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LG Traunstein

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Zitieren als:
LG Traunstein, Beschluss vom 27.11.2015 - 4 T 4081/15 (Asylmagazin 4-5/2016, S. 142 f.) - asyl.net: M23364
https://www.asyl.net/rsdb/M23364
Leitsatz:

Ein Haftantrag, der sich auf die erhebliche Fluchtgefahr nach Art. 28 Abs. 2 Dublin III-VO bezieht, muss konkrete Anhaltspunkte nach § 2 Abs. 14 oder 15 AufenthG darlegen. Werden die Gründe nicht ausreichend dargelegt, darf keine Haft angeordnet werden.

Schlagwörter: Überstellungshaft, Abschiebungshaft, Sicherungshaft, Fluchtgefahr, Dublinverfahren, Untertauchen, erhebliche Fluchtgefahr, Haftgrund, Haftgründe,
Normen: VO 604/2013 Art. 28 Abs. 2, AufenthG § 2 Abs. 15 S. 2, AufenthG § 2 Abs. 14 Nr. 1,
Auszüge:

[...]

1. Gegen die Anordnung der Haft zur Sicherung der Zurückschiebung ist gemäß § 106 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 58 Abs. 1 FamFG das Rechtsmittel der Beschwerde gegeben. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Rosenheim vom 26.10.2015 ist zulässig, insbesondere fristgerecht innerhalb der einmonatigen Beschwerdefrist (§ 63 Abs. 1 FamFG) eingelegt.

2. Die Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Rosenheim vom 26.10.2015 ist begründet.

Die beteiligte Ausländerbehörde führte in ihrem Haftantrag vom 26.10.2015 aus, dass der Betroffene im Verfahren nach der Dublin-III-Verordnung nach Italien überstellt werden soll, da Italien für die Durchführung des Asylverfahrens des Betroffenen zuständig ist und stützte den Haftantrag auf die Haftgründe des Art. 28 Dublin-III-VO, i.V.m. § 14 und 15 AufenthG.

Ein Haftgrund liegt nicht vor. Gemäß Art. 28 Abs. 2 der Dublin-III-VO dürfen die Mitgliedstaaten im Einklang mit dieser Verordnung zwecks Sicherstellung von Überstellungsverfahren, wenn eine erhebliche Fluchtgefahr besteht, nach einer Einzelfallprüfung die entsprechende Person in Haft nehmen und nur im Falle, dass Haft verhältnismäßig ist und sich weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam anwenden lassen. Gemäß Art. 2 lit. n) der Dublin-III-VO bezeichnet "Fluchtgefahr" das Vorliegen von Gründen im Einzelfall, die auf objektiven gesetzlich festgelegten Kriterien beruhen und zu der Annahme Anlass geben, dass sich ein Antragsteller, ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser, gegen den ein Überstellungsverfahren läuft, diesem Verfahren möglicherweise durch Flucht entziehen könnte.

Objektiv gesetzlich festgelegte Kriterien wurden in § 2 Abs. 14 und 15 AufenthG normiert. In dem Haftantrag muss das Vorliegen eines dort gesetzlich festgelegten Kriteriums dargelegt werden. Eine Gesamtschau und Betrachtung aller Umstände des Einzelfalles - die im vorliegenden Fall zur Überzeugung der Kammer ohne Frage zu der Bejahung einer erheblichen Fluchtgefahr führt -, unabhängig von dem Vorliegen eines der gesetzlich festgelegten Kriterien, ist mit Art 2 lit. n) der Dublin-III-VO nicht vereinbar.

Die von der beteiligten Ausländerbehörde dargelegten Gründe für das Vorliegen einer erheblichen Fluchtgefahr lassen sich unter keinen der "konkreten Anhaltspunkte" nach § 2 Abs. 14 oder 15 AufenthG subsumieren.

Nach § 2 Abs. 15 Satz 2 AufenthG kann ein entsprechender Anhaltspunkt gegeben sein, wenn der Ausländer einen Mitgliedstaat vor Abschluss eines dort laufenden Verfahrens zur Zuständigkeitsbestimmung oder zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz verlassen hat und die Umstände der Feststellung im Bundesgebiet konkret darauf hindeuten, dass er den zuständigen Mitgliedstaat in absehbarer Zeit nicht aufsuchen will. Der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen wendet insoweit ein, dass der Nachweis fehle, dass der Betroffene vor Abschluss seines Asylverfahrens Italien verlassen hat. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass der Betroffene bei seiner polizeilichen Vernehmung am 25.10.2015 angab, dass er von Italien einen Ablehnungsbescheid seines Asylverfahrens bekommen hat. Dass dies nicht der Wahrheit entspricht, wurde von der beteiligten Ausländerbehörde nicht dargelegt.

Auch § 2 Abs. 14 Nr. 1 AufenthG ist nicht erfüllt. Danach kann ein konkreter Anhaltspunkt sein, dass der Ausländer sich bereits in der Vergangenheit einem behördlichen Zugriff entzogen hat, indem er seinen Aufenthaltsort trotz Hinweises auf die Anzeigepflicht nicht nur vorübergehend gewechselt hat, ohne der zuständigen Behörde eine Anschrift anzugeben, unter der er erreichbar ist. Der Betroffene hat sich in der Vergangenheit in erheblicher Weise behördlichen Zugriffen entzogen. Der in § 14 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG konkret normierte Fall wurde seitens der beteiligten Ausländerbehörde aber nicht dargelegt. Nach den Gründen des Beschlusses des Amtsgerichts Frankenberg vom 06.02.2015 wurde dem Betroffenen am 30.10.2014 durch eine Mitarbeiterin des Landkreises Waldeck-Frankenberg der Inhalt des Ankündigungsschreibens betreffend den zweiten Überstellungsversuch am 04.11.2014 eröffnet. Ob und inwieweit der Betroffene auf seine Anzeigepflicht nach § 2 Abs. 14 Nr. 1 AufenthG hingewiesen wurde, ist unklar und geht auch aus dem ergänzenden Haftantrag nicht hervor. Darüber hinaus ergibt sich aus einem Aktenvermerk des Regierungspräsidiums Kassel vom 04.03.2015, dass Herr ... am 17.11,2014 mitteilte, dass sich der Betroffene wieder in der Unterkunft aufhält. Dies spricht dafür, dass er seinen Aufenthaltsort nur vorübergehend gewechselt hat.

Der Betroffene hat auch nicht erklärt, dass er sich der Abschiebung entziehen will, § 2 Abs. 14 Nr. 5 AufenthG. Bei der gerichtlichen Anhörung am 26.10.2015 gab er an, "diesmal freiwillig" zu gehen. [...]