OVG Hamburg

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Zitieren als:
OVG Hamburg, Beschluss vom 17.01.2017 - 3 Bs 242/16 - asyl.net: M24942
https://www.asyl.net/rsdb/M24942
Leitsatz:

1. Ein Ausländer, dessen Antrag auf Erteilung bzw. Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis zunächst die Fiktionswirkung gemäß § 81 Abs. 3 bzw. 4 AufenthG ausgelöst hat, hat nach Ablehnung seines Antrags auch dann keinen Anspruch auf Erteilung einer Fiktionsbescheinigung i.S.v. § 81 Abs. 5 AufenthG, wenn Widerspruch und Klage gegen den Ablehnungsbescheid aufschiebende Wirkung haben, weil die Behörde die Vollziehung des Ablehnungsbescheides ausgesetzt hat oder weil die aufschiebende Wirkung gerichtlich angeordnet worden ist.

2. Gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG dauert die durch den Antrag auf Verlängerung der zuvor innegehabten Aufenthaltserlaubnis ausgelöste Fiktion des Fortbestehens der Aufenthaltserlaubnis nur bis zur (ablehnenden) Entscheidung der Ausländerbehörde an.

3. Eine gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage entfaltet lediglich beschränkte Wirkungen. Sie lässt die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht (§ 58 Abs. 2 AufenthG) und damit die Möglichkeit der Abschiebung entfallen.

(Leitsätze der Redaktion, gleichlautend: VG Aachen, Beschluss vom 02.10.2006 - 8 L 46/06 - (asyl.net: M9203), zu Ziff. 3 vgl. vgl. BVerwG, Urteil vom 20.1.2016, 9 C 1.15, BVerwGE 154,68)

Schlagwörter: Aufenthaltserlaubnis, Verlängerungsantrag, Fiktionswirkung, Suspensiveffekt, Klage, Widerspruch, Abschiebungsandrohung, Ausreisepflicht,
Normen: AufenthG § 81 Abs. 4 S. 3, AufenthG § 84 Abs. 2, AufenthG § 60a Abs. 2, AufenthG § 81 Abs. 5,
Auszüge:

[...]

Ein Anspruch auf Ausstellung einer Fiktionsbescheinigung ergibt sich nicht aus § 81 Abs. 5 AufenthG in direkter Anwendung. Diese Vorschrift gewährt einen Anspruch auf Ausstellung einer Fiktionsbescheinigung, solange die Erlaubnis- bzw. Fortbestehensfiktion aus § 81 Abs. 3 und 4 AufenthG andauert. Mit der Ablehnung des Verlängerungsantrags bzw. mit dem Ablauf der letzten dem Antragsteller erteilten Fortbestehensanordnung gemäß § 81 Abs. 4 Satz 3 AufenthG ist die Fiktion seines rechtmäßigen Aufenthalts aber erloschen. Der Widerspruch gegen die Anlehnungsentscheidung führt ebenso wenig wie die Suspendierung des Ablehnungsbescheides dazu, dass die erloschene Fiktion wieder auflebt (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.1.2002, 1 C 6.01, BVerwGE 115, 352, juris Rn. 21; Urt. v. 1.2.2000, 1 C 14.99, NVwZ-RR 2000, 540, juris Rn. 10; OVG Hamburg, Beschl. v. 10.5.2011, 3 Bs 49/11, BA S. 6; VGH München, Beschl. v. 18.9.2009, 19 CE 09.2038, juris Rn. 3; OVG Bremen, Beschl. v. 17.9.2010, 1 B 140/10, NordÖR 2010, 441, juris Rn. 23; OVG Berlin- Brandenburg, Beschl. v. 24.6.2008, OVG 2 S 36.08, AuAS 2008, 184, juris Rn. 4).

Ein Anspruch auf Ausstellung einer Fiktionsbescheinigung folgt auch nicht aus § 81 Abs. 5 AufenthG in analoger Anwendung, weil die Analogievoraussetzungen nicht vorliegen. Es fehlt an einer Regelungslücke. Der Gesetzgeber hat mit § 81 Abs. 5 AufenthG zum Ausdruck gebracht, dass die Fiktionsbescheinigung nur auszustellen ist, solange die Fiktionswirkung aus § 81 Abs. 3 und 4 AufenthG andauert. Die Ausstellung einer Fiktionsbescheinigung auch dann, wenn Widerspruch bzw. Klage gegen die Ablehnungsentscheidung aufschiebende Wirkung haben, hat der Gesetzgeber nicht vorgesehen. Vielmehr hat er die Rechtsstellung eines Ausländers, dessen Antrag auf Erteilung bzw. Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis abgelehnt worden ist, in § 84 Abs. 2 AufenthG geregelt und dort gerade keine dem § 81 Abs. 5 AufenthG entsprechende Bestimmung aufgenommen (vgl. OVG Greifswald, Beschl. v. 28.9.2010, 2 M 138/10, juris Rn. 7).

Etwas anderes gilt auch nicht deshalb, weil die aufschiebende Wirkung von Widerspruch bzw. Klage gegen die Ablehnungsbescheidung dazu führt, dass deren Vollziehbarkeit gehemmt ist (so aber VGH München, Beschl. v. 18.9.2009, 19 CE 09.2038, juris Rn. 4; OVG Bremen, Beschl. v. 17.9.2010, 1 B 140/10, NordÖR 2010, 441, juris Rn. 23). Dies hat zwar zur Folge, dass die Behörde für die Dauer des durch die Anfechtung des Verwaltungsaktes herbeigeführten Schwebezustandes alle Maßnahmen zu unterlassen hat, die – in einem weiten Sinne – als Vollziehung zu qualifizieren sind (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.1.2016, 9 C 1.15, BVerwGE 154, 68, juris Rn. 12, m.w.N.). Dass trotz Bestehens der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage gegen den Ablehnungsbescheid keine (Erlaubnis- bzw. Fortbestehens-) Fiktion gilt und deshalb auch keine Fiktionsbescheinigung auszustellen ist, bedeutet aber nicht, dass die Behörde nachteilige Folgen an den suspendierten Ablehnungsbescheid knüpft und hierdurch die Vollziehbarkeitshemmung unbeachtet lässt. Denn das Fehlen der Fiktion – und damit auch der fehlende Anspruch auf Erteilung einer Fiktionsbescheinigung – trotz Suspendierung der Ablehnungsentscheidung ergeben sich unmittelbar aus dem Gesetz (§§ 81 Abs. 3 bis 5, 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG). Es beruht auf einer gesetzgeberischen Entscheidung, die Rechtsstellung desjenigen Ausländers, dessen Rechtsbehelf gegen einen die Erteilung bzw. Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis betreffenden Ablehnungsbescheid aufschiebende Wirkung hat, anders auszugestalten als die Rechtsstellung eines Ausländers, dessen noch nicht beschiedener Erteilungs- oder Verlängerungsantrag gemäß § 81 Abs. 3 oder 4 AufenthG zunächst die Fiktionswirkung auslöst. Die Entscheidung der Behörde, dem Ausländer, dessen Erteilungs- bzw. Verlängerungsantrag abgelehnt worden ist, keine Fiktionsbescheinigung (sondern eine Duldung) zu erteilen, bedeutet deshalb keine unzulässige behördliche Vollziehung, sondern die bloße Umsetzung der entsprechenden Entscheidung des Gesetzgebers. [...]