohl der Koran als auch die islamische Überlieferung verurteilen dieses Vergehen. Im Koran finden sich Suren, die vor dem Trinken warnen und es als Satanswerk betrachten, wonach nach dieser unter Gläubigen Feindschaft und Hass aufkommen lassen möchte und sie vom Gedenken Gottes und dem Gebet abhalten will.

Artikel 165 des iranischen StGB bestimmt, dass Trinken von Alkohol unabhängig von der getrunkenen Menge, der Tatsache, ob die jeweilige Person betrunken ist oder nicht und ob das Getränk verdünnt war oder nicht, strafbar ist. Für ihre Schuld müssen sich Personen verantworten, die erwachsen und geistig gesund sind und die aus freiem Willen gehandelt haben. Nicht bestraft werden lediglich diejenigen Personen, die zur Tat gezwungen wurden oder sie begingen, um das Leben und die Gesundheit wegen einer schweren Krankheit zu retten. Der Genuss von alkoholisierten Getränken wird mit 80 Peitschenhieben bestraft, was für Nichtmuslime nur dann gilt, wenn die Tat in der Öffentlichkeit stattfand. Die Auspeitschung wird ausgeführt, wenn die schuldige Person wieder nüchtern ist. Bei der dritten Bestrafung für dieses Vergehen sieht das Strafrecht die Tötung des Delinquenten vor (Artikel 179 StGB) (so Themenpapier der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, Iran: Sanktionen bei Verstoß gegen moralische Normen vom 30.06.2007).

Nach dieser Auskunft wird von der Möglichkeit einer entsprechenden Bestrafung im Iran auch Gebrauch gemacht. Nach einer Meldung von Amnesty International wurde eine Person im Juni 2005 zum Tode verurteilt, nachdem sie zuvor bereits zwei Mal wegen desselben Deliktes verurteilt worden war. Des Weiteren wurde in der letzten Zeit ein Fall eines 32-jährigen Iraners bekannt, der bei der dritten Bestrafung wegen Alkoholkonsums zum Tode verurteilt wurde. Darüber hinaus berichte die Liga zur Verteidigung der Menschenrechte im Iran über erniedrigende Bestrafungen von Jugendlichen, die Alkohol getrunken haben.