VG München

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Zitieren als:
VG München, Urteil vom 15.01.2009 - M 8 K 08.50450 - asyl.net: M15202
https://www.asyl.net/rsdb/M15202
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung eines tamilischen Volkszugehörigen aus Sri Lanka wegen Gefahr der Zwangsrekrutierung durch die LTTE; keine inländische Fluchtalternative in Colombo, da Tamilien dort Verfolgung wegen des Generalverdachts der Unterstützung der LTTE droht.

 

Schlagwörter: Sri Lanka, Tamilen, Verfolgung durch Dritte, nichtstaatliche Verfolgung, LTTE, Karuna-Gruppe, Zwangsrekrutierung, Männer, interne Fluchtalternative, Colombo, Menschenrechtslage, Verdacht der Unterstützung, Anti-Terrorismus-Gesetz, Registrierung, Razzia
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Flüchtlingsanerkennung eines tamilischen Volkszugehörigen aus Sri Lanka wegen Gefahr der Zwangsrekrutierung durch die LTTE; keine inländische Fluchtalternative in Colombo, da Tamilien dort Verfolgung wegen des Generalverdachts der Unterstützung der LTTE droht.

(Leitsatz der Redaktion)

 

[...]

Der Kläger hat aber zur Überzeugung des Gerichts zum gegenwärtigen Zeitpunkt und in absehbarer Zukunft bezogen auf Sri Lanka einen Anspruch auf Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG. [...]

Mit dem im August 2005 wieder eingeführten und im Dezember 2006 verschärften Notstandsrecht haben sowohl die Vorwürfe über Folterungen bzw. Menschenrechtsverletzungen durch die staatlichen Sicherheitskräfte wieder erheblich zugenommen, als auch die Gefahr derartige Rechtsverletzungen durch militante tamilische Organisationen wie die LTTE zu erleiden.

[...] Auch Amnesty International (vgl. Auskunft an das VG Hannover vom 18.4.2007; AI-Jahresbericht 2007 Sri Lanka) dokumentiert eine massive Verschlechterung der Sicherheits- und Menschenrechtslage und beobachtet, dass es wieder zu ähnlichen Mustern von Menschenrechtsverletzungen komme wie vor dem Abschluss des Waffenstillstandsabkommens im Jahr 2002: Fälle von gewaltsamen Verschwindenlassen und Entführungen, willkürliche Festnahmen vor allem von tamilischen jungen Männern - eine Gruppe, der der Kläger angehört - Folter und Misshandlung in Polizeigewahrsam, politische Morde durch die LTTE und die Karuna-Gruppe, Rekrutierung von Kindersoldaten. Diese Menschenrechtsverletzungen geschehen in einer Atmosphäre der Straflosigkeit. Der Kläger muss daher bei einer Rückkehr in sein Heimatland gegenwärtigen, von LTTE-Mitgliedern - wie bereits nach seinem glaubhaften Vortrag schon einmal geschehen - gewaltsam als Soldat der LTTE rekrutiert zu werden und hierbei massive Menschenrechtsverletzungen zu erleiden.

2.2 Eine inländische Fluchtalternative besteht - im Gegensatz zu der Zeit vor dem am 16. Januar 2008 aufgekündigten und bereits vorher mehrfach verletzten Waffenstillstandsabkommen von 2002 - nicht mehr. Tamilische Volkszugehörige müssen hiernach auch in den übrigen Landesteilen insbesondere auch der Hauptstadt Colombo mit menschenrechtswidriger Behandlung rechnen. Da mit dem "Terrorism Prevention Act" vom Dezember 2006 die Unterstützung der LTTE erneut strafbar wurde, muss jeder, der in den Augen der Sicherheitsorgane der Nähe zur LTTE verdächtig ist, damit rechnen, verhaftet zu werden (Lagebericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Sri Lanka vom 6.10.2008 - Stand August 2008). Abgesehen davon, dass die Tamilen - nach dem oben genannten Lagebericht - grundsätzlich in eine Art Generalverdacht der Sicherheitskräfte geraten sind, besteht eine besondere Gefährdung junger wehrfähiger (männlicher) Tamilen, die eben auch im Visier der LTTE stehen. Auch nach der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (vgl. Bericht "Sri Lanka unter Notstandsrecht" vom Dezember 2007) besteht für Tamilen aus den LTTE-dominierten Gebieten ein erhöhtes Risiko festgenommen, misshandelt und gefoltert zu werden, wenn sie sich erstmals in den von der Regierung kontrollierten Gebieten niederlassen.

Aufgrund dieser dargestellten Verhältnisse kann nicht davon ausgegangen werden, dass für den Kläger bei einer Rückkehr über den Flughafen Colombo, der nach dem genannten Lagebericht, den Feststellungen von Amnesty International und der Schweizerischen Flüchtlingshilfe ebenfalls Ausgangspunkt für menschenrechtswidrige Polizeiaktionen ist, eine inländische Fluchtalternative besteht.

Dies gilt umso mehr, als nach dem glaubhaften Vorbringen in einem anderen, vom Gericht am gleichen Tage verhandelten Verfahren eines Asylbewerbers tamilischer Volkszugehörigkeit vorgetragen wurde, dass die Polizei in Colombo zwischenzeitlich sog. "Verlassensverfügungen" ausspreche und tamilische Volksangehörige insoweit in die Illegalität treibe. Andererseits berichtet die Schweizerische Flüchtlingshilfe, dass die Bewohner von tamilisch besiedelten Gegenden aufgefordert seien, sich bei der Polizei zu registrieren. Bei den darauf folgenden Großrazzien würden anhand der so erstellten Listen nicht registrierte Bewohner sofort festgenommen, wobei das Risiko im Polizeigewahrsam Opfer von Folter und Misshandlung zu werden sehr hoch sei. [...]