VG Mainz

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Zitieren als:
VG Mainz, Beschluss vom 30.01.2018 - 4 L 24/18.MZ - asyl.net: M26352
https://www.asyl.net/rsdb/M26352
Leitsatz:

Ausbildungsduldung für bereits anderweitig berufsqualifizierte Person:

1. Strebt eine bereits berufsqualifizierte Person durch eine Ausbildung eine andere als die bereits erworbene Berufsqualifikation an, liegt darin keine rechtsmissbräuchliche Umgehung des § 60a Abs. 2 S. 4 AufenthG (unter Bezug auf OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 31.07.2017 - 7 B 11276/17).

2. Eine mit einer Fristsetzung zur freiwilligen Ausreise verbundene Abschiebungsandrohung stellt an sich noch keine konkret bevorstehende Maßnahme zur Aufenthaltsbeendigung dar.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Ausbildungsduldung, aufenthaltsbeendende Maßnahmen, Zweitausbildung, Qualifikation, berufliche Qualifikation, Duldung, Abschiebung, Abschiebungsandrohung, Abschiebungsanordnung,
Normen: AufenthG § 60a Abs. 2 S. 4,
Auszüge:

[...]

7 Der Antragsteller hat einen Anspruch auf Erteilung einer Duldung zur Aufnahme einer qualifizierten Berufsausbildung. Nach § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG ist eine Duldung wegen dringender persönlicher Gründe im Sinne von Satz 3 zu erteilen, wenn der Ausländer eine qualifizierte Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf in Deutschland aufnimmt oder aufgenommen hat, die Voraussetzungen nach Absatz 6 nicht vorliegen und konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung nicht bevorstehen. Diese Voraussetzungen liegen vor. [...]

12 b) Der Antragsteller kann sich auf das Ausbildungsverhältnis auch als dringenden persönlichen Grund, der Grundlage für einen Anspruch auf Erteilung einer Ausbildungsduldung ist, berufen.

13 Dies ist nur dann nicht der Fall, wenn das Ausbildungsverhältnis rechtsmissbräuchlich eingegangen wurde. Rechtsmissbräuchlich und nicht vom Anwendungsbereich des § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG geschützt sind nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz rein formale Ausbildungsverhältnisse, die ein Ausländer abschließt, obwohl er bereits über eine einschlägige Berufsqualifikation verfügt (vgl. OVG RP, Beschluss vom 31.7.2017 – 7 B 11276/17 – juris Rn. 7 ff.). Bei einem derartigen Beschäftigungsverhältnis handelt es sich inhaltlich nicht um eine qualifizierte Ausbildung im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG, da es nicht auf die eine Ausbildung charakterisierende Vermittlung von beruflicher Handlungsfähigkeit und die Ermöglichung des Erwerbs der erforderlichen Berufserfahrung (vgl. § 1 Abs. 3 BBiG, § 32 HWO i.V.m. § 1 Abs. 3 BBiG) gerichtet ist; vielmehr kann der bereits einschlägig berufsqualifizierte Ausländer vom Ausbildungsbetrieb zeitnah wie eine ausgebildete Fachkraft eingesetzt werden (vgl. OVG RP, Beschluss vom 31.7.2017 – 7 B 11276/17 –, juris Rn. 7 ff.). Durch eine Privilegierung solcher rein formalen Ausbildungsverhältnisse würden indes der Normzweck und die Gesetzessystematik umgangen. Für den Aufenthalt von Ausländern, die eine Berufsausbildung anstreben, und von Ausländern, die bereits berufsqualifiziert sind und in ihrem Beruf arbeiten wollen, wurden nämlich zwei unterschiedliche Regelungsregime geschaffen, wobei das Aufenthaltsgesetz für bereits berufsqualifizierte Ausländer gerade keine Duldung mit der sich anschließenden (erleichterten) Aussicht auf einen Aufenthaltstitel zum Zwecke der Beschäftigung nach § 18a Abs. 1a AufenthG vorsieht; hier gelten vielmehr abweichende Regelungen zur Arbeitsimmigration (vgl. OVG RP, Beschluss vom 31.7.2017 – 7 B 11276/17 –, juris Rn. 7 ff.).

14 Bei der vom Antragsteller angestrebten Ausbildung zum Elektroniker handelt es sich indes nicht um ein rein formales Ausbildungsverhältnis im vorgenannten Sinne, da er jedenfalls keine einschlägige Berufsqualifikation besitzt. [...]

15 [...] Die Erfahrungen des Antragstellers in Albanien betreffen den Beruf des Sanitärinstallateurs, wohingegen er nun in Deutschland eine Ausbildung zum Elektroniker mit der Fachrichtung Energie- und Gebäudetechnik anstrebt. Hierbei handelt es sich um gänzlich unterschiedliche Berufe.

16 Strebt ein bereits berufsqualifizierter Ausländer durch eine Ausbildung in Deutschland aber eine andere als die bereits erworbene Berufsqualifikation an, liegt eine rechtsmissbräuchliche Umgehung des § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG nicht vor; der Anwendungsbereich des § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG ist vielmehr grundsätzlich eröffnet (a.A. OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 30.8.2017 – 2 M 595/17 –, juris). [...]

26 (2) Weiter liegt auch ein Fall des § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 AufenthG nicht vor. Danach darf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei dem Ausländer aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können; dabei hat ein Ausländer die Gründe insbesondere dann zu vertreten, wenn er das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt. Dabei kommt es entscheidend darauf an, dass die vom Ausländer zu vertretenden Gründe auch gegenwärtig noch kausal dem Vollzug der aufenthaltsbeendenden Maßnahmen entgegenstehen (vgl. Kluth, in: BeckOK, Ausländerrecht, Stand: 1.11.2017, AufenthG, § 60a Rn. 54). [...]

27 [...] Bei der (nicht genutzten) Möglichkeit zur freiwilligen Ausreise handelt es sich nicht um den Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen (vgl. Hailbronner, AuslR, Stand: Februar 2016, AufenthG, § 60a Rn. 139; siehe auch VG Neustadt, Beschluss vom 12.12.2016 – 2 L 993/16.NW –, juris Rn. 8).

28 Ein Ausschlussgrund im Sinne des § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 AufenthG folgt auch nicht aus dem Umstand, dass der Antragsteller für seine jüngste, in Deutschland geborene Tochter noch keinen Pass beantragt hat. Zwar dürfte eine Verletzung von Mitwirkungspflichten – etwa bei der Passbeschaffung – grundsätzlich den Tatbestand des § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 AufenthG erfüllen, obwohl die in § 60a Abs. 6 Satz 2 AufenthG genannten Regelbeispiele nicht vorliegen (vgl. BayVGH, Beschluss vom 31.7.2017 – 19 CE 17.1032 –, juris Rn. 18; SächsOVG, Beschluss vom 15.9.2017 – 3 B 245/17 –, juris Rn. 6; Kluth, in: BeckOK, Ausländerrecht, Stand: 1.11.2017, AufenthG, § 60a Rn. 53; Bauer/Dollinger, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, AufenthG, § 60a Rn. 54). Dem steht hier aber bereits entgegen, dass der Antragsgegner den Antragsteller nicht zu einer Passbeschaffung für seine Tochter aufgefordert hat (vgl. zu den Hinweis- und Anstoßpflichten in derartigen Fällen BayVGH, Beschluss vom 31.7.2017 – 19 CE 17.1032 –, juris Rn. 18). [...]

30 bb) Das der Ausländerbehörde bei der Entscheidung über die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis nach § 4 Abs. 2 Satz 3 AufenthG grundsätzlich zustehende Ermessen hat sich vorliegend voraussichtlich zu einem Anspruch des Antragstellers auf Erteilung verdichtet. [...]

34 a) Für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist hinsichtlich des Versagungsgrundes konkret bevorstehender Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung ausnahmsweise – und nur hinsichtlich dieses Versagungsgrundes – aus Gründen materiellen Rechts nicht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs, sondern auf den Zeitpunkt der Beantragung der Ausbildungsduldung abzustellen (vgl. OVG RP, Beschluss vom 11.7.2017 – 7 B 11079/17 –, juris Rn. 34 ff. und 38 m.w.N.). [...]

38 Derart konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung hatte der Antragsgegner bis zum 28. September 2017 noch nicht ergriffen. Bislang wurde der Antragsteller bei einer persönlichen Vorsprache am 28. April 2017 darüber belehrt, dass zwischenzeitlich auch der Eilrechtsantrag seiner Tochter A. gegen deren ablehnenden Asylbescheid abgelehnt worden sei, weshalb nunmehr die gesamte Familie ausreisepflichtig sei. Dem Antragsteller seien die Möglichkeiten der freiwilligen Ausreise bzw. von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen in Form einer Abschiebung erläutert worden, woraufhin der Antragsteller erklärt habe, nicht freiwillig ausreisen und zunächst mit seinem Rechtsanwalt Rücksprache halten zu wollen. Außerdem wurde er mit Schreiben des Antragsgegners vom 22. August 2017, mit dem sein Antrag auf Erteilung einer Vorabzustimmung für eine Aufenthaltserlaubnis zwecks Arbeitsaufnahme abgelehnt wurde, erneut darauf hingewiesen, dass die Familie ausreisepflichtig sei. Mit Schreiben vom 24. August 2017 wies der Antragsgegner ihn schließlich darauf hin, dass die bis zum 30. September 2017 gültige Duldung der Familie über diesen Zeitpunkt hinaus nicht weiter verlängert werde. Die Familie wurde aufgefordert, das Bundesgebiet spätestens bis zu diesem Datum zu verlassen, da anderenfalls mit der zwangsweisen Rückführung in das Heimatland gerechnet werden müsse. Dem Schreiben waren auf den 30. September 2017 ausgestellte Grenzübertrittsbescheinigungen für die Familie beigefügt.

39 Dies sind jedoch noch keine konkreten Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG. [...] Die mit einer Fristsetzung zur freiwilligen Ausreise verbundene Abschiebungsandrohung scheidet damit als Anknüpfungspunkt für den in § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG normierten Versagungsgrund aus, wenn nicht weitere konkrete Maßnahmen der Behörde, die – wie etwa die Beantragung von Passersatzpapieren – eine beabsichtigte Abschiebung bereits konkret vorbereiten sollen, hinzutreten. [...]