OVG Bremen

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Zitieren als:
OVG Bremen, Beschluss vom 10.11.2017 - 1 LA 259/15 - asyl.net: M25773
https://www.asyl.net/rsdb/M25773
Leitsatz:

Kein Verbrauch eines Ausweisungsinteresses trotz Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis:

1. Für die Frage, ob ein Ausweisungsinteresse verbraucht ist, kommt es darauf an, ob die Ausländerbehörde einen ihr zurechenbaren schützenswerten Vertrauenstatbestand geschaffen hat (unter Bezug auf BVerwG, Urteil vom 22.02.2017 - 1 C 3.16 - asyl.net: M24971). 

2. Hat sich die Behörde vor Erteilung der Aufenthaltserlaubnis die Berücksichtigung früherer Straftaten bei Begehung neuer Straftaten ausdrücklich vorbehalten, konnte der Betroffene jedenfalls nicht darauf vertrauen, dass ihm sein strafrechtliches Vorverhalten nicht im Rahmen einer Ausweisung entgegengehalten würde.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Ausweisung, Aufenthaltserlaubnis, Straftat, Abwägung, Ausweisungsinteresse, Aufenthaltstitel, Vertrauensschutz, Berufung, Berufungszulassungsantrag, Divergenzrüge,
Normen: AufenthG § 53 Abs. 1, AufenthG § 53 Abs. 2, AufenthG § 54 Abs. 1 Nr. 1,
Auszüge:

[...]

Das im Rahmen der Abwägung nach § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG zu berücksichtigende Ausweisungsinteresse wiegt gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG besonders schwer, wenn der Ausländer wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist. [...] Der Kläger verwirklicht allein durch die Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 5 Monaten durch das Urteil des Landgerichts ... vom ... 2013 (...) den Tatbestand eines besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG. [...] Darüber hinaus liegt auch ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG vor, weil der Kläger wegen einer vorsätzlichen Straftat gegen das Eigentum, die mit Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben begangen worden ist, rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist. [...]

Ungeachtet dessen liegt entgegen dem Zulassungsvorbringen auch kein Verbrauch eines Ausweisungsinteresses vor. Das Bundesverwaltungsgericht hat im Urteil vom 22.02.2017 (– 1 C 3.16 –, Rn. 39, juris) die Anforderungen an den Verbrauch eines Ausweisungsinteresses präzisiert. Danach ist ein Ausweisungsinteresse erst dann verbraucht, wenn die Ausländerbehörde einen ihr zurechenbaren schützenswerten Vertrauenstatbestand geschaffen hat, aufgrund dessen der Ausländer annehmen kann, ihm werde ein bestimmtes Verhalten im Rahmen einer Ausweisung nicht entgegengehalten. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels ist für sich genommen, d.h. ohne Berücksichtigung der näheren Umstände der Erteilung, nicht geeignet, einen solchen Vertrauenstatbestand zu begründen.

Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis am 23.02.2012 war danach nicht ausreichend, um einen Vertrauenstatbestand zu schaffen. Vielmehr war dem Kläger aufgrund des Verwarnschreibens der Beklagten vom 16.12.2011 bekannt, dass die Ausländerbehörde bei Begehung weiterer Rechtsverstöße aufenthaltsbeendende Maßnahmen prüfen und dabei auch zurückliegende Rechtsverstöße berücksichtigen wird. Der Kläger konnte daher nicht darauf vertrauen, dass ihm sein früheres strafrechtliches Verhalten, das dem Urteil des Landgerichts ... zugrunde lag, im Rahmen einer Ausweisung nicht entgegengehalten wird. [...]