VG Oldenburg

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VG Oldenburg, Urteil vom 22.04.2009 - 11 A 389/08 - asyl.net: M15692
https://www.asyl.net/rsdb/M15692
Leitsatz:

Hat ein Kind auf Grund einer nicht mehr anfechtbaren Vaterschaftsanerkennung gem. § 4 Abs. 3 StAG die deutsche Staatsangehörigkeit erworben, hat die Mutter einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG, auch wenn der Anerkennende nachweislich nicht der biologische Vater des Kindes ist. Eine Aufenthaltserlaubnis nach den Bestimmungen über den Familiennachzug ist im Hinblick auf § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG allerdings ausgeschlossen.

Muss die Sperrwirkung einer Ausweisung ausnahmsweise ohne Ausreise befristet werden (BVerwG, InfAuslR 2008, 71, 78) beginnt die Frist mit der Stellung des diesbezüglichen Antrages. Die Behörde darf bei der Bemessung der Frist berücksichtigen, dass von dem Ausländer eine Ausreise nicht verlangt wird.

 

Schlagwörter: D (A), Aufenthaltserlaubnis, Ausreisehindernis, Schutz von Ehe und Familie, deutsche Kinder, Eltern, Kinder, Vaterschaftsanerkennung, Scheinvaterschaft, Anfechtung, Anfechtungsfrist, allgemeine Erteilungsvoraussetzungen, atypischer Ausnahmefall, Visumsverfahren, Zumutbarkeit, Wirkungen der Ausweisung, Sperrwirkung, Befristung, Fristbeginn
Normen: AufenthG § 25 Abs. 5; GG Art. 6; StAG § 4 Abs. 1; AufenthG § 27 Abs. 1a Nr. 1; BGB § 1600 Abs. 1 Nr. 5; BGB § 1600b Abs. 1; AufenthG § 5 Abs. 1; AufenthG § 5 Abs. 2; AufenthG § 11 Abs. 1 S. 3
Auszüge:

Hat ein Kind auf Grund einer nicht mehr anfechtbaren Vaterschaftsanerkennung gem. § 4 Abs. 3 StAG die deutsche Staatsangehörigkeit erworben, hat die Mutter einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG, auch wenn der Anerkennende nachweislich nicht der biologische Vater des Kindes ist. Eine Aufenthaltserlaubnis nach den Bestimmungen über den Familiennachzug ist im Hinblick auf § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG allerdings ausgeschlossen.

Muss die Sperrwirkung einer Ausweisung ausnahmsweise ohne Ausreise befristet werden (BVerwG, InfAuslR 2008, 71, 78) beginnt die Frist mit der Stellung des diesbezüglichen Antrages. Die Behörde darf bei der Bemessung der Frist berücksichtigen, dass von dem Ausländer eine Ausreise nicht verlangt wird.

(Amtliche Leitsätze)

 

[...]

2. a. Die Klägerin zu 1) hat einen Anspruch darauf, dass ihr der Beklagte eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 5 AufenthG erteilt. [...]

Ein aus Art. 6 GG folgendes Ausreisehindernis ergibt sich hier deshalb, weil die im Jahre 2003 geborene Tochter der Klägerin zu 1) ... - wie der Beklagte nicht in Zweifel zieht - im Hinblick auf § 4 Abs. 3 StAG die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Zwar gewährt der grundrechtliche Schutz der Familie unmittelbar keinen Anspruch auf einen Aufenthalt im Bundesgebiet. Die Ausländerbehörde hat jedoch bei aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen die familiären Bindungen des Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Dieser verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zum Schutz der Familie entspricht ein Anspruch des Trägers des Grundrechts aus Art. 6 GG darauf, dass die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über den Aufenthalt seine Bindungen an im Bundesgebiet berechtigterweise lebende Familienangehörige angemessen berücksichtigen (vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 9. Januar 2009 - 2 BvR 1064/08 - InfAuslR 2009, 150 <151>). Hier kann die Klägerin zu 1) die familiäre Lebensgemeinschaft mit ... nur im Bundesgebiet führen. Denn einem minderjährigen deutschen Kind ist es nicht zuzumuten, das Bundesgebiet zu verlassen und seinen Aufenthalt im Ausland zu nehmen, um mit seinen Eltern zusammenleben zu können (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 8. Dezember 2008 a.a.O. m.w.N.).

Dass die deutsche Staatsangehörigkeit von ... auf einer nachweislich unzutreffenden Vaterschaftsanerkennung beruht, rechtfertigt eine abweichende Beurteilung nicht. Denn nach der Rechtsprechung der Kammer (vgl. Urteil der Kammer vom 16. April 2008 - 11 A 3178/06 - juris m.w.N.; Beschluss vom 2. März 2009 - 11 B 708/09 -) ist für deren Wirksamkeit unerheblich, ob sie inhaltlich richtig, d. h. der Anerkennende auch der biologische Vater des Kindes ist (vgl. auch: OVG Magdeburg, Beschluss vom 1. Oktober 2004 - 2 M 441/04 - InfAuslR 2006, 56; VGH Kassel, Beschluss vom 5. Juli 2005 - 9 UZ 364/05 - <juris>; OVG Koblenz, Urteil vom 6. März 2008 - 7 A 11276/07 - juris <Rn. 27>, OVG Hamburg, Beschluss vom 24. Oktober 2008 - 5 Bs 196/08 - InfAuslR 2009, 19 f.).

In der zivilgerichtlichen Rechtsprechung ist geklärt, dass die Vaterschaftsanerkennungserklärung "nur" (vgl. § 1598 Abs. 1 BGB) aus den in den §§ 1592 ff. BGB ausdrücklich genannten Gründen unwirksam sein kann. Die Einheit der Rechtsordnung spricht dafür, dies im Rahmen öffentlich-rechtlicher Vorschriften nicht abweichend zu beurteilen. Dem Gesetzgeber waren zudem die Missbrauchsmöglichkeiten bei Einbeziehung nichtehelicher Kinder in den § 4 RuStAG durch das Gesetz vom 30. Juni 1993 (BGBl. I S. 1262) bekannt. Dennoch hat der Gesetzgeber es damals als nicht vertretbar angesehen, im Staatsangehörigkeitsrecht andere Maßstäbe als im Familienrecht anzulegen (vgl. BT-Drs. 12/4450 S. 36). Die gegenteilige Auffassung (vgl. VGH Mannheim, Beschluss vom 3. März 2005 - 13 S 3035/04 - InfAuslR 2005, 258) überzeugt die Kammer nicht. Die insbesondere herangezogene Parallele zur sog. Scheinehe greift nicht, weil im Aufenthaltsrecht gerade nicht die Ehe und Familie als solche, sondern die eheliche bzw. familiäre Lebensgemeinschaft (§ 27 Abs. 1 AufenthG) geschützt ist. Der Staatsangehörigkeitserwerb nach § 4 StAG ist dagegen lediglich von der Geburt und der Vaterschaftsanerkennung durch einen bestimmten Personenkreis abhängig. Keine Voraussetzung ist, dass eine Lebensgemeinschaft zwischen dem Vater und dem Kind besteht. Der Gesetzgeber hat in § 27 Abs. 1 a Nr. 1 AufenthG im Falle eines lediglich aus aufenthaltsrechtlichen Gründen begründeten Verwandtschaftsverhältnisses nur das Aufenthaltsrecht der Mutter nach § 28 AufenthG ausgeschlossen (vgl. OVG Koblenz a.a.O. <Rn. 39 ff.>). Durch das Gesetz zur Ergänzung des Rechts zur Anfechtung der Vaterschaft vom 13. März 2008 (BGBl. I S. 313) wird die Auffassung des Gerichts bestätigt. Danach ist zum 1. Juni 2008 durch die Einfügung eines § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB ein Anfechtungsrecht einer von der Landesregierung durch Rechtsverordnung zu bestimmenden anfechtungsberechtigten Behörde begründet worden. Dieses behördlichen Anfechtungsrechts hätte es nicht bedurft, wenn inhaltlich unzutreffende Vaterschaftsanerkennungen ohnehin aufenthaltsrechtlich unbeachtlich wären. Der maßgeblichen Gesetzesbegründung lässt sich dementsprechend entnehmen, dass die behördliche Anfechtungsbefugnis gerade deshalb geschaffen wurde, weil auch bewusst wahrheitswidrige Vaterschaftsanerkennungen als wirksam gelten und daher staatsangehörigkeits- und aufenthaltsrechtliche Folgen haben (vgl. BT-Drs. 16/3291, S. 9 ff.).

Das Ausreisehindernis besteht auch dauerhaft. Wie der Beklagte einräumt, ist eine behördliche Anfechtung der Vaterschaft nicht mehr möglich, da die absolute Ausschlussfrist nach § 1600 b Abs. 1 a Satz 3 BGB abgelaufen ist. Diese wird auch durch die Übergangsregelung in Art. 229 § 16 EGBGB nicht berührt (vgl. BT-Drs a.a.O., S. 18).

Auch die Klägerin zu 1) kann die Vaterschaft des Herrn S. nicht mehr anfechten (§ 1600 b Abs. 1 BGB), so dass sie das Ausreisehindernis nicht (mehr) zu vertreten hat (§ 25 Abs. 5 Sätze 3 und 4 AufenthG).

Die sich aus § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG ergebende Sperrwirkung der Ausweisung der Klägerin zu 1) steht der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nicht entgegen. § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG sieht ausdrücklich vor, dass die Aufenthaltserlaubnis nach dieser Vorschrift "abweichend von § 11 AufenthG" erteilt werden kann. Dies bedeutet zwar nach der ständigen Rechtsprechung der Kammer (vgl. Beschluss vom 26. Oktober 2005 - 11 B 3935/05 -; Beschluss vom 16. April 2007 - 11 B 716/07 - <juris>; Urteil vom 11. Juli 2007 - 11 A 3062/05 -; Beschluss vom 17. Januar 2008 - 11 B 3595/07 -; Beschluss vom 21. Februar 2008 - 11 B 390/08 -; dieser bestätigt durch OVG Lüneburg, Beschluss vom 22. Februar 2008 - 9 ME 164/08 -; Beschluss vom 6. Juni 2008 - 11 B 1370/08 -) nicht, dass die Sperrwirkung in diesen Fällen regelmäßig außer Betracht bleiben müsste. Anderenfalls würde § 25 Abs. 5 AufenthG in einen Wertungswiderspruch zu § 11 AufenthG geraten, der in zahlreichen Fällen zur Umgehung deren Regelungen führte (vgl. Dienelt in: GK-AuslG, Stand: Juli 2001, Rdnr. 135.1 zu § 30). Hier ist jedoch ein Ausnahmefall gegeben. Die Klägerin zu 1) kann nämlich wegen der Betreuung ihrer deutschen Tochter auch nicht vorübergehend aus der Bundesrepublik Deutschland ausreisen; eine Betreuung insbesondere durch den Kläger zu 2) erscheint nicht möglich, da dieser ebenfalls ausgewiesen und vollziehbar ausreisepflichtig ist und sich an einem unbekannten Ort vor einer zwangsweisen Aufenthaltsbeendigung verbirgt. Die Ausweisung der Klägerin zu 1) erfolgte zudem bereits im Jahre 2001; die zu Grunde liegenden Straftaten wurden im Jahre 2000 begangen. Die seither feststellbaren Rechtsverstöße stehen im Zusammenhang mit der Sicherung des Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland.

Die allgemeinen (Regel-)Erteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG stehen nicht entgegen. Zwar ist der Lebensunterhalt der Kläger nicht durch eigene Erwerbstätigkeit gesichert (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG). Insoweit liegt im Hinblick auf Art. 6 GG jedoch ein atypischer Sonderfall vor, der das an sich ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regel beseitigt, weil - wie bereits ausgeführt - die Lebensgemeinschaft der Klägerin zu 1) mit ihrer deutschen Tochter nur im Bundesgebiet geführt werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. August 2008 - 1 C 32.07 - InfAuslR 2009, 8 <12> m.w.N.). Deshalb besteht auch in Bezug auf die vorliegenden Ausweisungsgründe (§ 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG) ein Ausnahmefall von der Regel des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. [...]

Zur Vermeidung weiterer Rechtsstreitigkeiten weist das Gericht darauf hin, dass die Klägerin zu 1) dauerhaft keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG haben wird. Zwar ist sie - wie ausgeführt - die sorgeberechtigte Mutter eines Kindes, welches die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug ist jedoch nach § 27 Abs. 1 a Nr. 1 AufenthG ausgeschlossen, weil das Verwandtschaftsverhältnis von M. zu Herrn S. ausschließlich zu dem Zweck begründet wurde, der Klägerin zu 1) den Familiennachzug zu ermöglichen. Seine Vaterschaftsanerkennung vom 22. April 2003 war nämlich wahrheitswidrig, da er nach dem Abstammungsgutachten vom 1. Februar 2005 nicht der biologische Vater des Kindes ist. Nach den insoweit überzeugenden Ausführungen im Urteil des Amtsgerichts Cloppenburg vom 7. Februar 2006 war der Klägerin zu 1) und Herrn S. dies auch bewusst. Dass sich Herr S. - wie vorgetragen wird und hier als richtig unterstellt wird - in gewisser Weise um M. kümmert, vermag insoweit eine andere Beurteilung nicht zu rechtfertigen.

b. Die Klägerin zu 1) hat auch einen Anspruch darauf, dass über ihren Antrag auf Befristung der Wirkungen ihrer Ausweisung erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts entschieden wird (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO). Sie kann allerdings nicht verlangen, dass eine Befristung mit sofortiger Wirkung erfolgt. [...]

Zunächst fehlt es nicht an einem Bescheidungsinteresse, weil die Klägerin zu 1) noch nicht aus der Bundesrepublik Deutschland ausgereist ist. Zwar beginnt die Frist grundsätzlich erst mit der Ausreise der Klägerin zu 1) zu laufen (§ 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG). Eine Einschränkung hinsichtlich des Entscheidungszeitpunktes lässt sich der Bestimmung indes nicht entnehmen. Der ausgewiesene Ausländer kann zudem schon vor der Ausreise die berechtigte Erwartung haben zu erfahren, wie lange er vom Bundesgebiet fernbleiben muss (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Mai 1980 - 1 C 82.76 - BVerwGE 60, 133 <138 f.>; VGH Mannheim, Beschluss vom 10. Januar 2007 - 11 S 2616/06 - InfAuslR 2007, 153 <154>; OVG Hamburg, Urteil vom 6. Mai 1993 - OVG Bf VII 10/93 - InfAuslR 1994, 229 <232>). [...]

Die Klägerin zu 1) kann verlangen, dass die Befristung abweichend von § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG ohne Ausreise erfolgt. Dies ist in begründeten Ausnahmefällen geboten, wenn höherrangiges Recht hierzu zwingt (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. September 2007 a.a.O., S. 75; Urteil vom 7. Dezember 1999 - 1 C 13.99 - BVerwGE 110, 140 <150 f.>). Die Klägerin zu 1) muss sich - wie ausgeführt - um ihre deutsche Tochter kümmern, so dass ihr eine Ausreise mit Rücksicht auf den grundrechtlichen Familienschutz nicht zuzumuten ist.

Die festzusetzende Frist beginnt danach mit der Stellung des diesbezüglichen Antrages der Klägerin zu 1) am 15. Januar 2008. Bei deren Bemessung ist es nach der Rechtsprechung der Kammer und des Nds. Oberverwaltungsgerichts (Urteil vom 24. April 2008 - 11 LB 15/08 - <juris>; Beschluss vom 14. März 2001 - 11 LA 565/01 - InfAuslR 2001, 280) grundsätzlich nicht zu beanstanden, sich an den Vorgaben der Nr. 11.1.5.1 der Vorl. Nds.VV zum AufenthG (Stand: 31. Juli 2008) zu orientieren. Danach ist bei der Ermessensausweisung grundsätzlich eine Frist von drei Jahren angemessen. Eine Verkürzung um bis zu zwei Jahre ist allerdings unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalles möglich. Dabei muss der Beklagte trotz der familiären Bindungen der Klägerin zu 1) zu ihrer deutschen Tochter, die (nunmehr) einen besonderen Ausweisungsschutz begründen (§ 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG), diese Möglichkeit hier nicht bzw. nicht vollständig ausschöpfen, sondern darf berücksichtigen, dass sie nach den obigen Ausführungen (ausnahmsweise) eine Befristung der Wirkungen der Ausweisung ohne Ausreise verlangen kann. [...]