VG Bayreuth

Merkliste
Zitieren als:
VG Bayreuth, Urteil vom 29.01.2018 - B 5 K 16.31983 - asyl.net: M26032
https://www.asyl.net/rsdb/M26032
Leitsatz:

Abschiebungsverbot für Person mit PTBS-Erkrankung aus Pakistan:

1. Die medizinische Versorgung im Bereich der psychischen Gesundheit ist in Pakistan unzureichend. 90% der Dienstleistungen in diesem Bereich sind privat und gemessen am Durchschnittseinkommen sehr teuer. Zudem werden psychisch kranke Menschen stigmatisiert.

2. Ohne familiäre Unterstützung ist einer psychisch erkrankten Person in Pakistan die Existenzsicherung nicht möglich. Bei Rückkehr droht Retraumatisierung.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Pakistan, Posttraumatische Belastungsstörung, interne Fluchtalternative, medizinische Versorgung, krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot, Stigmatisierung, Retraumatisierung, psychische Erkrankung, Existenzgrundlage,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1,
Auszüge:

[...]

Allerdings liegen hinsichtlich des Klägers die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Bezug auf Pakistan vor. [...]

Aus dem von Klägerseite vorgelegten Arztbrief des Bezirkskrankenhauses ..., Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, vom ... 2017, der ausführlich und nachvollziehbar die bisherige Behandlung, die Beschwerden des Klägers sowie die erhobenen Befunde darstellt, ergibt sich insoweit zur Überzeugung des Gerichts, dass der Kläger an einer PTBS leidet. Er bedarf zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt einer psychiatrischen Behandlung und Medikation, wie sie derzeit vom Bezirkskrankenhaus ... durchgeführt wird. Eine solche wäre für ihn aber in Pakistan nicht zu erreichen. Aufgrund der vorliegenden Erkenntnismittel geht das Gericht zwar davon aus, dass in Pakistan eine medizinische Behandlung grundsätzlich möglich ist und auch die Grundversorgung mit nahezu allen gängigen Medikamenten sichergestellt ist (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der islamischen Republik Pakistan - Lagebericht, Stand August 2017, S. 25), allerdings gilt dies nicht hinsichtlich der Behandlung psychischer Erkrankungen, insbesondere mit einer Psychotherapie. Die psychiatrische Versorgung in Pakistan ist gemessen an europäischen Standards dürftig, es besteht dabei noch ein großes Gefälle zwischen Stadt und Land. 90 % der Dienstleistungen im Bereich geistiger Gesundheit sind darüber hinaus privat und deren Kosten gemessen am Durchschnittseinkommen extrem hoch. Auf Grund des akuten Mangels an psychosozialen Fachkräften und des relativ geringen Bewusstseinsstandes für psychische Gesundheit, lässt sich die Mehrheit der psychiatrischen Patienten von traditionellen "Wunderheilern" und religiösen Heilern behandeln. Das Stigma, das mit psychischen Störungen verbunden ist, und die Diskriminierung von Patienten und deren Familie hält Personen davon ab, Dienstleistungen der psychischen Gesundheitsvorsorge in Anspruch zu nehmen. Der Bereich der geistigen Gesundheit hat die niedrigste Priorität, der Gesundheitsdienst ist elementar bis miserabel (vgl. hierzu ausführlich VG Ansbach, U.v. 27.2.2014 - AN 11 K 13.31170 - juris Rn. 43 ff.; VG München, U.v. 12.5.2016 - M 23 K 14.31059 - juris Rn. 36, jeweils m.w.N.). Personen, die nach Pakistan zurückkehren, erhalten keinerlei staatliche Wiedereingliederungshilfen oder sonstige Sozialleistungen (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der islamischen Republik Pakistan - Lagebericht, Stand August 2017, S. 25). Die Kernfamilie des Klägers wurde nach seinem glaubhaften und auch vom Bundesamt nicht in Zweifel gezogenen Vortrag ermordet. Ebenso konnte der Kläger glaubhaft und nachvollziehbar schildern, dass sein Onkel mütterlicherseits, der ihn zunächst bei sich aufgenommen hatte, aus Angst vor den Verfolgern des Klägers dessen weitere Unterstützung abgelehnt und ihm geraten hat, das Land zu verlassen. Zu anderen Verwandten hat der Kläger nach seinen glaubhaften Angaben keinen Kontakt mehr. Anders als in der Begründung des streitgegenständlichen Bescheids ausgeführt, kann der Kläger somit nicht auf weitere familiäre Bindungen in seinem Heimatland zurückgreifen. Bei einer Rückkehr nach Pakistan wäre er vielmehr auf sich allein gestellt. Darüber hinaus erscheint es aufgrund der medizinischen Stellungnahme als äußerst wahrscheinlich, dass sich der gesundheitliche Zustand des Klägers im Fall einer zwangsweisen Rückkehr in sein Heimatland deutlich verschlechtern würde. Im Laufe der Behandlung trat beim Kläger bereits einmal ein dissoziatonsnaher Zustand ein, in dem er Suizidabsichten äußerte. Deshalb ist davon auszugehen, dass sich im Fall einer zwangsweisen Rückkehr in seine Heimat der Gesundheitszustand mangels Möglichkeit der Inanspruchnahme einer umfangreichen psychologischen und psychiatrischen Behandlung deutlich verschlechtern würde. Damit liegt ein Abschiebungshindernis vor, dass zur Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führt. [...]