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VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Urteil vom 26.02.2009 - 11 K 5144/07.A - asyl.net: M15473
https://www.asyl.net/rsdb/M15473
Leitsatz:
Schlagwörter: Algerien, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Krankheit, Diabetes mellitus, medizinische Versorgung, Finanzierbarkeit, Krankenversicherung
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

[...]

In der Person des Klägers besteht aus gesundheitlichen Gründen ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. [...]

Zunächst wird der Kläger, der nach eigenen Angaben im Jahr 1992 Algerien verlassen hat, jedenfalls aber nachweislich seit 1996 sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhält, bei einer Rückkehr nach Algerien nicht gesetzlich krankenversichert sein (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Algerien vom 29. Januar 2008, S. 21).

Eine Wiederaufnahme des Klägers in die gesetzliche Krankenversicherung als Ehefrau oder Kind - zu den Altersgrenzen vgl. ACCORD, Anfragebeantwortung vom 28. August 2007 - scheidet aus. Es ist auch überwiegend wahrscheinlich, dass er den Krankenversicherungsschutz nicht durch unverzügliche Aufnahme einer versicherungspflichtigen Tätigkeit wird sicherstellen können. Zwar ist zunächst die Ausländerbehörde gehalten, einem in sein Heimatland zurückkehrenden Ausländer die zur Überwindung von Übergangsschwierigkeiten erforderlichen Medikamente für einen gewissen Zeitraum zur Verfügung zu stellen (BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 2002 - 1 C 1.02 -, DVBl. 2003, S. 463, 464; s. auch die Vorkehrungen für eine im Jahr 2008 geplante Abschiebung des Klägers, Bl. 762, 770a der Ausländerakte (Beiakte Heft 5)).

Der Kläger muss jedoch aufgrund der Besonderheiten der Diabeteserkrankung im Anschluss an den Übergangszeitraum eine lückenlose Versorgung mit Teststreifen und Insulin sicherstellen können, um schwerwiegende gesundheitliche Folgen abwehren zu

können. Unter- oder Nichtversorgung mit Insulin führt zu einer Überzuckerung bis hin zum sog. Diabetischen Koma (hyperglykämischer Schock), einer lebensbedrohlichen Komplikation (vgl. Der Brockhaus Gesundheit, 7. Auflage 2006, S. 277).

Es ist davon auszugehen, dass der heute 35 Jahre alte Kläger, der Algerien vor mehr als 12 Jahren verlassen hat, eine versicherungspflichtige Tätigkeit wegen der angespannten Lage des Arbeitsmarktes in Algerien nicht alsbald nach Rückkehr wird erreichen können. Denn er hat die Schule ohne Schulabschluss verlassen. Er verfügt weder über eine Berufsausbildung noch über sonstige berufliche, in den Jahren im Ausland erworbene maßgebliche Qualifikationen. Hinzu kommt, dass er durch seine psychische Erkrankung und die Erfordernisse seiner Diabeteserkrankung (4 x täglich Blutzuckermessen und Spritzen, siehe Bericht des Ambulanten Diabetes-Zentrum ... vom 13.03.2008, nach Bl. 792 der Ausländerakte/Beiakte Heft 5) am Arbeitsmarkt mit weiteren Nachteilen belastet ist.

Unter diesen Bedingungen ist es nahezu ausgeschlossen, dass der Kläger unverzüglich nach Rückkehr eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung finden wird. Die offizielle Arbeitslosenquote in Algerien beträgt 13,8 %, liegt unabhängigen Experten zufolge aber deutlich höher. Besonders jüngere Leute - mit denen der Kläger als Rückkehrer und "Neueinsteiger" um einen Arbeitsplatz konkurrieren müsste - haben Schwierigkeiten einen Arbeitsplatz zu finden. 70 % der Arbeitslosen sind unter 30 Jahre alt (vgl. Auswärtiges Amt, Länderinformationen: Algerien/Wirtschaft, www.auswaertiqes-amt.de: Auswärtiges Amt, Bericht die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Algerien vom 29. Januar 2008, S. 8: Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei rund 60 %).

Es spricht alles dafür, dass der Kläger die Kosten seiner medizinischen Versorgung auch nicht sonst aus eigenen Mitteln wird aufbringen können. Denn die Behandlung von Diabetes ist durch die Erfordernisse des täglichen Blutzuckermessens und der nachfolgenden Insulingabe sowie etwa erforderliche mehrtägige stationäre Aufenthalte - wie in den Jahren 2005 und 2007 erfolgt - extrem kostenintensiv. In Algerien lebt von den engeren Angehörigen aber nur noch der 74 Jahre alte Vater des Klägers. Dafür, dass dem Kläger trotz der bestehenden Erkrankungen der Abschluss einer privaten Krankenversicherung zu einem tragbaren, etwa mit Hilfe der in Italien lebenden Brüder aufzubringenden Preis möglich sein würde, ist - ungeachtet der Frage, ob in Algerien private Krankenversicherer überhaupt existieren - nichts erkennbar. [...]