VG Würzburg

Merkliste
Zitieren als:
VG Würzburg, Urteil vom 15.09.2017 - W 3 K 17.31180 - asyl.net: M26000
https://www.asyl.net/rsdb/M26000
Leitsatz:

Wegen der starken Überwachung der äthiopischen Diaspora ist inzwischen davon auszugehen, dass auch nicht besonders exponierte oppositionelle Tätigkeit im Exil politische Verfolgung auslösen kann.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Äthiopien, Oromo, Exilpolitik, Nachfluchtgründe, Flüchtlingsanerkennung, Rückkehrgefährdung,
Normen: AsylG § 3, AsylG § 3 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

Unter welchen Voraussetzungen ein exilpolitisches Engagement eine beachtliche Verfolgungsgefahr auslöst, insbesondere, ob schon die schlichte Mitgliedschaft in einer oder die einfache Tätigkeit für eine exilpolitische Organisation dazu ausreicht, wird in den vorliegenden Auskünften unterschiedlich eingeschätzt.

Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes (Lagebericht vom 6.3.2017, II., 1.9) liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass allein die Betätigung für eine oppositionelle Organisation im Ausland bei Rückkehr nach Äthiopien zu staatlichen Repressionen führt. Grundsätzlich komme es auf den Einzelfall an, also z.B. darauf, ob eine Organisation von den äthiopischen Stellen als terroristisch angesehen werde oder welche Art exilpolitischer Aktivität festgestellt werde (führende Opposition; Organisation gewaltsamer Aktionen). Von Bedeutung sei auch, ob und wie sich eine zurückgeführte Person anschließend in Äthiopien politisch betätige.

Demgegenüber vertritt ... (Auskunft vom 11.5.2009 an das VG Köln, Rn. 198 ff.) die Auffassung, dass im heutigen Äthiopien die eine staatliche Verfolgung auslösenden Momente in der Regel vielschichtig seien. Eine qualifizierte Verfolgungsprognose könne in der Regel nur aufgrund einer Gesamtbetrachtung all der in der Person der Betroffenen vorhandenen Merkmale, die für sich genommen vielleicht noch keine Verfolgung begründeten, aber bei kumulativem Vorliegen durchaus geeignet seien, staatliche Zwangsmaßnahmen auszulösen, erfolgen. Den handelnden äthiopischen Sicherheitsbehörden sei ein hohes Maß an Beliebigkeit und Willkür eigen. Dies erlaube nicht, exakte Voraussagen über eine Verfolgungswahrscheinlichkeit zu treffen, die an den Umfang der politischen Aktivitäten von oppositionell eingestellten oder Oppositionsbewegungen angehörenden Personen und deren Funktionen in einer Organisation anknüpften. Eine Unterscheidung in unbedeutende oder herausgehobene Tätigkeiten sei für die Beurteilung der Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungsgefahr als nicht relevant zu sehen.

Das German Institute of Global and Area Studies (GIGA, Auskunft vom 24.4.2008 an das VG Köln) ist in einer sich speziell auf einen Unterstützer der OLF beziehenden Auskunft der Auffassung, es könne nicht sinnvoll differenziert werden, zu welchen Maßnahmen die bloße Mitgliedschaft, die Teilnahme an Demonstrationen oder die exponierte Mitgliedschaft in der UOSG führen werde; hier sei ein hohes Maß an Willkür der äthiopischen Behörden einzukalkulieren.

Zu berücksichtigen ist auch die oben genannte Direktive zum Aufbau einer Wählerschaft einschließlich eines Zusatzdokuments vom 31. Juli 2006. Hier heißt es, dass eine Namensliste der Oppositionsführer weitergeleitet werden soll, um das "radikale Oppositionslager zu schwächen". Beabsichtigt ist insbesondere, Oppositionsführer mit Hilfe von Informanten öffentlich bloßzustellen (Direktive III, 3.1.3 Hauptaufgaben, Unterpunkte 1 und 2). Gleiches legt das Zusatzpapier vom 31. Juli 2006 fest (vgl. einleitendes Anschreiben an die Botschaften, Generalkonsulate und ständigen Vertretungen der Demokratischen Bundesrepublik Äthiopien, 1. Absatz). Zudem findet sich im Vorwort dieses Papiers die Bemerkung, es sei nicht genug getan worden, um die extremistischen Oppositionsgruppen politisch zu lähmen. Der Unterabschnitt "Fahrplan zum Aufbau einer Wählerschaft für das verbleibende Haushaltsjahr 1998", Ziffer III 3.1.3, gibt die Anweisung, Namenslisten von Organisatoren extremistischer Oppositionsgruppen an die Zentrale zu schicken, um das Oppositionslager schwächen zu können.

Aus der Zusammenschau dieser Unterlagen ergibt sich, dass die Toleranzschwelle des äthiopischen Staates gegenüber exilpolitischen Aktivitäten seiner Staatsangehörigen sehr gering ist, so dass nicht nur medienwirksam exponierte Führungspersönlichkeiten der als terroristisch angesehenen illegalen Opposition bedroht sind. Die Gefahrenabschätzung, dass nur erheblich exponierte Mitglieder von als terroristisch angesehenen Parteien verfolgt würden, lässt sich nicht durch tatsächliche Erkenntnisse belegen, zumal es kaum zu Abschiebungen von äthiopischen Staatsangehörigen in ihr Heimatland kommt.

Aufgrund der oben dargestellten Erkenntnisse ist das Gericht bislang - im Anschluss an die Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH, U.v. 25.2.2008 - 21 B 05.31082 - juris) - davon ausgegangen, dass jedenfalls Personen, die sich exponiert politisch betätigt haben, mit Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen haben, dies aufgrund der niedrigen Toleranzschwelle des äthiopischen Staates, so dass bei der gebotenen Gesamtbetrachtung der Umstände des Einzelfalls von einer Verfolgungsgefahr bereits dann ausgegangen wurde, wenn sich der Asylsuchende aus dem Kreis der bloßen Mitläufer als ernsthafter Oppositioneller hervorhob (BayVGH, U.v. 25.2.2008 - 21 B 07.30363 - juris; OVG NW, U.v. 17.8.2010 - 8 A 4063/06.A - juris Rn. 94; VG Würzburg, U.v. 13.2.2012 - W3 K 10.30350 - juris; VG Bayreuth, U.v. 18.1.2013 - B 3 K 11.30156 - juris; VG Ansbach, U.v. 29.8.2011 - AN 18 K 10.30507 - juris; VG München, U.v. 9.8.2012 - M 12 K 12.30434 - juris).

Nach der bisherigen Rechtsprechung galt dies jedoch nicht für bloße "Mitläufer". In Zusammenhang mit der erwähnten Direktive einschließlich des Zusatzpapiers, die auf Oppositionsführer und Organisatoren abstellt, war das Gericht bislang in ständiger Rechtsprechung der Auffassung, dass ausschlaggebend nicht allein das Innehaben eines Amtes oder das Verfassen eines Zeitschriften-Artikels ist, sondern das tatsächliche politische Engagement, das den Asylsuchenden als eine von der Masse der äthiopischen Asylsuchenden abhebende Person darstellt (vgl. VG Würzburg, U.v. 17.3.2014 - W 3 K 14.30042 - juris; U.v. 31.7.2011 - W 3 K 11.30081 - juris).

Diese Rechtsprechung hält das Gericht so nicht mehr aufrecht, dies aufgrund der neuesten politischen Entwicklung in Äthiopien, welche auch zu Änderungen hinsichtlich der Gefahrenlage für exilpolitisch tätige Flüchtlinge führt (vgl. hierzu auch den Prozesskostenhilfebeschluss der Kammer vom 24.7.2017 im Verfahren W 3 K 17.31739 - juris; vgl. auch den Prozesskostenhilfebeschluss der Kammer vom 17.7.2017 im Verfahren W 3 K 16.30710 - juris; anders: VG Gießen, U.v. 11.7.2017 - 6 K 4787/15.GI.A - juris).

Dies ergibt sich aus Folgendem:

Nach den im Mai 2015 durchgeführten Wahlen, die zu einem vollständigen Sieg der EPRDF geführt hatten, begannen ohne erkennbaren Anlass im Herbst 2015 massive Proteste der Oromos gegen die angebliche Absicht der Regierung, Teile Oromias an Addis Abeba zu übertragen. Diese wurden gewaltsam niedergeschlagen. Anfang Dezember 2015 eskalierte in der Region Amhara ein langjähriger Konflikt um die lokale Kemant-Nationalität, der von der regionalen Polizei niedergeschlagen wurde. Im Juli 2016 kam es zu Unruhen in der Amhara-Region mit gewalttätigen Protesten, mit denen sich protestierende Oromos in Oromia solidarisch erklärten. Anlässlich des jährlichen Irreecha-Fests der Oromos im Bishoftu kam es am 2. Oktober 2016 erneut zu massiven Protesten mit mindestens 50 Toten, was zu weiteren gewalttätigen Massenprotesten in ganz Oromia führte. Daraufhin verhängte die Regierung am 9. Oktober 2016 den Ausnahmezustand, was zur Verhaftung von mehr als 10.000 Personen führte. Diese wurden teilweise wieder freigelassen, jedoch kam es seitdem zu verschärftem Vorgehen der äthiopischen Sicherheitskräfte gegen die Oromogemeinschaft und gegen vermutete Unterstützer und Mitglieder von von der äthiopischen Regierung als terroristisch eingestuften Vereinigungen wie Ginbot 7. Es ist verboten, Fernsehsender aus der "Diaspora" anzusehen, das Internet wurde zeitweilig blockiert, Verdächtige können ohne Verfahren festgehalten werden. Der Grad an Repression hat nach Verhängung des Ausnahmezustands nochmals stark zugenommen. Die Regierung versucht derzeit, die bestehenden Probleme nicht durch Dialog, sondern durch die Verbreitung eines Klimas der Angst zu lösen (vgl. ..., Stellungnahme an das VG Gießen vom 23.2.2017, Rn. 93 ff.; AA, Lagebericht vom 6.3.2017, Ziffer I 1; FAZ vom 19.10.2016, Repression und noch mehr Repression; Entschließung des Europäischen Parlaments vom 21.1.2016 zur Lage in Äthiopien [2016/2520, {RSP}], Erwägungen A bis M und Ziffern 1 bis 4 und 6 bis 11; GIGA, Auskunft an das VG Gießen vom 30.1.2017; ..., Theologischer Referent für Afrika im Berliner Missionswerk der EKBO, Bericht vom März 2017 und Reisebericht vom Februar 2016; Missionswerk der EKBO, Offene Briefe an Frau Bundeskanzlern Merkel vom 29.9.2016 und vom Januar 2017; SZ vom 5.7.2017, Reifeprüfung).

Nach einem Bericht über einen Besuch in Oromia ist es komplett verboten, über Politik zu sprechen. Soldaten dringen nachts in die Häuser ein. Jeder wird verdächtigt, der jung und männlich ist, gebildet oder sogar Student. Verhaftungen und Demütigungen sind an der Tagesordnung. Es gibt ein komplettes Versammlungs- und Demonstrationsverbot, ebenso ist das Tanzen und Singen auf der Straße verboten. Keiner weiß die Zahl derer, die im Gefängnis sind, jeder ahnt, wie unmenschlich sie behandelt werden. Immer wieder werden Menschen durch das Militär erschossen. Für das Zeigen der von Feyisa Lilesa beim Marathonlauf der Olympischen Spiele in Rio de Janeiro verwendeten Geste gibt es fünf Jahre Gefängnis. Niemand weiß, "wer wen verpfeift" (vgl. Bedrohte Völker, <ehemals Pogrom> Herausgeber: Gesellschaft für bedrohte Völker, Heft Nr. 297, 6/2016, S. 79, Ein Besuch bei Freunden im Ausnahmezustand).

Zwar lief im Februar 2017 das Leben auf dem ersten Blick wieder normal, doch ist das Militär ständig präsent und beobachtet flächendeckend das alltägliche Geschehen (..., Bericht vom März 2017).

Während dieser in Äthiopien stattfindenden Entwicklung schürte die externe Opposition massiv vom Ausland und mit Hilfe von Eritrea die Agitation gegen die EPRDF-Herrschaft (..., a.a.O., Rn. 129). Deshalb richten sich die Vorschriften zum Ausnahmezustand explizit auch gegen die vom Ausland her operierenden Oppositionen und Medien, die als terroristisch eingestuft werden (..., a.a.O., Rn. 122).

Diese politische Entwicklung führt zu einer neuen Einschätzung der Gefahrensituation für äthiopische Staatsbürger, die sich in der Bundesrepublik Deutschland exilpolitisch betätigen.

Nach der Einschätzung von ... (a.a.O., Rn. 200) kommen aufgrund der oben dargestellten Kenntnis des äthiopischen Sicherheitsdienstes hinsichtlich exilpolitischer Tätigkeiten von im Ausland lebenden Äthiopiern solche Personen "unter einen niemals abzuschüttelnden Generalverdacht politischer Unzuverlässigkeit, der ihnen künftig in jedem Kontakt mit äthiopischen Behörden anhängt und zur Gefährdung werden kann".

Unter diesem Blickwinkel hält ... generell die Unterscheidung in unbedeutende und herausgehobene bzw. exponierte Tätigkeiten und Stellungen in einer Oppositionsorganisation als nicht relevant für die Beurteilung der Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungsgefahr. Es ist davon auszugehen, dass für die äthiopischen Sicherheitsorgane die Motivation für eine äthiopische Person, im Ausland als Unterstützung einer terroristischen Organisation auslegbare Handlungen zu begehen, unerheblich ist. Selbst wenn solche Handlungen nur aus opportunistischen Überlegungen zum Zwecke der Asylsicherung erfolgten, so stellten sie - so ... - in den Augen der äthiopischen Sicherheitsorgane dennoch objektiv eine Unterstützung terroristischer Organisationen dar und wären entsprechend zu ahnden (..., a.a.O., Rn. 228 und Rn. 232). Eine längere Inhaftierung verbunden mit intensiver Befragung und mit hoher Wahrscheinlichkeit inhumanen Haftbedingungen sei jedoch gerade auch unter dem jetzigen Ausnahmezustand als Minimum anzunehmen.

Für das Auswärtige Amt (Auskunft vom 9.12.2016 an das VG Gießen) ist es wahrscheinlich, dass Personen, bei denen eine Mitgliedschaft in einer von der äthiopischen Regierung als terroristisch eingeschätzten Gruppe vermutet wird, bei einer Rückkehr nach Äthiopien Haft für unbestimmte Zeit oder Misshandlung droht, da Bestandteil der Regelungen zum Ausnahmezustand auch ein Kommunikationsverbot mit Terrorgruppen ist.

Nach Ansicht des GIGA (Auskunft an das VG Gießen vom 30.1.2017) ist es keinesfalls auszuschließen, dass Äthiopiern, die sich zuvor im Ausland politisch betätigt bzw. regierungskritisch geäußert hatten, die Verhaftung für unbestimmte Zeit droht, selbst wenn sie keine führende Stellung in der EPPFG inne hatten. Die Messlatte für Verhaftungen liege - so das GIGA - derzeit sehr niedrig, es sei zu Verhaftungen schon aufgrund bloßer regierungskritischer Äußerungen im privaten Rahmen gekommen.

Auf der Grundlage dieser Auskünfte und mit Blick auf das verschärfte Vorgehen der äthiopischen Sicherheitskräfte gegen jegliche Art oppositioneller Tätigkeit in Äthiopien selbst sowie unter Berücksichtigung des von der äthiopischen Regierung verhängten strikten Kontaktverbots zu von ihr als terroristisch bewerteten Gruppen ist das Gericht der Auffassung, dass sich auch die Gefahrensituation für in Deutschland exilpolitisch tätige äthiopische Staatsangehörige verschärft hat. Dies gilt zumindest für Mitglieder und Anhänger von Organisationen, die vom äthiopischen Staat als terroristisch eingeordnet werden. Aus den dargestellten Auskünften wird deutlich, dass der äthiopische Sicherheitsdienst unterschiedslos jegliche von ihm beobachtete oppositionelle Tätigkeit im Ausland meldet; zudem wird deutlich, dass hierbei nicht (mehr) differenziert wird zwischen bloßen Mitläufern, die auf der Grundlage einer Risikoeinschätzung nicht zu einer realen Gefahr für das äthiopische Regime werden, und Personen, die sich aus den Kreis der bloßen Mitläufer herausheben und aufgrund ihres politischen Denkens und Handelns tatsächlich als Gefahr für das äthiopische Regime ernst zu nehmen sind. Damit besteht nunmehr auch für äthiopische Staatsangehörige, die sich zu Organisationen bekennen, die vom äthiopischen Staat als terroristisch eingestuft werden, und die ein Mindestmaß an Aktivität im Rahmen dieser Organisationen vorweisen können, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine konkrete Gefahr bei einer Rückführung nach Äthiopien. Dies ist auch unter dem Blickwinkel des § 3b Abs. 2 AsylG zu sehen, wonach es unerheblich ist, ob der Asylsuchende tatsächlich die politischen Merkmale aufweist, die zu seiner Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.

Dies gilt auch in Kenntnis des Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom 11. Juli 2017 (6 K 4787/15.GI.A - juris) und der dort vorgenommenen Bewertung der genannten Unterlagen.

Die oben dargestellte Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Verwaltungsgericht Gießen vom 9. Dezember 2016 kann das Gericht nicht mit Blick auf den Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 6. März 2017 dahingehend interpretieren, der Lagebericht knüpfe die Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung unter anderem an eine Leitungsfunktion, weshalb die Gefahr der beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung nur bestehe, wenn sich der Betroffene aus dem Kreis der bloßen Mitläufer hervorhebe. Vielmehr hebt der Lagebericht unter Ziffer 1.9 darauf ab, dass es grundsätzlich auf den Einzelfall ankomme "d.h. z.B. darauf, ob eine Organisation von der äthiopischen Regierung als Terrororganisation angesehen wird oder (Hervorhebung durch das Gericht) um welche Art exilpolitischer Aktivität es sich handelt (z.B. nachweisliche Mitgliedschaft, führende Position, Organisation gewaltsamer Aktionen)". Aus dem Wort "oder" geht hervor, dass nach Ansicht des Auswärtigen Amtes allein die Tatsache, dass eine Person sich für eine von der äthiopischen Regierung als Terrororganisation angesehene Organisation betätigt, zu staatlichen Repressionen führt; alternativ führen auch bestimmte Arten exilpolitischer Tätigkeiten für jedwede oppositionelle Organisation (auch die nicht als terroristisch eingestufte) zu staatlichen Repressionen. Damit relativiert der Lagebericht vom 6. März 2017 die Auskunft vom 9. Dezember 2016 nicht, sondern bestätigt sie.

Die Auskunft von ... vom 23. Februar 2017 an das Verwaltungsgericht Gießen bewertet das Gericht dahingehend, dass sie eine mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende Gefahr für äthiopische Staatsbürger belegt, die als Mitglied einer von der äthiopischen Regierung als Terrororganisation eingestuften Organisation bloße "Mitläufer" sind. Diesbezüglich ist es nicht erforderlich, dass ... eine Erhöhung der Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung seit Verhängung des Ausnahmezustandes im Jahr 2016 belegt. Denn ... vertritt bereits z.B. in seiner Auskunft an das Verwaltungsgericht Köln vom 11. Mai 2009 (vgl. Rn. 198 ff.) die oben im Einzelnen dargelegte Haltung, die allerdings bislang von der Mehrzahl der Verwaltungsgerichte - so auch vom Verwaltungsgericht Würzburg - unter Berücksichtigung anders lautender Auskünfte anderer Stellen nicht als ausschlaggebend angesehen wurde. Die Darlegung hinreichender Gründe für die Verschiebung des Wahrscheinlichkeitsmaßstabes kann von ... unter diesen Umständen nicht verlangt werden. Vielmehr ist es hinreichend, dass nunmehr eine stärkere inhaltliche Deckung zwischen den Auskünften einerseits beispielsweise  des Auswärtigen Amtes und des GIGA und andererseits von ... besteht, zumal auch ... in seiner Auskunft vom 23. Februar 2017 an das VG Gießen mehrfach (vgl. Rn. 228 und Rn. 237) ausdrücklich auf den Ausnahmezustand abhebt.

Damit bewertet das Gericht aufgrund einer Gesamtschau, insbesondere aufgrund der aktuellen Auskünfte des Auswärtigen Amtes, des GIGA, von ..., der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 21. Januar 2016 und der Unterlagen der EKBO (Berliner Missionswerk) die Gefahrensituation für äthiopische Staatsbürger, die sich in der Bundesrepublik Deutschland exilpolitisch betätigen, wie oben dargestellt, neu.

Angesichts der Unberechenbarkeit der äthiopischen Sicherheitsbehörden haben solche Personen mit einer längeren Inhaftierung, verbunden mit intensiver Befragung und Misshandlung unter inhumanen Haftbedingungen zu rechnen (..., a.a.O., Rn. 237; AA, Auskunft an das VG Gießen v. 9.12.2016; GIGA, Auskunft an das VG Gießen v. 30.1.2017), dies nach Einschätzung des Gerichts mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit.

Dies stellt eine Verfolgung im Sinne des § 3a Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 AsylG aufgrund einer politischen Überzeugung im Sinne des § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG dar. Eine inländische Fluchtalternative im Sinne des § 3e AsylG ist für solche Personen angesichts der umfassenden Präsenz der äthiopischen Sicherheitsbehörden im ganzen Land nicht erkennbar.

An dieser Einschätzung ändert sich auch nichts dadurch, dass der verhängte Ausnahmezustand nach Auskunft des Auswärtigen Amtes zum 4. August 2017 beendet wurde (vgl. Auswärtiges Amt, Äthiopien: Reise- und Sicherheitshinweise, Stand: 5.9.2017; NZZ vom 5.8.2017, Äthiopien hebt Ausnahmezustand auf). Allein hieraus ergeben sich für das Gericht keine Anhaltspunkte dafür, dass die äthiopische Regierung auch ihre Einstellung gegenüber exilpolitisch tätigen Flüchtlingen für als terroristisch eingestufte Vereinigungen geändert hat. [...]