VG Braunschweig

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Zitieren als:
VG Braunschweig, Beschluss vom 12.03.2012 - 7 B 50/12 - asyl.net: M19462
https://www.asyl.net/rsdb/M19462
Leitsatz:

Aussetzung einer Dublin II-Überstellung:

Der Antragsteller, der in Deutschland einen Asylantrag gestellt hat und vorträgt minderjährig zu sein, darf aufgrund von Art. 6 II Dublin II-Verordnung nicht im Rahmen der Dublin II-Verordnung in das Land zurückgeschoben werden, wenn er zuerst in ein anderes EU-Land eingereist ist und dort Fingerabdrücke von ihm abgenommen wurden, ohne dass er einen Asylantrag gestellt hat. Dies gilt auch, wenn die Ausländerbehörde nach Augenscheinnahme Zweifel an seiner Minderjährigkeit hat.

Schlagwörter: unbegleitete Minderjährige, Fingerabdrücke, Asylantrag, Augenschein, Dublinverfahren, Dublin II-VO
Normen: AsylVfG § 34a Abs. 2, VO 343/2003 Art. 10 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Der Antrag ist zulässig. Ihm steht nicht § 34a Abs. 2 AsylVfG entgegen (vgl. zu einem gleichgelagerten Fall VG Göttingen, Beschl. vom 06.02.2012 - 2 B 341/12 -, juris).

Der Antrag ist auch begründet. Die Antragsgegnerin beruft sich zu Unrecht auf § 27a AsylVfG i.V.m. der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedsstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedsstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (so genannte Dublin II-Verordnung).

Die Anwendung des Artikels 1 Abs. 1 der Dublin II-Verordnung durch die Antragsgegnerin begegnet ernsthaften Zweifeln. Danach ist der Mitgliedsstaat für die Prüfung des Asylantrages zuständig, dessen Land-, See- oder Luftgrenze der Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend erstmals überschritten hat. Zwar sind dem Antragsteller vor Einreise in das Bundesgebiet bereits in Spanien Fingerabdrücke am 03.06.2011 abgenommen worden. Damit steht fest, dass der Antragsteller sich vor Einreise in das Bundesgebiet in Spanien aufgehalten hat. Der Anwendung des Artikel 10 Abs. 1 Dublin II-Verordnung steht jedoch Artikel 6 Abs. 2 Dublin II-Verordnung entgegen. Danach ist der Mitgliedsstaat für die Prüfung des Asylantrages zuständig, in dem ein Minderjähriger seinen Asylantrag gestellt hat, falls er nicht in einem anderen Mitgliedsstaat Familienangehörige hat. Der Antragsteller hat in Spanien keinen Asylantrag gestellt. Dass er in einem anderen Mitgliedsstaat Familienangehörige hat, ist weder vom Antragsteller noch von der Antragsgegnerin vorgetragen und sonst ersichtlich.

Das Gericht muss auch derzeit davon ausgehen, dass es sich beim Antragsteller uni einen Minderjährigen handelt. Der Antragsteller hat mehrfach sein Geburtsdatum mit 20.05.1995 angegeben. Soweit die Antragsgegnerin dem gegenüber auf ein Schreiben der Stadt Dortmund vom 04.10.2011 verweist, wonach der Antragsteller in Augenschein genommen worden sei, Dokumente, die das von ihn angegebene Geburtsdatum belegen könnten, nicht vorlägen und deshalb davon auszugehen sei, dass er mindestens 18 Jahre alt sei, liegen keine für das Gericht verwertbaren Nachweise über ein anderes als das vom Antragsteller angegebene Geburtsdatum vor. Selbst der Grund der abweichenden Annahme des Geburtsdatums des Antragstellers wird nicht klar. Zu vermuten steht, dass nach der "Augenscheinseinnahme" des Antragstellers sich ein anderes Geburtsdatum aufdrängt. Selbst dies ergibt sich jedoch nicht aus dem Schreiben der Stadt Dortmund unmittelbar, so dass das Gericht nicht ohne nachvollziehbare Gründe aufgrund von Vermutungen ein anderes als das vom Antragsteller angegebene Geburtsdatum anzunehmen vermag. [...]