VG Magdeburg

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Zitieren als:
VG Magdeburg, Urteil vom 06.10.2010 - 9 A 53/10 MD - asyl.net: M17929
https://www.asyl.net/rsdb/M17929
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung wegen Verfolgungsgefahr in Syrien aufgrund erheblicher politischer Aktivitäten vor der Ausreise und exilpolitischer Tätigkeit in Deutschland.

Schlagwörter: Asylverfahren, Flüchtlingsanerkennung, Syrien, Exilpolitik, Änderung der Sachlage, Asylfolgeantrag, Vorverfolgung, Nachfluchtgründe
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1, AsylVfG § 3 Abs. 1, AsylVfG § 3 Abs. 4, AsylVfG § 71 Abs. 1 S. 1, VwGO § 51, AsylVfG § 28 Abs. 2
Auszüge:

[...]

Der Kläger begehrt, nachdem die Beklagte im Laufe des Verfahrens zu seinen Gunsten ein Abschiebungsverbot hinsichtlich Syrien nach § 60 Abs. 2 AufenthG festgestellt hat, noch die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen nach § 60 Abs. 1 AufenthG. [...]

Die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abi; 1-3 VwVfG liegen vor. Die vom Kläger vorgetragenen weiteren exilpolitischen Tätigkeiten begründen eine nachträgliche Änderung der Sachlage, die sich im Hinblick auf § 60 Abs. 1 AufenthG zu seinen Gunsten auswirken kann. Sie sind auch innerhalb der Drei-Monats-Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG vorgetragen und tragen den Anspruch nach § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 3 Abs. 1 und 4 AsylVfG. [...]

Der Kläger ist zur Überzeugung des Gerichts bereits vorverfolgt ausgereist. Nach seinen glaubhaften Angaben war er in Syrien vor seiner Ausreise in erheblichem Umfang politisch tätig. Der Kläger hat umfangreich, lebensnah und detailliert in der mündlichen Verhandlung zu seinem politischen Engagement in Syrien vorgetragen. Er hat Details der politischen Arbeit ebenso geschildert wie Details der Vorsichtsmaßnahmen. Seine Schilderungen waren mit Leben erfüllt. Man merkte der ganzen Art seiner Schilderung die Begeisterung für die Sache an. Ferner hat er glaubhaft geschildert, zu welchen Maßnahmen sein Engagement geführt hat. Wenngleich die Vorladungen die asylerhebliche Schwelle nicht überschritten, so ist das Gericht jedoch aufgrund des klägerischen Vortrags überzeugt, dass die Verfolgung des Klägers aufgrund der Verweigerung der Zusammenarbeit unmittelbar bevorstand.

Es ist davon auszugehen, dass der Kläger bei seiner Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung unterliegen wird. Diese Überzeugung gewinnt das Gericht unter Zugrundelegung der Auskünfte, insbesondere aus dem letzten ad-hoc-Bericht des Auswärtigen Amtes vom 07.04.2010, unter Berücksichtigung des politischen Engagements des Klägers im Heimatland und der exilpolitischen Tätigkeiten. Der Kläger war in erheblichem Umfang exilpolitisch tätig. Insoweit hat er sich nicht auf die Teilnahme an Demonstrationen beschränkt. Dies erkennt offensichtlich auch die Beklagte an, die zugunsten des Klägers ein Abschiebungsverbot festgestellt hat.

Dem Kläger kann auch nicht die Norm des § 28 Abs. 2 AsylVfG entgegengehalten werden. Nach dieser Norm kann einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft in einem Folgeverfahren in der Regel nicht zuerkannt werden, wenn der Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung seines Asylantrages einen erneuten Asylantrag stellt und diesen auf Umstände stützt, die er nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung seines Asylantrags selbst geschaffen hat. Diese Norm soll dem Ausländer den Anreiz nehmen, nach unverfolgter Ausreise und abgeschlossenem Asylverfahren aufgrund neu geschaffener Nacthfluchtgründe ein weiteres Asylverfahren zu betreiben (vgl. BVerwG, U. v. 18.12.2008, 10 C 27.07; Rn. 12, zitiert nach juris, m.w.N.). So liegt der Fall indes vorliegend ersichtlich nicht. Vielmehr hat der Kläger in Deutschland die Tätigkeit fortgesetzt, die er bereits im Heimatland ausgeübt hat (vgl. die obigen Ausführungen). Die politische Tätigkeit hat im übrigen auch bereits das erste zu Ungunsten des Klägers ergangene Urteil anerkannt; dieses ging bereits von einer Mitgliedschaft des Klägers in der KDP aus (vgl. S. 5 EA zu 7 A 352/95), das Gericht meinte lediglich, dass die Mitgliedschaft nicht zu einer Verfolgung des Klägers geführt habe. Der Kläger hat folglich im Inland die im Heimatland bereits erkennbar betätigte Überzeugung fortgeführt (§ 28 Abs. 1a AsylVfG).,.. [...]