OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 13.10.2010 - 8 PA 232/10 - asyl.net: M17902
https://www.asyl.net/rsdb/M17902
Leitsatz:

1. Offen bleiben kann, ob im Anwendungsbereich des § 81 Abs. 4 AufenthG unter Umständen auch ein geringfügig verspäteter Verlängerungsantrag für eine Aufenthaltserlaubnis auf Probe nach der Altfallregelung (§ 104a Abs. 1 AufenthG) die Fortgeltungsfiktion auslösen kann und hieran anknüpfend eine Verlängerung überhaupt noch in Betracht kommt.

2. Die Voraussetzungen für eine Verlängerung liegen nicht vor, da die Klägerin trotz ausdrücklicher Verpflichtung in einer Integrationsvereinbarung die Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht nachgewiesen hat. Es liegt auch kein Ausnahmefall nach § 104a Abs. 6 AufenthG vor. Denn unabhängig von der Frage, ob und in welchem Zeitraum ihr aufgrund der Geburt ihres Sohnes am 3.4.2008 eine Arbeitsaufnahme nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 SGB II zumutbar war, ist die Klägerin offensichtlich nicht nur vorübergehend auf Sozialleistungen angewiesen. Die Klägerin hat auch keinerlei Bemühungen um eine eigene Unterhaltssicherung dargetan.

Schlagwörter: Altfallregelung, Bleiberecht, Bleiberechtsregelung 2009, Aufenthaltserlaubnis, aufenthaltsbeendende Maßnahmen, Verlängerungsantrag, Fristversäumnis, Fiktionswirkung, Fortgeltungsfiktion, Prozesskostenhilfe, Sicherung des Lebensunterhalts, Integrationsvereinbarung, Zumutbarkeit, Eltern-Kind-Verhältnis, vorübergehend, Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen, Achtung des Privatlebens, Achtung des Familienlebens, familiäre Lebensgemeinschaft, Integration, Entwurzelung, Prognose
Normen: AufenthG § 104a Abs. 1 S. 1, AufenthG § 81 Abs. 4, AufenthG § 104a Abs. 5 S. 2, AufenthG § 104a Abs. 6, SGB II Abs. 1 Nr. 3, AufenthG § 25 Abs. 5, EMRK Art. 8, GG Art. 6
Auszüge:

[...]

1. Eine Verlängerung der der Klägerin am 4. Dezember 2008 befristet bis zum 31. Dezember 2009 erteilten Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kommt im vorliegenden Fall nicht in Betracht.

Dem steht bereits entgegen, dass die Klägerin den Antrag auf Verlängerung erst nach Ablauf der Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis am 4. Januar 2010 gestellt hat. Eine Verlängerung ist in solchen Fällen ausgeschlossen (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: August 2010, AufenthG, § 8 Rn. 38; Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl., AufenthG, § 8 Rn. 11). Ob, wie es die Klägerin meint, im Anwendungsbereich des § 81 Abs. 4 AufenthG unter Umständen auch eine geringfügig verspätete Antragstellung die Fortgeltungsfiktion auslösen kann (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 23.3.2006 - 18 B 120/06 -, InfAuslR 2006, 448 f.; GKAufenthG, Stand: September 2010, § 81 Rn. 38; Hailbronner, a.a.O., § 81 Rn. 37 ff.) und hieran anknüpfend eine Verlängerung der als fortbestehend geltenden Aufenthaltserlaubnis in Betracht kommt, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn § 81 Abs. 4 AufenthG findet gemäß § 104a Abs. 5 Satz 5 AufenthG für alle aufgrund des § 104a AufenthG erteilten und verlängerten Aufenthaltstitel von vornherein keine Anwendung (vgl. Senatsbeschl. v. 30.6.2010 - 8 ME 133/10 -, juris Rn. 17 ff.).

Unabhängig von der Rechtzeitigkeit des Verlängerungsantrages erfüllt die Klägerin aber auch die sich aus § 104a Abs. 5 Satz 2, Abs. 6 AufenthG und der von den Innenministern und -senatoren der Länder im Einvernehmen mit dem Bundesminister des Innern am 4. Dezember 2009 getroffenen Anordnung nach § 23 Abs. 1 AufenthG (vgl. Anlage zum RdErl. des Nds. Ministeriums für Inneres, Sport und Integration v. 11.12.2009 - 42.12. 12230/1-8 (§ 23) -, sog. Bleiberechtsregelung 2009) ergebenden Voraussetzungen für eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nicht.

Gemäß § 104a Abs. 5 Satz 2 AufenthG soll eine nach § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG erteilte Aufenthaltserlaubnis um weitere zwei Jahre als Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 Satz 1 AufenthG verlängert werden, wenn der Lebensunterhalt des Ausländers bis zum 31. Dezember 2009 überwiegend eigenständig durch Erwerbstätigkeit gesichert war (1. Alternative) oder wenn der Ausländer mindestens seit dem 1. April 2009 seinen Lebensunterhalt nicht nur vorübergehend eigenständig sichert (2. Alternative).

Eine derart eigenständige Unterhaltssicherung hat die Klägerin bisher nicht nachgewiesen, obwohl sie sich hierzu in der mit dem Beklagten am 29. Januar 2008 geschlossenen Integrationsvereinbarung ausdrücklich verpflichtet hat. Ausweislich der Verwaltungsvorgänge des Beklagten (vgl. insbesondere Bl. 400 VV) hat sie ihren Lebensunterhalt im Zeitraum vom 4. Dezember 2008 (Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG) bis zum 31. Dezember 2009 (Ablauf der Gültigkeitsdauer der Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG) ausschließlich aus öffentlichen Mitteln bestritten.

Eine Verpflichtung des Beklagten, hier nach § 104a Abs. 6 Satz 1 AufenthG von den dargestellten Erfordernissen des § 104a Abs. 5 Satz 2 AufenthG abzusehen, ist nicht ersichtlich. Die Voraussetzungen der allein in Betracht zu ziehenden Nrn. 2 und 3 des § 104a Abs. 6 Satz 2 AufenthG liegen nicht vor. Denn unabhängig von der Frage, ob und in welchem Zeitraum der Klägerin aufgrund der Geburt ihres Sohnes B. am 3. April 2008 eine Arbeitsaufnahme nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 SGB II nicht zumutbar war (vgl. § 104a Abs. 6 Satz 2 Nr. 3 AufenthG), ist die Klägerin offensichtlich nicht nur vorübergehend auf Sozialleistungen angewiesen.

Darüber hinaus erfüllt die Klägerin auch die Voraussetzungen der Bleiberechtsregelung 2009 nicht. Nach deren hier allein einschlägiger dritter Fallgruppe können Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis auf Probe, die am 31. Dezember 2009 mangels Erfüllung der gesetzlichen Vorgaben zur Lebensunterhaltssicherung nicht gemäß § 104 Abs. 5 AufenthG verlängert werden kann, für die Dauer von zwei Jahren eine (weitere) Aufenthaltserlaubnis "auf Probe" nach § 23 Abs. 1 Satz 1 AufenthG erlangen, sofern sie nachweisen, dass sie sich um die Sicherung des Lebensunterhalts für sich und etwaige Familienangehörige durch eigene Erwerbstätigkeit bemüht haben, und wenn die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Lebensunterhalt nach diesen zwei Jahren eigenständig durch Aufnahme einer Erwerbstätigkeit gesichert sein wird.

Hier hat die Klägerin zum einen schon keinerlei Bemühungen um eine eigenständige Unterhaltssicherung dargetan. Zum anderen sind keine Umstände erkennbar, die entgegen ihrer bisherigen Entwicklung, ihrer offensichtlich mangelnden beruflichen Qualifikation und mangelnden bisherigen wirtschaftlichen Integration die positive Annahme rechtfertigen könnten, dass ihr Lebensunterhalt nach Ablauf einer für zwei Jahre erteilten (weiteren) Aufenthaltserlaubnis auf Probe eigenständig durch Aufnahme einer Erwerbstätigkeit gesichert sein wird. [...]