1. Ob ein vorverfolgt ausgereister Togoer inzwischen mit hinreichender Sicherheit keine erneute Verfolgung mehr zu erwarten hat, ist anhand der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Eine generelle Verfolgungssicherheit für alle Vorverfolgten kann trotz der positiven Entwicklung in Togo nicht festgestellt werden.
2. Bei einer Person, die in Togo wegen angeblicher Mitwisserschaft an einem Attentatsplan auf den ehemaligen Präsidenten verhaftet und gefoltert wurde, kann eine Wiederholung der Verfolgung auch heute noch nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden.
1. Ob ein vorverfolgt ausgereister Togoer inzwischen mit hinreichender Sicherheit keine erneute Verfolgung mehr zu erwarten hat, ist anhand der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Eine generelle Verfolgungssicherheit für alle Vorverfolgten kann trotz der positiven Entwicklung in Togo nicht festgestellt werden.
2. Bei einer Person, die in Togo wegen angeblicher Mitwisserschaft an einem Attentatsplan auf den ehemaligen Präsidenten verhaftet und gefoltert wurde, kann eine Wiederholung der Verfolgung auch heute noch nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden.
(Amtliche Leitsätze)
[...]
Die Anfechtungsklage ist zulässig und begründet.
Die Widerrufsvoraussetzungen nach § 73 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AsylVfG liegen nicht vor. In der Person des Klägers sind in Bezug auf Togo nach wie vor die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG n. F. bzw. § 51 Abs. 1 AuslG a.F. gegeben. [...]
Es ist nicht die Aufgabe des Gerichts, anhand des vorliegenden Falles zu entscheiden, ob die politischen Verhältnisse in Togo dergestalt sind, dass ein Widerruf der Flüchtlingseigenschaft von Togoern generell zulässig oder generell unzulässig ist. Dies ist der Natur der Sache nach nicht möglich, da es – wie oben ausgeführt – in jedem Einzelfall darauf ankommt, das im Anerkennungsbescheid festgestellte persönliche Verfolgungsschicksal des jeweiligen Klägers in Beziehung zu den veränderten Verhältnissen im Heimatland zu setzen und danach zu entscheiden, ob gerade bezüglich dieser Einzelperson eine Wiederholung der bereits erlittenen Verfolgung nunmehr mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann. Sollte die Rechtsprechung der früher für Togo zuständigen Berichterstatterin der erkennenden Kammer (vgl. bspw. das Urteil vom 19. November 2007 – 7 A 3486/04 -) dahingehend missverstanden worden sein, dass bezüglich vorverfolgt ausgereister togoischer Oppositionellen nunmehr grundsätzlich und in jedem Falle eine erneute Verfolgung mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann, so wird daran ausdrücklich nicht länger festgehalten. Im Falle des Klägers des vorliegenden Verfahrens bestehen trotz der deutlich verbesserten Menschenrechtslage in Togo nach wie vor ernsthafte Zweifel, ob er nicht erneut verhaftet und gefoltert würde.
Die Lage in Togo stellt sich derzeit wie folgt dar:
Präsident Faure Gnassingbé hat ein großes, ambitioniertes Reformprogramm begonnen. Widerstand hiergegen kommt allerdings nicht nur von der "radikalen" Oppositionspartei UFC, sondern v.a. von Anhängern der Regierungspartei RPT und den Würdenträgern des alten Regimes. Die Regierungspartei ist in zwei Lager gespalten, einen Reformflügel unter Führung des Präsidenten und einen konservativen Flügel unter Führung seines Halbbruders Kpatcha Gnassingbé (vgl. SFH, Die Lage in Togo, 9. April 2008, S. 4). Letztgenannter ist zwar inzwischen nicht mehr Mitglied der Regierung (vgl. VG Schwerin, Urteil vom 2. September 2008, 5 A 603/08 As, S. 11 d. UA), die Erkenntnislage enthält jedoch keinerlei Hinweise darüber, ob damit auch sein faktischer Einfluss im Machtapparat und seine Fähigkeit, den politischen Wandlungsprozess zu gefährden, signifikant gesunken ist. Die diesbezüglichen Vermutungen des VG Schwerin (Urteil vom 2. September 2008, 5 A 603/08 As, S. 11 d. UA) sind Spekulationen, die nicht mit substantiierte Erkenntnissen über die realen Machtverhältnisse innerhalb des Staates und der RPT gestützt werden. Die derzeit verfügbaren Erkenntnismittel gehen vielmehr davon aus, dass die aktuelle sozio-politische Lage in Togo nur schwer erahnen lässt, wie dieses Land mittel- oder langfristig aussehen wird (vgl. z. B. SFH, Die Lage in Togo, 9. April 2008, S. 5). [...] Bei genauerer Betrachtung der politischen Verhältnisse fällt insbesondere auf, dass wichtige Schaltstellen der Macht immer noch von Personen und Parteien besetzt sind, die eine Nähe zur früheren Diktatur von Eyadema Gnassingbé aufweisen und/oder für die gewaltsame Unterdrückung der Opposition in den ersten Monaten nach dessen Tod und der Amtseinführung des neuen Präsidenten beteiligt waren. Dies gilt zunächst für den Staatspräsidenten Faure Gnassingbé selbst (vgl. U.S. Department of State, Lagebericht vom 11. März 2008, S. 9). Die alte Regimepartei von Eyadema Gnassingbé, der RPT, stellt nach wie vor den Präsidenten, verfügt über eine absolute Mehrheit im Parlament und stellt die Mehrheit der Mitglieder des Verfassungsgerichts (vgl. SFH, Die Lage in Togo, 9. April 2008, S. 5). Gerade die jüngsten Entwicklungen auf der Ebene der Regierung haben gezeigt, dass in Togo nach wie vor schnelle Veränderungen möglich sind und diese durchaus auch wieder in Richtung eines Machtzuwachses des RPT gehen können. [...] Seit dem 7. September 2008 ist Gilbert Houngbo Premierminister Togos. Seine Regierung wird im Parlament nur noch vom RPT getragen. Die Abgeordneten der größten Oppositionspartei UFC stimmten gegen ihn; die Abgeordneten der zweiten im Parlament vertretenen Oppositionspartei, des CAR, enthielten sich (http://de.wikipedia.org/wiki/Gilbert_Houngbo#cite_note-equipe-5 besucht am 4.12.2008). Nur noch zwei Mitglieder des neuen Kabinetts gehören nicht mehr dem RPT, sondern einer kleinen Oppositionspartei an (vgl. www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Laenderinformationen/01-Laender/Togo.html, besucht am 4.12.2008; www.auswaertigesamt.de/diplo/de/Laenderinformationen/Togo/Innenpolitik.html, besucht am 19.12.2008). Von einer Einbeziehung wichtiger Teile der ehemaligen Opposition in die Regierung kann also heute - anders als noch bei Veröffentlichung des Lageberichts des Auswärtigen Amtes vom 29. Januar 2008 (vgl. dort die S. 4 und 6) - nicht mehr die Rede sein. Hinzu kommt, dass die zivilen Behörden und das Parlament keine effektive Kontrolle über die Sicherheitskräfte und die paramilitärischen Milizen haben (vgl. U. S. Department of State, Lagebericht vom 11. März 2008, S. 1, S. 9; SFH, Die Lage in Togo, 9. April 2008, S. 8). [...] Die angekündigten Reformen des Justizapparates scheinen bisher noch keine greifbaren Ergebnisse gebracht zu haben (vgl. SFH, Die Lage in Togo, 9. April 2008, S. 10; Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29. Januar 2008, S. 6). Die gravierenden Menschenrechtsverletzungen der Vergangenheit wurden bislang nicht strafrechtlich aufgearbeitet (vgl. SFH, Die Lage in Togo, 9. April 2008, S. 8; ai Jahresbericht 2007 Togo; ai Report 2008 Togo; U.S. Department of State, Lagebericht vom 11. März 2008, S. 1 f.). Angesichts dessen kann – ungeachtet der wohl im Großen und Ganzen freien und fairen Parlamentswahlen von 2007 (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29. Januar 2008, S. 6; U.S. Department of State, Lagebericht vom 11. März 2008, S. 1; zu Kritik auch an dieser Wahl vgl. aber VG Hamburg, Gerichtsbescheid vom 4. Juli 2008 – 20 A 176/08 -, juris, S. 11 des UA) – noch nicht von einem tiefgreifenden und stabilen Regimewechsel gesprochen werden (so im Ergebnis auch VG Hamburg, Gerichtsbescheid vom 4. Juli 2008 – 20 A 176/08 -, juris; VG Hamburg, Urteil vom 16. Mai 2008, 20 A 75/08, juris; VG Hamburg, Urteil vom 14. April 2008, 20 A 419/07, juris; VG Freiburg, Urteil vom 26. Juni 2008, A 1 K2160/07, juris; VG Würzburg, Urteil vom 20. Mai 2008, W 1 K 08.30035, juris und VG Neustadt a. d. W., Urteil vom 27. März 2008, 2 K 1329/07.NW; VG Osnabrück, Urteil vom 20. November 2007, 5 A 209/07; a. A. VG Schwerin, Urteil vom 2. September 2008, 5 A 603/08 As; VG Schwerin, Urteil vom 19. August 2008, 5 A 510/08, juris; VG Schwerin, Urteil vom 27. Mai 2008, 5 A 229/08, juris; VG Schwerin, Urteil vom 8. Januar 2008, 5 A 763/07, juris; VG Schwerin, Urteil vom 5. Juni 2007, 5 A 750/06, juris; VG Osnabrück, Urteil vom 18. August 2008, 5 A 155/08; VG Osnabrück, Urteil vom 9. Juni 2008, 5 A 104/08, juris, VG München, Urteil vom 22. September 2008, M 25 K 08.50200).
Was die menschenrechtliche Lage angeht, so stellt sich diese zwiespältig dar: Trotz unbestreitbarer Verbesserungen bleiben wohl ernsthafte menschenrechtliche Probleme bestehen (U.S. Department of State, Lagebericht vom 11. März 2008, S. 1; ähnl. ai Report 2008 Togo).
Hinsichtlich der Einzelheiten ist die Erkenntnislage oft widersprüchlich.
Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 29. Januar 2008 wurden gezielte Übergriffe staatlicher Organe oder regierungsnaher Gruppen gegen Oppositionelle seit dem Beginn des "nationalen Dialogs" nicht mehr gemeldet. Oppositionsparteien, Medien, Gruppierungen der Zivilgesellschaft und Kirchen könnten frei agieren (S. 4). Die Printmedien befassten sich inzwischen mit allen politischen Fragen. Gezielte Übergriffe gegen Oppositionspolitiker und Journalisten seien 2006 und 2007 nicht bekannt geworden (S. 5 f.). Es soll gegenwärtig keine politischen Gefangenen geben (S. 8). Seit Beginn des nationalen Dialogs gebe es keine Beschwerden über politisch motivierte Festnahmen mit Folter oder Misshandlungen und keine Vorwürfe wegen extralegaler Tötungen mehr. Über die Festnahme von politischen Gegnern oder konstruierte Anklagen gegen diese gebe es keine Erkenntnisse (S. 10). Die togoischen Behörden seien "in der Regel" um korrekte Behandlung von Rückkehrern bemüht (S. 12).
Andere, nicht weniger vertrauenswürdige Quellen zeichnen dagegen ein kritischeres Bild. Sie berichten auch für die heutige Zeit noch von schweren Menschenrechtsverletzungen, wenngleich wohl in quantitativ weit geringerem Umfang als früher. Das Verbot willkürlicher Inhaftierung werde von der Regierung in der Praxis nicht immer respektiert; es gebe willkürliche und geheime Inhaftierungen (U. S. Department of State, Lagebericht vom 11. März 2008, S. 3). Anhänger der Opposition würden nach wie vor ohne Gerichtsverfahren in Haft gehalten (ai Jahresbericht 2007 Togo). Obwohl die Regierung die Existenz politischer Gefangener bestreite, seien auch 2007 noch immer einige im Jahre 2005 inhaftierte Regimekritiker ohne Prozess im Zentralgefängnis von Lomé und in einem Gefängnis in der Nähe von Kara inhaftiert gewesen (U. S. Department of State, Lagebericht vom 11. März 2008, S. 4 f.). Ferner seien 6 Oppositionspolitiker bzw. Millitärangehörige, die 2005 unter dem Verdacht, sie hätten einen Putsch geplant, verhaftet wurden, immer noch in Haft, ohne dass ein Prozess geplant sei (U. S. Department of State, Lagebericht vom 11. März 2008, S. 4 f.; SFH, Die Lage in Togo, 9. April 2008, S. 12). Auch nach den Wahlen sollen 2007 dutzende Personen inhaftiert worden und teilweise in Geheimgefängnisse des Militärs oder der RTP-Miliz gebracht worden sein (U. S. Department of State, Lagebericht vom 11. März 2008, S. 4 f.; SFH, Die Lage in Togo, 9. April 2008, S. 13). Das Recht auf freie Meinungsäußerung bleibe trotz der Reformen weiterhin eingeschränkt (ai Report 2008 Togo). Beschränkungen der Pressefreiheit durch die Regierung gebe es nach wie vor, vor allem in Bezug auf den Rundfunk. Journalisten praktizierten wegen der Erfahrungen, die sie in der Vergangenheit mit gewalttätigen Repressalien der Regierung gemacht haben, Selbstzensur. Gleichwohl gebe es eine lebendige unabhängige Printpresse. [...]
Einigkeit besteht in allen Erkenntnisquellen jedenfalls darüber, dass die Misshandlung von Gefangenen durch Sicherheitskräfte auch heute noch in Togo weit verbreitet ist. So heißt es im Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 29. Januar 2008, dass Festgenommene durch die Sicherheitskräfte geschlagen würden, käme auch heute noch immer wieder vor (S. 11). Auch eine unkorrekte Behandlung von rückkehrenden Asylbewerbern durch Sicherheitskräfte am Flughafen könne in Einzelfällen nicht ausgeschlossen werden (S. 12). Ai und das U.S. Außenministerium berichten in ihren Lageberichten ebenfalls über Misshandlung und Folterung von Gefangenen (vgl. ai-Jahresbericht 2007 Togo; ai Report 2008 Togo; U.S. Department of State, Lagebericht vom 11. März 2008, S. 1 f.). Der UN-Sonderberichterstatter für Folter habe bei einem Besuch in Togo einerseits die jüngsten Fortschritte hervorgehoben, aber auch seiner Besorgnis darüber Ausdruck gegeben, dass eine Vielzahl von Personen ohne eindeutige Rechtsgrundlage festgenommen und für lange Zeiträume unter extrem schlechten Bedingungen in Haft gehalten würde; Polizisten schlügen oftmals Häftlinge, um Geständnisse zu erpressen (ai Report 2008 Togo). Nach Angaben des U.S. Außenministeriums konnte der Sonderbeauftragte zwar Gefängnisse in Togo besuchen, im Militärlager von Kara wurden Mitglieder seiner Delegation aber von Soldaten beschimpft, bedroht und an einer Inspektion der Haftzellen des Lagers gehindert (U.S. Department of State, Lagebericht vom 11. März 2008, S. 3).
Aus den vorstehenden Erkenntnissen über die Menschenrechtslage in Togo ergibt sich, dass eine "beachtliche Wahrscheinlichkeit" politischer Verfolgung heute in vielen Fällen nicht mehr gegeben sein dürfte (so auch VG Hamburg, Gerichtsbescheid vom 4. Juli 2008 – 20 A 176/08 -, juris; VG Hamburg, Urteil vom 16. Mai 2008, 20 A 75/08, juris; VG Hamburg, Urteil vom 14. April 2008, 20 A 419/07, juris; VG Freiburg, Urteil vom 26. Juni 2008, A 1 K2160/07, juris). Dazu sind die Verfolgungshandlungen, über die heute noch teilweise berichtet wird, zu vereinzelt und die Erkenntnismittel zu widersprüchlich. Denn bei Anwendung des Maßstabs der "beachtlichen Wahrscheinlichkeit" muss feststehen, dass in Anbetracht aller Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Asylsuchenden Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. zu diesem Maßstab BVerwG, Urteil vom 15. März 1988, 9 C 278.86, BVerwGE 79, 143, 150).
In Fällen, in denen der herabgesetzte Wahrscheinlichkeitsmaßstab (hinreichende Sicherheit vor der Wiederholung der Verfolgung) zur Anwendung gelangt, werden dagegen häufig auch heute noch in Bezug auf Togo die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG bejaht werden müssen (so auch VG Hamburg, Gerichtsbescheid vom 4. Juli 2008 – 20 A 176/08 -, juris; VG Hamburg, Urteil vom 16. Mai 2008, 20 A 75/08, juris; VG Hamburg, Urteil vom 14. April 2008, 20 A 419/07, juris; VG Freiburg, Urteil vom 26. Juni 2008, A 1 K2160/07, juris). Denn hier ist es nicht erforderlich, dass eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit zweifelsfrei feststeht, sondern es reichen – wie Eingangs dargelegt - schon ernsthafte Zweifel an der Sicherheit vor Verfolgung aus. Zweifel und Widersprüche in der Erkenntnislage hinsichtlich der Frage, ob heute noch Verfolgung droht, gehen daher beim "Normalmaßstab" zu Lasten des Asylbewerbers, beim herabgesetzten Wahrscheinlichkeitsmaßstab dagegen zu seinen Gunsten. Die oben dargestellte Erkenntnislage zwingt zu der Feststellung, dass zwar einerseits viel dafür spricht, dass zurückkehrende Flüchtlinge meist nicht erneut verfolgt werden dürften, ihre Sicherheit vor Verfolgung aber andererseits auch nicht generell über jeden vernünftigen Zweifel erhaben ist.
Dies gilt jedenfalls im Falle des Klägers. [...]