BVerfG

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Zitieren als:
BVerfG, Beschluss vom 20.03.2018 - 2 BvR 1266/17 - Asylmagazin 5/2018, S. 179 - asyl.net: M26135
https://www.asyl.net/rsdb/M26135
Leitsatz:

Kein Eilrechtsschutz beim Elternnachzug zu unbegleitetem Minderjährigen mit subsidiärem Schutz:

1. Kein Nachzug der Mutter zu einem subsidiär schutzberechtigten 13-jährigen Syrer, der seit knapp drei Jahren von ihr getrennt ist.

2. Soweit es um die Erteilung von Visa zum Familiennachzug nach § 36 AufenthG geht, ist die Verfassungsbeschwerde nicht offensichtlich unbegründet. In der Hauptsache wäre voraussichtlich zu klären, ob der Ausschluss des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten nach § 104 Abs. 13 AufenthG verfassungsgemäß ist.

3. Soweit Ansprüche auf Erteilung einer humanitären Aufenthaltserlaubnis nach § 22 AufenthG geltend gemacht werden, ist die Verfassungsbeschwerde mangels ausreichender Begründung unzulässig. Der Vortrag zu veränderten Umständen ist zunächst mit einem Abänderungsantrag im Eilverfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO beim Verwaltungsgericht geltend zu machen. Bei erneuter fachgerichtlicher Entscheidung kann berücksichtigt werden, dass das VG bereits darauf hingewiesen hatte, dass eine Trennung von fast drei Jahren wohl an der Grenze eines noch vertretbaren Zeitraums läge.

4. Aufgrund der vorzunehmenden Folgenabwägung ist die vorläufige Erteilung eines Visums zum Familiennachzug nicht anzuordnen.

a. Wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, würde der Anspruch auf Herstellung der Familieneinheit endgültig vereitelt, solange der Familiennachzug ausgesetzt bleibt.

b. Wenn die Anordnung erginge, die Verfassungsbeschwerde jedoch erfolglos bliebe, würde der Mutter die Einreise nach Deutschland erlaubt, was ebenfalls nicht mehr rückgängig gemacht werden könnte. Würde die einstweilige Anordnung mit verfassungsrechtlichen Bedenken gegen den gesetzlichen Ausschluss des Familiennachzugs begründet, käme dies einer Aussetzung des Vollzugs des Gesetzes gleich.

5. Der Grundsatz der Gewaltenteilung gebietet es dem BVerfG, ein Gesetz nur mit großer Zurückhaltung zu suspendieren, auch wenn die Abwägung der jeweiligen Folgen seiner Entscheidung in etwa gleichgewichtige Nachteile ergibt. Vorliegend würde die Aussetzung des Familiennachzugs für den Rest ihres Geltungszeitraums suspendiert, was das Ziel des Gesetzgebers vollständig vereiteln würde. Daher ergibt die Folgenabwägung, dass die einstweilige Anordnung nicht zu erlassen ist.

(Leitsätze der Redaktion; siehe auch BVerfG, Beschlüsse vom 01.02.2018 - 2 BvR 1459/17 - asyl.net: M26010 und vom 11.10.2017 - 2 BvR 1758/17 - asyl.net: M25554, Asylmagazin 12/2017 mit Anmerkung)

Anmerkung:

Schlagwörter: Familiennachzug, Familienzusammenführung, Elternnachzug, unbegleitete Minderjährige, subsidiärer Schutz, Kindeswohl, Verfassungsmäßigkeit, Aussetzung, Aussetzung Familiennachzug, Bundesverfassungsgericht, Verfassungsbeschwerde, Verfassungsmäßigkeit, vorläufiger Rechtsschutz, Prozesskostenhilfe, Familienzusammenführung, Familienzusammenführungsrichtlinie, Kinderrechtskonvention, Kindeswohl, Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen, humanitäre Gründe, Ausschluss des Familiennachzugs, allgemeiner Gleichheitssatz, Gleichheitsgrundsatz, Familieneinheit, Europäische Menschenrechtskonvention, Europäische Grundrechtecharta, Härtefall, Verhältnismäßigkeit, Schutzpflicht, Krankheit, psychische Erkrankung, Vorlagepflicht, effektiver Rechtsschutz, einstweilige Anordnung, Vorwegnahme der Hauptsache, Erledigung, Erledigung der Hauptsache, Gewaltenteilung,
Normen: AufenthG § 22, BVerfGG § 32 Abs. 1, AufenthG § 36, AufenthG § 22 Abs. 1, AufenthG § 104 Abs. 13, GG Art. 6, GG Art. 6 Abs. 1, VwGO § 80 Abs. 7,
Auszüge:

[...]

1. Die Beschwerdeführer begehren die vorläufige Erteilung eines Visums an die Beschwerdeführerin zu 1. zum Elternnachzug zu einem minderjährigen subsidiär Schutzberechtigten, hilfsweise die Erteilung eines Visums aus dringenden humanitären Gründen. Sie wenden sich mittelbar gegen die Regelung des § 104 Abs. 13 AufenthG, mit der der Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten befristet ausgesetzt wurde. [...]

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist nicht begründet. [...]

2. Die Verfassungsbeschwerde stellt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt, soweit die Erteilung eines Visums zum Familiennachzug begehrt wird, weder als unzulässig noch als offensichtlich unbegründet dar. Soweit der geltend gemachte Anspruch auf § 22 AufenthG gestützt wird, ist die Verfassungsbeschwerde hingegen unzulässig.

a) Soweit es um die Erteilung eines Visums zum Familiennachzug gemäß § 36 AufenthG geht, ist die Verfassungsbeschwerde insbesondere nicht offensichtlich unbegründet. In der Hauptsache wäre voraussichtlich zu klären, ob die Regelung des § 104 Abs. 13 AufenthG, nach der ein Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten - derzeit - bis zum 16. März 2018 nicht gewährt wird, mit Art. 6 Abs. 1 GG in Einklang steht (vgl. einerseits Thym, NVwZ 2016, S. 409 <414>; andererseits Heuser, Asylmagazin 2017, S. 125 <127 ff.>). In diesem Rahmen kann auch von Bedeutung sein, inwieweit Härtefällen durch die Erteilung von humanitären Aufenthaltserlaubnissen gemäß § 22 Satz 1 AufenthG Rechnung zu tragen ist, insbesondere auch dann, wenn die besondere Härte durch Umstände in der Person des subsidiär Schutzberechtigten begründet wird.

b) Soweit es um die Erteilung eines Visums aus dringenden humanitären Gründen gemäß § 22 AufenthG geht, ist die Verfassungsbeschwerde mangels ausreichender Begründung (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG) unzulässig. [...] Soweit die Beschwerdeführer nach Ablauf der Frist zur Begründung der Verfassungsbeschwerde zu veränderten tatsächlichen Umständen vorgetragen haben und insbesondere ein psychotherapeutisches Gutachten über eine depressive Episode des Beschwerdeführers zu 2. vorgelegt haben, waren diese Umstände noch nicht Gegenstand der fachgerichtlichen Prüfung und sind zunächst mit einem Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO beim Verwaltungsgericht geltend zu machen. Im Rahmen der erneuten fachgerichtlichen Entscheidung kann auch berücksichtigt werden, dass das Verwaltungsgericht bereits in seiner ursprünglichen Entscheidung darauf hingewiesen hatte, eine tatsächliche Trennungszeit von fast drei Jahren liege wohl an der Grenze eines noch vertretbaren Zeitraumes. [...]