SG Detmold

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Zitieren als:
SG Detmold, Beschluss vom 02.04.2015 - S 2 SO 102/15 ER - asyl.net: M23062
https://www.asyl.net/rsdb/M23062
Leitsatz:

Aus einer Verpflichtungserklärung gem. § 68 AufenthG entsteht eine allenfalls eine Regresspflicht, steht aber einem Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach den §§ 41 ff SGB XII nicht entgegen.

Im Bereich der anerkannten Asylberechtigten kann § 68 AufenthG aus systematischen Erwägungen für die Zeit des berechtigten Asyls gar nicht zur Anwendung kommen, da das Asylrecht nicht von einer Verpflichtungserklärung nach § 68 AufenthG abhängig sein kann, da dies schon dem Wesen des Asylrechts widersprechen würde.

Schlagwörter: Sozialleistungen, Grundsicherung, Verpflichtungserklärung, Sicherung des Lebensunterhalts, anerkannter Flüchtling, Asylberechtigte,
Normen: AufenthG § 68, AufenthG § 25 Abs. 1, AufenthG § 23 Abs. 1, AufenthG § 25 Abs. 2,
Auszüge:

[...]

Die Voraussetzungen der Grundsicherung liegen vor. Insbesondere sind die Antragsteller bedürftig. Dem steht nicht die Verpflichtungserklärung der Evangelischen Kirchengemeinde entgegen.

Wer sich der Ausländerbehörde oder einer Auslandsvertretung gegenüber verpflichtet hat, die Kosten für den Lebensunterhalt eines Ausländers zu tragen, hat gemäß § 68 AufenthG sämtliche öffentlichen Mittel zu erstatten, die für den Lebensunterhalt des Ausländers einschließlich der Versorgung mit Wohnraum und der Versorgung im Krankheitsfalle und bei Pflegebedürftigkeit aufgewendet werden, auch soweit die Aufwendungen auf einem gesetzlichen Anspruch des Ausländers beruhen. Aufwendungen, die auf einer Beitragsleistung beruhen, sind nicht zu erstatten. Die Verpflichtung nach Absatz 1 Satz 1 bedarf gemäß § 68 Abs. 2 SGB XII der Schriftform. Sie ist nach Maßgabe des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes vollstreckbar. Der Erstattungsanspruch steht der öffentlichen Stelle zu, die die öffentlichen Mittel aufgewendet hat.

Zunächst resultiert aus der Verpflichtungserklärung gemäß § 68 AufenthG ohnehin "nur" eine Regresspflicht. Das spricht dafür, dass die Leistungen gegenüber dem Bedürftigen schon nicht per se ausgeschlossen werden dürfen, sondern der Sozialhilfeträger sich die gewährten Leistungen allenfalls von dem, der die Verpflichtungserklärung abgegeben hat, erstatten lassen kann.

Im Bereich der anerkannten Asylberechtigten kann § 68 AufenthG jedoch aus systematischen Erwägungen für die Zeit des berechtigten Asyls gar nicht zur Anwendung kommen. Das Asylrecht ist nicht von einer Verpflichtungserklärung nach § 68 AufenthG abhängig. Das würde schon dem Wesen des Asylrechts widersprechen.

Einem Ausländer ist gemäß § 25 Abs. 1 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn er als Asylberechtigter anerkannt ist. Dies gilt (nur dann) nicht, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen worden ist. Bis zur Erteilung der Aufenthaltserlaubnis gilt der Aufenthalt als erlaubt. Die Aufenthaltserlaubnis berechtigt zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit.

Einzige Voraussetzung der Aufenthaltserlaubnis aus § 25 Abs. 1 S. 1 AufenthG ist die Anerkennung als Asylberechtigter.

Ein Ausländer ist gemäß § 3 AsylVfG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich 1. aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, 2. außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, a) dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder b) in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Ein Ausländer ist gemäß § 3 Abs. 2 AsylVfG nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er 1. ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen, 2. vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder 3. den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat. Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben. Ein Ausländer ist gemäß § 3 Abs. 3 AsylVfG auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt. Wird ein solcher Schutz oder Beistand nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig geklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar. Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird gemäß § 3 Abs. 4 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes.

Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten gemäß § 3a AsylVfG Handlungen, die 1. auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder 2. in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist. Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können gemäß § 3a Abs. 2 AsylVfG unter anderem die folgenden Hand-lungen gelten: 1. die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt, 2. gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden, 3. unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung, 4. Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder dis-kriminierenden Bestrafung, 5. Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen, 6. Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind. Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss gemäß § 3a Abs. 3 AsylVfG eine Verknüpfung bestehen.

Wie schon die einfachgesetzlichen Normen des Asylrechts zeigen, ist die Ausübung dieses Menschenrechts aus Art. 16a Abs. 1 Grundgesetz, wonach politisch Verfolgte Asyl ge-nießen, geradezu selbstredend natürlich nicht von der Übernahme einer Verpflichtungserklärung nach § 68 AufenthG abhängig.

Deshalb findet sich selbstverständlich in den einfach gesetzlichen Bestimmungen der §§ 3 ff. AsylVfG an keiner Stelle eine Anknüpfung an eine Verpflichtungserklärung.

Da die Antragsteller hier als Asylberechtigte anerkannt worden sind, dürfen ihnen nun keine staatlichen Leistungen während ihres rechtmäßigen Aufenthalts aufgrund des Asylrechts unter Verweis auf die abgegebene Verpflichtungserklärung der evangelischen Kirchengemeinde verwehrt werden. Denn die Verpflichtungserklärung der evangelischen Kirchengemeinde ist hier rechtlich nicht kausal für den rechtmäßigen Aufenthalt.

Die Aufenthaltserlaubnis eines anerkannten Asylberechtigten aus § 25 AufenthG darf gerade nicht von irgendwelchen Verpflichtungserklärungen hinsichtlich der wirtschaftlichen Situation abhängig gemacht werden. Die Antragsteller haben ein Aufenthaltsrecht, weil sie verfolgt werden und asylberechtigt sind. Es geht beispielsweise nicht um einen Fall des Nachzugs eines nicht verfolgten, erwachsenen Ausländers in die BRD, dessen Legitimation dann von einer Verpflichtungserklärung der hiesigen Familienangehörigen nach § 68 AufenthG abhängig gemacht werden kann. Die Verpflichtungserklärung der evangelischen Kirchengemeinde hatte daher nur für den Fall, dass die Asylanträge gescheitert wären, Bedeutung. Die Kirchengemeinde hat also das wirtschaftliche Risiko des Scheiterns der Asylanträge übernommen. Darüber hinaus könnte die Erklärung Bedeutung erlangen, wenn das Bleiberecht aus dem Asylrecht eines Tages beendet werden sollte, aber keine Ausreise erfolgt. Über letztere Konstellation ist hier jedoch an dieser Stelle nicht zu entscheiden, so dass diese Frage hier klarstellend ausdrücklich offen gelassen wird. [...]