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Zitieren als:
BGH, Beschluss vom 12.03.2015 - V ZB 187/14 - asyl.net: M22865
https://www.asyl.net/rsdb/M22865
Leitsatz:

Die nicht vollständige Übersetzung des Haftantrags führt nur dann zur Rechtswidrigkeit der Haftanordnung, wenn der Betroffene aufzeigt, dass ihm der Haftantrag nicht wenigstens in den wesentlichen Grundzügen sinngemäß mündlich übersetzt und ihm dadurch die Möglichkeit genommen wurde, der Anordnung von Haft entgegenstehende tatsächliche oder rechtliche Umstände vorzutragen.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Abschiebungshaft,Sicherungshaft, Rechtswidrigkeit, Haftgründe, Haftbeschwerde, Verteidigung, Verfahrensfehler, Aushändigung, Übersetzung, Anhörung, Haftantrag, rechtliches Gehör,
Normen: FamFG § 417, GG Art. 103 Abs. 1, EMRK Art. 5 Abs. 2,
Auszüge:

[...]

Die zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Ohne Erfolg rügt die Rechtsbeschwerde, dass die Haftanordnung deshalb rechtswidrig sei, weil dem Betroffenen vor seiner Anhörung durch den Haftrichter der Haftantrag nicht vollständig übersetzt worden sei.

1. Das Vorgehen des Haftrichters verletzte allerdings den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Der Haftrichter darf sich nicht darauf beschränken, einem der deutschen Sprache nicht mächtigen Betroffenen nur Teile des Haftantrags mündlich übersetzen zu lassen. Vielmehr muss diesem der vollständige Haftantrag übersetzt und damit der gesamte Antragsinhalt bekannt gegeben werden. Dadurch soll sichergestellt werden, dass sich der Betroffene zu sämtlichen (tatsächlichen und rechtlichen) Angaben der die Haft beantragenden Behörde äußern und gegenüber dem Haftantrag verteidigen kann (Senat, Beschluss vom 21. Juli 2011 - V ZB 141/11, FGPrax 2011, 257 Rn. 8; Beschluss vom 18. Juli 2014 - V ZB 80/13, InfAuslR 2014, 384 Rn. 8).

2. Die Verletzung von Verteidigungsrechten des Betroffenen, insbesondere des Anspruchs auf rechtliches Gehör, hat aber nicht ohne weiteres die Rechtswidrigkeit einer angeordneten Abschiebungshaft zur Folge (vgl. EuGH, Urteil vom 10. September 2013, C-383/13 - PPU, BayVBl 2014, 140 ff.). Für die unterbliebene Aushändigung des Haftantrags hat der Senat entschieden, dass ein solcher Verfahrensfehler nur dann zu einer Aufhebung der Haftanordnung (bzw. nach einer Erledigung der Hauptsache zur Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit) führt, wenn das Verfahren ohne diesen Fehler zu einem anderen Ergebnis hätte führen können (Senat, Beschluss vom 16. Juli 2014 - V ZB 80/13, Rn. 9 ff., aaO). Ebenso verhält es sich, wenn der Verfahrensfehler in der nicht vollständigen Übersetzung des Haftantrags liegt. Zutreffend weist die Rechtsbeschwerde zwar darauf hin, dass ein Betroffener nach Art. 5 Abs. 2 EMRK verlangen kann, dass ihm die Gründe für seine Verhaftung in einer ihm verständlichen Sprache mitgeteilt werden. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde kommt eine auf der Grundlage eines nicht vollständig übersetzten Haftantrags erfolgte Anhörung eines Betroffenen aber nicht einer Nichtanhörung gleich, die als Verletzung einer grundlegenden Verfahrensgarantie zu qualifizieren ist und einer gleichwohl angeordneten Haft ohne weiteres den Makel einer rechtswidrigen Freiheitsentziehung aufdrückt (vgl. BVerfG, InfAuslR 1996, 198, 201). Entscheidend ist, ob der Betroffene auf Grund der Übersetzung in der Lage ist, den Haftgrund zu verstehen und seine Rechte zu wahren (Senat, Beschluss vom 4. März 2010 - V ZB 222/09, BGHZ 184, 323 Rn. 17). Daher ist bei einer nicht vollständigen mündlichen Übersetzung des Haftantrags nicht ohne Weiteres die Annahme gerechtfertigt, dass der Betroffene tatsächlich gehindert war, sich in einem solchen Maße besser zu verteidigen, dass das Verfahren zu einem anderen Ergebnis hätte führen können. Davon kann vielmehr nur dann ausgegangen werden, wenn der Betroffene aufzeigt, dass ihm der Haftantrag nicht wenigstens in den wesentlichen Grundzügen sinngemäß mündlich übersetzt wurde, ihm insbesondere die Haftgründe nicht mitgeteilt wurden, und ihm dadurch die Möglichkeit genommen wurde, der Anordnung von Haft entgegenstehende tatsächliche oder rechtliche Umstände vorzutragen.

Solche Anhaltspunkte werden von der Rechtsbeschwerde nicht aufgezeigt und sind auch angesichts der Feststellung des Beschwerdegerichts, dass sich der Betroffene zu dem im Haftantrag niedergelegten Sachverhalt und zu den Haftgründen äußern konnte und dass er ausweislich des amtsgerichtlichen Protokolls hiervon auch Gebrauch gemacht hat, nicht ersichtlich. [...]