OVG Rheinland-Pfalz

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Zitieren als:
OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21.04.2016 - 7 A 11108/14 (= ASYLMAGAZIN 8/2016, S. 276 ff.) - asyl.net: M23933
https://www.asyl.net/rsdb/M23933
Leitsatz:

Zu verdachtsunabhängigen Personenkontrollen in Zügen:

1. Die Ermächtigung zur Personenkontrolle zur Verhinderung unerlaubter Einreise nach § 22 Abs. 1a BPolG ist nicht auf grenzüberfahrende Züge beschränkt.

2. Die Norm ist verfassungsgemäß und verstößt nicht gegen europarechtliche Vorgaben:

a. Die in § 22 Abs. 1a BPolG angelegte Differenzierung nach der Staatsangehörigkeit ist mit dem Diskriminierungsverbot aus Art. 3 Abs. 3 GG vereinbar.

b. Auch im Hinblick auf den räumlichen Anwendungsbereich ist § 22 Abs. 1a BPolG hinreichend klar und bestimmt und in Anbetracht der geringen Eingriffsintensität verhältnismäßig.

c. Die in § 22 Abs. 1a BPolG vorgesehenen Kontrollen haben aufgrund ihrer Selektivität nicht die gleiche Wirkung wie Grenzkontrollen und entsprechen damit den Vorgaben aus Art. 20 und 21 Schengener Grenzkodex zur Unterbindung solcher an Binnengrenzen.

3. Eine Diskriminierung i.S.d. Art. 3 Abs. 3 GG liegt bereits dann vor, wenn ein dort genanntes Merkmal für die Ungleichbehandlung kausal ist. Das Merkmal muss nicht ausschließlich oder ausschlaggebend zur Differenzierung führen, sondern kann eines unter mehreren Motiven für die Kontrolle sein.

4. Grundsätzlich muss die Bundespolizei nicht beweisen, dass eine Kontrolle nach § 22 Abs. 1a BPolG nicht in diskriminierender Weise aufgrund eines Merkmals nach Art. 3 Abs. 3 GG erfolgte. Nur wenn sie zielgerichtet eine Auswahl trifft und diese nicht schlüssig ist, trägt sie die Beweislast dafür, dass diese nicht diskriminierend ist.

5. Vorliegend war die Auswahl der zu kontrollierende Personen ermessensfehlerhaft, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Hautfarbe der Betroffenen nicht zumindest ein mitentscheidendes Kriterium für die Kontrolle gewesen ist.

(Im Ergebnis aufrecht erhalten, aber entgegenstehende rechtliche Würdigung: erste Instanz VG Koblenz, Urteil vom 23.10.2014 - 1 K 294/14.KO - asyl.net: M22459)

Anmerkung:

Schlagwörter: Racial Profiling, Diskriminierung, verdachtsunabhängige Kontrolle, Diskriminierungsverbot, Bundespolizei, allgemeiner Gleichheitssatz, Gleichheitsgrundsatz, Ausweiskontrolle, Bahn, Hautfarbe, Identitätsfeststellung, Rasse, Grenze, Schengener Grenzkodex, Zug, Ungleichbehandlung, Motivbündel, Datenabgleich, Befragung, grenznaher Raum, Grenzkontrollen, Beweislast, Jedermann-Kontrolle,
Normen: GG Art. 3, GG Art. 3 Abs. 1, GG Art. 3 Abs. 3, GG Art. 3 Abs. 3 S. 1, BPol § 22 Abs. 1a, VO 562/2006 Art. 20, VO 562/2006 Art. 21, BPolG § 23 Abs. 1 Nr. 3, BPolG § 34 Abs. 1 S. 2, VO 562/2006 Art. 21 Bst. a S. 1,
Auszüge:

[...]

§ 22 Abs. 1a Bundespolizeigesetz – BPolG –, den die Beklagte als Eingriffsgrundlage für die nach ihren Angaben durchgeführte Befragung der Kläger und die Kontrolle ihrer Ausweispapiere herangezogen hat (1.), ist weder verfassungsrechtlich noch europarechtlich zu beanstanden (2.). Allerdings ist dessen Anwendung im vorliegenden Fall – ebenso wie der sich daran anschließende Datenabgleich – rechtswidrig gewesen und hat die Kläger in ihren Rechten verletzt (3.). [...]

2. Der räumliche Geltungsbereich des § 22 Abs. 1a BPolG ist entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts nicht auf grenzüberfahrende Züge beschränkt (a.). Die Norm ist überdies verfassungsgemäß (b.) und steht nicht in Widerspruch zu europarechtlichen Vorgaben (c.).

a. § 22 Abs. 1a BPolG erlaubt die dort genannten Maßnahmen unter anderem in Zügen und auf dem Gebiet der Bahnanlagen der Eisenbahnen des Bundes, soweit auf Grund von Lageerkenntnissen oder grenzpolizeilicher Erfahrung anzunehmen ist, dass diese zur unerlaubten Einreise genutzt werden. [...]

aa. Der Begriff der unerlaubten Einreise bestimmt sich nach den §§ 13, 14 des Aufenthaltsgesetzes – AufenthG – (vgl. Hoppe/Peilert, in: Heesen/Hönle/Peilert/ Martens, BPolG, 5. Aufl. 2012, § 22 Rn. 30; Drewes, in: Drewes/Malmberg/Walter, BPolG, 5. Aufl. 2015, § 22 Rn. 21; Wehr, BPolG, 1. Aufl. 2013, § 22 Rn. 8). [...]

bb. Obschon dieses nach §§ 13, 14 AufenthG zu bestimmenden (eng umgrenzten) Begriffsinhalts der unerlaubten Einreise, die damit weitgehend mit dem Grenzübertritt zusammenfällt, ist der inhaltliche Aussagegehalt der Formulierung "zur unerlaubten Einreise genutzt" auch unter Berücksichtigung des Normzwecks, der ebenfalls auf unerlaubte Einreisen bezogen ist, und der Funktion des § 22 Abs. 1a BPolG zu bestimmen. [...]

Die danach in der Norm selbst angelegte, primär generalpräventive Funktion zeigt, dass der Begriff der unerlaubten Einreise, der selbst zwar eng mit dem physischen Grenzübertritt verknüpft ist, in seinem normativen Aussagegehalt indes nicht auf diesen allein reduziert werden kann. Dementsprechend fordert auch die Formulierung "zur unerlaubten Einreise genutzt" keine Beschränkung auf den konkreten, selbst die Grenze überfahrenden Zug.

cc. Für diese Auslegung des § 22 Abs. 1a BPolG spricht vor allem die Gesetzessystematik. [...]

Die im Wortlaut des § 22 Abs. 1a BPolG angelegte systematische Unterscheidung zwischen Verkehrsflughäfen einerseits sowie Zügen und Bahnhöfen andererseits verdeutlicht, dass letztgenannte inhaltlich den grenzüberschreitenden Verkehr nicht erfordern. [...]

Die einheitliche Bezugnahme der Formulierung "zur unerlaubten Einreise genutzt" auf Züge und Bahnhöfe legt danach – unter ergänzender Berücksichtigung der abweichenden Fassung bei Verkehrsflughäfen – den Schluss nahe, dass der Gesetzgeber hierdurch Kontrollbefugnisse nach § 22 Abs. 1a BPolG für lageabhängig zu identifizierende schienengebundene Einreiserouten begründen wollte. [...]

dd. Schließlich spricht die Gesetzgebungshistorie für den hier angenommenen räumlichen Anwendungsbereich des § 22 Abs. 1a BPolG. [...]

b. Auch mit diesem, im Vergleich zur Auslegung durch das Verwaltungsgericht erweiterten räumlichen Anwendungsbereich wahrt § 22 Abs. 1a BPolG die verfassungsrechtlichen Vorgaben. Dies gilt in Bezug auf die Zuständigkeit der Bundespolizei (aa), die Vereinbarkeit der Norm mit dem Diskriminierungsverbot aus Art. 3 Abs. 3 GG (bb), die Anforderungen an die Bestimmtheit und Normenklarheit (cc) und die Verhältnismäßigkeit (dd).

aa. Die Maßnahmen nach § 22 Abs. 1a BPolG sind von der auf Art. 73 Abs. 1 Nr. 5, Art. 87 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 GG gestützten Aufgabenzuweisung in § 2 BPolG gedeckt. [...]

Unter Berücksichtigung der vor allem durch die verfassungsrechtlichen Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen zu bestimmenden Abgrenzung zwischen den sonderpolizeilichen Befugnissen der Bundespolizei und der allgemeinen polizeilichen Zuständigkeit der Landespolizei bei der Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs ist insoweit nicht eine räumliche, sondern in erster Linie eine funktionale Betrachtung heranzuziehen (vgl. in diese Richtung Martens, in: Heesen/Hönle/Peilert/Martens, BPolG, 5. Aufl. 2012, § 2 Rn. 8). [...]

bb. § 22 Abs. 1a BPolG enthält keinen strukturell angelegten Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot aus Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG, der eine Verfassungswidrigkeit der Norm selbst begründen würde.

(1) Nach § 22 Abs. 1a BPolG kann die Bundespolizei "jede Person", die an den dort näher bezeichneten und eingegrenzten Orten angetroffen wird, kurzzeitig anhalten, befragen und verlangen, dass mitgeführte Ausweispapiere oder Grenzübertrittspapiere zur Prüfung ausgehändigt werden. Darüber hinaus können mitgeführte Sachen in Augenschein genommen werden. Auch wenn der Normzweck, die Verhinderung oder Unterbindung unerlaubter Einreise, das Handlungsziel vorgibt, muss also die Person, an die sich die Maßnahmen nach § 22 Abs. 1a BPolG richtet, nicht selbst in Verdacht stehen, unerlaubt einreisen zu wollen, unerlaubt eingereist zu sein oder sich an einer unerlaubten Einreise beteiligen zu wollen oder beteiligt zu haben (vgl. Drewes, in: Drewes/Malmberg/Walter, BPolG, 5. Aufl. 2015, § 22 Rn. 22; Hoppe/Peilert, in: Heesen/Hönle/Peilert/Martens, BPolG, 5. Aufl. 2012, § 22 Rn. 36 f.; Wehr, BPolG, 1. Aufl. 2013, § 22 Rn. 12). Aus § 20 Abs. 2 BPolG ergibt sich, dass die Maßnahmen eben nicht allein gegen Verantwortliche oder – unter den in § 20 Abs. 1 BPolG genannten Voraussetzungen – gegen Nicht-Verantwortliche ergriffen werden dürfen. Bei § 22 Abs. 1a BPolG handelt es sich um einen Verdachtsgewinnungs- bzw. Informationseingriff (vgl. Hoppe/Peilert, in: Heesen/Hönle/Peilert/Martens, BPolG, 5. Aufl. 2012, § 22 Rn. 36; Rachor, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 5. Aufl. 2012, E Rn. 367 [allgemein zu anlasslosen Personenkontrollen]). Bereits diese Regelungstruktur verdeutlicht, dass kein normativer Eingriff in das Diskriminierungsverbot aus Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG besteht. [...]

Sollen nach § 22 Abs. 1a BPolG zielgerichtet Maßnahmen gegenüber Personen ergriffen werden, die – ohne einen Gefahrenverdacht hervorzurufen – eine gesteigerte Nähe zum Normzweck aufweisen, ist es naheliegend, dass Ausschau nach nicht deutschen Staatsangehörigen gehalten wird. Eine (faktische) Differenzierung nach der Staatsangehörigkeit und damit eine Sonderbehandlung von Ausländern wird indes von keinem der speziellen Diskriminierungsverbote nach § 3 Abs. 3 Satz 1 GG erfasst, sondern (lediglich) vom allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG (BVerfG, Beschlüsse vom 20. März 1979 – 1 BvR 111/74, u.a. –, BVerfGE 51, 1 [30] = juris, Rn. 95, vom 9. Februar 1994 – 1 BvR 1687/92 –, BVerfGE 90, 27 [37] = juris, Rn. 29 und vom 7. Februar 2012 – 1 BvL 14/07 –, BVerfGE 130, 240 [255] = juris, Rn. 46; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 13. Aufl. 2014, Art. 3 Rn. 126; Leibholz/Rinck/Hesselberger in: Leibholz/Rinck, Grundgesetz, Stand: 01/2016, Art. 3, Rn. 4011; Kischel, in: Epping/Hillgruber, BeckOK GG, Stand: 03/2016, Art. 3 Rn. 132). An dessen Rechtfertigung sind allerdings strenge Anforderungen zu stellen, da die Ungleichbehandlung einerseits an ein personengebundenes Merkmal anknüpft und andererseits eine gewisse Nähe zu den besonderen Diskriminierungsverboten des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG aufweist (vgl. hierzu BVerfG, Beschlüsse vom 26. Januar 1993 – 1 BvL 38/92, 1 BvL 40/92, 1 BvL 43/92 –, BVerfGE 88, 87 [96] = juris, Rn. 35, vom 7. Juli 2009 – 1 BvR 1164/07 –, BVerfGE 124, 199 [220] = juris, Rn. 87 und vom 7. Februar 2012 – 1 BvL 14/07 –, BVerfGE 130, 240 [255] = juris, Rn. 42; a.A. Kischel, in: Epping/Hillgruber, BeckOK GG, Stand: 03/2016, Art. 3 Rn. 132). Die sachliche Rechtfertigung für eine Sonderbehandlung von Ausländern folgt hier unter Berücksichtigung des Normzwecks daraus, dass die zu verhindernde oder zu unterbindende unerlaubte Einreise nach den §§ 13, 14 AufenthG aus Rechtsgründen nur durch Ausländer erfolgen kann und die Bekämpfung illegaler Migration mit ihren Begleiterscheinungen dem Schutz gewichtiger öffentlicher Interessen (vgl. hierzu BT-Drucks. 16/4665, S. 6) dient.

Die (zulässige) Unterscheidung anhand der Staatsangehörigkeit ist indes zu trennen von der Frage, aufgrund welcher im Vorfeld der Maßnahmen nach § 22 Abs. 1a BPolG erkennbarer Kriterien eine etwaig fremde Staatsangehörigkeit und damit eine gesteigerte Nähe zum Normzweck angenommen wird. Auch bei Anwendung dieses an sich neutralen oder zulässigen Differenzierungskriteriums handelte es sich nämlich um eine grundsätzlich unzulässige Diskriminierung nach Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG, wenn sich die (neutrale oder zulässige) Differenzierung weitgehend oder zwingend aus einem der dort genannten Merkmale ergibt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. Juni 2008 – 2 BvL 6/07 –, BVerfGE 121, 241 [254 f.] = juris, Rn. 49; Kischel, in: Epping/Hillgruber, BeckOK GG, Stand: 03/2016, Art. 3 Rn. 217). Eine derartig enge Verknüpfung zwischen den Merkmalen in Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG und der Differenzierung nach der Staatsangehörigkeit, die einen normativen Eingriff des § 22 Abs. 1a BPolG in Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG begründen könnte, besteht indes nicht. Besondere Kleidung oder Gepäck mit hinweisgebenden Anhängern oder Aufdrucken, die auf eine Einreise und/oder eine fremde Nationalität hindeuten können, kommen dabei ebenso in Betracht wie das offen getragene oder sonst erkennbare Ausweispapier eines anderen Staates. [...]

Der Umstand, dass sich durch eine zulässige Differenzierung anhand der Staatsangehörigkeit eine Belastung von Personengruppen ergeben wird, die (auch) geschützte Differenzierungsmerkmale nach Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG aufweisen, stellt die Vereinbarkeit des § 22 Abs. 1a BPolG mit dem Diskriminierungsverbot aus Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG nicht in Frage. Unabhängig davon, ob man eine solche mittelbare bzw. reflexhafte Diskriminierung aus dem Schutzbereich des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG herausnimmt und die Verfassungsmäßigkeit direkt an dem allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG misst (so Kischel, in: Epping/Hillgruber, BeckOK GG, Stand: 03/2016, Art. 3 Rn. 215) oder – worauf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hindeutet (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. November 1997 – 1 BvL 12/91 –, BVerfGE 97, 35 [43] = juris, Rn. 34; Urteil vom 30. Januar 2002 – 1 BvL 23/96 –, BVerfGE 104, 373 [393] = juris, Rn. 69; Beschluss vom 18. Juni 2008 – 2 BvL 6/07 –, BVerfGE 121, 241 [254] = juris, Rn. 49; jeweils zur Differenzierung nach dem Geschlecht) – auch mittelbare Diskriminierungen durch Art. 3 Abs. 3 GG erfasst werden (vgl. Osterloh/Nußberger, in: Sachs, GG, 7. Aufl. 2014, Art. 3 Rn. 255), gelten insoweit letztlich abgeschwächte Rechtfertigungsanforderungen (vgl. Kischel, in: Epping/Hillgruber, BeckOK GG, Stand: 03/2016, Art. 3 Rn. 218; Osterloh/Nußberger, in: Sachs, GG, 7. Aufl. 2014, Art. 3 Rn. 256; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 13. Aufl. 2014, Art. 3 Rn. 135).

cc. § 22 Abs. 1a BPolG wahrt auch unter Einbeziehung des hier zugrunde gelegten räumlichen Anwendungsbereichs die verfassungsrechtlichen Vorgaben an die Normenklarheit und Normenbestimmtheit. [...]

(2) Nach diesen Maßgaben ist § 22 Abs. 1a BPolG, der zu Eingriffen in die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) berechtigt, hinreichend klar und bestimmt.

(a) Bei den in § 22 Abs. 1a BPolG vorgesehenen Maßnahmen des kurzzeitigen Anhaltens, Befragens und Verlangens, mitgeführte Ausweispapiere zur Prüfung auszuhändigen, handelt es sich um Eingriffe von geringer Intensität (vgl. OVG RP, Urteil vom 27. März 2014 – 7 A 11202/13 –, juris, Rn. 29; BayVerfGH, Entscheidung vom 28. März 2003 – Vf. 7-VII-00, Vf. 8-VIII-00 –, juris, Rn. 114; jeweils zur Identitätskontrolle; vgl. auch Gnüchtel, NVwZ 2013, 980 [983], demzufolge die Eingriffsintensität der Maßnahme nach § 22 Abs. 1a BPolG auf geringerer Stufe als die Identitätsfeststellung anzusiedeln sei; a.A. HambOVG, Urteil vom 13. Mai 2015 – 4 Bf 226/12 –, juris, Rn. 71, zur Identitätsfeststellung; VerfGH Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 21. Oktober 1999 – 2/98 –, juris, Rn. 81; Rachor, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 5. Aufl. 2012, E Rn. 376).

Eine schwerwiegende Eingriffsintensität ergibt sich entgegen dem Einwand der Kläger weder aus einem – wie ausgeführt nicht gegebenen – normativen Verstoß des § 22 Abs. 1a BPolG gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG noch in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu anderen Datenerhebungs- und Datennutzungsbefugnissen. [...]

(b) Ausgehend von dieser als gering einzustufenden Intensität des Eingriffs, die bei der Frage zu berücksichtigen ist, welche Bestimmtheitsanforderungen im Einzelnen erfüllt sein müssen (vgl. BVerfG, Urteil vom 22. November 2000 – 1 BvR 2307/94, u.a. –, BVerfGE 102, 254 [337] = juris, Rn. 325, m.w.N.; BayVerfGH, Entscheidung vom 7. Februar 2006 – Vf. 69-VI-04 –, juris, Rn. 29), ist § 22 Abs. 1a BPolG hinreichend klar und bestimmt.

Auch wenn § 22 Abs. 1a BPolG verdachtsunabhängige Maßnahmen gestattet, handelt es sich nicht um eine voraussetzungslose Eingriffsnorm, die vollkommen willkürliches, durch kein Ziel vorgegebenes Kontrollieren ermöglichte. Der Zweck ist hinreichend klar und deutlich festgelegt. § 22 Abs. 1a BPolG ermächtigt ausweislich des Wortlauts zu Kontrollmaßnahmen zur Verhinderung oder Unterbindung unerlaubter Einreise. Die Norm ist ausweislich der Gesetzesbegründung darauf gerichtet, illegaler Einreise und Schleusungskriminalität nach dem Wegfall der Filterfunktion von Grenzkontrollen im Schengen-Raum durch stichprobenartige Kontrollen auf den inländischen Hauptverkehrsadern begegnen zu können (vgl. BT-Drucks. 16/4665, S. 7). Neben der eindeutigen Bestimmung von Anlass und Zweck der Norm enthält diese – soweit dies bereichsspezifisch bei einer anlasslosen Kontrollbefugnis strukturell möglich ist – auch handlungsbegrenzende Tatbestandsmerkmale, indem die Maßnahmen nach § 22 Abs. 1a BPolG nur in Zügen und Bahnhöfen erfolgen dürfen, bei denen aufgrund von Lageerkenntnissen oder grenzpolizeilicher Erfahrung angenommen werden kann, dass diese zur unerlaubten Einreise genutzt werden (vgl. dazu jeweils zur Bedeutung der Lageabhängigkeit bei der sog. Schleierfahndung VerfGH Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 21. Oktober 1999 – 2/98 –, juris, Rn. 117 ff.; SächsVerfGH, Urteil vom 10. Juli 2003 – Vf. 43-II-00 –, juris, Rn. 213; BayVerfGH, Entscheidung vom 7. Februar 2006 – Vf. 69-VI-04 –, juris, Rn. 34; a.A. HambOVG, Urteil vom 13. Mai 2015 – 4 Bf 226/12 –, juris, Rn. 53 f., zur Identitätsfeststellung).

Die den räumlichen Anwendungsbereich einschränkenden und die Verbindung zum Normzweck herstellenden Tatbestandsmerkmale der Lageerkenntnisse und der grenzpolizeilichen Erfahrung sind ihrerseits hinreichend klar und bestimmt (zur Definition vgl. Drewes, in: Drewes/Malmberg/Walter, BPolG, 5. Aufl. 2015, § 22 Rn. 27; Hoppe/Peilert, in: Heesen/Hönle/Peilert/Martens, BPolG, 5. Aufl. 2012, § 22 Rn. 32 ff.; Wehr, BPolG, 1. Aufl. 2013, § 22 Rn. 10). Der hinreichenden Bestimmtheit steht insbesondere nicht entgegen, dass Lageerkenntnisse und grenzpolizeiliche Erfahrungen auslegungs- und ausfüllungsbedürftige Rechtsbegriffe sind, die neben einer Anknüpfung an Tatsachen vor allem auch Wertungen und Einschätzungen enthalten. Der hiergegen erhobene Einwand, die Polizei bestimme die näheren Voraussetzungen des Eingriffs selbst und führe das Vorliegen der maßgeblichen Tatbestandsvoraussetzungen selbst herbei (vgl. HambOVG, Urteil vom 13. Mai 2015 – 4 Bf 226/12 –, juris, Rn. 53 f., zur Identitätsfeststellung), greift nicht durch. Die konkrete Eingriffsschwelle hat der Gesetzgeber festgelegt, indem er zum einen eine grundsätzlich anlasslose Kontrolle vorgesehen und zum anderen den räumlichen Anwendungsbereich lageabhängig begrenzt hat. Die gesetzgeberseits formulierte Begrenzung wird nicht dadurch in Zweifel gezogen, dass ein unbestimmter Rechtsbegriff auf Tatbestandsseite durch den Normanwender – hier die Bundespolizei – auszufüllen ist und neben Anknüpfungstatsachen auch Wertungen und Prognosen einfließen. Hierin unterscheiden sich Lageerkenntnisse oder grenzpolizeiliche Erfahrung nicht von dem in seiner Bestimmtheit nicht anzuzweifelnden Gefahrenbegriff, der ebenfalls – gestützt auf eine Tatsachenbasis – eine (subjektive) Einschätzung über einen zukünftigen Geschehensablauf enthält (vgl. Denninger, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 5. Aufl. 2012, D Rn. 46 f.).

Davon zu trennen ist die Frage nach der gerichtlichen Kontrolle. Als unbestimmte Rechtsbegriffe unterliegen die Lageerkenntnisse und die grenzpolizeiliche Erfahrung der uneingeschränkten verwaltungsgerichtlichen Kontrolle (vgl. Hoppe/Peilert, in: Heesen/Hönle/Peilert/Martens, BPolG, 5. Aufl. 2012, § 22 Rn. 34; Müller-Terpitz, DÖV 1999, 329 [336]). [...] Durch die gerichtliche Kontrolle wird gewährleistet, dass der Normanwender den gesetzlich gesetzten Rahmen nicht verlassen und sich eben nicht die Eingriffsvoraussetzungen selbst schaffen kann. [...]

Schließlich ist auch die Formulierung "zur unerlaubten Einreise genutzt" trotz ihrer Auslegungsfähigkeit einer die Grenzen der Normanwendung hinreichend bestimmenden Auslegung zugänglich. [...]

dd. Weiterhin ist § 22 Abs. 1a BPolG auch mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vereinbar. [...]

Die Maßnahmen nach § 22 Abs. 1a BPolG dienen einem legitimen Ziel. Die Norm selbst benennt als Zweck die Verhinderung oder Unterbindung unerlaubter Einreise. Über den Wortlaut hinausgehendes (legitimes) Ziel ist es auch, der Begehung von Straftaten im Zusammenhang mit der unerlaubten Einweise – insbesondere auch begünstigt durch banden- und/oder gewerbsmäßiges Einschleusen von Ausländern – entgegenzutreten (vgl. Drewes, in: Derwes/Malmberg/Walter, BPolG, 5. Aufl. 2015, § 22 Rn. 18).

Die Maßnahmen sind auch geeignet. Die Eignung wird insbesondere nicht dadurch in Frage gestellt, dass bei den in den Jahren 2013 bis 2015 durchgeführten Maßnahmen nach § 22 Abs. 1a BPolG im Inland (Züge und Bahnhöfe) und auf Flughäfen lediglich in gerundet 0,3 % (2013), 1,1 % (2014) und 4,4 % (2015) der Kontrollen Feststellungen zu unerlaubter Einreise getroffen werden konnten und bezogen auf die Kontrollen allein im Inland in den Jahren 2013 und 2014 sogar nur Trefferquoten von unter 1 ‰ vorliegen (vgl. dazu BT-Drucks. 18/4149, S. 4 ff. [zu 2013 und 2014] und BT-Drucks. 18/8037, S. 5 f. [zu 2015]). Denn zum einen ist ein Gesetz bereits geeignet, wenn die abstrakte Möglichkeit der Zweckerreichung besteht, die zugelassenen Maßnahmen also nicht von vornherein untauglich sind, sondern dem gewünschten Erfolg förderlich sein können (vgl. nur BVerfG, Urteil vom 14. Juli 1999 – 1 BvR 2226/94, u.a. –, BVerfGE 100, 313 [373] = juris, Rn. 214). Zum anderen durfte der Gesetzgeber im Rahmen seiner Einschätzungsprärogative zur Eignung der Maßnahmen auch die generalpräventiven Wirkungen der Befugnisnorm einbeziehen, die sich gerade nicht in konkreten Treffern abbilden lassen (vgl. dazu SächsVerfGH, Urteil vom 10. Juli 2003 – Vf. 43-II-00 –, juris, Rn. 226, zur Schleierfahndung; siehe auch BT-Drucks. 15/1861, S. 6).

Die gesetzliche Regelung ist auch erforderlich. [...] Als milderes Mittel scheiden Maßnahmen mit einer geringeren Streubreite aus, weil durch eine erhöhte Eingriffsschwelle zwar ein kleinerer Adressatenkreis betroffen wäre, jedoch die generalpräventive Wirkung des § 22 Abs. 1a BPolG gerade auch auf stichprobenartigen Kontrollen eines weiten Adressatenkreises beruht (vgl. auch SächsVerfGH, Urteil vom 10. Juli 2003 – Vf. 43-II-00 –, juris, Rn. 227, zur Schleierfahndung). Hinzu kommt, dass unter den europarechtlichen Rahmenbedingungen, die systematische Kontrollen an Schengen-Binnengrenzen ausschließen (vgl. Art. 20, Art. 21 Schengener Grenzkodex), ein geeigneter Kontrollraum zur Verhinderung oder Unterbindung unerlaubter Einreise durch Stichproben nach nicht zu beanstandender Einschätzung des Gesetzgebers nicht auf das unmittelbare Grenzgebiet beschränkt werden soll (vgl. BayVerfGH, Entscheidung vom 28. März 2003 – Vf. 7-VII-00, Vf. 8-VIII-00 –, juris, Rn. 111).

§ 22 Abs. 1a BPolG ist schließlich auch verhältnismäßig im engeren Sinne. [...] Ausgehend von der – wie dargelegt – geringen Eingriffsintensität der Maßnahmen nach § 22 Abs. 1a BPolG ist die niedrige Eingriffsschwelle und die damit verbundene Streubreite der Maßnahmen unschädlich. Dies gilt insbesondere auch deshalb, weil die Maßnahmen als Element des Grenzschutzes dem Schutz bedeutsamer Güter dienen, deren Verletzung strafbewehrt ist, wobei nicht allein die unerlaubte Einreise selbst (§ 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG), sondern auch die teilweise mit einer Strafandrohung von bis zu zehn Jahren versehene Schleuserkriminalität (§ 96 AufenthG) als Begleiterscheinung der unerlaubten Einreise einzubeziehen ist (vgl. auch BayVerfGH, Entscheidung vom 28. März 2003 – Vf. 7-VII-00, Vf. 8-VIII-00 –, juris, Rn. 118). Hinzu kommt, dass der Schutz der genannten Güter gerade auch durch die generalpräventive Wirkung der damit auf eine gewisse Streubreite angelegten Maßnahmen erreicht wird. Des Weiteren sind die Befugnisse nach § 22 Abs. 1a BPolG hinsichtlich der herangezogenen Person zwar anlasslos; durch die räumliche Beschränkung des Anwendungsbereichs auf Züge und Bahnhöfe, bei denen aufgrund von Lageerkenntnissen oder grenzpolizeilicher Erfahrung die Annahme besteht, dass diese zur unerlaubten Einreise genutzt werden, oder auf Flughäfen mit grenzüberschreitendem Verkehr werden jedoch nur Personen betroffen, die – örtlich betrachtet – in einer gewissen Nähebeziehung zu den mit § 22 Abs. 1a BPolG verfolgten Gemeinwohlzwecken stehen. Bei einer abwägenden Gegenüberstellung der geringfügigen Grundrechtsbeeinträchtigung und des damit verfolgten präventiven Gefahrenschutzes ist die Vorschrift nicht zu beanstanden.

c. § 22 Abs. 1a BPolG ist mit europarechtlichen Vorgaben vereinbar. Die Art. 20 und 21 Schengener Grenzkodex stehen der Anwendung des § 22 Abs. 1a BPolG nicht entgegen. Bei den Maßnahmen nach § 22 Abs. 1a BPolG handelt es sich – da sie nicht an der Grenze oder bei Grenzübertritt erfolgen – um Kontrollen innerhalb des Hoheitsgebiets nach Art. 21 Schengener Grenzkodex (vgl. EuGH, Urteil vom 22. Juni 2010 – Rs. C-188/10 u.a., [Melki und Abdeli] –, juris, Rn. 68; Urteil vom 19. Juli 2012 – Rs. C-278/12 [Adil] –, juris, Rn. 55 f.), die unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nach Art. 21 lit. a Schengener Grenzkodex zulässig sind. [...]

Mithin ist unter den in Art. 21 lit. a Satz 2 i) bis iv) Schengener Grenzkodex alternativ (vgl. dazu EuGH, Urteil vom 19. Juli 2012 – Rs. C-278/12 [Adil] –, juris, Rn. 59) aufgezählten Situationen anzunehmen, dass die Maßnahmen nicht die gleiche Wirkung wie Grenzkontrollen haben und dementsprechend nach Art. 21 lit. a Satz 1 Schengener Grenzkodex zulässig sind. [...]

bb. Nach diesen Maßstäben begründet § 22 Abs. 1a BPolG Befugnisse, die im Sinne des Art. 21 lit. a Schengener Grenzkodex nicht die gleiche Wirkung wie Grenzübertrittskontrollen haben. Dies ist auch normativ hinreichend abgesichert (a.A. wohl VG Stuttgart, Urteil vom 22. Oktober 2015 – 1 K 5060/13 –, juris, Rn. 33, allerdings ohne weitergehende Begründung zu den Unterschieden zu dem dort inhaltlich an sich geprüften § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG). [...]

In Bezug auf Kontrollen in Zügen und Bahnhöfen kommt hinzu, dass dort nur lageabhängig Befragungen durchgeführt werden dürfen. In diesem Bereich erfolgen die Kontrollen also in Anlehnung an Art. 21 lit. a Satz 2 ii) Schengener Grenzkodex, demzufolge polizeiliche Maßnahmen nicht Grenzübertrittskontrollen gleichgestellt werden dürfen, wenn sie auf allgemeinen polizeilichen Informationen und Erfahrungen in Bezug auf mögliche Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit beruhen (vgl. dazu EuGH, Urteil vom 19. Juli 2012 – Rs. C-278/12 [Adil] –, juris, Rn. 72). Die Verpflichtung, sich für die Kontrollen auf solche Informationen und Erfahrungen zu stützen, trägt weiterhin wesentlich zur Selektivität der durchgeführten Kontrollen – in Abgrenzung zu allgemeinen Grenzkontrollen – bei (vgl. dazu EuGH, Urteil vom 19. Juli 2012 – Rs. C-278/12 [Adil] –, juris, Rn. 78). [...]

3. Während nach alledem die Norm des § 22 Abs. 1a BPolG rechtlich nicht zu beanstanden ist, ist ihre Anwendung vorliegend indes rechtswidrig. Dabei sieht der Senat von einer weiteren Beweiserhebung zum Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen – insbesondere zu den entsprechenden Lageerkenntnissen oder der grenzpolizeilichen Erfahrung – ab (a.), weil die Normanwendung jedenfalls hinsichtlich der Auswahl der Kläger als zu kontrollierende Personen nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweiserhebung als ermessensfehlerhaft anzusehen ist (b). Daraus folgend ist auch der Datenabgleich nach § 34 Abs. 1 Satz 2 BPolG rechtswidrig (c.).

a. Wie bereits im Zusammenhang mit dem räumlichen Anwendungsbereich der Norm ausgeführt, stellt § 22 Abs. 1a BPolG nicht auf den einzelnen, selbst die Grenze überfahrenden Zug ab, sondern auf eine konkrete Bahnstrecke mit den auf ihr verkehrenden Zügen und den an ihr gelegenen Bahnhöfen. Mithin haben sich auch die entsprechenden Lageerkenntnisse und die grenzpolizeiliche Erfahrung auf die konkrete Bahnstrecke zu beziehen. [...]

Hier kommt es nicht darauf an, ob der Senat sich vom Vorliegen des allein in Streit stehenden Tatbestandsmerkmals der Lageerkenntnisse oder grenzpolizeilicher Erfahrung eine Überzeugung bilden kann, weil die angegriffenen Maßnahmen auch dann, wenn man zugunsten der Beklagten davon ausginge, dass die von ihr herangezogenen Lagebilder plausibilisiert, konkretisiert und belegt worden wären, aufgrund einer als ermessenfehlerhaft zu behandelnden Auswahl der zu kontrollierenden Personen rechtswidrig gewesen sind (dazu b. und c.).

b. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stellt sich die auf § 22 Abs. 1a BPolG gestützte Kontrolle der Kläger als ermessensfehlerhaft dar, weil der Senat hiernach nicht die Überzeugung gewinnen konnte, dass die Hautfarbe der Kläger nicht zumindest ein mitentscheidendes Kriterium für ihre Kontrolle gewesen ist. [...]

Eine rechtfertigungsbedürftige Diskriminierung liegt also nach Art. 3 Abs. 3 GG bereits vor, wenn eine Ungleichbehandlung an ein dort genanntes Merkmal in diesem Sinne kausal anknüpft; ob daneben auch andere Gründe in einem Motivbündel maßgeblich waren, ist dann unerheblich (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. November 1993 – 1 BvR 258/86 –, BVerfGE 89, 276 [288 f.] = juris, Rn. 49).

Mithin handelt es sich nicht erst um einen Eingriff in Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG, wenn die Ungleichbehandlung ausschließlich oder ausschlaggebend an eines der dort genannten Merkmale anknüpft (vgl. OVG RP, Urteil vom 27. März 2014 – 7 A 10993/13.OVG –, juris, Rn. 36, "allein aufgrund der Hautfarbe"; OVG RP in der mündlichen Verhandlung in dem für erledigt erklärten Verfahren 7 A 10532/12.OVG, Pressemitteilung 30/2012 vom 30. Oktober 2012, "ausschlaggebendes Kriterium"; zum Diskriminierungsverbot nach Art. 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention vgl. auch EGMR, Entscheidung vom 13. Dezember 2005 – Nr. 55762/00, u.a., Timishev/Russland -, Rn. 58, "exclusively or to a decisive extent" [abrufbar unter: www.hudoc.echr.coe.int]; Urteil vom 13. November 2007 – Nr. 57325/00, D.H. u.a/Tschechien –, Rn. 176, "ausschließlich oder wesentlich" NVwZ 2008, 533 [534]), sondern bereits dann, wenn bei einem Motivbündel ein unzulässiges Differenzierungsmerkmal ein tragendes Kriterium unter mehreren gewesen ist. Eine verdachtsunabhängige Kontrolle nach § 22 Abs. 1a BPolG in Anknüpfung an die Hautfarbe ist unzulässig.

bb. Nach diesen Maßstäben liegt ein Eingriff in Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG vor, da der Senat nach Durchführung der Beweisaufnahme nicht die hinreichende Überzeugung gewinnen konnte, dass die Hautfarbe der Kläger, die von dem Merkmal der Rasse in Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG erfasst wird (vgl. nur Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 13. Aufl. 2014, Art. 3 Rn. 122), für ihre Kontrolle nicht doch mitentscheidend gewesen ist. Dies geht in der vorliegenden zur Entscheidung stehenden Konstellation zulasten der Beklagten.

(1) Entgegen dem Vorbringen der Kläger folgt aus § 3 Abs. 3 Satz 1 GG keine prozessuale Beweislastumkehr. Die Beklagte muss, wenn sie gestützt auf § 22 Abs. 1a BPolG Personen kontrolliert, grundsätzlich nicht darlegen und beweisen, dass ein Merkmal nach Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG für die Auswahl nicht ein mittragendes bzw. mitentscheidendes Kriterium gewesen ist.

Dies ergibt sich bereits daraus, dass § 22 Abs. 1a BPolG dazu ermächtigt, im Rahmen des Normzwecks und des räumlichen Anwendungsbereichs jedermann einer anlasslosen Kontrolle zu unterziehen. Mit Blick auf die in erster Linie generalpräventive Wirkung des § 22 Abs. 1a BPolG (dazu bereits oben) bedarf es insbesondere zur Wahrung des Normzwecks gerade keiner unterhalb einer Verdachts- oder Gefahrenschwelle liegenden Vorauswahl der zu kontrollierenden Personen. Werden solche Jedermann-Kontrollen – beispielsweise allein nach dem Zufallsprinzip – durchgeführt und dabei auch Personen kontrolliert, die ein besonders geschütztes Merkmal im Sinne des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG aufweisen, besteht keine Beweis- und Begründungslast dafür, dass der Auswahlentscheidung keine unzulässige Anknüpfung an eines der dort genannten Differenzierungsmerkmale zugrunde gelegen hat. Zu beachten ist allerdings, dass die gerichtliche Kontrolle sich in dieser Konstellation auch darauf zu beziehen hat, ob tatsächlich solche Jedermann-Kontrollen durchgeführt wurden.

(2) Eine andere Ausgangssituation ergibt sich, wenn den Kontrollen nach § 22 Abs. 1a BPolG eine Vorauswahl der zu kontrollierenden Personen zugrunde gelegt wird, weil bei diesen – immer noch unterhalb einer konkreten Verdachtsoder Gefahrenschwelle – eine zwar unspezifische, aber gesteigerte Nähe zum Normzweck (Verhinderung und Unterbindung unerlaubter Einreise) angenommen wird. Eine solche zielgerichtete Auswahl setzt eine schlüssige, die Auswahlentscheidung tragende Begründung voraus, die ihrerseits nicht gegen verfassungsrechtliche Vorgaben verstoßen darf. Kommt es bei einer solchen zielgerichteten Auswahl zu einer Kontrolle von Personen, die ein besonders geschütztes Merkmal im Sinne des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG aufweisen, trägt die Beklagte ebenfalls keine generelle Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Auswahlentscheidung nicht auf einer unzulässigen Anknüpfung an eines der dort genannten Differenzierungsmerkmale beruht.

Allerdings gilt etwas anderes, wenn die eine zielgerichtete Auswahlentscheidung tragende Begründung sich als nicht belastbar bzw. nicht nachvollziehbar erweist. [...] Mithin obliegt es in diesem Fall der Behörde, trotz eines Fehlers in der Entscheidungsfindung die Rechtmäßigkeit des Entscheidungsergebnisses zu beweisen.

Übertragen auf die Kontrolle nach § 22 Abs. 1a BPolG folgt daraus, dass bei einer zielgerichteten Auswahlentscheidung, deren tragende Begründung (Entscheidungsfindung) sich bei gerichtlicher Kontrolle als fehlerhaft bzw. als zumindest nicht schlüssig erweist, die Behörde die Rechtmäßigkeit der Auswahlentscheidung (Entscheidungsergebnis) darlegen und gegebenenfalls auch beweisen muss. Bestehen also in dieser Situation Anhaltspunkte dafür, dass ein besonders geschütztes Merkmal im Sinne des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG als zumindest mitentscheidender Anknüpfungspunkt herangezogen worden sein könnte, trägt die Behörde letztlich auch die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass keine gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG verstoßende Auswahlentscheidung getroffen wurde.

(3) Ausgehend davon stellt sich die auf § 22 Abs. 1a BPolG gestützte Kontrolle der Kläger als ermessensfehlerhaft dar, weil sich die für die Auswahlentscheidung seitens der Beklagten vorgetragene Begründung nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme als nicht schlüssig darstellt. Die genaue Motivlage der die Kläger kontrollierenden Bundespolizeibeamten ließ sich auch im Rahmen der umfangreichen Beweisaufnahme nicht feststellen. Der Senat konnte nicht die hinreichende Überzeugung gewinnen, dass die Hautfarbe der Kläger nicht zumindest ein mitentscheidendes Kriterium für ihre Kontrolle gewesen ist. [...]

Im Ausgangspunkt ist es nicht zu beanstanden, dass der Zeuge auf die Kläger aufgrund ihrer in flüssiger englischer Sprache geführten Unterhaltung aufmerksam geworden ist. Zwar wird auch die Sprache in Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG als unzulässiges Anknüpfungsmerkmal benannt. Die Aufnahme der Sprache in Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG zielt allerdings darauf, jegliche sprachliche Minderheit gegen Diskriminierung zu schützen und hierdurch den Gebrauch der Muttersprache sowie die Nutzung eigener kultureller Einrichtungen zu gewährleisten (vgl. Heun, in: Dreier, GG, 2. Aufl. 2004, Art. 3 Rn. 129; Stark, in: v.Mangoldt/Klein/Stark, GG, 5. Aufl. 2005, Art. 3 Abs. 3 Rn. 389; Kischel, in: Epping/Hillgruber, BeckOK GG, Stand: 03/2016, Art. 3 Rn. 228). In dieser geschützten Funktion wird die Sprache jedoch nicht betroffen, wenn sie lediglich unter Berücksichtigung ihres indiziellen Aussagegehalts – die Sprache ist eben auch Ausdruck einer nationalen Identität – als ein die Annahme einer ausländischen Staatsangehörigkeit stützendes bzw. förderndes Element herangezogen wird.

Soweit sich danach die bereits im Eingangsbereich getroffene Entscheidung, die Kläger anzusprechen, zunächst noch als schlüssig erweist, vermag das von dem Zeugen geschilderte Gesamtbild, auf das sich auch die Beklagte beruft, die endgültige Entscheidung, eine Kontrolle durchzuführen, sowie die konkrete Durchführung der Kontrolle nicht zu tragen. [...]

Damit entfällt das Gepäck als wesentlicher Bestandteil des behaupteten Gesamtbildes, das Grundlage der Auswahlentscheidung gewesen sein soll.

Auch die englische Sprache als Anknüpfungspunkt für die Kontrolle erscheint durch die weitere Durchführung der Kontrolle – jetzt in deutscher Sprache – nicht mehr hinreichend plausibel. In dem Augenblick, in dem der Kläger dem Zeugen O. in fließendem Deutsch geantwortet hat, und jedenfalls spätestens, als zwei deutsche Personalausweise vorgelegt wurden, die neben der Staatsangehörigkeit auch die Beziehung der Personen untereinander verdeutlichten, blieb von der behaupteten ursprünglichen Vorstellung über den Anlass der Kontrolle nichts mehr übrig. Nichtsdestotrotz wurden die Maßnahmen nach § 22 Abs. 1a BPolG fortgesetzt und es wurde zudem ein Datenabgleich nach § 34 Abs. 1 Satz 2 BPolG durchgeführt. Der Senat verkennt insoweit nicht, dass sich einzelne Erkenntnisse, die die vorgetragene Grundannahme nach und nach widerlegt haben, erst während der Kontrolle ergeben haben. Allerdings lassen sich aus dem Umstand, dass die Kontrolle trotzdem fortgesetzt und sogar intensiviert wurde, indem – letztlich ohne erkennbare Anhaltspunkte – eine Vermutung von der nächsten Vermutung abgelöst wurde, Rückschlüsse auf die Nachvollziehbarkeit der vor Beginn der Maßnahme bestehenden Erwägungen ziehen. Letztlich bleibt für den Senat die Motivlage unklar. [...]

Damit fehlt es an einer schlüssigen, die Auswahlentscheidung tragenden Begründung.

(c) In Konsequenz daraus ist es Sache der Beklagten darzulegen und zu beweisen, dass die Kontrolle der Kläger nicht aufgrund einer Anknüpfung an ihre Hautfarbe und damit unter Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG erfolgt ist. [...]

Die Angaben des Zeugen O., er könne für sich persönlich hundertprozentig ausschließen, die Kläger wegen ihrer Hautfarbe kontrolliert zu haben, lassen sich – unabhängig von der Frage, ob er damit nur eine alleinige oder ausschlaggebende Bedeutung der Hautfarbe ausgeschlossen hat – nicht widerlegen. Gleichzeitig deuten jedoch der Ablauf der Kontrolle mit der zur Überzeugung des Senats widerlegten Grundannahme des auffälligen Gepäcks sowie insbesondere die Fortsetzung und Intensivierung der Kontrolle trotz der sich nach und nach ergebenden, gegen eine Fortführung sprechenden Erkenntnisse darauf hin, dass auch andere Gründe für die Auswahlentscheidung in Betracht kommen. Vor diesem Hintergrund kann der Senat trotz der umfangreichen Beweisaufnahme nicht mit der für seine Überzeugung notwendigen Sicherheit ausschließen, dass die Hautfarbe der Kläger entgegen Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG für die Kontrolle doch ein mitentscheidendes Kriterium gewesen ist. Diese Unaufklärbarkeit geht zulasten der Beklagten.

cc. Der danach anzunehmende Eingriff in Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG ist nicht gerechtfertigt. Da Art. 3 Abs. 3 GG keinen Gesetzesvorbehalt aufweist, ist grundsätzlich allein eine Rechtfertigung durch kollidierendes Verfassungsrecht möglich (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Januar 1995 – 1 BvL 18/93, u.a. –, BVerfGE 92, 91 [109] = juris, Rn. 68; Beschluss vom 7. Oktober 2003 – 2 BvR 2118/01 –, juris, Rn. 27). Hier kommt in Anlehnung an den Normzweck des § 22 Abs. 1a BPolG als Einschränkung die Verhinderung und Unterbindung unerlaubter Einreise in Betracht, die dem Schutz bedeutsamer Güter dient, deren Verletzung strafbewehrt ist, wobei nicht allein die unerlaubte Einreise selbst (§ 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG), sondern auch die teilweise mit einer Strafandrohung von bis zu zehn Jahren versehene Schleuserkriminalität (§ 96 AufenthG) als Begleiterscheinung der unerlaubten Einreise einzubeziehen ist (vgl. auch BayVerfGH, Entscheidung vom 28. März 2003 – Vf. 7-VII-00, Vf. 8-VIII-00 –, juris, Rn. 118).

Eine an die Rasse anknüpfende Auswahlentenscheidung bei einer Kontrolle nach § 22 Abs. 1a BPolG ist allerdings unverhältnismäßig. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt, dass die Einbußen an grundrechtlich geschützter Freiheit nicht in unangemessenem Verhältnis zu den legitimen Gemeinwohlzwecken stehen, denen die Grundrechtsbeschränkung dient. Dabei steht dem Eingriff in Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG, mithin eine grundsätzlich unzulässige Anknüpfung an ein besonders geschütztes Differenzierungskriterium, bezogen auf den Normzweck eine Erfolgsquote von (gerundet) lediglich 0,3 % (2013), 1,1 % (2014) und 4,4 % (2015) gegenüber, die sich nochmals auf unter 1 ‰ (2013 und 2014) verringert, wenn man die Kontrollen an Flughäfen außer Acht lässt (vgl. dazu BT-Drucks. 18/4149, S. 4 ff. [zu 2013 und 2014] und BT-Drucks. 18/8037, S. 5 f. [zu 2015]). In diesem Zusammenhang kann auch die generalpräventive Wirkung nicht berücksichtigt werden, weil diese gerade auch ohne eine zielgerichtete Vorauswahl der zu kontrollierenden Personen erreicht wird. Mithin ist die Verhältnismäßigkeit einer diskriminierenden Vorauswahl allein an den sich daraus konkret folgenden "Treffern" im Sinne des Normzwecks zu messen. Dies zugrunde gelegt lässt sich nicht feststellen, dass der Befugnis nach § 22 Abs. 1a BPolG eine so große Bedeutung zum Schutz der genannten öffentlichen Belange zukommt, dass sie ausnahmsweise die Ungleichbehandlung aufgrund der Rasse rechtfertigen könnte.

c. Der im Anschluss an das Ausweisverlangen telefonisch durchgeführte Abgleich der Personalien der Kläger mit dem Fahndungsbestand nach § 34 Abs. 1 Satz 2 BPolG war folglich ebenfalls rechtswidrig. Die Norm ermächtigt nicht zur Datenerhebung, sondern setzt eine rechtmäßige Datenerhebung voraus (vgl. Drewes, in: Drewes/Malmberg/Walter, BPolG, 5. Aufl. 2015, § 34 Rn. 12), an der es hier – wie dargelegt – fehlte.