VG Hannover

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Zitieren als:
VG Hannover, Urteil vom 19.06.2008 - 12 A 105/08 - asyl.net: M14383
https://www.asyl.net/rsdb/M14383
Leitsatz:

Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 7 AufenthG hinsichtlich Kosovo wegen Erkrankung an paranoider Schizophrenie.

 

Schlagwörter: Kosovo, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Krankheit, psychische Erkrankung, paranoide Schizophrenie, medizinische Versorgung
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 7 AufenthG hinsichtlich Kosovo wegen Erkrankung an paranoider Schizophrenie.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Klage hat Erfolg.

Die Klägerin hat einen Anspruch darauf, dass die Beklagte im Hinblick auf ihre Erkrankung das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in ihrer Person feststellt.

Die Klägerin leidet ausweislich der vorgelegten ärztlichen Atteste an einer paranoiden Schizophrenie. Bei regelmäßigem Einsatz der in den ärztlichen Attesten genannten Medikamente Risperdal und Trimipramin kann ein gewisser Stabilisierungszustand erreicht werden. Bei Wegfall der Medikation ist nach Aussage der die Klägerin behandelnden Fachärzte mit einer wesentlichen Gesundheitsverschlechterung zu rechnen. Die zahlreichen Aufenthalte im ... Landeskrankenhaus ... zeigen, dass neben der Medikamenteneinnahme eine psychiatrische Behandlung erforderlich ist.

Die Klägerin wird die benötigten Medikamente Risperdal und Trimipramin bei einer Rückkehr in den Kosovo zum gegenwärtigen Zeitpunkt mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht erhalten. Zwar ist das Medikament Trimipramin auf der "essential drug list" (Stand Dezember 2006) aufgeführt. Gleichwohl kommt es immer noch zu (finanziellen) Engpässen und anderen Unregelmäßigkeiten bei der Medikamentenversorgung (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 29.11.2007). Nach dem Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom Juni 2007 hat die Liste heute kaum noch praktische Bedeutung. Die dort aufgelisteten Präparate sind danach in den Apotheken häufig nicht erhältlich und auch in den Krankenhäusern nicht immer verfügbar. Dies - so der Bericht - hat zur Folge, dass Medikamente meist aus eigenen Mitteln bezahlt werden müssten. Die Klägerin verfügt jedoch nicht über derartige Mittel. Aufgrund ihres jahrelangen Aufenthalts in Deutschland und unter Berücksichtigung der hohen Arbeitslosigkeit im Kosovo haben weder sie noch ihre Angehörigen Aussicht, einen Arbeitsplatz zu erhalten. Dies gilt erst recht für die Klägerin im Hinblick auf ihre Erkrankung. Die Sozialhilfeleistungen, die lediglich 35 Euro für die erste Person und maximal 75 Euro für Familien betragen, reichen kaum aus, um den laufenden Lebensunterhalt zu bestreiten (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 29.11.2007) und stehen daher für den Kauf für das von der Klägerin benötigte Medikament Trimipramin nicht zur Verfügung. Gleiches gilt für das Medikament Risperdal. Nach Auskunft des Deutschen Verbindungsbüros Kosovo an das VG Minden vom 28.02.2007 ist Risperdal zwar in den Apotheken erhältlich; es kostet allerdings 4,40 Euro (0,25 - 1 mg/20 Tabl.). Die Klägerin benötigt alle 14 Tage eine Dosis von 25 mg.

Zudem haben verschiedene Gutachter in ihren Stellungnahmen wiederholt deutlich gemacht, dass die Klägerin einen festen Bezugsrahmen benötigt, der ihr durch eine Rückkehr in ihr Heimatland genommen würde. Die zahlreichen Einweisungen in das Landeskrankenhaus ... zeigen, dass die Erkrankung der Klägerin nicht allein durch eigenständige Medikamenteneinnahme behandelt werden kann, sondern längere stationäre Krankenhausaufenthalte immer wieder erforderlich geworden sind und sicherlich auch in der Zukunft erforderlich sind. Zwar stehen auch im Kosovo psychiatrische Abteilungen mit angeschlossenen Ambulanzen zur Verfügung; es ist jedoch fraglich, ob für die Klägerin ein Platz in einer entsprechenden Einrichtung zur Verfügung stünde.