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BVerwG, Beschluss vom 01.06.2017 - 1 C 23.16; 1 C 25.16 - asyl.net: M25230
https://www.asyl.net/rsdb/M25230
Leitsatz:

Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union zur Klärung unionsrechtlicher Zweifelsfragen zur Verpflichtung von Busunternehmern zur Kontrolle von Grenzübertrittsdokumenten ihrer Passagiere beim Verkehr über eine Schengen-Binnengrenze.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Zwangsgeld, Beförderungsverbot, Busunternehmen, Unionsrecht, Personenkontrolle, Schengen-Binnenverkehr, Schengen, Grenzkontrollen, Beförderungsunternehmen, Personenkontrollen, carrier sanctions, Vorabentscheidung, Außengrenze, Beförderungsunternehmer, unerlaubte Einreise, Binnengrenze, Busunternehmer, Sanktionen, Zwangsgeld
Normen: AufenthG § 63 Abs. 1, AufenthG § 63 Abs. 2, AufenthG § 63, AEUV Art. 67 Abs. 2, SGK Art. 22, SGK Art. 23, VO 2016/399 Art. 22, VO 2016/399 Art. 23, Richtlinie 2002/90/EG Art. 4, Richtlinie 2001/51/EG Art. 1, Rahmenbeschluss 2002/946/JI Art. 3
Auszüge:

[...]

Das Verfahren wird ausgesetzt.

Es wird gemäß Art. 267 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu folgenden Fragen eingeholt:

1. Stehen Art. 67 Abs. 2 AEUV sowie Art. 22, 23 der Verordnung (EU) 2016/399 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex) der nationalen Regelung eines Mitgliedstaates entgegen, die Busunternehmen im Linienverkehr über eine Schengen-Binnengrenze im Ergebnis verpflichtet, die Grenzübertrittsdokumente ihrer Passagiere vor dem Überschreiten einer Binnengrenze zu kontrollieren, um einer Beförderung von Ausländern ohne

Pass und Aufenthaltstitel in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland entgegen zu wirken?

Insbesondere:

a) Stellt die generelle gesetzliche Pflicht oder die an einzelne Beförderungsunternehmen gerichtete behördliche Verpflichtung, Ausländer nicht ohne den erforderlichen Pass oder einen erforderlichen Aufenthaltstitel in das Bundesgebiet zu befördern, die nur durch eine Kontrolle der Grenzübertrittspapiere aller Passagiere vor Überschreiten der Binnengrenze durch die Beförderungsunternehmen erfüllt werden kann, eine Personenkontrolle an den Binnengrenzen im Sinne von Art. 22 Schengener Grenzkodex dar bzw. ist sie einer solchen gleichzustellen?

b) Ist die Auferlegung der unter 1) genannten Pflichten an Art. 23 Buchst. a Schengener Grenzkodex zu messen, obwohl die Beförderungsunternehmer keine "polizeilichen Befugnisse" im Sinne dieser Vorschrift ausüben und mit der staatlichen Inpflichtnahme zu Kontrollen auch nicht förmlich zur Inanspruchnahme hoheitlicher Befugnisse ermächtigt werden?

c) Falls Frage 1 b) bejaht wird: Liegt in den von den Beförderungsunternehmern geforderten Kontrollen unter Berücksichtigung der Kriterien des Art. 23 Buchst. a Satz 2 Schengener Grenzkodex eine unzulässige Maßnahme gleicher Wirkung wie Grenzübertrittskontrollen?

d) Ist die Auferlegung der unter 1) genannten Pflichten, soweit sie Busunternehmen im Linienverkehr betrifft, an Art. 23 Buchst. b Schengener Grenzkodex zu messen, wonach die Befugnis von Beförderungsunternehmern zu Sicherheitskontrollen bei Personen in See- und Flughäfen das Ausbleiben von Grenzkontrollen an den Binnengrenzen nicht berührt? Folgt daraus die Unzulässigkeit von Kontrollen im Sinne von Frage 1 auch außerhalb von See- und Flughäfen, wenn sie keine Sicherheitskontrollen darstellen und nicht auch bei Personen vorgenommen werden, die Reisen innerhalb des Mitgliedstaats unternehmen?

2. Gestatten Art. 22, 23 Schengener Grenzkodex nationale Regelungen, nach denen zur Einhaltung der Pflicht eine Untersagungsverfügung und Zwangsgeldandrohung gegen ein Busunternehmen erlassen werden kann, wenn infolge der unterlassenen Kontrollen auch Ausländer ohne Pass und Aufenthaltstitel in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland befördert worden sind? [...]

2. Die Vorlagefragen sind entscheidungserheblich und bedürfen einer Klärung durch den Gerichtshof der Europäischen Union.

a) Nach § 63 Abs. 1 AufenthG darf ein Beförderungsunternehmer Ausländer nur in das Bundesgebiet befördern, wenn sie im Besitz eines erforderlichen Passes und eines erforderlichen Aufenthaltstitels sind. § 63 Abs. 1 AufenthG statuiert ein unmittelbar und generell wirkendes, gesetzliches Verbot der Beförderung von Ausländern ohne die erforderlichen Reisedokumente. Aus dem Beförderungsverbot ergibt sich die daraus abgeleitete Pflicht des Beförderungsunternehmers, den Pass und den Aufenthaltstitel der beförderten Ausländer zu kontrollieren. Durch die Kontrollpflicht soll sichergestellt werden, dass der Ausländer die für den Grenzübertritt erforderlichen Voraussetzungen erfüllt. Dabei überlässt es der Gesetzgeber dem Beförderungsunternehmer, auf welche Art und Weise und mit welchen Mitteln er seinen Pflichten nachkommt (BVerwG, Urteil vom 21. Januar 2003 - 1 C 5.02 - BVerwGE 117, 332 <336>). Das Beförderungsverbot zieht positive Verhaltenspflichten in Gestalt von Kontrollpflichten nach sich, die im Gesetz nicht näher bestimmt werden. Das entspricht auch dem Verständnis der Vorschrift in Ziffer 63.1.1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz. Das gesetzesunmittelbare Beförderungsverbot des § 63 Abs. 1 AufenthG wird falls erforderlich durch eine Untersagungsverfügung nach § 63 Abs. 2 AufenthG konkretisiert und individualisiert. Verstößt ein Beförderungsunternehmer gegen die ihm nach § 63 Abs. 1 AufenthG obliegende Pflicht, kann das hierzu ermächtigte Bundespolizeipräsidium nach § 63 Abs. 2 AufenthG eine Untersagungsverfügung und Zwangsgeldandrohung gegen den Unternehmer erlassen. Im Fall weiterer Zuwiderhandlungen kann für jeden Einzelfall ein Zwangsgeld von mindestens 1 000 € und höchstens 5 000 € festgesetzt werden.

Die mit dem Beförderungsverbot verbundenen Kontrollpflichten stellen eine Form der Indienstnahme privater Unternehmen zur Vermeidung von Verstößen gegen Einreisebestimmungen dar, ohne dass den Beförderungsunternehmen insoweit hoheitliche Befugnisse übertragen werden. Die Überprüfung der Passagiere im Hinblick auf die Reisedokumente ist in den Beförderungsvorgang eingebettet, der im Rahmen des privatrechtlichen Beförderungsvertrages erfolgt (BVerwG, Beschluss vom 14. April 1992 - 1 C 48.89 - NVwZ 1992, 682 <683>).

Den Beförderungsunternehmer trifft die nach objektiven Maßstäben bemessene Verpflichtung, Verstöße gegen die Einreisebestimmungen soweit wie irgend möglich und in jedem Einzelfall zu vermeiden. Nach der Rechtsprechung des vorlegenden Gerichts dürfen an den Beförderungsunternehmer jedoch keine rechtlich oder tatsächlich unerfüllbaren Anforderungen gestellt werden (BVerwG, Urteil vom 21. Januar 2003 - 1 C 5.02 - BVerwGE 117, 332 <336>). Das Beförderungsverbot ist so auszulegen, dass es nur Verstöße erfasst, die bei gesetzeskonformer Auslegung des Verbots objektiv rechtswidrig erscheinen (BVerwG, Urteil vom 16. Dezember 2004 - 1 C 30.03 - BVerwGE 122, 293 <298>). Kann von einem Beförderungsunternehmer die Kontrolle der Ausweisdokumente seiner Passagiere bei der Beförderung über eine Schengen-Binnengrenze nach Unionsrecht nicht verlangt werden, verletzt er durch das Unterlassen einer Kontrolle nicht seine Pflicht nach § 63 Abs. 1 AufenthG. Im Streit steht daher nicht die Frage einer Unionsrechtswidrigkeit der gesetzlichen Vorschrift des § 63 AufenthG, sondern die unionsrechtskonforme Bestimmung ihres Regelungsinhalts. Entscheidungserheblich ist die Frage, ob Unionsrecht - hier: der Schengener Grenzkodex vom 9. März 2016 - den von der Beklagten geforderten Kontrollmaßnahmen entgegensteht. Zur Beantwortung dieser Frage, die der Gerichtshof der Europäischen Union noch nicht entschieden hat, werden unterschiedliche Rechtsauffassungen vertreten. Es besteht daher unionsrechtlicher Klärungsbedarf. [...]

Nach der Begründung des Kommissionsentwurfs vom 26. Mai 2004 zu der Vorläuferregelung des Art. 22 SGK ist "jede systematische oder stichprobenmäßige Kontrolle, die ausschließlich aufgrund des Überschreitens einer Binnengrenze durchgeführt wird, […] unvereinbar mit dem Konzept eines Raumes ohne Grenzen und daher nicht zulässig" (KOM(2004) 391 endgültig S. 33). Das spricht eher für eine weite Auslegung des Begriffs der Kontrollmaßnahmen nach Art. 22 SGK. Zudem hat die Kommission in einer Stellungnahme vom 20. Februar 2014 die Tschechische Republik aufgefordert, ihre Rechtsvorschriften so zu ändern, dass Beförderungsunternehmen, die ausländische Reisende ohne die entsprechenden Reisedokumente auf Flügen innerhalb des Schengen-Raums befördern, nicht mit Sanktionen belegt werden. Sie hat die Verpflichtung von Beförderungsunternehmen zur Durchführung systematischer Personenkontrollen als Verstoß gegen die EU-Rechtsvorschriften zur Abschaffung der Kontrollen an den Binnengrenzen angesehen (Bericht der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat vom 26. Mai 2014 - COM(2014) 292 final S. 6). [...]

Zu klären ist jedoch, ob sich die Kriterien des Art. 23 Buchst. a SGK überhaupt auf Personenkontrollen durch private Beförderungsunternehmer beziehen. Dagegen könnte sprechen, dass die Regelung sich ausdrücklich nur auf "die Ausübung der polizeilichen Befugnisse" bezieht (Art. 23 Buchst. a Satz 1 und 2 SGK). Die Kontrollen werden hier aber von privaten Beförderungsunternehmern verlangt. Diese üben bei Durchführung der Kontrollen keine polizeilichen Befugnisse aus und sind auch nicht förmlich zur Wahrnehmung hoheitlicher Befugnisse ermächtigt. Die von ihnen verlangte Überprüfung der Grenzübertrittsdokumente ihrer Passagiere ersetzt nicht die behördlichen Grenzkontrollen, sofern diese zulässig sind (vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. April 1992 - 1 C 48.89 - NVwZ 1992, 682 <683> Rn. 16). Dafür könnte sprechen, dass die Beförderungsunternehmen die Kontrollmaßnahmen nicht aufgrund eigener Entscheidung ausüben, etwa aus Sicherheitsgründen, sondern weil der deutsche Staat dies von ihnen zum Zwecke der Einhaltung der Einreisebestimmungen fordert und die Erfüllung der gesetzlichen Pflicht mit Zwangsmitteln durchsetzt. Insofern tellt sich die Frage, ob Art. 23 Buchst. a SGK auch Maßnahmen erfasst, die sich praktisch ähnlich wie Grenzübertrittskontrollen auswirken, aber von Privatunternehmern ausgehen, die damit eine gesetzliche Pflicht erfüllen.

(3) Mit Unterfrage 1 c) ersucht das vorlegende Gericht für den Fall der Bejahung der Unterfrage 1 b) um Klärung, ob die im vorliegenden Fall geforderten Kontrollen unter Berücksichtigung der Kriterien des Art. 23 Buchst. a Satz 2 SGK eine unzulässige Maßnahme gleicher Wirkung darstellen. Dabei wird zu berücksichtigen sein, dass die Dokumentenkontrollen ausschließlich im grenzüberschreitenden Verkehr erfolgen und der Verhinderung des illegalen Grenzübertritts dienen. Die Gleichgerichtetheit ihres Zieles mit staatlichen Grenzübertrittskontrollen führt für sich genommen aber noch nicht zur Wirkungsgleichheit. Die Kontrollpflicht zielt aber auf jeden Einzelfall der Beförderung. Die Beförderungsunternehmen sind zu systematischen Kontrollen verpflichtet und nicht allein zu Stichprobenkontrollen, wollen sie dem umfassenden gesetzesunmittelbaren Beförderungsverbot entsprechen. Gegen eine Wirkungsgleichheit mag aber sprechen, dass die Kontrollen nicht die gleiche Tiefe haben wie Dokumentenkontrollen der Polizei. Die Busfahrer sind - trotz angebotener Fortbildungsmaßnahmen - nicht vergleichbar fachkundig, um Dokumentenfälschungen zu erkennen. Sie haben keinen Zugriff auf öffentliche Datenbanken. Auch stehen ihnen neben dem Ausschluss von der Beförderung keine Zwangsmaßnahmen zur Verfügung, über die die Polizei verfügt, etwa eine Inhaftnahme.

(4) Mit Unterfrage 1 d) wird um Klärung ersucht, ob die im vorliegenden Fall geforderten Kontrollen an Art. 23 Buchst. b SGK zu messen sind bzw. ob diese Vorschrift Rückschlüsse auf die Reichweite des Kontrollverbots erlaubt. Nach dieser Vorschrift berührt die Befugnis von Beförderungsunternehmern zu Sicherheitskontrollen bei Personen in See- und Flughäfen nicht das Verbot von Grenzkontrollen an den Binnengrenzen, sofern diese Kontrollen auch bei Personen vorgenommen werden, die Reisen innerhalb des Mitgliedstaats unternehmen. Für das vorlegende Gericht stellt sich die Frage, ob daraus im Umkehrschluss die Unzulässigkeit der streitgegenständlichen Kontrollen abgeleitet werden kann, weil sie keine Sicherheitskontrollen darstellen und nicht auch bei Personen vorgenommen werden, die Reisen innerhalb des Mitgliedstaats unternehmen. Die auf der Grundlage von § 63 Abs. 1 AufenthG geforderten Kontrollen werden von Beförderungsunternehmern im Sinne von Art. 23 Buchst. b SGK verlangt und dienen der Überprüfung, ob beförderte Ausländer über die für einen Grenzübertritt erforderlichen Dokumente verfügen. Sie stellen keine Sicherheitskontrollen dar. Allerdings werden sie - abweichend vom Erfordernis des Art. 23 Buchst. b SGK nicht an See- oder Flughäfen verlangt, sondern vor Fahrtantritt im grenzüberschreitenden Buslinienverkehr.

Die Vorschrift des Art. 23 Buchst. b SGK kann als Sonderregelung für die grenzüberschreitende Beförderung von See- und Flughäfen angesehen werden oder als eine verallgemeinerungsfähige Regelung, wonach auch Beförderungsunternehmern Personenkontrollen verboten sind, die sich für den Passagier - anders als Sicherheitskontrollen - als wirkungsgleiche Maßnahme wie verbotene Grenzkontrollen darstellen. Da die Vorschrift ausdrücklich Beförderungsunternehmen umfasst, könnte die Norm dahin auszulegen sein, dass auch staatlich veranlasste Kontrollmaßnahmen Privater gegen das Verbot wirkungsgleicher Maßnahmen verstoßen können, wenn sie sich ähnlich wie Grenzübertrittskontrollen auswirken. Eine solche Auslegung mag zur effektiven Durchsetzung des in Art. 67 Abs. 2 AEUV verankerten Gebots beitragen, dass Personen an den Binnengrenzen nicht kontrolliert werden. In diesem Sinne kann die Stellungnahme der Kommission zur Unionsrechtswidrigkeit von sanktionierten Kontrollpflichten, die die Tschechische Republik Fluggesellschaften auferlegt hatte (vgl. COM(2014) 292 final S. 6), zu verstehen sein. Aber auch hier wird zu berücksichtigen sein, dass die Kontrollen der Beförderungsunternehmer nicht die gleiche Tiefe wie Dokumentenkontrollen der Polizei haben und ihren Beschäftigten neben dem Ausschluss von der Beförderung keine den polizeilichen Maßnahmen vergleichbaren Zwangsmaßnahmen zur Verfügung stehen. [...]

Die 2. Vorlagefrage soll klären, ob Art. 22, 23 SGK einer nationalen Regelung wie der hier maßgeblichen des § 63 Abs. 2 AufenthG entgegenstehen, nach der zur Einhaltung der aus § 63 Abs. 1 AufenthG abgeleiteten Pflicht zur Dokumentenkontrolle eine Untersagungsverfügung und Zwangsgeldandrohung gegen ein Busunternehmen erlassen werden kann, wenn infolge der unterlassenen Kontrollen auch Ausländer ohne Pass und Aufenthaltstitel in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland befördert worden sind. Dabei bezieht sich die Frage der Sache nach auf die streitgegenständlichen Maßnahmen zur zwangsweisen Durchsetzung der Kontrollpflicht bei der Personenbeförderung über eine Schengen-Binnengrenze. Die verfügten Maßnahmen bilden im Rahmen eines gestuften Verfahrens der Vollstreckung die Grundlage für die Möglichkeit der Festsetzung von Zwangsgeldern von mindestens 1 000 € und höchstens 5 000 € für jeden künftigen Einzelfall der Zuwiderhandlung. Sie haben daher eine höhere Eingriffsintensität als eine nicht sanktionsbewehrte Kontrollpflicht. Die Gesichtspunkte, die für und gegen einen Verstoß gegen Art. 22, 23 SGK angeführt werden können, entsprechen im Übrigen den Ausführungen zu Vorlagefrage 1. Bei der Beantwortung der 2. Vorlagefrage könnte auch Art. 11 des Zusatzprotokolls gegen die Schleusung von Migranten auf dem Land-, See- und Luftweg zum Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität vom 15. November 2000 zu berücksichtigen sein. Nach Art. 11 Abs. 2 des Zusatzprotokolls trifft jeder Vertragsstaat gesetzgeberische oder andere geeignete Maßnahmen, um so weit wie möglich zu verhindern, dass die von gewerblichen Beförderungsunternehmern betriebenen Beförderungsmittel für die Begehung der in Art. 6 Abs. 1 Buchst. a des Zusatzprotokolls umschriebenen Straftaten, d.h. zur Schleusung von Migranten, benutzt werden. Art. 11 Abs. 3 des Zusatzprotokolls sieht hierzu ausdrücklich vor, dass die Vertragsstaaten den Beförderungsunternehmern eine Kontrollpflicht auferlegen können. [...]

4. Bei der Beantwortung der aufgeworfenen Fragen mag vom Gerichtshof zu berücksichtigen sein, dass die Außengrenzen der Union derzeit nur unzureichend gesichert sind und im Schengen-Binnenraum in beträchtlichem Umfang eine illegale Sekundärmigration stattfindet. Das könnte dem öffentlichen Interesse an wirksamen Gegenmaßnahmen zusätzliches Gewicht geben. Wegen der begrenzten Disfunktionalität des Schengen-Raums hat die Kommission mehrfach der vorübergehenden Wiedereinführung von Grenzkontrollen an bestimmten Binnengrenzen zugestimmt. Hinsichtlich der hier streitgegenständlichen deutsch-niederländischen Grenze liegt ein Beschluss der Bundesrepublik Deutschland, Grenzkontrollen vorübergehend wieder einzuführen (vgl. Art. 25 ff. SGK), allerdings nicht vor. [...]