OLG München

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Zitieren als:
OLG München, Beschluss vom 17.11.2009 - 31 Wx 105/09 - asyl.net: M16209
https://www.asyl.net/rsdb/M16209
Leitsatz:

Die angeordnete Vormundschaft erlischt, da nach deutschem und (nun auch) sierra-leonischem Recht die Volljährigkeit mit Vollendung des 18. Lebensjahrs eintritt.

Schlagwörter: Vormundschaft, Volljährigkeit, Sierra Leone, Haager Minderjährigenschutzabkommen
Normen: MSA Art. 12, EGBGB Art. 7, EGBGB Art. 24
Auszüge:

[...]

3. Die Entscheidung des Landgerichts erweist sich jedoch aus anderen Gründen als richtig. Dabei kann offen bleiben, ob im vorliegenden Fall die Genfer Flüchtlingskonvention anwendbar ist, deren Kollisionsnorm (Art. 12) auf das Recht des Landes des Wohnsitzes verweist, was hier das deutsche Recht wäre. Denn auch nach sierra-leonischem Recht wird seit der Gesetzesreform von 2007 eine über 18 Jahre alte Person als volljährig behandelt und nicht allein ihres Alters wegen unter Vormundschaft gestellt. Das ergibt sich aus der Zusammenschau folgender sierra-leonischer Gesetze:

Der Child Rights Act von 2007, Sec. 2, definiert "Kind" als eine unter 18 Jahre alte Person. Durch dieses Gesetz, das die UN-Konvention über die Rechte des Kindes sowie die Afrikanische Charta über die Rechte und Wohlfahrt des Kindes in das innerstaatliche Recht umgesetzt hat, wurde auch die Altersgrenze in verschiedenen anderen Gesetzen entsprechend angeglichen und auf 18 Jahre herabgesetzt (vgl. Sec. 141: Protection of Women and Girls Act, Children and Young Persons Act, Muslim Marriage Act, Interpretation Act etc.). Im Refugees Protection Act von 2007 - einem Gesetz, das dem Schutz von Flüchtlingen dient - wird "minor", also Minderjähriger, als eine Person unter 18 Jahren definiert (Sec. 1). Das Heiratsalter ohne Zustimmung der Eltern ist auf 18 Jahre festgesetzt (vgl. The Registration of Customary Marriage and Divorce Act, 2007). Das Wahlrecht ist in der Verfassung an die Altersgrenze von 18 Jahren geknüpft, im Adoptionsrecht gibt es eine Altersgrenze von 17 Jahren (Adoption Act von 1989). In der Gesamtschau kann das nur heißen, dass die sierra-leonische Rechtsordnung eine über 18 Jahre alte Person nicht in einem solchen Maße als schutzbedürftig ansieht, dass sie allein aus Gründen des Alters eines Vormunds bedarf oder eine vor der Vollendung des 18. Lebensjahres angeordnete Vormundschaft fortdauern müsste. Im hier erörterten Zusammenhang, in dem es um die Schutzbedürftigkeit von unbegleiteten jungen Erwachsenen im Rahmen der Flüchtlingsproblematik geht, kommt dabei - neben den allgemeinen Schutznormen für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene - dem oben schon genannten sierra-leonischen Flüchtlingsrecht besondere Bedeutung zu. Da das innerstaatliche Recht von Sierra Leone nur Flüchtlinge, die unter 18 Jahre alt sind, als minderjährig behandelt, kann bei Maßgeblichkeit des sierra-leonischen innerstaatlichen Rechts auf den hier gegebenen Sachverhalt eines sierra-leonischen Flüchtlings in Deutschland kein anderer Maßstab gelten.

Der Senat hält dieses Ergebnis für so eindeutig, dass es der Erholung einer Rechtsauskunft offizieller Stellen von Sierra Leone oder eines Gutachtens einer wissenschaftlichen Institution für ausländisches Privatrecht, wie beantragt, nicht bedarf. Der hier gewonnenen Erkenntnis steht insbesondere auch nicht der Citizenship Act von 1973 entgegen, wonach für Zwecke des Staatsangehörigkeitsrechts eine Volljährigkeit erst mit 21 Jahren zugrunde gelegt wird (eine Vorschrift, die durch die Gesetzesreform von 2007 nicht geändert wurde). Ein Auseinanderfallen zwischen allgemein-zivilrechtlicher Volljährigkeit mit 18 Jahren und einer höheren Altersgrenze im Staatsangehörigkeitsrecht ist wegen der unterschiedlichen gesetzgeberischen Zielsetzung nicht ungewöhnlich. Aus Vorschriften des Child Rights Act wie Sec. 96, 97, 106 und 108, auf welche die weitere Beschwerde verweist, ergibt sich ebenfalls nichts Gegenteiliges. [...]