OVG Saarland

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Zitieren als:
OVG Saarland, Urteil vom 28.06.2012 - 1 A 35/12 - asyl.net: M19938
https://www.asyl.net/rsdb/M19938
Leitsatz:

Ein öffentliches Interesse im Sinn des § 8 Abs. 2 StAG ist nur gegeben, wenn nach dem konkreten Sachverhalt ein sich vom Durchschnittsfall eines Einbürgerungsbewerbers abhebendes spezifisch staatliches Interesse an der Einbürgerung besteht, das es ausnahmsweise rechtfertigen kann, den Ausländer trotz mangelnder Unbescholtenheit und/oder fehlender Unterhaltsfähigkeit einzubürgern.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Einbürgerung, Ermessen, Integration, wirtschaftliche Integration, Sicherung des Lebensunterhalts, Unterhalt, Unterhaltsfähigkeit, Ausschlussgrund
Normen: StAG § 8 Abs. 2, StAG § 8 Abs. 1 Nr. 4, StAG § 10, StAG § 11,
Auszüge:

[...]

1. Ein auf § 8 Abs. 1 StAG gestützter Anspruch auf Neubescheidung setzt zunächst voraus, dass die durch die Vorschrift vorgegebenen gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind. Ist dies zu bejahen, so steht die Einbürgerung im grundsätzlich weiten Ermessen des Beklagten als zuständiger Einbürgerungsbehörde (Gemeinschaftskommentar zum Staatsangehörigkeitsrecht - GK-StAR -, Stand 25. Erg.lfg. August 2011, § 8 Rdnr. 170 m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 27.5.2010 - 5 C 8/09 -, NVwZ 2010, 1502 ff.).

In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 8 Abs. 1 StAG ist geklärt, dass der Einbürgerungsbehörde ein Einbürgerungsermessen nach dieser Vorschrift nur eingeräumt ist, wenn neben den sonstigen in der Vorschrift aufgeführten und vorliegend außer Streit stehenden Voraussetzungen das auf den Nachweis der wirtschaftlichen Integration zielende Tatbestandsmerkmal der Nr. 4 erfüllt ist (BVerwG, Urteil vom 27.2.1958 - I C 99.56 -, BVerwGE 6, 207 ff.). Hiernach muss der Ausländer im Stande sein, sich und seine Angehörigen aus eigener Kraft zu ernähren. Ist dies nicht der Fall, weil der Ausländer auf den Bezug von (ergänzenden) Sozialleistungen angewiesen ist, spielt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und der obergerichtlichen Rechtsprechung (OVG Berlin, Beschluss vom 9.10.1995 - 5 M 25.95 -, und VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 12.3.1996 - 13 S 1908/95 -, jeweils juris) zu § 8 Abs. 1 Nr. 4 StAG keine Rolle, ob der Ausländer seine Bedürftigkeit zu vertreten hat. Auf Kritik von Seiten der Kommentarliteratur (GK-StAR, a.a.O., § 8 Rdnr. 124), wonach dieses keine Ausnahmen zulassende Verständnis des § 8 Abs. 1 Nr. 4 StAG den seit Inkrafttreten der Vorschrift im Jahr 1914 zu verzeichnenden sozialpolitischen Veränderungen nicht angemessen Rechnung trage, hat das Bundesverwaltungsgericht seine am Wortlaut orientierte Auslegung der Vorschrift in der Vergangenheit mehrfach bekräftigt. Es hat dies damit begründet, dass der Gesetzgeber das Staatsangehörigkeitsrecht - u.a. auch § 8 Abs. 1 Nr. 2 StAG - wiederholt geändert, dabei die Einbürgerung für bestimmte Personenkreise mit Wirkung zum 1.1.1991 erleichtert und geregelt habe, unter welchen Voraussetzungen die Inanspruchnahme von Sozialleistungen der Einbürgerung nicht entgegenstehe. Dies berücksichtigend verbiete es sich, die unverändert gebliebene Regelung des § 8 Abs. 1 Nr. 4 StAG, die in diese neuere Gesetzgebung nicht einbezogen worden sei, teleologisch zu reduzieren (BVerwG, Beschlüsse vom 5.5.1997 - 1 B 94/97 -, NVwZ-RR 1997, 738 f., und vom 10.7.1997 - 1 B 141/97 -, NVwZ 1998, 183 f.; Urteil vom 22.6.1999 - 1 C 16/98 -, InfAuslR 1999, 501 ff.). Zu der Frage, wann ein Einbürgerungsbewerber sich und seine Angehörigen auf Dauer aus eigenen Mitteln ernähren kann, hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 23.7.1998 - 13 S 2212/96 -, InfAuslR 1998, 509 ff.). überzeugend ausgeführt, dass er zumindest über eigene Einnahmen in Höhe der Regelsätze der Sozialhilfe verfügen muss.

Fallbezogen scheitert ein auf § 8 Abs. 1 StAG gestützter Anspruch des Klägers auf Neubescheidung seines Einbürgerungsantrags am Nichtvorliegen der gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzung der Nr. 4 der Vorschrift, da der Kläger für sich und seine Ehefrau fortlaufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Gestalt der bedarfsorientierten Grundsicherung im Alter nach dem 4. Kapitel des SGB XII bezieht. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend darauf abgestellt, dass dieser Leistungsbezug einer Ermessenseinbürgerung nach § 8 Abs. 1 StAG auch dann entgegensteht, wenn der Kläger den Umstand, der ihn zur Inanspruchnahme dieser Leistungen berechtigt, nicht zu vertreten hat.

Da es im Rahmen der Ermessenseinbürgerung nach § 8 Abs. 1 StAG nicht darauf ankommt, ob der Einbürgerungsbewerber seine Bedürftigkeit zu vertreten hat, ist aus Rechtsgründen kein Raum für die von dem Kläger reklamierte entsprechende Heranziehung der vom Bundesverwaltungsgericht (BVerwG, Urteil vom 19.2.2009 - 5 C 22/08 -, NVwZ 2009, 843 ff.) entwickelten Grundsätze zur Frage, unter welchen Voraussetzungen sich frühere Versäumnisse nicht mehr als wesentliche, prägende Ursache für den Leistungsbezug darstellen und daher vom Einbürgerungsbewerber nicht mehr im Sinn des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG zu vertreten sind. Dies ist sachgerecht, denn die gesetzlichen Erleichterungen, die diese Vorschrift gewährt, rechtfertigen sich - wie das Bundesverwaltungsgericht in dem klägerseits zitierten Urteil vom 19.2.2009 ausdrücklich hervorgehoben hat - daraus, dass bei zurechenbar unzureichender wirtschaftlicher Integration schon die erforderliche Voraufenthaltszeit eines achtjährigen rechtmäßigen Aufenthalts oder der für den Einbürgerungsanspruch erforderliche Aufenthaltsstatus gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StAG nicht erreicht werden kann, weil die aufenthaltsrechtlichen Vorschriften (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) regelmäßig einen gesicherten Lebensunterhalt verlangen. Dies gilt insbesondere auch für die Ersetzung einer - wie im Fall des Klägers - nach Maßgabe des § 23 Abs. 1 AufenthG aus humanitären Gründen erteilten oder verlängerten befristeten Aufenthaltserlaubnis durch eine Niederlassungserlaubnis, da deren Erteilung nach den §§ 26 Abs. 4 i.V.m. 9 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG ebenfalls voraussetzt, dass der Lebensunterhalt des Ausländers gesichert ist.

Der Kläger begründet seine Ansicht, im Rahmen des § 8 Abs. 1 StAG dürfe hinsichtlich der Unterhaltsfähigkeit kein strengerer Maßstab als im Rahmen des § 10 StAG angelegt werden, mit den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts in seinem Urteil vom 27.5.2010 (BVerwG, Urteil vom 27.5.2010, a.a.O.). Dem ist entgegenzuhalten, dass diese Ausführungen, wonach die Anspruchsvoraussetzungen bzw. Ausschlussgründe der §§ 10 und 11 StAG der Sache nach bei der Ermessensentscheidung nach § 8 Abs. 1 StAG berücksichtigt werden dürfen, ausdrücklich unter dem Vorbehalt stehen, dass sie in § 8 Abs. 1 StAG nicht schon auf der Tatbestandsebene modifiziert sind. Gerade dies ist der Fall, denn die tatbestandlichen Anforderungen an die Unterhaltsfähigkeit sind in § 8 Abs. 1 Nr. 4 StAG anders - insbesondere unter Anlegung strengerer Kriterien - geregelt als in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG.

Im Übrigen verkennt der Kläger bei seiner Argumentation, ihm dürften die Fernwirkungen seines in der Vergangenheit liegenden Verhaltens aktuell nicht mehr zugerechnet werden, dass die diesbezüglich vom Bundesverwaltungsgericht in tatsächlicher Hinsicht entwickelten Kriterien in seinem Fall nicht erfüllt sind. Denn der hiernach maßgebliche Zeitraum von acht Jahren ist noch nicht verstrichen. [...]

2. Aus § 8 Abs. 2 StAG leitet sich ein Anspruch des Klägers auf Neubescheidung seines Einbürgerungsantrags ebenfalls nicht her.

Nach dieser Vorschrift kann von dem Unbescholtenheitserfordernis des § 8 Abs. 1 Nr. 2 StAG und dem Erfordernis der Unterhaltsfähigkeit nach § 8 Abs. 1 Nr. 4 StAG aus Gründen des öffentlichen Interesses oder zur Vermeidung einer besonderen Härte abgesehen werden. Der Gesetzgeber hat diese Ausnahmevorschrift, die bezüglich der Nr. 4 am 1.1.2005 und bezüglich der Nr. 2 am 28.9.2007 in Kraft getreten ist, neu in das Staatsangehörigkeitsgesetz eingefügt, weil er im Hinblick auf die Anspruchseinbürgerung nach § 10 StAG mit ihren speziellen Voraussetzungen auch bei der Ermessenseinbürgerung nach § 8 StAG eine Ausnahmeregelung als erforderlich ansah. Bei den Tatbestandsvoraussetzungen "Gründe des öffentlichen Interesses" und "Vermeidung einer besonderen Härte" handelt es sich jeweils um unbestimmte Rechtsbegriffe, die inhaltlicher Konkretisierung bedürfen und deren Auslegung und Anwendung der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle unterliegt. Fallbezogen spricht nichts für das Vorliegen eines Ausnahmetatbestands.

Die Gesetzesbegründung zu § 8 Abs. 2 StAG ist für die Auslegung der Vorschrift nicht ergiebig. Sie führt lediglich einen - hier nicht einschlägigen - Beispielsfall einer besonderen Härte an. Hinweise zum Verständnis des Tatbestandsmerkmals "Gründe des öffentlichen Interesses" fehlen vollständig (BT-Drs. 14/7387, S. 107, und 15/420, S. 116).

In der Rechtsprechung ist bisher nur in Bezug auf das Tatbestandsmerkmal der Vermeidung einer besonderen Härte geklärt, welche konkreten Anforderungen die gesetzliche Neuregelung an das Vorliegen eines solchen Ausnahmefalls stellt.

Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG, Urteil vom 20.3.2012 - 5 C 5.11 -) hat vor kurzem entschieden, dass eine besondere Härte im Sinn des § 8 Abs. 2 StAG durch atypische Umstände des Einzelfalls bedingt und gerade durch die Verweigerung der Einbürgerung hervorgerufen sein muss und deshalb durch eine Einbürgerung vermieden oder zumindest abgemildert werden könnte. Es hat damit die bisher zu den Anforderungen an das Vorliegen einer besonderen Härte ergangene obergerichtliche Rechtsprechung (HessVGH, Beschluss vom 21.10.2008 - 5 A 1820.08.Z -, und VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 6.5.2009 - 13 S 2428.08 -, jeweils juris), u.a. des Senats (OVG des Saarlandes, Beschluss vom 10.6.2010 - 1 A 88/10 -, juris), bestätigt. Dies zugrundelegend kommt fallbezogen ein Einbürgerungsermessen des Beklagten zur Vermeidung einer besonderen Härte nicht in Betracht. Die Argumentation des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, eine besondere Härte liege darin, dass er wegen seines Alters außer Stande sei, an seinem Angewiesensein auf den Bezug von Sozialleistungen noch etwas zu ändern, geht fehl. Denn diese Situation wird weder durch die Verweigerung der Einbürgerung hervorgerufen noch könnte sie durch eine Einbürgerung vermieden oder zumindest abgemildert werden. Im Übrigen hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg der Würdigung der Versagung der Einbürgerung als besondere Härte im Sinn des § 8 Abs. 2 StAG selbst in Fällen, in denen der Betroffene den Bezug von Sozialhilfeleistungen nicht zu vertreten hat, bereits mehrfach - u.a. in seinem vom Bundesverwaltungsgericht in dessen Urteil vom 20.3.2012 in Bezug genommenen Beschluss vom 11.6.2009 - eine Absage erteilt (OVG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 11.6.2009 - OVG 5 M 30.08 -, und vom 8.2.2010 - OVG 5 M 48.09 -, jeweils juris). Auch dies überzeugt.

Zur Frage, wann die Voraussetzungen des alternativen Tatbestandsmerkmals "aus Gründen des öffentlichen Interesses" erfüllt sind, hat sich das Bundesverwaltungsgericht noch nicht dezidiert geäußert. In seinem Urteil vom 20.3.2012 hat es allerdings beanstandet, dass das Berufungsgericht das Vorbringen des dortigen Einbürgerungsbewerbers, sein journalistischer Arbeitsplatz betreffe den Nahen Osten und er erfülle eine repräsentative Funktion für das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland im Ausland, in tatsächlicher Hinsicht nicht hinterfragt und nicht geprüft habe, wie diese und gegebenenfalls weitere bedeutsame Umstände im Hinblick auf das Vorliegen eines öffentlichen Interesses im Sinn des § 8 Abs. 2 StAG zu bewerten seien. [...]