BVerfG

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Zitieren als:
BVerfG, Beschluss vom 20.07.2017 - 2 BvR 1621/17 - asyl.net: M25326
https://www.asyl.net/rsdb/M25326
Leitsatz:

Untersagung der Abschiebung bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde:

Ein ärztliches Attest kann nicht als unzureichend substantiiert abgelehnt werden, wenn die Kürze der Zeit keine ausführliche Stellungnahme erlaubt (paranoide Schizophrenie bei stationäre Unterbringung).

(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: psychische Erkrankung, Reisefähigkeit, ärztliches Attest, ärztliche Stellungnahme, einstweilige Anordnung, Verfassungsbeschwerde,
Normen: GG Art. 2 Abs. 2, GG Art. 103 Abs. 1, BVerfGG § 32
Auszüge:

[...]

2. Die Verfassungsbeschwerde erscheint zum derzeitigen Zeitpunkt weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Insbesondere erscheint fraglich, ob der angegriffene Beschluss den Anforderungen des Art. 2 Abs. 2 GG und des Art. 103 Abs. 1 GG gerecht wird, indem er den Umstand, dass der Antragsteller sich seit mehreren Wochen in stationär-psychiatrischer Behandlung befindet und nach der kurzen schriftlichen Stellungnahme des Chefarztes der Klinik vom heutigen Tage weiterhin stationär behandlungsbedürftig und nicht reisefähig ist, mit dem Hinweis für unerheblich hält, diese erschöpfe sich in der nicht näher begründeten Behauptung der fehlenden Reisefähigkeit. Die Stellungnahme enthält die Diagnose einer paranoiden Schizophrenie (ICD-10 F 20), die zum Zeitpunkt der - die Reisefähigkeit des Antragstellers vollumfänglich bejahenden - Begutachtungen vom 10. Februar 2017 und vom 23. März 2017 noch nicht vorlag; zu diesen Zeitpunkten befand der Antragsteller sich auch noch nicht in stationärer Behandlung. Eine ausführlichere aktuelle ärztliche Stellungnahme war in der Kürze der Zeit offenkundig nicht möglich, da die beabsichtigte Abschiebung erst am heutigen Tag bekannt wurde.

3. Die danach gebotene Abwägung führt zum Erlass der einstweiligen Anordnung. Denn durch den Vollzug der Abschiebung kann dem in stationärer Behandlung befindlichen und nach den Angaben des Arztes unter einer ernsten psychischen Erkrankung leidenden und nicht reisefähigen Antragsteller ein schwerer Nachteil entstehen, ohne dass ein späteres Obsiegen im Verfassungsbeschwerdeverfahren diese Rechtsbeeinträchtigung kompensieren könnte. Demgegenüber könnte der Antragsteller, sollte sich die geplante Abschiebung als rechtmäßig erweisen, ohne weiteres zu einem späteren Termin abgeschoben werden; sein Aufenthalt in Deutschland würde sich lediglich bis zu einem solchen späteren Termin verlängern. [...]