Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG aufgrund einer posttraumatischen Belastungsstörung und Retraumatisierungsgefahr bei Abschiebung nach Georgien.
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Unter Berücksichtigung dieser Anforderungen ist das Gericht der Auffassung, dass keine begründete Furcht vor einer politischen Verfolgung bei einer Rückkehr nach Georgien gegeben ist.
Betrachtet man nämlich zunächst die der Kammer unabhängig von dem Verfahren der Kläger vorliegenden Erkenntnisse über die Situation in Georgien, so liegt die Gefahr einer politischen Verfolgung der Kläger wegen der Geschehnisse im Zusammenhang mit dem Regimewechsel im Oktober 2012 in Georgien eher fern. Es besteht weitgehend Einigkeit dass es sich bei dem Übergang der Regierungsmacht von der "Vereinten Nationalen Bewegung" auf den "Georgischen Traum" und des Präsidentschaftsamts von Micheil Saakaschwili auf Giorgi Margwelaschwili grundsätzlich um einen friedlichen demokratischen Machtwechsel gehandelt hat. Personen haben nach dem erfolgten Regierungswechsel wegen ihrer Tätigkeit für die vormalige georgische Regierung in der Regel nicht mit strafrechtlicher Verfolgung zu rechnen, solange sie selbst nicht straffällig geworden sind. Die Staatsanwaltschaft Georgien geht aber ca. 18.000 Beschwerden/Klagen gegen die ehemalige Regierung und Staatsbedienstete (u.a. wegen Amtsmissbrauch, Veruntreuung, Anwendung physischer Gewalt bis hin zu Folter oder Mord) nach. Diese rechtliche Aufarbeitung erfolgt nach rechtsstaatlichen Standards und mit deutlich größerer Transparenz als unter der Vorgängerregierung (inklusive internationaler Berater und Beobachter). Eine politisch motivierte Strafverfolgung ist nicht zu erkennen, schon gar nicht gegenüber Mitarbeitern niederer Verwaltungsebenen (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 11.04.2013 an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge). Allerdings ergeben sich aus den der Kammer vorliegenden Erkenntnissen auch Anhaltspunkte dafür, dass Angehörige der Partei "Vereinte Nationale Bewegung" im Anschluss an den Regierungswechsel verhaftet worden sind und dass nicht auszuschließen ist, dass ein Teil dieser Verhaftungen auch politisch motiviert gewesen sein könnte. Derartige Maßnahmen haben sich aber offenbar im Wesentlichen auf ehemalige Regierungsmitglieder, hohe Beamte und exponierte Parteifunktionäre bezogen. So heißt es, es seien "zahlreiche hochrangige Funktionäre und Mitglieder der Partei Vereinigte Nationale Bewegung vernommen und verhaftet" worden (Amnesty Report 2013 bzgl. Georgien). Dass über den Kreis der führenden bzw. höheren Partei- und Regierungsfunktionäre hinaus Mitglieder oder Mitarbeiter der früheren Regierungspartei aus politischen Gründen inhaftiert oder körperlich bedroht worden sind, lässt sich den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen hingegen nicht entnehmen. [...]
Hinsichtlich des Klägers zu 1) und der Klägerin zu 2) liegt hingegen ein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung vor.
Eine (individuelle) Gefahr im Sinne dieser Vorschrift kann auch dann bestehen, wenn der Ausländer an einer Erkrankung leidet, die sich aufgrund der Verhältnisse im Abschiebezielstaat voraussichtlich verschlimmern wird. Erforderlich aber auch ausreichend ist insoweit, dass sich die vorhandene Erkrankung aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise zu verschlimmern droht, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib und Leben führt, d.h. eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht (vgl. BVerwG, Urteile vom 09.09. 1997 - 9 C 48.96 - und vom 17. Oktober 2006 - 1 C 18.05 -, beide bei juris). Dass in diesem Fall an sich im Zielstaat vorhandene Behandlungsmöglichkeiten unerheblich sind, wenn sie für den Betroffenen aus für ihn in der Erkrankung selbst liegenden Gründen, nämlich wegen der Gefahr der Retraumatisierung aufgrund der Konfrontation mit den Ursachen des Traumas, nicht erfolgversprechend sind, ist inzwischen in der Rechtsprechung anerkannt und vorliegend für die Kläger zu 1) und 2) zu bejahen.
Voraussetzung für eine Retraumatisierungsgefahr ist das Vorliegen eines Traumas beim Erkrankten. Dabei handelt es sich um ein tiefgreifendes Ereignis, das erlebt oder beobachtet worden ist und das Leben oder die körperliche Unversehrtheit bedroht und den Betroffenen in extreme Hilflosigkeit sowie Angst versetzt (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 08.06.2012 - 8 LB 221/09 - und Beschluss der Kammer vom 09.04.2013 - 5 B 19/13 -). Das traumatisierende Ereignis sieht die Kammer in der Vergewaltigung der Klägerin zu 2) im Oktober 2012, die zum einen die vergewaltigte Klägerin zu 2) selbst, und zum anderen auch den diese auffindenden und befreienden Kläger zu 1) schwer traumatisiert hat. Die Kläger zu 1) und 2) haben glaubhaft vorgetragen, dass es zu der vorerwähnten Vergewaltigung in ihrer Wohnung kurz vor der Ausreise gekommen ist.
Diese Überzeugung hat das Gericht insbesondere aus dem persönlichen Eindruck von der Klägerin zu 2) bei deren Schilderungen des Übergriffs in der mündlichen Verhandlung gewonnen. Ihr Aussageverhalten macht deutlich, dass es ihr besonders schwer gefallen ist, über dieses Ereignis in der Nacht zu sprechen. Sie machte anfangs lediglich Andeutungen, was passiert war und versuchte immer wieder auszuweichen, indem sie von Nebensächlichem berichtete, in der Hoffnung, nicht alle Einzelheiten schildern zu müssen. Sie schämte sich sichtlich für die Vorfälle in der Nacht und schilderte die Vorgänge nur langsam und vorsichtig und auf wiederholte Nachfragen. So konnten die genauen Umstände der Vergewaltigung in der mündlichen Verhandlung nur stückweise durch genaue und wiederholte Nachfrage in Erfahrung gebracht werden. Dies bekommt vor dem Hintergrund besonderes Gewicht, dass die Klägerin im Übrigen, insbesondere hinsichtlich ihrer Tätigkeit für die Vereinte Nationale Bewegung, ohne Probleme laut, deutlich, schnell und vor allem offen sprechen konnte und bei der Beantwortung dieser Fragen eher zu ausführlichen Antworten neigte. Die Klägerin beschrieb den Vorfall gerade in Bezug auf eher unbedeutende Nebenhandlungen sehr detailliert. So trug sie vor, dass die Angreifer zunächst so getan haben, als wollten sie die Klägerin zu 2) ausrauben und erst anschließend zu sexuellen Handlungen übergegangen sind. Die Schilderung des Geschehens vor Beginn der Vergewaltigung erfolgte äußerst detailreich. So erwähnte sie, dass sie zunächst von einem Überfall ausging und darum bat, dass die Täter ihr zumindest das Taufkreuz belassen und dass sie von den Klägern ausgelacht worden ist, als diese bemerkten, dass die Klägerin zu 2) zunächst von einem Raub ausging. Dieser Detailreichtum gerade hinsichtlich eher unbedeutender Nebenhandlungen spricht deutlich gegen das Vorliegen einer konstruierten Geschichte und für die Glaubhaftigkeit des Vortrages. Im Übrigen ist zu beachten, dass der Vortrag der Kläger zu 1) und 2) - der einen Zeitraum von mehreren Jahren betrifft und eine Vielzahl von Handlungssträngen umfasst - derart komplex ist, dass die Annahme einer konstruierten Handlung ohnehin eher fernliegt. Hinzu kommt, dass die Klägerin zu 2) in der mündlichen Verhandlung in der Lage war, diese komplexen Geschehnisse weitgehend widerspruchsfrei und in Übereinstimmung mit den Angaben bei der Anhörung beim Bundesamt vorzutragen. Dabei ging sie nicht immer chronologisch vor, was die widerspruchsfreie Darlegung bei einem konstruierten Geschehensablaufes nicht unerheblich erschweren dürfte und nach Auffassung der Kammer kaum zu bewältigen wäre. [...]