VG Göttingen

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Zitieren als:
VG Göttingen, Beschluss vom 22.03.2010 - 2 B 111/10 - asyl.net: M16851
https://www.asyl.net/rsdb/M16851
Leitsatz:

Rechtliches Abschiebungshindernis nach § 1685 BGB wegen Umgangs mit deutschen Kind unter Bezugnahme auf OVG Hamburg (Beschluss v. 17.6.08, M13840).

Schlagwörter: Schutz von Ehe und Familie, Kindeswohl, deutsches Kind, Abschiebungshindernis, inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis, Umgangsrecht, Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, Freizügigkeitsrecht für Deutsche, Verhältnismäßigkeit, rechtliche Unmöglichkeit, Abschiebung, Handlungsfreiheit, Elternrecht
Normen: GG Art. 2 Abs. 1, BGB § 1685, GG Art. 11, AufenthG § 60a Abs. 2 S. 1, GG Art. 6 Abs. 2 S. 1
Auszüge:

[...]

Die Kammer kann in diesem Verfahren dahingestellt sein lassen, ob diese "de facto-Vaterschaft" verfassungsrechtlich über Art. 6 Abs. 1 GG abgesichert ist (verneinend z.B. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 22.11.2006 - 13 S 2157/06 -, AuAS 2007, 38). Bejahte man diese Frage, könnte das zur Folge haben, dass eine Ausnahme von den Regelversagungsgründen des § 5 AufenthG in Betracht käme. Sie kann auch offen lassen, ob im Rahmen des Art. 8 EMRK andere rechtliche Erwägungen eine Rolle spielen (vgl. hierzu Nds. Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 23.06.2008 - 7 ME 58/08 -, zitiert nach juris) und wie sich dies ggf. auf das Klagebegehren des Antragstellers auf Verlängerung seines Aufenthaltstitels auswirkt. Denn jedenfalls folgt aus § 1685 Abs. 2 BGB ein rechtliches Abschiebungshindernis. Eine Abschiebung des Antragstellers würde einen unverhältnismäßigen Eingriff in sein Recht aus Art. 2 Abs. 1 GG darstellen. Die Kammer folgt insoweit dem OVG Hamburg, das in seinem Beschluss vom 17.06.2008 - 4 Bs 76/08 -, AuAS 2009, 48 ausgeführt hat: [...]

"Es spricht viel dafür, dass mit der Abschiebung die Handlungsfreiheit des Antragstellers nach diesen Maßstäben in einer Weise eingeschränkt wird, die dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht mehr entspricht. Seine Handlungsfreiheit umfasst das Recht, mit dem jetzt knapp 13 Jahre alten A. in Deutschland Umgang zu pflegen. Der Antragsteller hat glaubhaft gemacht, dass ihm dieses Umgangsrecht zusteht. Es ergibt sich aus § 1685 Abs. 1 und 2 BGB. Danach haben enge Bezugspersonen des Kindes ein Recht auf Umgang mit dem Kind, wenn sie für das Kind tatsächliche Verantwortung tragen oder getragen haben und wenn der Umgang dem Wohl des Kindes dient. Wie sogar das nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG geschützte Elternrecht ist dieses Umgangsrecht auf das Kindeswohl ausgerichtet und deshalb ein Recht im Interesse des Kindes (zu Art. 6: BVerfG, Urt. v. 1.4.2008, NJW 2008, 1287). Nach gegenwärtigem Erkenntnisstand ist davon auszugehen, dass diese Voraussetzungen vorliegen. Auf die vom VGH Mannheim aufgeworfene (und verneinte) Frage, ob sich aus § 1685 Abs. 2 BGB ein rechtliches Abschiebungshindernis ergeben könne (Beschl. v. 22.11.2006, AuAS 2007, 38), kommt es bei einer Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht an.

Bei der Bewertung, ob die Abschiebung in unverhältnismäßiger Weise dieses Recht auf Umgang einschränkt, ist ebenfalls das Kindeswohl zu berücksichtigen, dem das Umgangsrecht entscheidend dient. Je stärker das Wohl des Kindes von diesem Umgang abhängt, desto gewichtiger müssen die Gründe sein. die es rechtfertigen, das Kindeswohl gleichwohl zurücktreten zu lassen. Angesichts der herausragenden Bedeutung, die der Umgang des Kindes mit seinen Eltern für seine Entwicklung hat (vgl. BVerfG, Urt. v. 1.4.2008, NJW 2008, 1287. juris Rn. 79 und 85), dürfte im Regelfall von einer erheblichen Gefahr für das Kindeswohl beim Abbruch des Umgangs auszugehen sein.

Das Argument der Antragsgegnerin, die Ehe des Antragstellers mit seiner vietnamesischen Frau und deren deutschem Kind könne, ohne dass das Kind Schaden nähme, auch in Vietnam geführt werden, verfängt aus Rechtsgründen nicht. Als Deutsche hat die Tochter der Ehefrau des Antragstellers das Recht, sich in Deutschland aufzuhalten. Dieses Recht übt ihre sorgeberechtigte Mutter für sie aus. Wenn diese im Rahmen der Personensorge den Aufenthalt in Deutschland bestimmt, ist die Antragsgegnerin hieran gebunden und darf ihren ausländerrechtlichen Überlegungen nicht einen fiktiven Sachverhalt zugrunde legen (vgl. auch Beschluss der 4. Kammer des Gerichts vom 14.02.2008 - 4 B 33/08 -, ebenfalls die Antragsgegnerin betreffend). Insofern unterscheidet sich die Rechtslage hier von derjenigen, die dem von der Antragsgegnerin herangezogenen Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (vom 30.04.2009 - 1 C 3/08 -, AuAS 2009. 194) zugrunde lag. Denn dort bestand die Familie ausschließlich aus Ausländern im Sinne von § 2 Abs. 1 AufenthG. [...]