SG Münster

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Zitieren als:
SG Münster, Urteil vom 12.04.2010 - S 12 AY 89/09 - asyl.net: M16956
https://www.asyl.net/rsdb/M16956
Leitsatz:

Die Nachzahlung bei rechtswidrig gewährten Leistungen nach § 3 AsylbLG statt der zustehenden Leistungen nach § 2 AsylbLG umfasst nicht den vollen Differenzbetrag.

Entsprechend § 12 Abs. 2 Nr. 4 SGB II wird für die Deckung einmaliger Bedarfe ein Ansparbetrag von maximal 750,- EUR benötigt. Denn es würde der Zielsetzung des AsylbLG, leistungsrechtliche Anreize für einen weiteren Verbleib in der Bundesrepublik Deutschland abzubauen, entgegenstehen, über § 44 SGB X für Bedarfe, die in der Vergangenheit entstanden sind, mehr als den jetzt noch gegenwärtigen Bedarf an Leistungen zu gewähren. Eine Gewährung der vollen Differenz würde letztlich auf eine Entschädigung für vorenthaltene Leistungen hinauslaufen und entgegen der Zielsetzungen des AsylbLG dazu führen, dass über die Regelung des § 44 Abs. 4 SGB X Beträge in einer Höhe nachbewilligt würden, die bei rechtmäßiger Hilfegewährung nicht hätten angespart werden können. Eine über den Ansparbetrag von 750,- EUR hinausgehende Leistung für die Vergangenheit kommt nur dann in Betracht, wenn der Betroffene in der Vergangenheit mit Hilfe von Dritten den hier geltend gemachten Bedarf gedeckt hat und entsprechende Schulden nachweisen kann. Ein Anspruch auf Verzinsung der Nachzahlungsbeträge besteht nicht, da § 44 SGB I auf Leistungsansprüche nach dem AsylbLG nicht anwendbar ist.

Schlagwörter: Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, Asylbewerberleistungsgesetz, Duldung, Sozialhilfenachzahlung, SGB XII, Analogleistungen, Aktualitätsgrundsatz, Überprüfungsantrag, Ansparbetrag, Schongrenze, Zinsen
Normen: AsylbLG § 3, AsylbLG § 2 Abs. 1, SGB X § 44, SGB III § 330 Abs. 1, SGB II § 40 Abs. 1 Nr. 1, SGB II § 12 Abs. 2 Nr. 4, SGB XII § 90 Abs. 2 Nr. 9, SGB I § 44
Auszüge:

[...]

Die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 SGB X liegen hier vor. Denn bei Erlass der für die Zeit vom 01.01.2005 bis zum 31.01.2009 bestandskräftig ergangenen Verwaltungsakte wurde das Recht unrichtig angewandt.

Die Beklagte gewährte der Klägerin für den gesamten streitbefangenen Zeitraum Leistungen gem. § 3 AsylbLG. Die Klägerin hatte aber im streitbefangenen Zeitraum einen Anspruch auf die Gewährung von Leistungen gem. § 2 AsylbLG. Nach dieser Regelung ist abweichend von den §§ 3 bis 7 das Zwölfte Sozialgesetzbuch (SGB XII) auf diejenigen Leistungsberechtigten anzuwenden, die über eine Dauer von insgesamt 36 Monaten bzw. ab dem 28.08.2007 über eine Dauer von insgesamt 48 Monaten Leistungen nach § 3 AsylbLG erhalten haben und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben.

Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die Klägerin gehört zum leistungsberechtigten Personenkreis des § 1 AsylbLG. Die Beklagte gewährte der Klägerin auch bis zum 31.12.2004 bereits mehr als 48 Monate Leistungen gem. § 3 AsylbLG. Schließlich hat die Klägerin ihren Aufenthalt nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst. Hiervon gehen die Beteiligten unstreitig aus. Die Klägerin wurde seit ihrer Einreise in die Bundesrepublik geduldet. Anhaltspunkte dafür, dass die fortlaufende Duldung der Klägerin darauf beruht, dass diese ihren Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland rechtsmissbräuchlich beeinflusst hat, bestehen nicht. Dazu reicht es nach der Rechtsprechung des BSG nicht aus, dass der Ausländer die Möglichkeit hatte, die Bundesrepublik Deutschland freiwillig zu verlassen. Vielmehr setzt der Rechtsmissbrauch im Sinne des § 2 AsylbLG ein auf die Aufenthaltsverlängerung zielendes vorsätzliches, sozialwidriges Verhalten, d.h. im Einzelfall unentschuldbares Verhalten voraus (vgl. BSG, Urteil vom 17.06.2008, B 8 /9b AY 1/07 R). Ein derartiges Verhalten der Klägerin lässt sich hier nicht feststellen.

Die Klägerin hatte mithin seit dem 01.01.2005 einen Anspruch auf die Gewährung von Leistungen nach § 2 AsylbLG. [...]

Ein Anspruch auf die Rücknahme eines bestandskräftigen Verwaltungsakts für die Vergangenheit und die nachträgliche Erbringung von Sozialleistungen besteht allerdings nur "nach den Vorschriften der besonderen Teile des Gesetzbuchs". Es muss also den Besonderheiten des jeweiligen Leistungsrechts Rechnung getragen werden. Im Bereich des Asylbewerberleistungsrechts ist insoweit zu berücksichtigen, dass diese Leistungen nur der Behebung einer gegenwärtigen Notlage dienen und nicht als nachträgliche Geldleistungen ausgestaltet sind. Insoweit gilt nichts anderes als im Sozialhilferecht (vgl. dazu: BSG, Urteil vom 29.09.2009, B 8 SO 16/08 R, mit weiteren Nachweisen). Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass das Asylbewerberleistungsgesetz mit dem Ziel eingeführt wurde, ein eigenes Leistungsgesetz für solche Ausländer zu schaffen, die sich in aller Regel nur vorübergehend und mit einem ausländerrechtlich nicht gefestigten Status in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Das Bundessozialhilfegesetz, dessen Ziel es war, ein existentiell gesichertes und sozial integriertes Leben in der Bundesrepublik Deutschland zu ermöglichen, sollte auf die Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG nicht mehr angewendet werden. Dadurch sollten auch die leistungsrechtlichen Anreize für einen weiteren Verbleib in der Bundesrepublik Deutschland abgebaut werden (vgl. Gesetzesbegründung, BT-Drucksache 12/4451). Dieser – auch heute noch bestehenden – Zielsetzung des AsylbLG würde es entgegenstehen, über § 44 SGB X für Bedarfe, die in der Vergangenheit entstanden sind, mehr als den jetzt noch gegenwärtigen Bedarf an Leistungen zu gewähren. Die Regelung des § 2 AsylbLG war wegen einer entsprechenden Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie und Senioren in das AsylbLG 1993 aufgenommen worden und verfolgte das Ziel, nach einem längeren Aufenthalt in der Bundesrepublik die Integration des Ausländers in die hiesigen Lebensverhältnisse zu fördern (vgl. BT-Drucksache 12/5008, S. 15). Dieses Ziel verfolgt die Gewährung höherer Leistungen nach § 2 AsylbLG bis heute. Dieses Ziel gebietet es nicht, über § 44 Abs. 4 SGB X für die Vergangenheit selbst dann noch Leistungen zu gewähren, wenn der Bedarf an diesen Leistungen nicht mehr gegenwärtig bzw. aktuell ist. Denn die Integration eines Leistungsberechtigten lässt sich für die Vergangenheit durch derartige Leistungen nicht mehr herstellen.

Ausgehend hiervon besteht ein Anspruch auf die Gewährung von Leistungen nach § 44 Abs. 1 und 4 SGB X in Verbindung mit § 2 AsylbLG nur insoweit, als der Leistungsberechtigte dieser Leistungen gegenwärtig noch bedarf. Geltend gemacht wird hier der volle Differenzbetrag zwischen dem Wert der nach § 3 AsylbLG gewährten Grundleistungen und den Regelsatzleistungen nach dem SGB XII. Dies macht im Falle der Klägerin einen Betrag in Höhe von 120,03 EUR monatlich für die Zeit vom 01.01.2005 bis zum 30.06.2007, in Höhe von 122,03 EUR für die Zeit vom 01.07.1007 bis zum 30.06.2008 und in Höhe von 126,03 EUR für die Zeit ab dem 01.07.2008 aus. Die Klägerin ist auf die Nachzahlung der vollen Differenz der Grundleistungen nach § 3 AsylbLG zu den Leistungen nach § 2 AsylbLG gegenwärtig nicht mehr angewiesen.

Das BSG hat in seinem Urteil vom 17.06.2008, B 8 AY 5/07 R, zur Höhe des Nachzahlungsbetrags Folgendes ausgeführt: Höhere Leistungen sind nur gerechtfertigt, wenn die den Klägern nach §§ 3 ff. AsylbLG gewährten Leistungen der Höhe nach niedriger sind als die Leistungen, die ihnen nach dem SGB XII zugestanden hätten. Bei dem erforderlichen Vergleich ist ohne Bedeutung, ob den Klägern nach den §§ 3 ff. AsylbLG Einmalleistungen gewährt wurden, die bei entsprechender Anwendung des SGB XII als Pauschalleistungen abgegolten würden. Andererseits ist zu beachten, dass ggf. Bedarfe, die durch das SGB XII hätten gedeckt werden müssen, mittlerweile entfallen sein könnten. Leistungen nach §§ 3 ff AsylbLG, die durch das SGB XII nicht gedeckt werden, sind demgegenüber nicht in die Vergleichsberechnung mit einzubeziehen. Dies gilt beispielsweise für die Krankenbehandlung nach § 4 AsylbLG (wird näher ausgeführt).

Unter Berücksichtigung dieser Urteilsgründe scheint es nahe zu liegen, eine Differenzberechnung zwischen den nach §§ 3 ff AsylbLG zur Deckung des notwendigen Lebensunterhalts gewährten Leistungen und den Leistungen in entsprechender Anwendung des SGB XII durchzuführen, d.h. die der Klägerin gewährten Grundleistungen zuzüglich der einmaligen Hilfeleistungen, insbesondere unter Anwendung des § 6 AsylbLG, von den Regelsatzleistungen nach dem SGB XII abzuziehen. Hierzu neigt offenbar auch das BSG, wenn es in dem o.a. Urteil vom 29.09.2009 zum Sozialhilferecht ausführt, dass es bei pauschalierten Leistungen, die – wie der Regelsatz – typisierend von einer Bedarfsdeckung ausgehen und nicht nur die Höhe des nachzuweisenden Bedarfs typisierend pauschalieren, nicht des Nachweises anderweitiger Bedarfsdeckung bedürfe, wenn sie nicht nur der Befriedigung eins aktuellen, sondern auch eines zukünftigen und vergangenen Bedarfs dienen. Diese Pauschalen würden daher nicht an der von der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung angenommenen "Existenzschwäche" des Sozialhilfeanspruchs teilnehmen und seien bei fortdauernder Bedürftigkeit im Rahmen des § 44 Abs. 4 SGB X nachzuzahlen.

Andererseits enthält das o.a. Urteil des BSG vom 17.06.2008, B 8 R 5/07 R, die Einschränkung, dass nicht mehr bestehende Bedarfe nicht mehr zu decken zu seien. Da die Grundleistungen nach § 3 Abs. 2 AsylbLG der Höhe nach deutlich von der Regelsatzleistung nach dem SGB XII differieren, macht diese Einschränkung nur Sinn, wenn das BSG letztlich eine einschränkende Nachzahlung der Regelsatzleistungen ins Auge gefasst hatte. Denn neben den Grundleistungen nach § 3 AsylbLG werden sonstige Leistungen zum Lebensunterhalt nur in eng begrenzten Ausnahmefällen gewährt (vgl. dazu die Regelung des § 6 AsylbLG). Regelmäßig werden die Grundleistungen nach § 3 AsylbLG und etwaige sonstige Leistungen nach § 6 AsylbLG daher nicht die Regelsatzhöhe des SGB XII erreichen sondern weit darunter bleiben.

Die Klägerin beruft sich im Wesentlichen darauf, die Beklagte habe ihr die Leistungen nach § 2 AsylbLG über den hier streitbefangenen Zeitraum rechtswidrig vorenthalten. Die Begründung für die Nachzahlung des vollen Differenzbetrags läuft damit im Wesentlichen darauf hinaus, dass es der Klägerin um einen Schadensersatz für ein rechtswidrig vorenthaltenes höheres Lebensniveau als das des § 3 AsylbLG geht. Die nach § 44 SGB X nachträglich zu erbringende Leistung soll aber unter Berücksichtigung des Gegenwärtigkeits- bzw. Aktualitätsgrundsatzes des AsylbLG keine Entschädigungsleistung darstellen, sondern der Deckung des aus der Vergangenheit noch vorhandenen Bedarfs bzw. des Surrogats dieses Bedarfs dienen (vgl. BSG, o.a. Urteil vom 29.09.2009). Auch die Ausführungen der Klägerin zu der Verfassungswidrigkeit des § 3 AsylbLG führen zu keinem anderen Ergebnis. Selbst wenn die Leistungen nach § 3 AsylbLG für die Zeit ab dem 01.01.2005 nicht existenzsichernd gewesen sein sollten, hat dies nicht zur Folge, dass die Differenz zwischen den bislang gewährten Leistungen und den hier beanspruchten Leistungen nach § 2 AsylbLG ein gegenwärtig noch vorhandener Bedarf wäre.

Ausgehend von diesen Überlegungen besteht nach Überzeugung der Kammer trotz der pauschalierten Regelsatzleistungen kein Anspruch auf Nachzahlung der vollen Differenz zwischen dem Wert der nach § 3 AsylbLG und gegebenenfalls weiteren zum Lebensunterhalt gewährten Leistungen (insbesondere unter Anwendung des § 6 AsylbLG) zu den Regelsatzleistungen nach dem SGB XII.

Die Regelsatzleistungen nach dem SGB XII sollen zwar pauschal den notwendigen Lebensunterhalt im Sinne des SGB XII abdecken. Insoweit gilt nichts anderes als bei den Regelleistungen nach dem SGB II, weil beide Leistungen auf dem gleichen Berechnungsmodus nach dem Statistikmodell beruhen. Dem Statistikmodell liegt dabei die Überlegung zugrunde, dass der individuelle Bedarf eines Hilfesuchenden in einzelnen Ausgabepositionen vom durchschnittlichen Verbrauch abweichen kann, der Gesamtbetrag der Regelleistung es aber ermöglicht, einen überdurchschnittlichen Verbrauch in einer Position durch einen unterdurchschnittlichen Verbrauch in einer anderen auszugleichen (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010, 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09). Dies allein rechtfertigt es indessen nicht, bei einer Nachzahlung von Hilfeleistungen gem. § 44 Abs. 4 SGB X Regelsatzleistungen pauschal in voller Höhe bzw. – wie hier – in Höhe des Differenzbetrags zwischen den Leistungen nach § 3 AsylbLG und denen nach § 2 AsylbLG nachzugewähren. Denn die Gewährung des vollen Differenzbetrags würde letztlich auf eine Entschädigung des Hilfesuchenden für vorenthaltene Leistungen hinauslaufen und im Übrigen in einer Vielzahl von Fällen dazu führen, dass dem Hilfesuchenden über die Regelung des § 44 Abs. 4 SGB X Beträge in einer Höhe nachbewilligt würden, die er bei rechtmäßiger Hilfegewährung von vornherein nicht hätte ansparen können. Derartiges ist mit den Zielsetzungen der Leistungen nach dem AsylbLG nicht vereinbar. Denn die Leistungen nach § 2 AsylbLG sollen zwar die Integration des Leistungsberechtigten fördern, d.h. ihm Lebensverhältnisse ermöglichen, die denen der übrigen Sozialhilfeempfänger zumindest nahe kommen. Bei einer nachträglichen Gewährung von Leistungen nach § 2 AsylbLG kann dieses Ziel nicht mehr für die Vergangenheit erreicht werden. Die Lebensverhältnisse des Berechtigten können allenfalls durch die nachträgliche Erbringung von Leistungen den Lebensverhältnissen desjenigen Ausländers, der von vornherein Leistungen nach § 2 AsylbLG bezogen hat, insoweit gleichgestellt werden, als dem Berechtigten ein Ansparvermögen zugebilligt wird. Denn allenfalls insoweit kann ein noch gegenwärtiger Bedarf an den pauschalierten Regelsatzleistungen bestehen.

Die Höhe des zuzubilligenden Ansparvermögens ist dabei in Anbetracht der pauschalierten Deckung des Lebensunterhalts durch die Regelsätze des SGB XII ebenfalls pauschal festzusetzen.

Seit dem 01.01.2005 wird der notwendige Lebensunterhalt bis auf gesetzlich definierte Sonderbedarfe und die Kosten der Unterkunft und Heizung pauschal durch die Regelsatzleistungen abgedeckt. Bis zum 31.12.2004 wurden neben den Regelsatzleistungen zusätzliche einmalige Leistungen für die Bedarfe des notwendigen Lebensunterhalts erbracht, die durch die Regelsatzleistungen nicht gedeckt waren. Aus der Gesetzesbegründung zum SGB XII (BT-Drucksache 15/1514, S. 59) ergibt sich dabei, dass der Hilfeempfänger durch die Regelungen des SGB XII in die Lage versetzt werden sollte, einen Teil der Regelsatzleistungen anzusparen, um diesen Ansparbetrag dann für etwaige einmalige Bedarfslagen (z.B. Bekleidung, Ersatzbeschaffung von Hausrat und Mobiliar) zu verwenden. Die Regelsatzleistungen nach dem SGB XII setzen sich also unter Berücksichtigung der Gesetzesbegründung aus dem pauschalierten laufenden Regelsatzbedarf und dem pauschalierten Bedarf an einmaligen Leistungen zusammen.

Wie das Bundesverfassungsgericht in dem o.a. Urteil vom 09.02.2010 zu den Regelleistungen nach dem SGB II, die der Höhe nach zumindest den Regelsatzleistungen für das Land Nordrhein-Westfalen entsprechen, feststellte, ist die Festsetzung der Höhe der ab dem 01.01.2005 geltenden Regelleistungen nicht verfassungsgemäß erfolgt bzw. nicht nachvollziehbar begründet. Insbesondere die in einigen Abteilungen vorgenommen Abschläge lassen sich nicht nachvollziehen, sondern sollen willkürlich sein. Gleichwohl (oder auch gerade deshalb) ist es aus der Sicht des Gerichts möglich, die in den Regelsatzleistungen enthaltenen Ansparbeträge für einmalige Bedarfslagen für Zeit ab dem 01.01.2005 der Höhe nach zu bestimmen.

Laut dem vierten Existenzminimumsbericht der Bundesregierung (BT-Drucksache 14/7765) für das Jahr 2003 wurde das steuerfrei zu stellende Existenzminimum unter Zugrundelegung der durchschnittlichen Regelsatzleistung zuzüglich der statistisch ermittelten Durchschnittausgaben der Sozialhilfeträger für einmalige Bedarfslagen zuzüglich der Kosten für Unterkunft und Heizung festgelegt. Die Regelsatzleistung eines Haushaltsvorstands lag ab dem 01.07.2003 bis zum 31.12.2004 im Bundesgebiet bei durchschnittlich 297,- EUR. Die durchschnittlichen Ausgaben der Sozialhilfeträger für einmalige Bedarfslagen eines Haushaltsvorstands lagen bei ca. 48,- EUR monatlich. Die Summe dieser Leistungen ergibt den Betrag von 345,- EUR (Höhe der Regelleistung für einen alleinstehenden Hilfeempfänger nach dem SGB II ab dem 01.01.2005 und Höhe der Regelsatzleistung eines Haushaltsvorstands nach dem SGB XII in Nordrhein-Westfalen ab dem 01.01.2005).

Dass die Regelsatzleistungen ab dem 01.01.2005 rechnerisch letztlich im beschriebenen Sinne festgelegt wurden, klingt auch in dem o.a. Urteil des BVerfG vom 09.02.2010, Randziffer 152, bei der Diskussion der Frage an, ob eine evidente Unterschreitung des menschenwürdigen Existenzminimums angenommen werden kann. Das Gericht geht deshalb davon aus, dass die Tatsache, dass die in den einzelnen Abteilungen der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) erfassten Ausgaben zu einem teilweise nicht nachvollziehbaren Anteil in die Bemessung der Regelsatzleistungen eingeflossen ist (vgl. BVerfG, o.a. Urteil vom 09.02.2010, Randziffer 170 bis 182), darauf zurückzuführen ist, dass der Gesetzgeber bei der Festlegung der Höhe der Regelleistungen das o.g. rechnerische Ergebnis erreichen wollte. Dies war unter Zugrundelegung der Daten der EVS nur möglich, indem er den regelsatzrelevanten Anteil an den Ausgaben in einzelnen Abteilungen begrenzte. Zwar hat das Bundesministerium für Gesundheit und Soziales seine Verordnung zur Durchführung des § 28 SGB XII – Regelsatzverordnung – ausführlich begründet (vgl. BR-Drucksache 206/04). Allerdings hat das BVerfG in dem o.a. Urteil vom 09.02.2010 deutlich gemacht, dass diese Ausführungen des Bundesministeriums letztlich die Höhe des festgelegten Regelsatzes bzw. der festgesetzten Regelleistung nicht tragfähig begründen könnten. Die Abschläge seien vielmehr (sinngemäß) willkürlich erfolgt.

Festzuhalten bleibt deshalb, dass die pauschalierte Höhe der Regelsatzleistungen keine nachvollziehbare Grundlage in der herangezogenen EVS findet. Festzuhalten bleibt aber auch, dass sich die Höhe der ab dem 01.01.2005 festgelegten Regelsätze zwanglos aus dem Vierten Existenzminimumsbericht ableiten lässt.

Nach allem geht das Gericht davon aus, dass der Regelsatz ab dem 01.01.2005 einen pauschalen Ansparbetrag für den Haushaltsvorstand in Höhe von maximal 48,- EUR enthielt. Unter Berücksichtigung der Regelsatzerhöhungen ergibt dies einen Ansparbetrag von 48,28 EUR ab dem 01.07.2007 und von 48,83 EUR ab dem 01.07.2008 bis zum 30.06.2009 (jeweils für den Haushaltsvorstand bzw. Alleinstehenden). Für Haushaltsangehörige ist dieser Betrag entsprechend den Vorgaben der Regelsatzverordnung entsprechend zu mindern. Zwar lagen für erwachsene Haushaltsangehörige die durchschnittlichen Ausgaben für einmalige Leistungen laut dem Vierten Existenzminimumsbericht bei 17 % des maßgeblichen Regelsatzes, mithin bei 40,- EUR monatlich, für Kinder bei 20 % des maßgeblichen Regelsatzes. Allerdings leitet sich der Regelsatz der Haushaltsangehörigen vom Regelsatz des Haushaltsvorstandes ab, so dass konsequenterweise auch die Ansparbeträge aus dem Ansparbetrag des Haushaltsvorstands abgeleitet werden müssen.

Die Nachzahlungsbeträge sind also in Fällen der vorliegenden Art grundsätzlich dergestalt zu ermitteln, dass die Anzahl der Monate, für die ein Anspruch auf Leistungen nach § 2 AsylbLG bestand, mit der Höhe des pauschalierten Ansparbetrags multipliziert werden. Die Berücksichtigung eines pauschalierten Ansparbetrags hat dabei den Vorteil, dass eine genaue Berechnung der nach § 3 AsylbLG gewährten Leistungen zuzüglich etwaiger Zahlungen für sonstige Leistungen im Sinne des § 6 AsylbLG nicht durchgeführt werden muss, gleichwohl aber das Ziel der pauschalierten Regelsatzleistungen über die Deckung des monatlich wiederkehrenden Bedarfs hinaus auch eine Ansparung von Leistungen zu erreichen, erfüllt wäre.

Diesem Ansatz werden die Berechnungen der Beklagten nicht gerecht. Die Beklagte hat die Regelsatzleistung nach Bedarfspositionen aufgeschlüsselt daraufhin untersucht, ob die Bedarfspositionen der Deckung eines Bedarfs für die Vergangenheit dienen oder der Deckung eines Bedarfs, der gegenwärtig noch vorhanden sein kann. Die Berechnungen der Beklagten sind zwar gut nachvollziehbar. Sie orientieren sich aber letztlich an der Aufschlüsselung der Regel(satz)leistungen, die nach o.a. Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 nicht nachvollziehbar ist. Ferner löst die Berechnungsweise der Beklagten nicht das Problem, dass der Hilfeempfänger selbst die Möglichkeit haben soll, mit Hilfe der Regelsatzleistungen seinen gesamten Bedarf an Hilfe zum Lebensunterhalt bis auf die Sonderbedarfe und die Kosten der Unterkunft und Heizung dauerhaft zu decken. Der Hilfeempfänger kann dabei einzelne statistisch durch die Regelsatzleistungen gedeckten Durchschnittskosten (z.B. für den regelmäßigen Besuch eines Friseurs oder für den Kauf von Tabak) zu Gunsten anderer Bedarfe einsparen bzw. auch ansparen. Der jeweilige Kläger könnte also der Berechnung der Beklagten entgegenhalten, er hätte bei rechtmäßiger Hilfegewährung bestimmte Bedürfnisse, die statistisch durch die Regelsatzleistungen abgedeckt wurden, laufend nicht gedeckt und hätte deshalb bei rechtmäßiger Hilfegewährung auch die für diese Bedürfnisse in den Regelsatzleistungen enthaltenen Beträge monatlich ansparen können. So könnte er beispielsweise geltend machen, seine Haare stets selbst zu schneiden, so dass laufend keine Kosten für den Friseur entstanden wären, oder er rauche nicht, so dass er den im Regelsatz enthaltenen Anteil für Tabakwaren nicht hätte aufwenden müssen. Gegen die Anwendung des Berechnungsmodells der Beklagten spricht ferner, dass die im Einzelnen nach der EVS aufgeschlüsselten Bedarfe nach altem Recht teilweise als einmalige Leistungen gewährt worden wären, teilweise als laufender Bedarf (z.B. die Reparaturleistungen von Haushaltgeräten, die im geringen Umfang durch die Regelsatzleistungen gedeckt waren; für kostenträchtigere Reparaturen waren einmalige Leistungen vorgesehen, die in die Berechnung der oben angeführten Pauschale für einmalige Leistungen eingeflossen sind). Daher ist es denkbar, dass bei einzelnen Positionen noch ein Nachholbedarf vorhanden ist, bei anderen in die Berechnung eingeflossenen Positionen dagegen nicht bzw. nicht in der angenommenen Höhe. Schließlich enthält die Regelsatzaufschlüsselung in der Abteilung 03 Bekleidung und Schuhe Bedarfspositionen, die auf einen Hilfesuchenden zugleich nicht entfallen können (Damen- Herren und Kinderbekleidung sowie -schuhe), die aber gleichwohl in die Festsetzung der Höhe des ab dem 01.01.2005 geltenden Eckregelsatzes eingeflossen sein sollen.

Unter Berücksichtigung des pauschalierten Ansparbetrags eines Haushaltsvorstandes hätte die Klägerin in der Zeit vom 01.01.2005 bis zum 31.01.2009 (bestandskräftig geregelter Zeitraum) maximal 2.361,17 EUR ansparen können.

Selbst dieser Ansparbetrag ist der Klägerin jedoch bei einer nachträglichen Bewilligung von Leistungen nach § 44 Abs. 4 SGB X nicht in voller Höhe zu gewähren. Es muss nämlich berücksichtigt werden, dass der Betroffene durch die nachträgliche Gewährung von Leistungen nicht besser gestellt werden darf, als er es bei einer fortlaufenden Bewilligung der Leistungen nach § 2 AsylbLG gewesen wäre. Bei einer fortlaufenden Bewilligung von Leistungen wäre aber davon auszugehen, dass der Betroffene den Ansparbetrag nicht über die gesamte Dauer des Hilfebezugs zur Seite gelegt hätte sondern typischerweise zumindest teilweise zur Deckung seines Bedarfs an einmaligen Bedarfslagen verbraucht hätte.

Das Gericht hält es deshalb für notwendig, die Summe der rückwirkend zu gewährenden Nachzahlung der Höhe nach auf einen Maximalbetrag von 750,- EUR pro Hilfesuchenden zu beschränken. Diese Grenze ergibt sich unter Berücksichtigung der Regelung des § 12 Abs. 2 Nr. 4 SGB II. Diese Regelung setzt für Leistungsberechtigte nach dem SGB II einen Betrag in Höhe von 750,- EUR für jeden in der Bedarfsgemeinschaft lebenden Hilfebedürftigen als vom Vermögen abzusetzenden Freibetrag für notwendige Anschaffungen fest. Die Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 15/1516, S. 53) zu dieser Freistellung lautet: "Der Freibetrag korrespondiert mit der Konzeption der Regelleistung, die künftig alle pauschalierbaren Leistungen im Rahmen der von der Regelleistung zu deckenden Bedarfe umfasst. Da davon ausgegangen wird, dass der Leistungsberechtigte aus dieser Regelleistung Ansparungen für größere Anschaffungen, wie z.B. für Haushaltsgeräte oder den Wintermantel, erbringt, müssen diese Ansparungen konsequenterweise bei der Vermögensanrechnung unberücksichtigt bleiben." Der Gesetzgeber geht also im Rahmen des SGB II davon aus, dass angesparte Regelleistungen bis zum einem Betrag von 750,- EUR keinen Einfluss auf die Hilfegewährung an einen Leistungsberechtigten haben sollen. Er bringt damit zugleich zum Ausdruck, dass der jeweils gegenwärtige und schützenswerte Bedarf eines Leistungsberechtigten nach dem SGB II an der Anschaffung von Bedarfsgegenständen sich maximal auf einen Wert von 750,- EUR beschränkt.

Der Vermögensfreibetrag nach § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII in Verbindung mit der Verordnung zur Durchführung dieser Vorschrift sieht dagegen zwar bei der Hilfe zum Lebensunterhalt ein geschütztes Barvermögen in Höhe von 1.600,- EUR für den erwachsenen Hilfesuchenden vor sowie von 614 EUR für den mit ihm zusammenlebenden Ehegatten oder Lebenspartner und weiteren 256,- EUR für jede weitere Person, die von ihm oder seinem Ehegatten oder Lebenspartner überwiegend unterhalten wird. Je nach Anzahl der vom erwachsenen Hilfesuchenden unterhaltenen Personen liegt der Betrag des Schonvermögens einer Haushaltsgemeinschaft nach dieser Vorschrift oberhalb bzw. unterhalb der Grenze des § 12 Abs. 2 Nr. 4 SGB II.

Das Gericht hält es indessen nicht für sachgerecht, die Schongrenze des § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII anzuwenden. Denn diese Schongrenze soll den wirtschaftlichen Ausverkauf des Hilfesuchenden vermeiden und beinhaltet damit den Schutz von Barvermögen, das nicht zur Deckung notwendigen Lebensunterhalts gedacht ist sondern anderen Zwecken dienen soll. § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII zielt also nicht speziell darauf ab, das aus den Regelsatzleistungen angesparte Vermögen von einer Verwertung freizustellen und ist deshalb nicht geeignet, die Grenze der Beträge zu bestimmen, die im Laufe der Zeit aus den Regelsatzleistungen angespart werden können.

Deshalb greift das Gericht auf den in der Regelung des § 12 Abs. 2 Nr. 4 SGB II festgelegten Ansparbetrag zurück. Auch wenn diese Regelung hier nicht unmittelbar anwendbar ist, enthält diese Regelung doch für die in gleicher Weise wie die Regelleistung nach dem SGB II festgelegte Regelsatzleistung die allgemeingültige Feststellung, dass Regel(satz)leistungen maximal bis zur Höhe des Ansparbetrags von 750,- EUR gegenwärtig zur Deckung einmaligen Bedarfs benötigt werden.

Die Beklagte gewährte der Klägerin durch die angegriffenen Bescheide bereits einen Betrag, der über den Ansparbetrag von 750,- EUR hinausgeht. Die Klägerin hat deshalb keinen Anspruch auf eine weitere Nachzahlung.

Eine über diesen Ansparbetrag hinausgehende Leistung für die Vergangenheit kommt nur dann in Betracht, wenn der Betroffene in der Vergangenheit mit Hilfe von Dritten den hier geltend gemachten Bedarf gedeckt hat, wenn also festgestellt werden kann, dass an die Stelle des damaligen Bedarfs nunmehr ein Surrogat in Form entsprechender Schulden besteht. Dies ist hier nicht der Fall. Die Klägerin erklärte in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich, in der Zeit ab dem 01.01.2005 bis heute keine Schulden gemacht zu haben. [...]

Ein Anspruch auf Verzinsung der Nachzahlungsbeträge besteht nicht. § 44 SGB I ist auf Leistungsansprüche nach dem AsylbLG nicht anwendbar. Eine Anwendbarkeit ergibt sich auch nicht über § 44 SGB X. Denn § 44 SGB X enthält keine eigene Verzinsungsregelung. Die Anwendung des § 44 Abs. 1 SGB I müsste deshalb im AsylbLG selbst geregelt sein, was nicht der Fall ist. [...]