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BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R [= ASYLMAGAZIN 2011, S. 176 ff.] - asyl.net: M18056
https://www.asyl.net/rsdb/M18056
Leitsatz:

Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II für einen französischen Staatsangehörigen, obwohl sich das Aufenthaltsrecht alleine aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt. In Deutschland lebende arbeitslose Ausländer sind nicht vom Bezug von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen, wenn sie sich auf das Europäische Fürsorgeabkommen (EFA) berufen können. Die Ausschlussregelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ist in diesem Fall nicht anwendbar.

Schlagwörter: Unionsbürger, SGB II, Aufenthalt zum Zweck der Arbeitssuche, Europäisches Fürsorgeabkommen, Leistungsausschluss, Gleichheitsgrundsatz, freizügigkeitsberechtigt, Freizügigkeitsbescheinigung, Arbeitnehmerbegriff, selbständige Erwerbstätigkeit, Regelleistung, Fürsorge
Normen: EFA Art. 1, SGB II § 20, SGB II § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, FreizügG/EU § 5, FreizügG/EU § 2 Abs. 2 Nr. 1, GG Art. 59 Abs. 2, SGB I § 30 Abs. 2, EFA Art. 18, EFA Art. 2, EFA Art. 11
Auszüge:

Der Kläger begehrt Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 1.3.2009 bis zum 11.11.2009. Zwischen den Beteiligten ist insbesondere streitig, ob der Kläger als französischer Staatsangehöriger von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen ist, weil sich sein Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt. [...]

Die zulässige Revision ist unbegründet.

Das LSG hat zutreffend entschieden, dass dem Kläger für den Zeitraum vom 1.3.2009 bis zum 11.11.2009 ein Anspruch auf Gewährung der Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II zusteht. Der Kläger erfüllt die Leistungsvoraussetzungen nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II (dazu unter 2). Seinem Anspruch steht der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nicht entgegen (dazu unter 3).

1. [...]

2. Der Kläger erfüllt nach den Feststellungen des LSG die Leistungsvoraussetzungen nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Er ist gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 8 SGB II erwerbsfähig und - nach den den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 Sozialgerichtsgesetz <SGG> - auch hilfebedürftig gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. § 9 SGB II. Der Kläger verfügt gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II i.V.m. § 30 Abs. 3 Satz 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) auch über einen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Er ist bereits Ende 2007 in die Bundesrepublik eingereist. Seitdem hält er sich hier unter Umständen auf, die erkennen lassen, dass er nicht nur vorübergehend verweilt. Offen bleiben kann hier, ob der an tatsächlichen Umständen zu messende Begriff des gewöhnlichen Aufenthaltes bei Ausländern durch zusätzliche rechtliche Voraussetzungen eingeschränkt wird (BSG SozR 3-2600 § 56 Nr. 7 S. 34). Zur alten Rechtslage bis zum 1.4.2006 hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden, dass Ausländer, die tatsächlich dauerhaft im Inland verweilen, nur dann einen gewöhnlichen Aufenthalt haben, wenn sie sich berechtigterweise hier aufhalten (BSG a.a.O.; BSGE 65, 261, 263 f. = SozR 7833 § 1 Nr. 7; vgl. - speziell zu § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II - auch BSGE 98, 243, 246 f. = SozR 4-4200 § 12 Nr. 4, jeweils RdNr. 19; Valgolio in Hauck/Noftz, Stand Juni 2010, § 7 SGB II RdNr. 95; kritisch zu der Verrechtlichung des rein tatsächlichen Begriffs des gewöhnlichen Aufenthalts Spellbrink in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 7 RdNr. 11).

Dass der Kläger sich rechtmäßig in der Bundesrepublik aufhält, ergibt sich bereits daraus, dass er über eine Freizügigkeitsbescheinigung nach § 5 FreizügG/EU verfügt (a.A. Hessisches LSG, FEVS 59, 110, 115f.). Gegen eine Rechtmäßigkeit des Aufenthalts spricht auch nicht, dass dieser Bescheinigung nach dem Wortlaut der Vorschrift ("... über das Aufenthaltsrecht ausgestellt") nur deklaratorischer Charakter im Hinblick auf das sich unmittelbar aus Gemeinschaftsrecht ergebende Freizügigkeitsrecht zukommt (vgl. nur statt aller Geyer in HK-AuslR, 2008, § 5 FreizügG/EU RdNr. 1) und es sich um keinen Aufenthaltstitel handelt (vgl. § 2 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU). Denn es entspricht der gesetzlichen Konzeption des Freizügigkeitsrechts, von der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts auszugehen, solange die Ausländerbehörde nicht von ihrer Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, den Verlust oder das Nichtbestehen des Aufenthaltsrechts nach § 5 Abs. 5 FreizügG/EU festzustellen und die Bescheinigung über das gemeinschaftsrechtliche Aufenthaltsrecht einzuziehen (so auch die gesetzliche Begründung zum Zuwanderungsgesetz, vgl. BT Drucks 15/420, 106; vgl. auch die Hinweise der Bundesagentur für Arbeit zu § 7 SGB II in der Fassung vom 20.1.2010, Ziffer 7.2 d, sowie Ziffer 5.5.1.3. der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Freizügigkeitsgesetz/EU vom 26.10.2009, GMBl 2009, 1270). Die Ausreisepflicht nach § 7 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU wird erst mit dieser Verlustfeststellung begründet.

3. Der Kläger ist auch nicht nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift sind ausgenommen von Leistungen nach dem SGB II zunächst Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmer oder Selbstständige noch auf Grund des § 2 Abs. 3 des FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts, des Weiteren Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen sowie zuletzt Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG).

Der Kläger ist als französischer Staatsangehöriger Ausländer im Sinne dieser Vorschrift. Er ist aber nicht leistungsberechtigt nach § 1 AsylbLG und hält sich nach den Feststellungen des LSG bereits seit Ende des Jahres 2007 in der Bundesrepublik auf. Er ist auch nicht deswegen nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen ausgeschlossen, weil sich sein Aufenthaltsrecht alleine aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt (dazu unter a). Denn dieser Leistungsausschluss ist auf den Kläger als Staatsangehörigen eines Vertragsstaates des EFA vom 11.12.1953 (BGBl II 1956, 564) nicht anwendbar (dazu unter b).

a) Das Aufenthaltsrecht des Klägers ergibt sich gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2 FreizügG/EU alleine aus dem Zweck der Arbeitsuche. Denn auf ein anderes Aufenthaltsrecht, das - wie sich aus dem Wortlaut der Vorschrift ergibt ("Aufenthaltsrecht [...] allein aus dem Zweck der Arbeitsuche"; vgl. auch BT-Drucks 16/688, 13) - den Leistungsausschluss von vornherein entfallen lassen würde, kann sich der Kläger nicht berufen.

Der Kläger ist insbesondere nicht als Arbeitnehmer, Selbstständiger oder Nicht-Erwerbstätiger freizügigkeitsberechtigt. Auch steht ihm (noch) kein Daueraufenthaltsrecht zu. Als "Arbeitnehmer" im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 FreizügG/EU ist der Kläger nicht (mehr) aufenthaltsberechtigt. Während seiner Tätigkeit als Handwerkshelfer war er es, weil auch derjenige Arbeitnehmer im Sinne des Freizügigkeitsrechts ist, der nur über ein geringfügiges, das Existenzminimum nicht deckendes, Einkommen verfügt. Nach der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 39 EG (hier anwendbar in der Fassung des Vertrages von Nizza, BGBl II 2001, 1666 - der Vertrag von Lissabon ist erst zum 1.12.2009 in Kraft getreten, BGBl II 2009, 1223) fällt jeder Arbeitnehmer, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt - mit Ausnahme derjenigen Arbeitnehmer, deren Tätigkeit einen so geringen Umfang hat, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellt - unter die Vorschriften über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer (vgl. u.a. EuGH, Rs 139/85 [Kempf], Slg 1986, 1741 [Rz 9 ff]; Rs 53/81 [Levin], Slg 1982, 1035 [Rz 17]; C-213/05 [Geven], Slg 2007, I-6347 [Rz 16]; so nun auch Ziffer 2.2.1.1. der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift des BMI zum FreizügG/EU; vgl. zum gemeinschaftsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff ausführlich Epe in GK-AufenthG, § 2 FreizügG/EU RdNr. 31 ff. m.w.N.). Zwar blieb dem Kläger gemäß § 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügG/EU seine Erwerbstätigeneigenschaft und damit sein Freizügigkeitsrecht "als Arbeitnehmer" für die Dauer von sechs Monaten nach der arbeitgeberseitigen Kündigung erhalten. Dieser Zeitraum war aber bereits abgelaufen, als er für den hier streitgegenständlichen Zeitraum Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes beantragte.

Dem Kläger stand auch zu keinem Zeitpunkt ein Aufenthaltsrecht als selbstständig Tätiger nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 FreizügG/EU zu. Dies setzt voraus, dass eine Tätigkeit als Selbstständiger im Aufnahmemitgliedstaat tatsächlich ausgeübt wird (vgl. Art. 7 Abs. 1 Buchst a Alt. 2 UBRL). Zwar ist auch insoweit nicht erforderlich, dass der Gewinn aus der selbstständigen Tätigkeit das notwendige Existenzminimum deckt (vgl. zuletzt z.B. OVG Bremen Beschluss vom 21.6.2010 - 1 B 137/10 - juris). Voraussetzung ist aber nach Art. 43 EGV, dass eine wirtschaftliche Tätigkeit auf unbestimmte Zeit mittels einer festen Einrichtung in einem anderen Mitgliedstaat tatsächlich ausgeübt wird (EuGH, C-221/89 [Factortame], Slg 1991, I-3905 [Rz 20]), so dass alleine ein formaler Akt (EuGH, a.a.O., Rz 21; Bröhmer in Calliess/Ruffert, EUV/EGV, 3. Aufl.2007, Art. 43 EG RdNr. 12), wie die Registrierung eines Gewerbes nicht ausreichend ist. Ein weitergehendes Stadium aber hat die selbstständige Tätigkeit des Klägers nicht erreicht.

Der Kläger ist darüber hinaus nicht als Nicht-Erwerbstätiger, zu denen freizügigkeitsberechtigte Arbeitsuchende nicht zählen, nach § 2 Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. § 4 Satz 1 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt, weil es ihm insoweit an ausreichenden Existenzmitteln fehlt. Schließlich hat der Kläger auch noch kein Daueraufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 2 Nr. 7 i.V.m. § 4a FreizügG/EU erworben.

b) Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ist allerdings hier deswegen nicht anwendbar, weil der Kläger sich auf das Gleichbehandlungsgebot des Art. 1 EFA berufen kann (ebenso LSG Niedersachsen-Bremen Beschluss vom 14.1.2008 - L 8 SO 88/07 ER - FEVS 59, 369, 373 f, LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 14.1.2010 - L 14 AS 1565/09 B ER - juris; SG Berlin Urteil vom 25.3.2010 - S 26 AS 8114/08 - juris; Brühl/Schach in LPK-SGB II, 3. Aufl. 2009, § 7 RdNr. 35; Valgolia in Hauck/Noftz, § 7 SGB II RdNr. 128, Stand Juni 2010; a.A. Bayerisches LSG, Beschluss vom 4.5.2009 - L 16 AS 130/09 B ER - juris; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23.12.2009 - L 34 AS 1350/09 B ER - juris; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25.11.2008 - L 5 B 801/08 AS ER juris; SG Reutlingen Urteil vom 29.4.2008 - S 2 AS 2952/07 - juris; Schumacher in Oestreicher, SGB II/SGB XII, Stand Februar 2010, § 7 SGB II, RdNr. 11 a; offen gelassen von LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 26.2.2010 L 6 B 154/09 AS ER - juris; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16.7.2008 - L 19 B 111/08 AS ER - juris; LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 11.1.2010 - L 25 AS 1831/09 B ER - jurist; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30.5.2008 - L 14 B 282/08 AS ER - juris).

Nach Art. 1 des Abkommens, das unter anderem die Bundesrepublik Deutschland und Frankreich (und daneben Belgien, Dänemark, Estland, Griechenland, Irland, Island, Italien, Luxemburg, Malta, Niederlande, Norwegen, Portugal, Schweden, Spanien, die Türkei und Großbritannien) unterzeichnet haben, ist jeder der Vertragschließenden verpflichtet, den Staatsangehörigen der anderen Vertragsstaaten, die sich in irgendeinem Teil seines Gebietes, auf das dieses Abkommen Anwendung findet, erlaubt aufhalten und nicht über ausreichende Mittel verfügen, in gleicher Weise wie seinen eigenen Staatsangehörigen und unter den gleichen Bedingungen die Leistungen der sozialen und Gesundheitsfürsorge zu gewähren, die in der in diesem Teil seines Gebietes geltenden Gesetzgebung vorgesehen sind.

Bei dieser Vorschrift handelt es sich um unmittelbar geltendes Bundesrecht (dazu unter aa), dessen Anwendbarkeit im konkreten Fall insbesondere kein jüngeres und deshalb vorrangig anzuwendendes Recht entgegensteht (dazu unter bb). Darüber hinaus steht seiner Anwendung nicht entgegen, dass inzwischen an die Stelle des Abkommens europäisches Koordinationsrecht getreten wäre (dazu unter cc). Auch liegen im Einzelnen die Voraussetzungen des Gleichbehandlungsgebots nach Art. 1 EFA vor. Denn bei der beanspruchten Regelleistung nach § 20 SGB II handelt es sich um Fürsorge im Sinne des EFA (dd). Die Vorschrift des § 20 SGB II findet in Ermangelung eines von der Bundesrepublik abgegebenen Vorbehalts auch auf die Staatsangehörigen der anderen Vertragsstaaten Anwendung (ee). Der Kläger hält sich in der Bundesrepublik zudem erlaubt im Sinne von Art. 1 EFA auf (ff). Das Gleichbehandlungsgebot des Art. 1 EFA findet schließlich auch nicht alleine auf solche Staatsangehörige anderer Vertragsstaaten Anwendung, die sich bereits vor Eintritt der Hilfebedürftigkeit im Aufenthaltsstaat aufgehalten haben (gg).

aa) Der Kläger kann sich auf Art. 1 EFA als unmittelbar geltendes Bundesrecht berufen. Der Bundestag hat mit dem mit Zustimmung des Bundesrats beschlossenen Gesetz vom 15.5.1956 (BGBl II 563) dem Europäischen Fürsorgeabkommen zugestimmt (vgl. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz <GG>) und dadurch dessen Inhalt insoweit in innerstaatlich anwendbares, Rechte und Pflichten des Einzelnen begründendes (revisibles) Bundesrecht transformiert, als die Vertragsbestimmungen nach Wortlaut, Zweck und Inhalt wie innerstaatliche Gesetzesvorschriften rechtliche Wirkungen auszulösen geeignet sind (vgl. BVerfGE 29, 348, 360; BVerwGE 44, 156, 160). Dies trifft auf den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 1 des EFA zu (so auch Bundesverwaltungsgericht <BVerwG> Urteil vom 18.5.2000 - 5 C 29.98 - BVerwGE 111, 200, 201; Urteil vom 14.3.1985 - 5 C 145.83 - BVerwGE 71, 139, 142; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 14.1.2008 - L 8 SO 88/07 ER - FEVS 59, 369; OVG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 13.12.1999 - 16 A 5587/97 - juris; vgl. auch Bayerischer VGH, FEVS 48, 74 f. OVG Lüneburg, FEVS 49, 118, 119; Hessischer VGH, FEVS 51; 190 ff, Schraml, Das Sozialhilferecht der Ausländerinnen und Ausländer, 1992, S. 75; Schuler, Der Einfluss des Europäischen Fürsorgeabkommens auf den sozialhilfe- und aufenthaltsrechtlichen Status der in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Ausländer in Barwig/Lörcher/Schumacher <Hrsg.>, Familiennachzug von Ausländern auf dem Hintergrund völkerrechtlicher Verträge, S. 67, 69; a.A. Kokett, Die Staatsangehörigkeit als Unterschiedsmerkmal für soziale Rechte von Ausländern in Hailbronner<Hrsg.>, Die allgemeinen Regeln des völkerrechtlichen Fremdenrechts, S. 25, 33).

bb) Entgegen der Ansicht der Revision ist das EFA auch nicht in dem Sinne "überholt", dass seiner Anwendung neuere, denselben Sachverhalt regelnde gesetzliche Vorschriften entgegenstehen. Das Völkervertragsrecht wird gemäß Art. 59 Abs. 2 GG im Range von Bundesgesetzen umgesetzt. Aus dieser Rangzuweisung folgt, dass deutsche Gerichte das EFA wie anderes Gesetzesrecht des Bundes im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden haben (so BVerwGE 111, 307 ff. zur Europäischen Menschenrechtskonvention <EMRK>). Innerstaatliches Recht ist grundsätzlich so auszulegen, dass ein Konflikt mit völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland nicht entsteht. Dies entspricht dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes (vgl. BVerfG a.a.O. sowie BVerfGE 58, 1, 34; 59, 63, 89). Das einfache (Sozial-)Recht bietet darüber hinaus mit § 30 Abs. 2 SGB I eine Vorschrift zur Lösung von möglichen Konflikten zwischen nationalem Recht und (transformiertem) Völkerrecht. § 30 Abs. 2 SGB I beschränkt sich nicht auf die Regelung des gewöhnlichen Aufenthalts, sondern beinhaltet einen allgemeinen Rechtsgrundsatz (BSG, InfAuslR 2001, 181, 182; BSGE 52, 210, 213 = SozR 6180 Art. 13 Nr. 3 S. 10). Bereits aus diesem Grund steht der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II entgegen der Ansicht der Revision der Verpflichtung zur Gleichbehandlung nach dem EFA nicht entgegen.

Im Übrigen hat das LSG zu Recht darauf hingewiesen, dass Art. 1 EFA im Hinblick auf den persönlichen Anwendungsbereich spezieller ist. Die Vorschrift richtet sich gerade nicht an alle Ausländer (deren Aufenthaltsrecht sich aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt), sondern nur an Staatsangehörige der Vertragsstaaten. Darüber hinaus sind Gesetze auch dann im Einklang mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland auszulegen und anzuwenden, wenn sie zeitlich später erlassen worden sind als ein geltender völkerrechtlicher Vertrag. Es ist nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber, sofern er dies nicht klar bekundet hat, von völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland abweichen oder die Verletzung solcher Verpflichtungen ermöglichen will (vgl. BVerfGE 74, 358, 370 sowie - speziell zum EFA - BVerwGE 111, 200, 211). Ein solcher gesetzgeberischer Wille des späteren Gesetzgebers zur Abweichung vom EFA ist hier nicht erkennbar. Des Weiteren überzeugt auch das Argument der Revision nicht, § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II sei deshalb vorrangig vor dem EFA, weil § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II der Umsetzung des Art. 24 Abs. 2 UBRL diene (BT Drucks. 16/688 S. 13), einer Vorschrift, an der sowohl Frankreich als auch die Bundesrepublik beteiligt waren (so aber auch LSG Baden-Württemberg Beschluss vom 15.4.2010 - L 13 AS 1124/10 ER-B - juris). Es ist nichts dafür ersichtlich, dass diejenigen Mitglieder des Rats der Europäischen Union, die zugleich Vertragsstaaten des EFA sind, mit der in Art. 24 Abs. 2 UBRL eingeräumten Möglichkeit der nur beschränkten Leistung von Sozialhilfe an Freizügigkeitsberechtigte zugleich für ihren Zuständigkeitsbereich ein Abkommen des Europarats außer Kraft setzen wollten.

Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass das EFA selbst den Konfliktfall bereits regelt: Nach Art. 18 EFA stehen die Bestimmungen des Abkommens solchen nationalen Vorschriften nicht entgegen, die für die Beteiligten günstiger sind. Dass eine Abweichung vom EFA zu Lasten des durch das EFA geschützten Personenkreises damit nicht zulässig ist, liegt dabei auf der Hand. Wenn die Bundesrepublik die sich aus dem EFA ergebenden Verpflichtungen nicht mehr tragen will, steht ihr nach Art. 24 EFA die Möglichkeit offen, das Abkommen. innerhalb der dort genannten Frist zu kündigen. Hiervon hat sie bislang keinen Gebrauch gemacht.

cc) Der Anwendbarkeit des EFA steht das koordinierende Sekundärrecht der Europäischen Union nicht entgegen (so aber Bayerisches LSG Beschluss vom 12.3.2008 - L 7 B 1104/07 AS ER - FEVS 60, 178). Gemeinschaftsrechtlicher Maßstab für den hier streitgegenständlichen Zeitraum (1.3.2009 bis 11.11.2009) ist die Kollisionsregel des Art.6 der "alten" Wanderarbeitnehmerverordnung EWG Nr. 1408/71, weil die Nachfolgeverordnung (EG) Nr. 883/2004 vom 29.4.2004 (ABl 2004 Nr. L 166, 1 ff) gemäß deren Art. 91 Satz 2 erst ab dem Inkrafttreten einer Durchführungsverordnung galt. Die Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.9.2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit ist aber erst am 1.5.2010 in Kraft (Art. 97 der VO <EG> Nr. 987/2009) getreten. Nach der Kollisionsregel in Art. 6 EWGV 1408/71 tritt die Verordnung im Rahmen ihres persönlichen und sachlichen Geltungsbereichs an die Stelle bestimmter (völkerrechtlicher) Abkommen über die soziale Sicherheit.

Die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II unterfallen entweder gemäß Art. 4 Abs. 2a EWGV 1408/71 i.V.m. dem Anhang IIA, Buchst E - entgegen dem Anwendungsausschluss für die Sozialhilfe nach Art. 4 Abs. 4 EWGV 1408/71 und mit konstitutiver Wirkung (vgl. EuGH, Rs C-20/96 [Snares], Slg 1997, I-6082(Rz 30]; differenzierend Rs C-215/99 [Jauch], Slg 2001, I-1901 [Rz 21] = SozR 3-6050 Art. 10a Nr. 1 S. 5 f) - als so genannte besondere beitragsunabhängige Geldleistungen (so genannte "Mischleistungen", dazu ausführlich Beschorner, ZESAR 2009, 320 ff) bzw - soweit dem Grunde nach die Voraussetzungen nach § 24 Abs. 1 SGB II vorliegen - als Leistungen bei Arbeitslosigkeit gemäß Art. 4 Abs. 1 Buchst g EWGV 1408/71 dem sachlichen Anwendungsbereich dieser Verordnung.

Ob auch der persönliche Anwendungsbereich der Verordnung eröffnet ist, bedarf dagegen keiner Entscheidung. Denn die Kollisionsregel des Art. 6 EWGV 1408/71 greift hier ohnehin nicht ein. Die Kollisionsregel des Art. 6 EWGV 1408/71 ist nämlich nur anwendbar auf "Abkommen über die soziale Sicherheit", worunter nach der Begriffsbestimmung des Art. 1 Buchst k) EWGV 1408/71 nur Vereinbarungen für die in Art. 4 Abs. 1 und 2 der Verordnung bezeichneten Zweige und Systeme zu verstehen sind. Art. 4 Abs. 2a VO 1408/71 ist dort gerade nicht genannt.

Darüber hinaus gilt die Kollisionsregel des Art. 6 EWGV ohnehin nicht schrankenlos. Vielmehr kann es gemeinschaftsrechtlich geboten sein, eine Günstigkeitsprüfung vorzunehmen (EuGH, Rs C-227/89 [Rönfeldt], Slg 1991, I-323 [Rz 29] = SozR 3-6030 Art. 48 Nr. 3 S. 8; ausführlich Steinmeyer in Fuchs, Europäisches Sozialrecht, 4. Aufl. 2005, Art. 6 VO 1408/71 RdNr. 10 ff). Weiterhin erscheint es zweifelhaft, ob Abkommen des Europarats überhaupt unter die Kollisionsregel fallen (vgl. insoweit Steinmeyer, a.a.O., Art. 7 VO 1408/71 RdNr. 1; allerdings zu der ausdrücklich in die Verordnung aufgenommenen Ausnahmeregelung des Art. 7 Abs. 1 Buchst b im Hinblick auf das sog. Vorläufige Europäische Abkommen vom 11.12.1953 über die soziale Sicherheit). Hinzukommt, dass nichts dafür spricht, dass die EWGV 1408/7l, für die sich vor allem die Notwendigkeit der Klärung des Verhältnisses zwischen Koordinationsrecht und Sozialversicherungsabkommen ergab, ein internationales Fürsorgeabkommen außer Kraft setzen wollte. Hier greift vielmehr der Anwendungsausschluss auf die Sozialhilfe nach Art. 4 Abs. 4 VO 1408, 71.

dd) Bei der hier noch streitgegenständlichen (siehe oben 1.) Regelleistung nach § 20 SGB II handelt es sich um "Fürsorge" im Sinne von Art. 1 EFA. Ausweislich der Begriffsbestimmung in Art. 2 Abs. a Nr. i EFA meint "Fürsorge" im Sinne des Abkommens jede Fürsorge, die jeder der Vertragschließenden nach den in dem jeweiligen Teile seines Gebietes geltenden Rechtsvorschriften gewährt und wonach Personen ohne ausreichende Mittel die Mittel für ihren Lebensbedarf sowie die Betreuung erhalten, die ihre Lage erfordert. Ausgenommen sind beitragsfreie Renten und Leistungen zugunsten der Kriegsopfer und der Besatzungsgeschädigten. Nach Art. 2 Abs. b EFA sind die Rechtsvorschriften, die in den Gebieten der Vertragschließenden, auf die dieses Abkommen Anwendung findet, in Kraft sind, sowie die von den Vertragschließenden formulierten Vorbehalte in den Anhängen I und II zum Abkommen aufgeführt.

Die Regelleistung nach § 20 SGB II als Bestandteil der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach diesem Gesetz stellt ein solches, im Falle der Bedürftigkeit gewährtes "Mittel für den Lebensbedarf" dar (vgl. auch Urteil des Senats vom 31.10.2007 - B 14/11b AS 5/07 R - BSGE 99, 170 = SozR 4-4200 § 24 Nr. 1, wo im Hinblick auf das SGB II von einer "steuerfinanzierten Fürsorgeleistung" die Rede ist (vgl. auch BT-Drucks 15/1516 S. 56. "nachrangige Fürsorgeleistung"). Denn das SGB II ist -, anders als bis zum 1.1.2005 die Alhi als Lohnersatzleistung (vgl. zuletzt § 195 SGB III) - ein bedarfsabhängiges Leistungssystem (vgl. Urteil des Senats vom 31.10.2007 - B 14 AS 30/07 R - SozR 4-4200 § 24 Nr. 2). Darüber hinaus ist die Fürsorgegesetzgebung in der Bundesrepublik nach dem Außerkrafttreten des BSHG zum 1.1.2005 auch nicht auf die Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII (i.d.R. i.V.m. § 42 Satz 1 SGB XII) beschränkt. Sozialhilfe und Grundsicherung für Arbeitsuchende unterscheiden sich zwar nach ihrem Adressatenkreis. Das SGB II verliert dadurch aber nicht seinen Charakter als Fürsorgegesetz.

Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Umstand, dass im Anhang I zum EFA in der Fassung der Erklärung des ständigen Vertreters der Bundesrepublik Deutschland an den Generalsekretär des Europarats vom 26.10.2001 als anzuwendende Fürsorgegesetze noch immer (und entgegen der Verpflichtung der Bundesrepublik zur Mitteilung geänderter bzw neuer Rechtsvorschriften gemäß Art. 16 Abs. a und b EFA) das BSHG in der Fassung der Bekanntmachung vom 23.3.1994 (BGBl I 646, 2975), "zuletzt" geändert durch Art. 12 des Gesetzes vom 13.9.2001 (BGBl I 2376, 2398), und die §§ 27, 32 bis 35 und 41 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII), jeweils i.V.m. § 39 SGB VIII, sowie die §§ 3, 19 und 69 des Infektionsschutzgesetzes genannt werden. Denn die Aufzählung der Fürsorgegesetze in der Anlage 1. ist nicht konstitutiv (so auch BVerwG Urteil vom 18.5.2000 - 5 C 29.98 - BVerwGE 111, 200, 206; LSG Niedersachsen-Bremen, FEVS 59, 369, 374, Mangold/Pattar, VSSR 2008, 243, 261; aA Bayerisches LSG Beschluss vom 4.5.2009 - L 16 AS 130/09 B ER - juris, sowie Schumacher in Oestreicher, SGB II/SGB XII, Stand Februar 2010, § 7 SGB II, RdNr. 1 1a). Dies entspricht auch der Rechtsansicht der Bundesregierung bei Ratifizierung des Abkommens (vgl. die Denkschrift des BMI und des Bundesministers des Auswärtigen zum Europäischen Fürsorgeabkommen und dem Zusatzprotokoll, BT Drucks 2/1882, 23: "Die Aufführung der Fürsorgegesetze im Anhang I dient der Klarstellung, damit sich die übrigen Vertragschließenden den notwendigen Überblick verschaffen können." (vgl. darüber hinaus den am 21.11.2001 vom Ministerkomitee des Europarats verabschiedeten "Explanatory Report" zum EFA, Rz 49). Dafür spricht zuletzt Art. 2 Abs. a Nr. ii EFA. Hiernach haben die Begriffe "Staatsangehörige" und "Gebiet" die Bedeutung, die ihnen von den Vertragschließenden in gesonderten Erklärungen zugewiesen werden. Demgegenüber definiert Art. 2 Abs. a Nr. i EFA den Begriff der Fürsorge eigenständig (Mangold/Pattar, a.a.O., 260).

ee) Die Bundesrepublik Deutschland hat bis jetzt keinen Vorbehalt hinsichtlich der Anwendung des SGB Il auf die Staatsangehörigen der anderen Vertragsstaaten abgegeben (vgl. Art. 16 Abs. b Satz 2 EFA). Nach dem bislang abgegebenen Vorbehalt übernimmt die Bundesrepublik Deutschland keine Verpflichtung, die im BSHG "in der jeweils geltenden Fassung" vorgesehene Hilfe zum Aufbau oder zur Sicherung der Lebensgrundlage (vgl. § 30 BSHG) und die dort vorgesehene Hilfe zur Überwindung besonderer sozialen Schwierigkeiten (vgl. § 72 BSHG) an Staatsangehörige der übrigen Vertragsstaaten in gleicher Weise und unter den gleichen Bedingungen wie den eigenen Staatsangehörigen zu gewähren, ohne gleichwohl auszuschließen, dass diese Hilfen in geeigneten Fällen gewährt werden können (vgl. Neubekanntmachung des Anhangs II zum EFA, BGBl II 2001, 1098). Es bedarf an dieser Stelle keiner Entscheidung, ob dieser Vorbehalt nach dem Außerkrafttreten des BSHG durch Gesetz vom 27.12.2003 (BGBl I 3022) mit Wirkung vom 1.1.2005 "dynamisch" im Sinne einer Anwendung auf die Nachfolgegesetzgebung anzuwenden ist. Denn bereits im Hinblick auf die Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem 2. Abschnitt des BSHG hatte sich die Bundesrepublik gerade nicht die Möglichkeit der Ungleichbehandlung der Staatsangehörigen der Vertragsstaaten vorbehalten. Mit der Regelleistung nach § 20 SGB II beansprucht der Kläger aber alleine eine solche, den Lebensunterhalt sichernde, Hilfe.

ff) Der Kläger hält sich auch "erlaubt" im Sinne des Art. 1 EFA in der Bundesrepublik auf. Dabei kann an dieser Stelle dahinstehen, ob - wie es der Rechtsprechung des BVerwG zum BSHG entsprach (vgl. nur BVerwGE 71, 139, 143 ff.) - sich das Merkmal des erlaubten Aufenthalts nach Art. 11 Abs. a Satz 1 EFA bestimmt und dem Anhang insoweit konstitutive Wirkung zukommt. Bedenken könnten sich unter anderem deshalb ergeben, weil die - nach der Schlussformel des Abkommens im Gegensatz zur deutschen Fassung - verbindliche englische Fassung des EFA zwischen "lawfully present" nach Art. 1 EFA und - enger - "lawfully resident" im Sinne der Rückschaffungsvorschriften nach Art. 6 EFA unterscheidet. Art. 11 definiert aber nur den Begriff "residence". Beides wird im Deutschen mit Aufenthalt übersetzt (wobei dann bei Art. 6 EFA auf einen "gewöhnlichen" Aufenthalt abgestellt wird). Nach dem Abkommenstext spricht also einiges dafür, dass zwischen dem sozialrechtlichen Gleichbehandlungsgebot und dem Ausweisungsschutz im Hinblick auf die Qualität "des Aufenthalts" differenziert werden sollte.

Diese Frage bedarf aber deshalb keiner Entscheidung, weil sich der Kläger auch bei Zugrundelegung der Rechtsprechung des BVerwG "erlaubt" in der Bundesrepublik aufhielt. Nach Art. 11 Abs. a Satz 1 EFA gilt der Aufenthalt eines Ausländers im Gebiet eines der Vertragschließenden solange als erlaubt im Sinne des Abkommens, als der Beteiligte im Besitz einer gültigen Aufenthaltserlaubnis oder einer anderen in den Rechtsvorschriften des betreffenden Staates vorgesehenen Erlaubnis ist, auf Grund welcher ihm der Aufenthalt in diesem Gebiet gestattet ist. Dabei kam dem im Anhang III zum EFA angeführten Verzeichnis der Urkunden, die als Nachweis des Aufenthalts im Sinne des Art. 11 EFA anerkannt werden, nach der Rechtsprechung des BVerwG ein rechtsbegründender (konstitutiver) Charakter in der Weise zu, dass mit den dort aufgeführten Urkunden die Erlaubnistatbestände abschließend genannt seien, aufgrund derer der Aufenthalt des ausländischen Staatsangehörigen im Sinne des Abkommens als erlaubt gelte (BVerwGE 71, 139, 144). Auch nach der Rechtsprechung des BVerwG war es aber als unerheblich anzusehen, wenn die Bezeichnung eines Aufenthaltstitels lediglich redaktionell angepasst wurde (BVerwG, a.a.O.). Indiz für eine lediglich andere Bezeichnung kann dabei auch das völkervertragliche Verhalten der Bundesrepublik Deutschland sein. Denn wenn sie den Generalsekretär des Europarates von einer Änderung ihrer Gesetzgebung nicht unterrichtet hat, obwohl sie nach Art. 16 Abs. a EFA hierzu verpflichtet gewesen wäre, ist sie augenscheinlich davon ausgegangen, die gesetzliche Änderung berühre nicht den Inhalt des Anhangs III (BVerwGE 111, 200, 204).

Der Kläger verfügt über eine Freizügigkeitsbescheinigung nach § 5 FreizügG/EU. Im Anhang III des EFA ist demgegenüber noch von einer "Aufenthaltserlaubnis für Angehörige eines Mitgliedstaats der EWG" die Rede (BGBl II 2001, 1100). Dies entspricht der Rechtslage nach § 1 Abs. 4 des Gesetzes über Einreise und Aufenthalt von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (AufenthG/EWG) in der Fassung des Gesetzes vom 9.7.1990 (BGBl I 1354), aufgehoben mit Wirkung vom 1.1.2005 durch das Zuwanderungsgesetz 2004 vom 30.7.2004 (BGBl I 1950). Nach dieser Vorschrift erhielten freizügigkeitsberechtigte Angehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaften eine so genannte Aufenthaltserlaubnis-EG. Eines Aufenthaltstitels bedarf es nach § 2 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU, Art. 8 UBRL nicht mehr. An die Stelle der Aufenthaltserlaubnis-EG ist insoweit die Freizügigkeitsbescheinigung nach § 5 FreizügG/EU getreten. Der Aufenthalt des Klägers "gilt" aus diesem Grund als erlaubt im Sinne des Art. 11 EFA. Dies entspricht auch der Praxis der Ausländerbehörden, wonach von der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts auszugehen ist, bis eine Verlustfeststellung mit entsprechender Einziehung der Aufenthaltsbescheinigung nach § 5 Abs. 5 FreizügG/EU erfolgt (vgl. bereits oben 2.).

gg) Der Senat vermag schließlich auch keinen rechtlichen Ansatzpunkt dafür zu erkennen, das EFA nur auf diejenigen Ausländer anzuwenden, die sich zur Zeit des Eintritts der Hilfebedürftigkeit bereits in dem um Hilfe angegangenen Staat erlaubt aufhielten und mithin nicht auf diejenigen, die als bereits bedürftige Personen in einen Vertragsstaat einreisten (so aber LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 8.1.2010 - L 34 AS 2082/09 B ER, L 34 AS 2086/09 B PKH -, unter Verweis auf OVG Berlin Beschluss vom 22.4.2003 - 6 S 9.03 - FEVS 55, 186, 190). Mithin kommt es nicht darauf an, ob dem Kläger ein irgendwie geartetes "missbräuchliches Verhalten" vorgeworfen werden kann, als er etwas mehr als vier Monate nach seiner Einreise (nämlich nach Auslaufen seines Anspruchs auf Gewährung von Arbeitslosengeld nach dem SGB III) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II beantragt hat. Der gesetzliche Rahmen des BSHG (und nunmehr des SGB XII) war ein gänzlich anderer. Nach § 120 Abs. 1 Satz 1 BSHG war Ausländern, die sich in der Bundesrepublik Deutschland tatsächlich aufhielten, Hilfe zum Lebensunterhalt zu gewähren. Nach § 120 Abs. 3 Satz 1 BSHG (jetzt § 23 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 SGB XII in der Fassung des Gesetzes vom 2.12.2006, BGBl I 2670) hatten Ausländer, die sich in die Bundesrepublik Deutschland begeben haben, um Sozialhilfe zu erlangen, keinen Anspruch. In der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung entsprach es offenbar allgemeiner Ansicht, § 120 Abs. 3 Satz 1 BSHG auch auf vom EFA geschützte Personen anzuwenden (so OVG Berlin a.a.O. unter Verweis auf die Denkschrift zum EFA, BT-Drucks 2/1882, 23; vgl. auch Hamburgisches OVG Beschluss vom 8.2.1989 - Bs IV 8/89 -, NVwZ-RR 1990, 141 ff, OVG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 25.4.1985 - 8 A 266/84 -, NOV 1985, 367 ff. a.A. VG Würzburg, Urteil vom 21.2.1990 - W 3 K 88.1363 -, NDV 1990, 187 ff).

Es überzeugt nicht, eine - etwa § 23 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 SGB XII vergleichbare - Regelung in das SGB II "hineinzulesen", wobei eine auf diese Weise vorgenommene Geltungserweiterung (Analogie) insbesondere auch vor dem Hintergrund des § 31 SGB I bedenklich erscheint. Im Übrigen dürfte die praktische Bedeutung eines solchen Anspruchsverlustes gering sein, weil das BVerwG jedenfalls im Rahmen der Vorgängernorm (§ 120 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BSHG in der Fassung vom. 24.5.1983, BGBl 1613) einen finalen Zusammenhang im Sinne einer "prägenden Bedeutung" zwischen dem Einreiseentschluss und der Inanspruchnahme von Sozialhilfe (BVerwG Urteil vom 4.6.1992 - 5 C 22.87 - FEVS 43, 113 ff) verlangt hat. Schließlich hat auch die zu Art. 1 EFA teilweise vertretene Ansicht, einen Aufenthalt zeitlich vor dem Eintritt der Hilfebedürftigkeit zu fordern (siehe oben), in dem Abkommen selbst keinen Ausdruck gefunden. Denn Art. 1 EFA stellt allein auf die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts ab, nicht aber auf eine bestimmte zeitliche Abfolge.

Da der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II auf den Kläger mithin bereits aufgrund der vorrangigen Geltung des Gleichbehandlungsgebotes nach Art. 1 EFA keine Anwendung findet, bedarf es an dieser Stelle keiner Entscheidung, ob der Leistungsausschluss zudem wegen Verstoßes gegen gemeinschaftsrechtliche Vorgaben unanwendbar ist. [...]