VG Münster

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Zitieren als:
VG Münster, Beschluss vom 04.03.2009 - 9 L 77/09.A - asyl.net: M17539
https://www.asyl.net/rsdb/M17539
Leitsatz:

Kein Eilrechtsschutz gegen eine Dublin-Überstellung nach Griechenland. Kein Selbsteintritt durch Anhörung. Kein Ausnahmefall vom Konzept der normativen Vergewisserung. Die Bundesregierung hat Zweifel an der Einstufung Griechenlands als "sicherer Drittstaat" nicht als durchgreifend angesehen. Gerade den Bewertungen der Bundesregierung kommt nach Auffassung des Gerichts im System der normativen Vergewisserung ganz wesentliche Bedeutung zu, die auch durch die Ausführungen des Menschenrechtskommissars des Europarats, Hammarberg, vom 4.2.2009 nicht überwunden werden kann.

Schlagwörter: Dublin II-VO, Dublinverfahren, vorläufiger Rechtsschutz, Griechenland, Anhörung, Selbsteintritt, Konzept der normativen Vergewisserung
Normen: AsylVfG § 27a, AsylVfG § 34a Abs. 2, AsylVfG § 25
Auszüge:

[...]

Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist das Gericht durch die Regelung des § 34a Abs. 2 AsylVfG gehindert, die - befürchtete - Abschiebung nach Griechenland im Dublin II-Verfahren durch den Erlass einer einstweiligen Anordnung jedenfalls zeitweise zu untersagen. [...]

Der Anwendung des § 34a Abs. 2 AsylVfG steht zunächst nicht entgegen, dass die Zuständigkeit von Griechenland, wovon der Antragsteller im Hinblick auf den vorgetragenen Reiseweg selbst ausgeht, gem. Art. 3 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 - Dublin II - für die Prüfung seines Asylantrags entfallen wäre, weil die Bundesrepublik Deutschland - durch das Bundesamt - von dem ihr nach Ermessen zukommenden Recht Gebrauch gemacht hätte, das Asylbegehren des Antragstellers selbst zu prüfen. Allein die am 27. Januar 2009 umfassend erfolgte Anhörung des Antragstellers mit dem Fragenkatalog des § 25 Abs. 1 und 2 AsylVfG reicht hierzu nicht aus. [...]

Auch sonst sprechen unter der Annahme, dass sich Griechenland entsprechend dem rechtzeitigen Übernahmeersuchen vom 10. Februar 2009 (Art. 17 Dublin II) für zuständig erklärt bzw. von der Stattgabe des Übernahmeersuchens sonst wie auszugehen ist (vgl. Art. 18 Dublin II), keine hinreichenden Gründe für die Annahme, die Antragsgegnerin sei verpflichtet, die Abschiebungsanordnung gegenüber dem Antragsteller mit dem Zielstaat Griechenland zu unterlassen und stattdessen das Asylgesuch selbst zu prüfen, woraus eine Fehlerhaftigkeit des Vorgehens nach § 34a Abs. 1 AsylVfG - mit dem gesetzlichen Rechtsbehelfsausschluss in Eilverfahren nach Abs. 2 der Bestimmung - folgen würde.

Da es sich bei den Mitgliedstaaten der Europäischen Union um sichere Drittstaaten i.S.v. Art. 16a Abs. 2 GG bzw. § 26a AsylVfG handelt, ist schon aufgrund des diesen Vorschriften zugrunde liegenden normativen Vergewisserungskonzeptes davon auszugehen, dass dort die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. [...] Ein Griechenland betreffendes Verbot der Abschiebung, worauf der Eilantrag des Antragstellers zielt, käme - erst und ausnahmsweise - dann in Betracht, wenn für dieses Land Umstände vorlägen, die ihrer Eigenart nach nicht vorweg im Rahmen des Konzeptes normativer Vergewisserung von Verfassung oder Gesetz berücksichtigt werden konnten und damit von vornherein außerhalb der Grenzen liegen, die der Durchführung eines solchen Konzeptes aus sich heraus gesetzt sind (vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 - 2 BvR 1938/93 u.a. - BVerfGE 94, 166).

Ausgehend von den vom BVerfG angeführten Beispielen und der gegenwärtigen Rechtslage wäre dies etwa der Fall, wenn Asylsuchenden wie dem Antragsteller in Griechenland ein "ernsthafter Schaden" entsprechend Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über die Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes drohte. An die Darlegung eines solchen Sonderfalls, in dem entgegen dem Normbefehl von § 34a Abs. 2 AsylVfG doch vorläufiger Rechtsschutz zu gewähren wäre, sind strenge Anforderungen zu stellen.

Das Vorliegen eines solchen Sonderfalls kann das Gericht auf der Basis des Vortrags des Antragstellers und der dabei in Bezug genommenen Quellen auch nach den im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes geltenden Maßstäben nicht annehmen. Im Gegenteil ist aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse davon auszugehen, dass trotz festzustellender Mängel in Griechenland grundsätzlich und auch in Bezug auf den Antragsteller Asylverfahren durchgeführt werden, die den genannten Anforderungen entsprechen. [...]

Die Frage nach der Durchführbarkeit der Dublin-Überstellung nach Griechenland ist bereits Gegenstand verschiedener und umfassender ministerieller Überprüfungen gewesen. So hat sich der Bundesminister des Inneren unter dem 9. Juni 2008 gegenüber dem Innenminister des Landes Schleswig-Holstein mit dem Ergebnis geäußert, dass aus seiner Sicht (weiterhin) eine Aussetzung von Dublin-Überstellungen nach Griechenland nicht veranlasst ist. [...] Schließlich sind auch aus dem parlamentarischen Raum angeführte Zweifel an der Einstufung Griechenlands als "sicherer Drittstaat" im Asyl- und Dublin II-Verfahren durch die Bundesregierung (vgl. BT-Drs. 16/8861 vom 22. April 2008 und BT-Drs. 16/11543 vom 5. Januar 2008) nicht als durchgreifend angesehen worden. Dabei wurde unter anderem darauf hingewiesen, dass nach Auskunft u.a. der EU-Kommission die Qualifikationsrichtlinie und die Verfahrensrichtlinie im Juli 2008 in griechisches Recht umgesetzt worden sind. Auch habe - was zutrifft, vgl. Abdruck der Entscheidung im Internet unter www.unhcr.org/ refworld/publisher,ECHR,,IRN,49476fd72,0.html - der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in einer aktuellen Unzulässigkeitsentscheidung (K.R.S. gegen Vereinigtes Königreich, Beschw.-Nr. 32733/08 , Publ. am 2. Dezember 2008) festgestellt, dass die Rücküberstellung eines iranischen Staatsangehörigen vom Vereinigten Königreich nach Griechenland im Rahmen der Dublin-Verordnung zulässig ist und weder gegen Artikel 3 EMRK noch gegen Artikel 13 EMRK verstößt.

Gerade den Bewertungen der Bundesregierung, die die aktuellen Verhältnisse umfassend auch unter Behandlung gegenläufiger Berichte - etwa des UNHCR - behandeln, kommt nach Auffassung des Gerichts im System der normativen Vergewisserung ganz wesentliche Bedeutung zu. Diese können auch durch den Hinweis des Antragstellers auf die Ausführungen etwa des Menschenrechtskommissars des Europarates, Hammarberg, vom 4. Februar 2009 (vgl. commissioner.coe.int) nicht überwunden werden. [...]