VG Oldenburg

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Zitieren als:
VG Oldenburg, Beschluss vom 24.06.2015 - 12 B 2278/15 - asyl.net: M23021
https://www.asyl.net/rsdb/M23021
Leitsatz:

1. Für Dublin-Rückkehrer nach Bulgarien bestehen nach wie vor systemische Mängel im Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen.

2. Zur Beendigung des Asylverfahrens nach Ablauf von 3 Monaten nach der Registrierung und dem Asylfolgeverfahren.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Dublin-Rückkehrer, Bulgarien, systemische Mängel, Aufnahmebedingungen, Asylverfahren, Dublinverfahren,
Normen: AsylVfG § 34a Abs. 1, AsylVfG § 34a, VO 604/2013 Art. 3 Abs. 2,
Auszüge:

[...]

Gemessen an diesen Maßgaben spricht bei der im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen und möglichen summarischen Prüfung Überwiegendes dafür, dass die Abschiebungsanordnung bezüglich Bulgariens rechtswidrig ist, weil erhebliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass in Bulgarien nach wie vor (noch) systemische Mängel im Asyl- und Aufnahmeverfahren selbst wie auch in seiner faktischen Umsetzung vorliegen:

Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln lagen wegen des erheblichen Anstiegs der Flüchtlingszahlen ab 2009 erhebliche Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Flüchtlinge in Bulgarien bis Ende 2013 vor (Bericht des UNHCR vom 2. Januar 2014 "Bulgaria as a country of asylum - UNHCR observations on the current situation of asylum in Bulgaria"; amnesty international, Stellungnahme vom 6. Januar 2014 "Urgent action - Flüchtlinge weiter in Notlage – Bulgarien"; European Council on Refugees an Exiles - ECRE - , Bericht vom 8. Januar 2014). Die Mängel betrafen den Zugang zum Asyl - verfahren, die Durchführung des Verfahrens, die unverhältnismäßige (bis zu 45 oder gar 60 Tagen andauernde) Inhaftierung von Personen, die die Grenze unerlaubt übertreten hatten, die Unterbringung in überfüllten Aufnahmeeinrichtungen, die mangelnde Verpflegung und unzureichende medizinische Versorgung.

Der UNHCR hatte infolge der Analyse der Gesamtsituation für Asylbewerber und Inhaber eines Bleiberechts in dem genannten Bericht ausdrücklich die Empfehlung ausgesprochen, von Überstellungen nach Bulgarien abzusehen.

Bulgarien hat seit Anfang des Jahres 2014 mit massiver Unterstützung des UNHCR und anderer Organisationen eine Reihe von erheblichen Verbesserungen in vielen Bereichen erzielen können. Insbesondere wurde eine Anzahl von weiteren Mitarbeitern eingestellt und geschult, um die Registrierung und Antragstellung zu beschleunigen, die Entscheidungsqualität im Asylverfahren zu verbessern und die Haftpraxis zu verändern. In den Aufnahmeeinrichtungen wurden Renovierungen vorgenommen, Nahrung wird bereitgestellt und versucht, die Lebensbedingungen in vielen Bereichen zu verbessern (vgl. im Einzelnen UNHCR, Update des genannten Berichtes vom 7. und 21. Februar 2014, Bericht vom April 2014 und vom 23. Dezember 2014; European Asylum Support Office - EASO -, Newsletter vom März 2014; amnesty international vom 1. April 2014, ECRE vom 7. April 2014; Asylum Information Database - AIDA -, National Country Report Bulgaria vom 18. April 2014). Den Berichten ist ein Bemühen der bulgarischen Regierung und der bulgarischen Behörden zu entnehmen, in Zusammenarbeit mit den genannten Institutionen eine Verfahrens- und Aufnahmequalität zu erreichen, die den Anforderungen der internationalen und europäischen Vorgaben entspricht. Ihnen ist aber ebenso zu entnehmen, dass diese Bemühungen infolge der bis Januar 2014 bestehenden massiven Defizite in vielen Bereichen bzw. Örtlichkeiten noch nicht zu adäquaten Zuständen bzw. entsprechenden Verfahrensbedingungen geführt haben und vor allen Dingen nicht sichergestellt ist, dass die Verbesserungen von Dauer sind, weil sie zum Teil auf begrenzten Initiativen von NGOs beruhen.

Insbesondere der UNHCR weist in seinem Bericht vom April 2014 zum einen auf eine Reihe von nach wie vor bestehenden deutlichen Defiziten hin und spricht diesbezüglich etliche Empfehlungen aus. Zum anderen meldet er Bedenken hinsichtlich der Nachhaltigkeit und des ausreichenden Umfangs der Maßnahmen an. Insbesondere ist in dem Bericht ausgeführt, es solle sichergestellt werden, dass

- die Regierung Bulgariens besondere angesichts der verstärkten Grenzkontrollen an der bulgarisch-türkischen Grenze Anstrengungen unternehme, dort auf die Einhaltung der fundamentalen Rechte, einschließlich des Non-Refoulment-Grundsatzes, zu achten und den Schutzsuchenden dort einen Zugang zu einem fairen und effektiven Asylverfahren zu gewähren. Die Grenzpolizei solle Schutzsuchende entsprechend informieren und es müsse sichergestellt werden, dass die Mitarbeiter ausreichend geschult seien, insbesondere im Umfang mit unbegleiteten Kindern und im Verfahren zur Identitätsfeststellung,

- Personen, die wegen unerlaubter Einreise, unerlaubten Aufenthalts oder weil sie keine Identitätspapiere hätten vorweisen können, inhaftiert worden seien und noch keinen Asylantrag gestellt hätten, innerhalb von 25 Stunden in ein Aufnahmelager überstellt würden,

- in den zwei Aufnahmeeinrichtungen (Voenna Rampa, Vrazdebna), in denen noch keine akzeptablen Zustände hinsichtlich Unterbringung, sanitärer Anlagen und Zugang zur medizinischer Versorgung herrschten, entsprechende weitere Anstrengung unternommen würden,

 

- im Registrierungs-, Aufnahme- und Asylverfahren ein Erkennungsverfahren für Menschen mit besonderen Bedürfnissen und im Umgang mit unbegleiteten Kindern eingerichtet werde,

- für Schutzsuchende Informationen in einer ihnen verständlichen Sprache bereitgestellt würden,

- in den Aufnahmelagern und zur Bearbeitung der Asylverfahren und der Übernahmegesuche nach der Dublin-VO weitere Mitarbeiter eingestellt und geschult würden,

- für Flüchtlinge mit Schutzstatus ein Integrationsprogramm erstellt werde, das diese vor Obdachlosigkeit und Verarmung bewahre, sowie Familienzusammenführungen und Zugang zur medizinischer Versorgung und Bildung insbesondere für Kinder ermögliche.

In seiner abschließenden Schlussfolgerung in dem Bericht vom April 2014 führt der UNHCR an, dass die Situation nicht länger die Empfehlung rechtfertige, allgemein von Überstellungen abzusehen, dass aber Gründe gegeben sein können, die einer Überstellung im Einzelfall oder für besondere Gruppen wie Verletzliche oder Personen mit besonderen Bedürfnissen entgegenstehen könnten. Er unterstreicht die Schwäche des bulgarischen Asylsystems insbesondere im Hinblick auf den Zugang zum Staatsgebiet, die inadäquaten Bedingungen in zwei Aufnahmelagern sowie die Notwendigkeit der Verbesserung des Entscheidungsprozesses und der Information der Flüchtlinge in eigener Sprache.

Vor dem Hintergrund dieser Situation halten amnesty international (Stellungnahme vom 1. April 2014) und der ECRE (Stellungnahme vom 7. April 2014) an ihren Einschätzungen, dass von Überstellungen nach Bulgarien nach wie vor abgesehen werden sollte, fest.

In der Folgezeit weist insbesondere der UNHCR in seinen Stellungnahmen vom 6. November 2014 und vom 7. November 2014 an den VGH Baden-Württemberg darauf hin, dass die Aufnahmekapazität der Aufnahmeeinrichtungen nicht ausgeschöpft sei. Davon berichtet auch das Bulgarian Helsinki Committee (im AIDA Update 2015). Im Bericht vom 23. Dezember 2014 an das Verwaltungsgericht Minden führt der UNHCR an, dass vom 1. Januar 2014 bis zum 31. Oktober 2014 etwa 8000 neue Asylbewerber um Schutz ersucht hätten, in den 7 Aufnahme-/Unterbringungs-/Übergangseinrichtungen mit einer Gesamtaufnahmekapazität von 6000 Personen seien per 3. November 2014 insgesamt 3910 Personen untergebracht gewesen. Damit hätten sich die Aufnahmekapazitäten seit Anfang 2014 erhöht, wenn auch weitere Mittel benötigt würden.

Infolge der dargestellten Verbesserungen in den letzten Berichten des UNHCR und der Aufhebung der Empfehlung seitens des UNHCR, von Überstellungen allgemein abzusehen, gehen viele Gerichte davon aus, dass systemische Mängel nicht mehr vorliegen (vgl. zuletzt etwa: VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18. März 2015, a.a.O.; VGH München, Urteil vom 2. Februar 2015 - 13 a ZB 14.50068 -, juris; VG Düsseldorf, Beschlüsse vom 7. Mai 2015 - 13 L 1607/15 A - und vom 4. Mai 2015 - 15 L 947/15.A -; VG Minden, Urteil vom 10. Februar 2015 - 10 K 1660/14.A; jeweils juris). Dem ist das Gericht nach den Beschlüssen vom 27. Januar 2015 - 12 B 245/15 - und vom 16. Februar 2015 - 12 B 595/15 - (jeweils juris, dort auch weitere Rechtsprechungsnachweise; zuletzt Beschluss vom 26. Mai 2015 - 12 B 1998/15 - n. v.) nicht gefolgt. Daran hält das Gericht weiterhin fest:

Angesichts der in den vorliegenden aktuellen Erkenntnismitteln geschilderten derzeitigen Sachlage ist nach wie vor davon auszugehen, dass wesentliche Gründe für die Annahme bestehen, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Bulgarien derzeit systemische Schwachstellen im Sinne des Art. 3 Abs. 2 UA 2 Dublin III-VO aufweisen.

Die systemischen Mängel betreffen zum einen das Asylsystem selbst.

Bei der Bewertung der in Bulgarien anzutreffenden Umstände der Durchführung des Asylverfahrens sind wie bei der Aufnahme von Flüchtlingen diejenigen Umstände heranzuziehen, die auf die Situation des Antragstellers also auf die eines Dublin-Rückkehrers zutreffen. Die Situation von Flüchtlingen in einer anderen rechtlichen oder tatsächlichen Lage wie diejenigen, die sich erstmals in Bulgarien befinden oder dorthin gelangen wollen, ist ergänzend heranzuziehen, sofern sich diese Umstände auch auf die Situation des Dublin-Rückkehrers auswirken (können).

Der UNHCR führt in seinem Bericht vom 23. Dezember 2014 an das Verwaltungsgericht Minden an, dass sich Asylbewerber nicht länger einer längeren Inhaftierung durch die Grenzpolizei oder die Einwanderungsbehörden gegenüber sehen dank der seit dem ersten Vierteljahr 2014 verbesserten Kooperation zwischen Grenz- und Einwanderungsbehörden und der staatlichen Agentur für Flüchtlinge (SAR). Die mehrheitlich auf illegale Weise nach Bulgarien eingereisten Asylbewerber würden größtenteils zunächst in Einwanderungshaft kommen. Die SAR habe sich verpflichtet, die Erstregistrierung der Asylbewerber in der Einwanderungshaft vorzunehmen, sie könnten (durchschnittlich) in einem Zeitraum von sieben bis zehn Tagen in eine SAREinrichtung entlassen werden. Zwar habe sich aufgrund des sich insbesondere ab August 2014 zu verzeichnenden ständigen Anstiegs der Zahl der neuen Anträge die Registrierung und Bearbeitung der neuen Anträge etwas verlangsamt, das Asylsystem funktioniere aber "einigermaßen". Die staatliche Agentur für Flüchtlinge, die die Erstregistrierung vorzunehmen habe, benötige aber weitere Mittel, um die bei den Aufnahme- und Bearbeitungskapazitäten erfolgten Verbesserungen beizubehalten. Diese den Erstbewerber betreffenden Umstände der Einwanderungshaft und Registrierung wie auch die Bulgarien vorgeworfenen Verstöße gegen das Refoulement-Verbot durch Zurückschiebungen an der Bulgarisch/Türkischen Grenze (vgl. etwa nur den Bericht von pro asyl von April 2015) betreffend Antragsteller als Dublin-Rückkehrer nicht.

Für Dublin-Rückkehrer gilt nach den Berichten des UNHCR von April 2014 und besonders vom 23. Dezember 2014, dass Asylbewerber, die aus anderen Mitgliedstaaten der EU nach Bulgarien zurückkehren, grundsätzlich keine Hindernisse beim Zugang zum Asylverfahren aufgrund ihrer Rückkehr haben. Hierbei ist allerdings zu differenzieren. Wörtlich heißt es in dem in deutscher Übersetzung vorliegenden Bericht des UNHCR vom 23. Dezember 2014:

"Gemäß dem Gesetz über Flüchtlinge und Asyl und in der Praxis, wird das Dublin-Verfahren auf alle Antragsteller angewandt, die um internationalen Schutz ersuchen, außer bei Folgeanträgen in Bulgarien.

Wurde ein Dublin-Verfahren gemäß der nationalen Gesetzgebung in Gang gesetzt, sieht eine Vorschrift vor, dass "wenn notwendig" eine Befragung des Antragstellers durchgeführt wird. Der Zugang zu einem Verfahren über die Feststellung des Flüchtlingsstatus im Falle der "Wiederaufnahme" ist abhängig davon, welchen Stand der frühere Asylantrag des Asylbewerbers in Bulgarien hatte.

- Ist der Asylantrag bei der Rückkehr noch nicht entschieden, wird für die Person auf dieser Grundlage in Bulgarien eine Entscheidung gefällt.

- Hat ein Asylbewerber Bulgarien verlassen und erscheint nicht oder entspricht nicht einem weiteren Verfahrensschritt, wird sein Anspruch nach zehn Tagen des Nichterscheinens oder Nichtentsprechens "ausgesetzt".

- Kehrt er innerhalb von drei Monaten nach Registrierung seines Anspruchs nach Bulgarien zurück, wird der Fall wiedereröffnet und grundlegend geprüft. Wenn ein Platz zur Verfügung steht, wird er in Erwartung einer Entscheidung an eine offene Aufnahmeeinrichtung verwiesen. (...)

Erfolgt der Transfer mehr als drei Monate und zehn Tage nach Registrierung des Asylantrages oder wurde der Anspruch während der Abwesenheit des Antragstellers abgelehnt, wird der Aufenthalt des Antragstellers als illegal angesehen und er kommt in Abschiebehaft.

Grundsätzlich ist es möglich, dass diese Person einen Folgeantrag stellt, in dem er neue Kriterien aufzeigen muss, zusätzlich zu den in seinem Erstantrag aufgeführten Gründen. Wird ein Folgeantrag gestellt, prüft die SAR nur die neuen Kriterien. Werden diese als nicht-existent befunden, wird der Folgeantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Wenn der Antragsteller ("Dublin-Rückkehrer") neue Kriterien anführen kann und der Folgeantrag zur sachlichen Prüfung zugelassen wird, ist eine Haftfortdauer wahrscheinlich. Freilassung aus der Haft ist nur möglich, wenn ein Asylantragsteller einen Platz in einer SAR-Einrichtung hat oder wenn er einen externen Wohnort nachweisen kann, womit er aber auf staatliche Hilfe verzichtet."

Daraus ergibt sich, dass das Asylverfahren nach Ablauf von drei Monaten und zehn Tagen nach der Registrierung des Asylantrages nicht fortgesetzt wird. Der Dublin-Rückkehrer kann lediglich einen Folgeantrag stellen, der nur bei neuen Kriterien als beachtlich anzusehen ist. Die gegenteilige Annahme der genannten Rechtsprechung (vgl. insbesondere die Schlussfolgerungen im Urteil des VGH München vom 2. Februar 2015, a.a.O.) beziehen sich auf die weitere Äußerung im Bericht des UNHCR vom 23. Dezember 2014, in der es (in deutscher Übersetzung) heißt:

"Hinsichtlich einer Wiedereröffnung des Asylverfahrens eines Dublin-Rückkehrers nach Bulgarien, wird das Asylverfahren generell, wenn der Asylanspruch noch nicht entschieden worden ist, wieder eröffnet, und zwar an der Stelle, an der der Stillstand eingetreten ist, vorausgesetzt, dass die Person ihre Zustimmung zur Fortführung ihres Asylverfahrens in Bulgarien gibt. Es gibt keine weiteren Anforderungen und eine Prüfung der Sache ist sichergestellt. Sollte die überstellte Person ihr Asylverfahren in Bulgarien fortsetzen wollen, so wird diese Person, abhängig vom Verfahrensstand, höchstwahrscheinlich in eine SAR-Einrichtung überstellt und genießt dieselben Recht wie andere Asylbewerber."

Diese Passage bezieht sich aber auf die Asylbewerber, die ihr Verfahren noch innerhalb der Drei-Monats-Frist fortführen (wollen), wie sich aus dem folgenden Absatz des Berichtes des UNHCR vom 23. Dezember 2014 ergibt. Danach ist das Verfahren nach Ablauf von drei Monaten nach Aussetzung des Verfahrens beendet. Eine Fortführung des Verfahrens mit einer Anhörung findet nur noch als Folgeantragsverfahren statt. Im Folgeantragsverfahren kann der Flüchtling nur neue Kriterien anführen, die zur Beachtlichkeit seines Antrages führen können. Auf die Gründe, die ihn zum Verlassen seines Heimatlandes geführt haben, kann er sich nicht mehr berufen. Der Folgeantragsteller kommt in Abschiebehaft, aus der er nur entlassen wird, wenn ein Platz in einer SAR-Einrichtung frei ist. Im Übrigen verbleibt er in der Haft, ohne dass es - wie es in dem Bericht des UNHCR heißt - hinreichenden Rechtsschutz gibt.

Der Antragsteller hat Bulgarien bereits im Dezember 2014 verlassen, so dass die genannten Fristen, innerhalb der bei einer Rückkehr das ausgesetzte Asylverfahren wiedereröffnet und grundlegend geprüft wird, inzwischen abgelaufen ist. Sein Verfahren ist beendet, er wird bei Rückkehr als illegaler Migrant behandelt und kommt in Abschiebehaft. Er kann zwar einen Asylfolgeantrag stellen und wird in der Praxis nach einer Überstellung, wenn eine Befragung zur Sache noch nicht stattgefunden hat, zu einem Gespräch geladen. In der Sache kann er aber nur neue Kriterien geltend machen, die zur Beachtlichkeit des Folgeantrages führen können. Sind diese beachtlich, wird der Folgeantrag zur sachlichen Prüfung zugelassen. Er wird aus der Haft entlassen, wenn er einen Platz in einer SAR-Einrichtung hat oder ihm ein solcher Platz zugewiesen wird. Der Asylantrag des Antragstellers und seiner Asylgründe werden in Bulgarien somit nicht uneingeschränkt überprüft, er gelangt vielmehr als illegaler Migrant in Abschiebehaft. Auf die je nach Auslastung der SAREinrichtungen möglichen Unterbringung in einer solchen Einrichtung muss er sich nicht verweisen lassen.

Die systemischen Mängel betreffen zum anderen die Aufnahmebedingungen während des Asylverfahrens.

Der UNHCR hat zwar in seinem Bericht vom April 2014 Verbesserungen des Systems festgestellt. Ausgangspunkt der Bewertung der Situation ist zunächst, dass das bulgarische Asylsystem bis 2014 "total überfordert, wenn nicht gar kollabiert" war (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 10. November 2014, a.a.O.). Trotz der im Bericht des UNHCR angeführten Verbesserungen der Situation für Asylsuchende kann von einer generellen Wende der bulgarischen Flüchtlingspolitik nicht ausgegangen werden. Dafür sprechen die vom UNHCR aufgeführten nach wie vor vorliegenden zahlreichen, nicht unerheblichen Defizite in wesentlichen Bereichen des Aufnahme- und Asylsystems. Weiteres Indiz dafür sind die Empfehlungen von amnesty international, des ECRE und pro asyl vom April 2015, von einer Überstellung nach Bulgarien nach wie vor abzusehen.

Unterstützt wird diese Einschätzung von den aktuell erreichbaren Erkenntnismitteln. Regierungsmitglieder der seit November 2014 im Amt befindlichen neuen bulgarischen Regierung haben zwar die Absicht geäußert, sich in der Flüchtlingsfrage an die EU-Vorgaben zu halten und die Migrationspolitik in Richtung Integration voranzutreiben (vgl. news/ORF.at vom 29. Dezember 2014; RTL.de vom 29. Dezember 2014; Radio Bulgaria bnr.bg vom 10. Januar 2015). In konkreten Äußerungen geht es aber nicht um die Genehmigung und Finanzierung eines Integrationsprogramms oder gar um die praktische Umsetzung eines solchen Programms (vgl. auch UNHCR: Monitoring Report On The Immigration Of Beneficiaries Of International Protection In The Republik Of Bulgaria In 2014 vom Dezember 2014). Von der EU werden vielmehr finanzielle Mittel gefordert, die für die Erweiterung des Grenzzauns an der bulgarisch-türkischen Grenze eingesetzt werden sollen (vgl. Radio Bulgaria, a.a.O., DW vom 16. Januar 2015 "Flüchtlinge in Bulgarien nicht willkommen"). Wem es gelingt, trotz des Grenzzauns nach Bulgarien zu kommen, muss damit rechnen, mit Gewalt zurückgebracht zu werden (Frankfurter Rundschau vom 29. Mai 2015 "Busse voller scheuer Menschen mit abgelaufenen Schuhen"). In der lokalen Presse wird von Todesfällen an der Grenze berichtet, pro asyl fordert die Rückschiebungen zu beenden ("Keine völkerrechtswidrige Push Backs an der bulgarisch-türkischen Grenze, Aufhebung der Grenzabschottung", Bericht vom April 2015) Die Abschottungspraxis lässt den Schluss zu, dass die neue Regierung bei der Bewältigung des Flüchtlingsproblems eher auf die europarechtswidrige Verhinderung von Grenzübertritten setzt als auf Integration.

Im Wirtschaftsblatt (vom 15. Januar 2015 "Bulgarien baut Grenzzaun zur Türkei aus") heißt es, dass monatlich 3.000 Flüchtlinge illegal nach Bulgarien über die Landesgrenze zur Türkei einreisten. Momentan seien 8.000 Flüchtlinge in den Aufnahmezentren im Grenzgebiet und in der Hauptstadt Sofia untergebracht. Die Kapazitäten der Flüchtlinge seien fast ausgeschöpft. Dem gegenüber berichtet der UNHCR auf eine Anfrage des VGH Baden-Württemberg in einer Email vom 7. November 2014, dass nach den allerjüngsten Zahlen wohl ca. 35 % (von der Gesamtkapazität von 6.000 Plätzen) noch nicht ausgeschöpft seien (vgl. auch Asylum Information Database - AIDA -, National Country Report Bulgaria vom 31. Januar 2014 und die Bewertung im Urteil des VGH Baden-Württemberg vom 10. November 2014, a.a.O.). Auch nach dem Bericht des UNHCR vom 23. Dezember 2014 ist die Kapazität der SAR-Einrichtungen - wie ausgeführt - nicht ausgelastet. Hierzu ist zunächst darauf hinzuweisen, dass Berichte, dass sich die auch vom UNHCR im Bericht vom April 2014 als inakzeptabel bezeichneten Zustände in den Aufnahmeeinrichtungen in Vrazdebna und Voenna Rampa gebessert hätten, weiterhin fehlen. Der UNHCR führt im Bericht vom 14. Januar 2015 an, dass in den Jahren 2013 und 2014 mehr als 18.000 Flüchtlinge vor allem aus Syrien über die Türkei kommend in Bulgarien, das zu den ärmsten Mitgliedstaaten der EU gehöre, um Flüchtlingsschutz nachgesucht hätten. Es werde im Frühjahr, wenn das Wetter günstiger werde, mit einem erneuten Ansturm gerechnet (UNHCR-News vom 14. Januar 2015, gestützt auf den entsprechenden Bericht Reuters vom selben Tag). Bei einer Gesamtkapazität von ca. 6.000 Plätzen dürften die Flüchtlinge in den Aufnahmeeinrichtungen nicht untergebracht werden können (vgl. auch jungle-world.com - Archiv - 04/2015 Reportage - Flüchtlinge in der bulgarischen Hauptstadt Sofia, vom 22. Januar 2015 "Hotel Cinq Etoiles"). Ein erheblicher Teil der Asylsuchenden wird sich außerhalb der staatlichen Einrichtungen aufhalten, weil sie in diese nicht aufgenommen wurden oder weil diese inakzeptable Lebensumstände darstellen.

Auch wird nach wie vor über inakzeptable und unwürdige Zustände in den bulgarischen Gefängnissen berichtet (TAZ vom 28. Januar 2015 "Gericht rügt unwürdige Zustände"; FR vom 27. März 2015 "Antifolterkomitee geißelt Bedingungen in Bulgarien"). Auch außerhalb der Gefängnisse werden die unwürdigen Umstände für Flüchtlinge aufgeführt. Unter Berufung auf Berichte vom ECRI Report in Bulgarien, Published on 16. September 2014, Bordermonitoring Bulgaria 2014 und ai 2015 führt pro asyl im Bericht vom April 2015 an, dass rassistische Übergriffe gegen Flüchtlinge zahlreich seien und ein erschreckend hohes Maß an Gewalt aufwiesen. Sie reichten von verbalen Angriffen und Erniedrigungen über Diskriminierung bis hin zu physischen Übergriffen mit teilweise brutalem Ausmaß. "Sie treffen den Einzelnen bei der Wohnungs- und Arbeitssuche, bei Arztbesuchen und auf der Straße und alle Flüchtlinge bei Angriffen auf Flüchtlingslager. Diskriminierende Gewalt wirkt sich nicht nur für die direkt Betroffenen traumatisierend aus, sondern betrifft ihre gesamte Community" (pro asyl, Bericht vom April 2015, S. 30). Die Situation verschärft sich für diejenigen Flüchtlinge, die einen Flüchtlings- oder subsidiären Schutzstatus erhalten haben. Sie erhalten keinerlei Unterstützung bei der Suche und Bezahlung von Wohnraum, keine Sozialhilfe, keine oder nur sehr schwer Arbeit (vgl. pro asyl, Bericht vom April 2015, S. 32 ff.; vgl. auch VG Oldenburg, Beschluss vom 27. Januar 2015, a.a.O.).

Angesichts dieser Situation, die nach wie vor von Versorgungsengpässen und inakzeptablen Unterbringungen geprägt ist, die zu Obdachlosigkeit, unzureichender medizinischer Versorgung und ein Leben in extremer Armut führen kann, ist es nicht zumutbar, die betreffenden Antragsteller nach Bulgarien abzuschieben.

Dies gilt auch für den Antragsteller. Er gehört als lediger 23-jähriger Syrer zwar nicht zu einer besonders gefährdeten Gruppe. Wie oben ausgeführt sind aber auch Alleinstehende, junge und gesunde männliche Personen zu schützen. Die prekären Umstände treffen den Antragsteller nicht vereinzelt oder zufällig, sondern mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit. Dies gilt besonders, weil er als Dublin-Rückkehrer und Folgeantragsteller in Abschiebehaft genommen wird. Dass er die Haftanstalt nach Stellung eines Asylfolgeantrages verlassen kann, wird zwar nach dem Bericht des UNHCR vom 23. Dezember 2014 als möglich angesehen, kann aber ohne konkrete Hinweise nicht unterstellt werden.

Der Überstellung nach Bulgarien ist auch nicht durch eine gerichtlich verfügte Auflage, dass die Antrags - gegnerin in Abstimmung mit den bulgarischen Behörden sicherzustellen hat, dass den jeweiligen Antragstellern unmittelbar nach ihrer Ankunft in Bulgarien eine Unterkunft zur Verfügung gestellt wird, zu begegnen. Eine solche Auflage ist nach § 80 Abs. 5 Satz 4 VwGO nur für den Fall der Wiederherstellung oder Anordnung der aufschiebenden Wirkung, nicht aber - wie hier - für den Fall der Ablehnung des entsprechenden Antrages vorgesehen (vgl. hierzu VG Minden, Beschluss vom 29. Dezember 2014 - 10 L 607/14.A -, juris, m.w.N.). Eine solche Zusicherung hat im Übrigen die Antragsgegnerin auch nicht vorgelegt. [...]