VG Frankfurt a.M.

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Zitieren als:
VG Frankfurt a.M., Urteil vom 06.01.2010 - 9 K 3216/09.F.A(V) - asyl.net: M17321
https://www.asyl.net/rsdb/M17321
Leitsatz:

Dublin II-Flughafenverfahren:

1. Die Sonderregelung in § 18a AsylVfG kann die vorrangigen Zuständigkeitsbestimmungen der Dublin II-VO nicht zurückdrängen, sondern nur dann zum Tragen kommen, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.

2. Eine Haftanordnung ist nicht ergangen, das Vorgehen der BPol entsprach aber § 15 Abs. 5 AufenthG, sofern überhaupt eine Inhaftnahme stattgefunden haben sollte. Es ist ebenso möglich, dass sich die Klägerin freiwillig bereit erklärt hat, in der Aufenthaltseinrichtung des Flughafens zu verbleiben. Die insoweit erforderliche weitere Aufklärung hätte der Mitwirkung der Klägerin bedurft, zu der es jedoch nicht gekommen ist (die Klägerin wurde inzwischen nach Italien zurückgewiesen und hat ihre derzeitige Anschrift nicht mitgeteilt).

Schlagwörter: Asylverfahren, Dublin II-VO, Dublinverfahren, Flughafenverfahren, Italien, Schengen-Visum, Zurückweisung, Bundespolizei, Einreiseverweigerung, Asylantrag, offensichtlich unbegründet, Inhaftierung, Aufenthaltsbeschränkung, Haftbeschluss
Normen: AsylVfG § 18a, AsylVfG § 18 Abs. 2 Nr. 2, AufenthG § 15 Abs. 1, VO 343/2003 Art. 5, VO 343/2003 Art. 9 Abs. 2, AufenthG § 15 Abs. 6, RL 2005/85/EG Art. 18 Abs. 1, AufenthG § 15 Abs. 5
Auszüge:

[...]

Die Klage ist allerdings auf jeden Fall offensichtlich unbegründet, da der angefochtene Bescheid und sein Vollzug rechtmäßig sind und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt haben.

Im Eilverfahren hat die Kammer insoweit folgendes ausgeführt:

"Nach § 18 Abs. 2 Nr. 2 AsylVfG ist Ausländern und Ausländerinnen die Einreise zu verweigern, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der EU für die Durchführung ihres Asylverfahrens zuständig ist. Dies ist hier der Fall, wie noch auszuführen ist.

§ 18 Abs. 2 Nr. 2 AsylVfG steht systematisch vor der Sonderregelung zur Durchführung von Asylverfahren nach § 18a AsylVfG. Die dortige Bestimmung betrifft in erster Linie die Durchführung eines Asylverfahrens, sofern dafür die Antragsgegnerin im Hinblick auf die vorrangigen Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts überhaupt zuständig ist. Fehlt der Antragsgegnerin aufgrund solcher Bestimmungen die Zuständigkeit für die Durchführung eines Asylverfahrens, hat es mit der in § 18 AsylVfG getroffenen Regelung sein Bewenden, wobei zur Durchführung der Einreiseverweigerung die vorrangigen Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts zu beachten sind. Die Sonderregelung in § 18a AsylVfG kann deshalb die vorrangigen Zuständigkeitsbestimmungen der VO (EG) Nr. 343/2003 (ABl. EU v. 18.2.2003 Nr. L 50 S. 1) nicht zurückdrängen, sondern nur dann zum Tragen kommen, wenn die Antragsgegnerin unter Beachtung der dort getroffenen Regelungen für die Durchführung des jeweiligen Asylverfahrens zuständig ist, was hier nicht der Fall ist.

Die Unzuständigkeit der Antragsgegnerin zur Bearbeitung des Asylantrags des Antragstellers ergibt sich aus Art. 5, 9 Abs. 2 S. 1 und 2 VO (EG) Nr. 343/2003. Danach ist bei Antragstellern und Antragstellerinnen, die im Zeitpunkt der Asylantragstellung ein gültiges Visum eines Mitgliedstaates der EU besitzen, derjenige Mitgliedstaat der EU für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig, der das Visum erteilt hat, es sei denn, dass das Visum in Vertretung eines anderen Mitgliedsstaates erteilt wurde. Wie sich aus den beigezogenen Behördenvorgängen ergibt, besitzt die Antragstellerin ein am 02.10.2009 von Italien ausgestelltes Schengen-Visum. Dieses Visum ist ebenso wie der Reisepass der Antragstellerin echt. Dementsprechend war die Antragsgegnerin verpflichtet, Italien zur Übernahme des Asylverfahrens aufzufordern, nachdem die Antragstellerin anlässlich der grenzpolizeilichen Befragung ein Schutzersuchen geäußert hatte, das als Asylantrag i.S.d. Art. 2 lit. c VO (EG) 343/2003 aufzufassen ist. Derzeit ist die Antragsgegnerin im Hinblick auf die gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen für die Durchführung des Asylverfahrens der Antragstellerin nicht zuständig. Jedenfalls durfte sie im Hinblick auf die durch Gemeinschaftsrecht begründete vorrangige Zuständigkeit Italiens bisher von der Einleitung eines Asylverfahrens absehen. Daher kommt auch keine Einreise nach Maßgabe der Bestimmungen des AsylVfG in Betracht. [...]

Im Hinblick auf das fehlende Recht der Antragstellerin auf Einreise nach Deutschland ist der Vollzug nach § 15 Abs. 6 AufenthG nicht zu beanstanden. Eine Haftanordnung ist nicht ergangen und derzeit nach der genannten Regelung noch nicht nötig. Mit der Stellung des Asylantrags ist die Antragstellerin auch nicht bereits nach Deutschland oder sonst ins Gebiet der Schengen-Staaten eingereist, da sie unmittelbar auf Luftweg von Colombo auf dem Frankfurter Flughafen gelandet ist.

Die Regelung in § 15 Abs. 6 AufenthG verstößt nicht gegen Art. 18 Abs. 1 RL 2005/85/EG v. 1.12.2005 (ABl. EU Nr. L 326 S. 13). Danach ist es den Mitgliedstaaten verboten, eine Person allein deshalb in Haft zu nehmen, weil ein Asylantrag gestellt wurde und damit Asylbewerbereigenschaft vorliegt. Hier erfolgte die Aufenthaltsbeschränkung nach § 15 Abs. 6 AufenthG lediglich mit dem Ziel, eine derzeit nicht erlaubte Einreise nach Deutschland zu verhindern und zugleich den Vollzug der Zurückweisung nach Italien als dem für die Durchführung des Asylverfahrens nach derzeitiger Erkenntnislage zuständigen Mitgliedstaat zu sichern.

Aus Art. 16a GG können sich keine weitergehenden Regelungen ergeben, schon weil die im Recht der EU getroffenen Regelungen Vorrang vor nationalem Recht haben und die Verfahrensweise der Antragsgegnerin lediglich darauf zielt, die gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen zur Anwendung zu bringen."

Daran ist auch im Hauptsacheverfahren festzuhalten, zumal nach dem Ergehen der Eilentscheidung kein weiterer Prozessvortrag erfolgt ist.

Die durch die Verweigerung der Einreise eintretende Aufenthaltsbeschränkung ist die zwingende Folge des in der VO vorgesehenen Verfahrens. Das Vorgehen der Beklagten entsprach hier § 15 Abs. 5 AufenthG, sofern überhaupt eine Inhaftnahme stattgefunden haben sollte. Die Beklagte hat eine Inhaftierung bestritten. Die Klägerin ist dem nicht näher entgegen getreten. Es ist also ebenso möglich, dass sich die Klägerin freiwillig bereit erklärt hat, in der Aufenthaltseinrichtung des Flughafens zu verbleiben. Die insoweit erforderliche weitere Aufklärung hätte der Mitwirkung der Klägerin bedurft, zu der es jedoch nicht gekommen ist. [...]